Eros und Sakramente

 

Eros und Sakramente

Himmel- und Höllenfahrt, Rückkehr ins Paradies, Seelenreise – seltsam sind die Titel in diesem Buch, als ob es einen Erwachsenen in die Kinderwelt der Fantasy verschlagen hätte. Aber zu einer Fantasy wurden diese Themen erst, als die Moderne Mythen und Tabus aufgehoben und Religion verabschiedet hatte. In der Entwicklungspsychologie leben solche antiken Traditionen teilweise weiter und in Alternativkulturen.

 

Die Drogenkultur erinnert sich an die alte Seelenreise. Heilige Speisen und Getränke weisen den Weg als Sakramente zur Unsterblichkeit. Am Tempeltor der alten Mysterienreligionen wächst der Schwellenbaum, der den Weg eröffnet. Wer sich mit Religion befasst, bewegt sich zwangsläufig in der Geisteswelt alter Kulturen. Lässt sich ernsthaft etwas daraus lernen?

 

Dieses Buch ist keine akademische Studie. Ein Pfarrer sucht seine Lebendigkeit. 2007 habe ich ein Sabbatical – fünf Monate freie Zeit! Und die Fragen kommen jetzt von innen, sie werden nicht mehr vom Alltag gestellt. Ich bin wie Robinson auf eine Insel gespült und darf sie erkunden: „jenes Land“, das sagenhafte Land, in dem Wünsche wahr werden! Schon im ersten Kapitel taucht das Paradies auf – oder ist es das Schlaraffenland? Gibt es eine erwachsene Variante für ein Dasein, wo Wünsche wahr werden?

 

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 5

„Säb Land“ 8

Die Suche nach dem Paradies. 28

Himmel- und Höllenfahrt in Antike und Moderne. 44

Mysterien und Sakramente. 62

Mitte des Sabbaticals. 84

Das Sabbatical geht zu Ende. 110

«Säb Land» – was ist jetzt mit dem Paradies?. 126

Rückblick. 128

Nachweis der Texte. 148

Ausführliches Inhaltsverzeichnis. 149

 

 

 

Vorwort

 

„Ein Buch über Eros und Sakramente – das muss alle verärgern. Wer erotische Geschichten erwartet, stösst auf Kirchenthemen! Und wem Sakramente wichtig sind, wittert gotteslästerlichen Spott. Und doch stehen diese beiden Erfahrungen im Zentrum dieser Notizen aus dem Jahr 2007. Und sie haben ohne Zwang zusammengefunden.

 

Suchwege

Das Gerüst bilden Tagebuch-Notizen. Ich setze mich abends hin, um mir Rechenschaft zu geben über mein Leben und folge dem, was vor mir aufsteigt. Aus der Distanz betrachtet, zeigen sich darin unbewusste Suchprozesse. Es scheint, als ob etwas Form annehmen wollte in meinem Leben. Kann ich es wohl packen? Im Sabbatical hatte ich nun aber auch Zeit zum Lesen. So knüpfte ein bewusstes Suchen an diese Prozesse an.

Das Ganze wurde zu einem grossen Strom, von dem ich mitgerissen wurde. Von Zeit zu Zeit tauchte ich darauf aus. Ich liess die Bücher liegen und fragte mich, wo ich denn stehe. Das gibt kleine Absatzpunkte, kleine Zusammenfassungen im Text. Zu einer Art Bilanz kam es am Schluss des Sabbaticals. Da musste ich erzählen, was ich denn gemacht hätte in dieser Zeit. Neben dem offiziellen Arbeitsplan, den ich mit einem „Bericht“ abschloss, gab es ein „verstecktes Curriculum“:

 

Ein versteckter Bildungsgang

Das sind die Themen, die mich in meinem Pfarrerdasein und in meinem Leben zunehmend beschäftigt hatten und die jetzt endlich Zeit fanden, hervorzutreten. Bisher hatte das nur in versteckten Notizen gelebt, im Sabbatical konnte es sich entfalten und jetzt fand es zum ersten Mal offiziellen Ausdruck. So stehen am Schluss dieses Buches die Vorträge „Mit dem Knie glauben“ und „Lebenswege – Weg des Lebens“, sie können als eine Zusammenfassung gelten.

