Ueberleben am Abend
Ich habe vor 30 Jahren begonnen, nach der Arbeit hinzusitzen und „in die Maschine zu schreiben“, was mir gerade einfiel. Ich wollte mein Leben bewusster führen. Das ist in 30 Jahren nie abgebrochen. Und als ich nach der Pensionierung in die Notizen schaute, war ich überrascht, wie sich auch Inhalte durchziehen. Das waren nicht nur die psychischen Schwierigkeiten, die es in jedem Leben gibt und die uns immer wieder in dieselben Löcher fallen lassen. Da war auch eine Sorge um das richtige Leben.
Die Frage nach dem rechten Leben
Ging es anfangs mehr um die Frage, wie ich mein Leben besser in die Hand kriegen könnte, tauchte bald einmal das Thema Glaube auf. Die Verbindung lag im Wort Vertrauen. Das ist das Thema meiner Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder in Beziehungen. Es ist aber auch das, was das Wort „Glaube“ im Neuen Testament eigentlich bedeutet. Der Glaube stellt nicht in erster Linie eine Zumutung an das Für-wahr-Halten dar – mit dieser Begründung habe ich meinen Kinderglauben in der Pubertät verabschiedet – wohl aber eine Zumutung an die Vertrauens-Fähigkeit. Das gilt gerade für Menschen, die nach Kontrolle streben und auf Sorgen und Ängste mit Sicherheits-Konzepten reagieren. Das Gegenteil von Angst ist aber nicht Sicherheit – diese verbleibt mit ihren Strategien in der Logik der Angst – sondern Vertrauen.
Alte Fragen tauchen auf
Was würde das aber heissen, sein Leben nicht auf das abzustützen, was ich selber in der Hand habe, sondern auf das „andere“, was das Leben trägt? So begann bei mir eine Wiederbegegnung mit dem Glauben, die mich schliesslich zu einem Theologiestudium und zu 20 Jahren Arbeit als Pfarrer in einer Landeskirche führte.
Auf diesem Weg bin ich in alle möglichen Ängste hinein gegangen – ich wollte ja Vertrauen lernen! Und als ich von Ferne einen Blick auf den Glauben geworfen hatte, der mir eine Richtung vorzeigte, kehrte sich das Bild um: Ich fragte nicht mehr, was Glauben in meiner Situation heissen könnte, wie ich das vom Glauben her leben könnte (ich hatte ihn ja nicht, ich suchte ihn erst). Ich begann jetzt, alles „auf den Glauben hin zu leben“: Wie zeigt sich die Lebensfrage, vor der ich stehe, wenn ich sie mit Vertrauen angehe? Wie sich zeigte, war der Unglaube schon der erste Schritt im Glauben. Widerstand ist oft die erste Reaktion auf einem neuen Weg.
Eine grosse Tradition
So verwandelten sich mir alle Lebensfragen (auch) in Glaubensfragen. Ich entdeckte die Glaubenstradition als einen Schatz an Lebensweisheit, den unsere Vorfahren gesammelt haben. Auch sie haben schon „vor Gott“ gelebt, haben ihre Fragen im Gebet vor Gott gebracht und ihre Antworten und Lösungen in den stetig anwachsenden Strom der christlichen Frömmigkeit eingebracht.
Das ging nicht ohne Konflikte aus. Es gibt verschiedene Erfahrungen, Interessen und Temperamente. So verzweigte sich der Strom. Er trat auch mal über die Ufer und richtete Verheerungen an, oder er blieb aus und liess die Menschen spirituell hungrig zurück. Aber es war doch eine erregende Erfahrung, mich und mein Leben gespiegelt zu sehen in den Erfahrungen der Jahrhunderte und so allmählich auch einen Weg zu finden, wie er für mich gangbar ist.
Ein Weg
In diese Notizen aus 30 Jahren (sie sind nicht planmässig entstanden, sie haben sich angesammelt wie der Schutt neben einem Bach) hat sich alles abgezeichnet, was ich in dieser Zeit erlebte. Da sind persönliche Fragen aus Beruf und Beziehung. Da sind Zeitfragen von Tschernobyl bis zum Irakkrieg, von der „Wende“ 1989 bis zur Wirtschaftskrise. Die ökologische Frage war nie nebensächlich. Auch sie habe ich als Glaubensfrage erlebt: «Wie können wir unseren Glauben vergewissern, dass Gott unsere Welt erhält, wenn wir gleichzeitig zu ihrer Zerstörung beitragen?»
Die Notizen, die in diesen Blog eingegangen sind, zeigen den Weg, wie ich Glauben in dieser Zeit zu leben versuchte, mit dem Geschrei der Kinder, dem „Genöhl“ der Kollegen, dem inneren Nörgler in mir und mit all dem Schönen, was es gerade in diesen Herausforderungen in meinem Leben auch gegeben hat. Auch die Krise konnte da nicht fehlen, bis zur Frage, ob dieses Leben überhaupt zu leben sei.
Ein Spiegel?
Ich habe mich gern in den Erfahrungen anderer Menschen gespiegelt. Vielleicht kann auch dieser Blog ein solcher Spiegel sein?
Streiflichter und Downloads
Dieser Blog enthält nicht nur Einzelbeiträge, sondern auch «Streiflichter», wo mehrere Beiträge zu einem Thema versammelt sind. Grössere Texte finden sich in Downloads.