 

 

Hier fügen sich die Themen Eros und Sakrament zwanglos zusammen. So befragt, liegen sie alle an einem Weg. Und auch die Begriffe Kosmos und Chaos fügen sich ein.[1] Die Diskussion macht Anleihen bei der Sprache antiker Mythen, bei der Feier von Kultmysterien. Sie folgt der Rekonstruktion dieser Gehalte in der antiken Philosophie und in der modernen Psychologie, jedenfalls in einigen Beispielen.

 

Eros

Die Tradition zum Eros zeigt eine ganze Polyphonie von Stimmen, im Gegensatz zur heutigen Engführung auf Fragen der Sexualität. Der Missbrauch der Erotik wird sichtbar als Mittel der Angstabwehr. Das Bild eines Daseins zeichnet sich ab, wo die Menschen hinaustreten dürfen, in Bejahung, Unschuld und Getragen-Sein.

Mythologisch erscheint hier die Frage nach einer Rückkehr ins Paradies. Im Nachdenken kehrt es die Gangrichtung um und wird zu einem Vorwärtsgehen in das „Reich Gottes“ – keine Regression, sondern ein Wachsen und Heilen im Vertrauen auf das göttliche Entgegenkommen.

 

Sind Drogen die besseren Sakramente?

Heute sind viele interessiert an den alten Riten und Mythen der Mysterien-Religionen. Da kann man viele Funde machen, wenn man dem sagenhaften Kraut der Unsterblichkeit nachgeht. Rausch und Droge sind heute ein Grossthema der Kultur, mit Drogen lassen sich Türen öffnen, die dem Normalbewusstsein verborgen sind. Sind Drogen die besseren Sakramente?

Setzen sie uns instand, das zu tun, wovon der Glaube nur redet? Hat der Rausch, den sie in uns auslösen, eine Richtung, der sich unserem Verhalten mitteilt, wenn wir daraus erwachen? Helfen sie uns zu Glaube, Hoffnung, Liebe? Lässt sich das überhaupt in Handeln transformieren, was im Rausch erlebt wurde und hilft das dort Erfahrene auf dem Weg des Lebens, der ja wieder in den Alltag einmünden möchte?

 

 

Die Feiern der Antike

In der Antike finden sich sakramentale Feiern, die nicht das katechetische Lernen betonen, sondern das sinnliche Erfahren. Sie prägen das Körper-Gedächtnis und helfen dem Feiernden auf dem Weg der Nachfolge, denn über das Körper-Gedächtnis kann nicht nur ein Lerngehalt abgerufen werden, sondern eine ganze Haltung, ein Set von Verhaltensweisen. So kann das, was wir in Taufe und Abendmahl erleben, uns in der täglichen Nachfolge auf dem Weg Christi helfen. Und die Vergebung [2] hilft uns auf den Weg zurück, wenn wir ihn verloren haben.

 

Vom Esel der wieder ein Mensch werden will

Über allem steht die Frage, wie ich kann, was ich will und soll, nicht nur in den Lebensbereichen, die ich planvoll gestalten kann, sondern dort, wo es kein «Machen» gibt. Kann ich das Verhalten aufteilen in Fragen, die ich kontrollieren kann und andere, wo das versagt, die ich also ganz abschreiben muss? Oder gibt es auch hier ein sinnvolles Verhalten? Immerhin hängen die grössten Fragen davon ab. Das meiste, was mich umtreibt, was mich plagt oder glücklich macht, kommt aus diesem Bereich, der mir nicht zu Gebote steht. Ich kann es nicht in die Agenda schreiben und nach und nach erledigen.

Das ist die Frage, um die es in diesem Buche geht: Wie kann ich, was ich will und soll? Und wie werde ich dabei zu dem Menschen, den Gott in mir gemeint hat, den er in mir schon angelegt hat und der durch die Erfahrung von Leid und Abwehr verschüttet und verborgen ist. Die Antike gibt eine Antwort im Märchen von „Psyche und Amor“. Es ist eingebettet in die Geschichte vom Menschen, der in einem Esel verwandelt wurde. Er sucht seine wahre Gestalt.

 

 

„Säb Land“ [3]

 

Ambach, 2. April 2007

Die Sonne scheint zu allen Fenstern herein, die Kinder sind zur Schule gegangen. Es ist der erste Tag meines Sabbaticals. Es ist ähnlich, wie damals, als ich meine Stelle im Bundeshaus kündigte und für unbestimmte Zeit ins Ausland ging. Und es ist anders. Damals war mir die Angst zu oberst: Ob ich richtig gehandelt hatte, das alles aufzugeben und ins Ungewisse hinauszugehen. Jetzt sind es Gefühle, die mich überschwemmen. Der Beginn aber ist ähnlich, jetzt wie damals, weil ein eigener Bereich beginnt.

 

Träume aufräumen …

Es ist ein Aufräumen in den Hinterzimmern der Psyche. Wenn ich mir früher in Abwehr des Alltags Ziele vorstellte, die ich „eigentlich“ verfolgen möchte – „aber ich habe ja keine Zeit“ – jetzt ist die Zeit da. Jetzt muss ich zeigen, dass ich es kann, oder diese Ziele und Phantasie-Identitäten abbauen und mich endgültig mit dem Alltag und meinem Normal-Ich versöhnen. Andererseits – vielleicht ist ja etwas dran an diesen Phantasien. Das ist zu versuchen.

 

Säb Land“ – so hiess das Traumland von Antonia, wenn sie als Kind zusammen mit ihrem kleinen Bruder von einer Welt schwärmte, wo alles anders ist und wo die schönsten Träume in Erfüllung gehen. Und als der kleine Bruder sie drängte, sie solle ihm dieses Land jetzt endlich zeigen, da konnte sie ihn nicht mehr länger hinhalten. Aber herzaubern konnte sie es auch nicht.

So ging sie mit ihm dreimal um den Tisch. Dann machte sie die Türe zu, die immer offen gestanden hatte, und wies auf die Ecke hinter der Tür. Diese Ecke hatte man bisher nie angesehen (man war da höchstens mal hingelangt, wenn man Verstecken spielte.

 

 

Und die Atmosphäre hinter diesem Türflügel war noch geladen von jenem Wunsch, in diesem Dunkel versteckt und geborgen zu sein, und von der Angst, in diesem vergessenen Winkel vielleicht gar nicht gefunden zu werden und jetzt für immer da bleiben zu müssen). „Da!“, sagte sie, „da isch säb Land!“ [4]

Der kleine Bruder sperrte den Mund auf – vor Staunen und Enttäuschung. Dann ging er mit Fäusten auf sie los. Wo waren die Rutschbahnen, wo man fahren konnte und es hörte nicht auf? Wo die Buden mit den Süssigkeiten?! Sie wusste sich nicht zu helfen und musste seine Wut ertragen.

Heute, wenn sie die Anekdote erzählt, denkt sie, dass man „jenes Land“ hier so gut finden kann wie irgendwo. Das Dämmerdunkel regt die Phantasie an. Wunschbilder und Angstphantasien steigen auf, wie man es ja schon beim Versteckspiel erlebt, wodurch gerade der Winkel hinter der Tür zu einem geheimnisvollen Ort wird. Als Erwachsene würde sie aber fragen: wie man es hervorholt, wie man es macht, dass man das als Erwachsener erleben kann, mitten in dem Alltag, in dem man manchmal verloren geht.

 

… oder verwirklichen

Es ist ein Aufräumen in den Hinterzimmern der Psyche, sagte ich. Wenn ich mir früher Ziele vorstellte, die ich „eigentlich“ verfolgen möchte – „aber ich habe ja keine Zeit“ – jetzt ist die Zeit da. Jetzt muss ich zeigen, dass ich es kann oder diese Ziele und Phantasie-Identitäten abbauen und mich endgültig mit dem Alltag und meinem Normal-Ich versöhnen. Andererseits – vielleicht ist ja etwas dran an diesen Phantasien. Das ist zu versuchen.

Die Erotik gehört dazu. Ich zähle hier nicht auf, was es alles gibt in meinem Leben, das ich nicht in der Hand habe (die Erotik wäre dabei und die Dynamik in der Klasse, die ich gestern mit einer Konf-Feier abgeschlossen habe – es ging gut, Gott sei Dank). Es wäre viel zu viel.

 

 

Einteilung der Welt

Das ist eine beschränkte Sicht (so wie man die Dinge halt ordnet, wenn man im Alltag funktionieren muss), die Dinge einzuteilen in Sachen, die man in der Hand hat und angehen kann und in anderes, was einen bis in den Schlaf verfolgt, wo man mit allen möglichen Strategien aufläuft, und wo jeder neue Versuch einfach nicht weiter führt.

 

Was ich „nicht in der Hand habe“ – ist das nicht alles? Von Anfang des Lebens bis zum Ende? Sind das nicht verschwindend kleine Inseln des Erlebens, die mir das Gefühl geben, als hätte ich sie „in der Hand“? – Wenn ich dasitze und in die Tasten schreibe. Wenn ich für die Kinder das Frühstück richte und Sandra erinnere, dass sie in der Pause zum Schulzahnarzt gehen muss. Wenn ich die Agenda nachführe. Wenn ich all die Aktivitäten ausführe, die zu meinem Beruf oder zum Familienleben gehören. Wenn ich mein „Ehrenamt“ ausübe…

 

Was ich nicht in der Hand habe

Wenn ich mein Leben übersehen will, beginne ich besser wohl nicht bei dem, was ich in der Hand habe, sondern besser bei dem, was ich nicht in der Hand habe, was mich in der Hand hat (wenn es mir gelingt, es positiv zu denken), und dem ich mich gerne anvertraue, als an eine grosse Hand, die mich führt und behütet.

 

Mein Sabbatical beginnt mit einem Arbeitstag. Am 1. April hatte ich die Konfirmation. Typisch, kann man sagen, ich kann meinen Teil nicht abgrenzen, die Arbeit frisst wieder unter dem Zaun durch. Ich weiss mich nicht zu wehren, weder für mich noch für die, die mir anvertraut sind. Erst kommen immer die andern, erst kommt immer die „Pflicht“ oder das, was als Erwartung über mir schwebt. Aber in diesem Beruf ist alles ineinander verwoben, bis zur Unkenntlichkeit. Es gibt kein Privat-Ich, das ich vom Berufs-Ich trennen könnte. Ich kann keine Berufs-Rolle abtrennen von dem Menschen, der ich bin.

 

 

Drei Mal täglich

Ich stehe vor den Leuten, und sie nehmen mich wahr, so wie ich bin, auch in meinen privaten Teilen: mit den Haaren, die mir ausfallen (das sehen Konfirmanden sehr gut), mit den Zähnen, die auch nicht mehr schön sind. Sie sehen dieses und jenes, das ich vielleicht gern verstecken würde und was in jedem anderen Beruf als Privat-Sphäre respektiert würde. Aber hier ist nichts privat. Da wird die Ehe-Frau verhandelt in der Gemeinde, über die Kinder wird geredet. Und was die Leute sehen, darauf reagieren sie, ganz egal, ob ich das zu meiner Berufs-Identität zähle oder nicht.

 

So bleibt mir in diesem Beruf keine andere Wahl, als zu wachsen, mit meiner ganzen Identität. „Weiterbildung“ im Sinn des Erwerbs von bestimmten äusserlichen Fertigkeiten genügt hier nicht.

 

Ich stehe da – im negativen Fall wie am Pranger. Im positiven Fall, wenn ich es annehmen kann, ist es eine Begegnung mit meinen dunklen Seiten. Eine Einladung zum Wachsen, ein Kreuz, das „täglich“ anzunehmen ist. [5] Mein Sabbatical beginnt also mit der Konfirmation, mit der Pubertät, mit dem Hinaustreten in die Welt der Erwachsenen, es beginnt mit Dank und Segen. [6]

 

 

„Ich bin hässlich und lebe gern!“

 

Ambach, 2. April 2007

Ich bin zurück von einer Fahrrad-Tour. Ich habe jetzt Zeit für Ausflüge. Ich gehe Wege, die ich nie gegangen bin, auch wenn sie nicht weit wegführen. Auch hier, in der Nachbarschaft, ist Gegenwelt, ist Licht und Schatten, der ganze Kosmos. Ich halte immer mal wieder an auf dem Weg, mache Fotos und Notizen. Gedanken steigen auf. Eine Tour auch durch die Innenwelt.

 

„Ich bin hässlich und lebe gern!“

Ich wolle die „Erotik erproben im Sabbatical“, habe ich geschrieben. Klingt seltsam in dieser Planungs-Sprache. In der Aufzählung oben gehörte es zu den Dingen, die ich nicht in Hand habe.

Die Kids schmähen mein Alter und mein Aussehen. Sie wollen damit nicht erreichen, dass ich zornig werde oder mich klein fühle, im Gegenteil. Sie wünschten sich ein Lachen: „Ich bin hässlich, lebe gern!“

Das öffnet einen Weg für sie und gibt Erlaubnis auch für sie, die hyper-kritisch vor dem Spiegel stehen, mit Augen, geschult an Trend-Heftchen und an der Vorstellung, was die tonangebenden Figuren wohl dazu sagen würden. Und dann noch diese Pickel! – „Ha, ha, ha, ich bin hässlich und lebe gern!“

 

 

In der Passionszeit

 

Ambach, 4. April 2007

Es hört nicht auf mit Scham und Schande. Die Geschichte von Ambach geht immer weiter. Der Konf-Unti wird mir abgenommen. Es wäre besser gewesen, ich hätte mein Arbeitsfeld selber gestalten können, jetzt ist es verbunden mit Versagen, mit öffentlicher Blamage, mit Scham und Schande.

 

 

Die Vorkommnisse haben meine Selbstachtung gebrochen: So kann ich nicht auftreten in der Kirche (dass man es hören kann), in der Mitarbeiterschaft (dass das Wort Gewicht hat). Ich kann den Jugendlichen keine Grenzen setzen (wo ist da Autorität und Selbstachtung?). Und ich kann mich gegen Zumutungen und Übergriffe nicht wehren (wie jetzt, ich solle eine Woche des Sabbaticals hergeben). Auch die Erotik kann sich nicht entfalten. Ich kann beim Gedanken, dass alles immer neu entsteht heulendes Elend kriegen.

Andererseits – so fällt mir später ein – weiss ich, dass ich Christus nicht finden kann, ohne dass ich alles riskiere. Und jetzt steh ich wieder im Leben, jetzt bin ich wieder auf dem Seil, jetzt kann ich abstürzen. Jetzt ist wieder Gefahr, das Risiko, alles zu verlieren. Und ich fürchte darum, ich meine, das Gesicht zu verlieren, ich weiss nicht weiter. Ich sehe nicht, woher mir Hilfe kommen soll und was richtig zu tun wäre. Soll ich mich bewerben? Soll ich den Weg in Ambach weitergehen? Und hoffen, dass es sich regelt. – Oder durch die Schande hindurchgehen, weil es eben mein Weg ist…?

Ich muss auch vorwärts machen mit den geplanten Aktivitäten. Sie geben positive Erlebnisse.

 

Pläne und Bilder für das Sabbatical

Ich möchte mir ein Bild aufstellen, wie ich leben will, wie ein rechtes Leben für mich aussähe und das befolgen. Besuche gehören dazu. Unbefangenheit gehört dazu (sie fiele mir leichter an einem anderen Ort, wo ich nicht dauernd über das Alte stolperte). Neugier gehört dazu und Lebensfreude… Andererseits ist es Zeit, die „Nachfolge“ ernster anzusehen. Aber auch leichter.

«Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich», sagt Christus. (Mk 8,34ff)

Furchtbar – und doch ist es Evangelium: Es zeigt den rechten Weg, der zum Leben führt und zu allen Heilsgütern. Also muss ich es solange betrachten, bis es die Zusage aus sich entlässt, muss damit kämpfen wie Jakob mit dem Engel an der Furt. Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.

 

 

Ich habe den positiven Sinn, den konkreten Weg-Weisungs-Sinn, noch nicht gefunden: was es heisst, sich zu verleugnen, niemanden mehr zu achten als Christus, auch die Nächsten nicht, und mein Kreuz täglich auf mich zu nehmen.

Ich will suchen, ohne in eine lebensfeindliche Spiritualität abzudriften, wie mir das früher manchmal geschah. Eine enthusiastische Karwochen-Stimmung, die das eigene Leben opfert – das verhält nicht, weil der Mensch, der sich da verschenkt, sich gar nie zu eigen hatte…

„Ich bin der Weg“ – alles auf diesem Weg ist positiv und lebensfreundlich.

 

 

Nach Ostern

Don Juan als Mysterienspiel

 

Gibt es die nicht-gespaltene Existenz? Das erlöste Leben? Lässt sich Eros und was damit zusammenhängt im individuellen und gesellschaftlichen Leben so gestalten, dass es in Harmonie mit allen anderen Daseins-Bestimmungen gelebt werden kann? Kann der Eros, statt als Medium der Verstrickung, auch als Medium der Erlösung gedacht werden?

 

Ambach, 10. April 2007

Ich will im Sabbatical über den Eros nachdenken. Vom Estrich habe ich ein Buch über den Don Juan-Mythos herunter geholt. [7]

Erlösung der Gerechten

In einer ersten Ausprägung des literarischen Stoffes ist Don Juan eine Art Mysterienspiel. Don Juan tötet den Komtur und erscheint lachend zum Gastmahl auf dem Friedhof, wo der Komtur als Geist erscheint. Das Spiel, das von Mönchen geschrieben wurde, zeigt, was mit „den andern“ geschieht, die nicht ins «Paradies eingehen.

 

 

Was jene erwartet, die sich von Jesus Christus abwenden und mit Hohn und Spott unter seinem Kreuze stehen. Es schärft den rechten Weg ein, indem es drastisch den falschen zeigt. Es nimmt die Qualen des schlechten Gewissens in seinen Dienst, um die Menschen auf den rechten Weg zu leiten.

 

Erlösung auch der Übeltäter

Seit dem 19. Jahrhundert gibt es in Spanien ein Don Juan-Spiel, das an Allerseelen aufgeführt wird, das zur seelsorgerlichen Hygiene des Kirchenjahres gehört. Es zeigt die Rettung auch der verlorenen Seelen. Es ergänzt die Erzählung vom Karsamstag, wo Christus in das Totenreich hinabsteigt, um die Gerechten des alten Bundes zu retten. Jetzt steigt er gewissermassen auch in die Hölle hinab, um die Verworfenen zu retten, wenn sie sich ihm denn zukehren.

Hier wird der Kreis der moralischen Vergeltung überschritten, Gott wird nicht nur als Richter, sondern auch als Schöpfer gesehen, der seinen Geschöpfen beisteht. Er weiss, dass sie nicht können, wie sie sollen, und begegnet ihnen in Gnade. Darum geschieht Erlösung. Davon kann nicht mehr moralisch-ethisch gesprochen werden; darum die mythologische Sprache von der Höllenfahrt.

 

Der Zyklus von Abfall und Vergebung

Das Drama von Don Juan richtet den Blick nicht nur auf die Opfer, sondern auch auf den Täter. Es sieht in Don Juan den Menschen, der sich nach Liebe sehnt, der sich ohne Ausweg in den Sackgassen seiner Möglichkeiten und Unmöglichkeiten dreht, und der nur durch Erlösung gerettet werden kann. Er richtet Unheil an, folgt dem, was ihn treibt, aber er wird am Ende nicht gerichtet, sondern bekennt seine Sünden, bereut sie und wird durch die göttliche Fürbitte einer Frau gerettet.

Hier wird der Erfahrungs-Weg, der in der frühen Kirche zur Ausbildung eines Buss-Sakraments neben der Taufe geführt hat, noch einmal abgeschritten und auch für diesen inneren Konflikt fruchtbar gemacht. Es gibt Umkehr, Abfall, Vergebung und neuen Anfang.

 

 

Versöhnte Wirklichkeit?

Das ist keine innere Versöhnung der Gegensätze, sondern nur das zyklische Geschehen von Absturz und Rückkehr, von Verfehlung und Vergebung, von Getrieben-Sein und Sich-Beherrschen-Wollen, von Trieb und Vernunft. Es ist das Buss-Drama vom Herausfallen aus dem Gnadenstand und Rückkehr durch das Buss-Sakrament. Das erfordert die Kirche und ihre Gnadenmacht.

Es ist aber die Frage, ob eine Integration auch wirklich gelingt, und das innerweltlich, in nützlicher Frist. Gibt es die nicht-gespaltene Existenz? Das erlöste Leben? Lässt sich Eros und was damit zusammenhängt im individuellen und gesellschaftlichen Leben so gestalten, dass es in Harmonie mit allen anderen Daseins-Bestimmungen gelebt werden kann?

 

Psychologisches Drama

In modernen Ausprägungen des Don Juan-Stoffes wird der Eros innerweltlich gedeutet. Konflikte werden nicht moralisch verstanden, sondern als ein inner-psychisches Geschehen zwischen „Es“ und „Über-Ich“. Leiden geschieht im Diesseits. Die Hölle wird internalisiert. [8]

Die Integration fehlt noch. Gibt es auch eine religiöse Bejahung des Eros?

Die Reformation akzeptiert die Säkularisation, sie hebt das Ehe-Sakrament auf, erklärt sie zu einem „weltlichen Ding“. Sie lässt Scheidung und Zweit-Ehe zu. Sexualität wird „kanalisiert“ in der Institution der Ehe.

Eine wirkliche Versöhnung und Integration ist das nicht. In der kirchlichen Seelsorge begegnet es als Zyklus aus Durchbruch und Vergebung (Busse). Erfahren wird es als ein quasi naturwüchsiges Geschehen, als Krise mit zwanghaften Verhaltens-Schlaufen, die an eine Sucht erinnern.

 

 

Hier gibt es keine Tempel-Prostitution wie in der Antike, keine Tantra-Spiritualität wie im Hinduismus. – Sind das denn Wege? Im Wirklichkeits-Modell des Alten und Neuen Testamentes (im Unterschied zu den Kulturen des Alten Orients) geht Gott nicht in die Schöpfung ein. Er ist wohl ihr Urheber, aber er bleibt von ihr geschieden.

Sie ist aber eine „gute“ Schöpfung. (Nicht so in gnostischen und neuplatonischen Sekten, die einen unheilbaren Graben zwischen Gott und Welt aufreissen, wo Askese, Entsagung, „Abtötung des Fleisches“ heilsnotwendig werden. Da ist der Mensch mit sich entzweit, solange er in der Welt lebt. Diese „Körperfeindlichkeit“ gibt es nicht in der Hauptströmung des Christentums. Aber es gibt auch nicht eine „Körperseligkeit“.)

 

 

Die Liebe, die mich rettet

 

Dafür habe ich mich doch entschieden, schon vor langer Zeit: dass ich das suchen möchte. Dass ich dem nachgehen möchte. Und es hatte nicht das Versprechen bei sich, dass es mich zu Ruhm und Ehren bringen wird. Es war nichts als Neugier, es war nichts als Risiko, es war nichts als die Lust, in das hineinzugehen, was mir Angst macht. Es war haargenau das, was ich jetzt erlebe. – Soll ich jetzt davon laufen?

 

Ambach, 11. April 2007 [9]

Ich wache auf nach schweren Träumen. Mein Blick fällt auf das Bild, das ich an die Wand gehängt habe, damit ich es jeden Tag sehen kann. [10] Es zeigt den Berg, zu dem ich unterwegs bin. Eine Quelle fliesst mir von dort entgegen. Wenn ich dieses Ziel wähle, kann jetzt schon in seiner Landschaft gehen.

 

 

Das Bild erinnert mich an mein Vorhaben: Wege zu Christus. Es ist kein Vorhaben für meinen Ehrgeiz. (Wenn es um mich ginge, gäbe es vielleicht einen kurzen Triumph auf dem Gipfel, aber alles andere wäre mühsam, mit Ehrgeiz verbunden, und Neid und Hass im Schlepptau.) Es ist etwas Grosses. Es macht schon Freude, wenn man es von ferne ansieht. Und es macht Freude auf dem Weg, bei jedem Schritt.

Ich suche nach einem Motto für den heutigen Tag. Etwas, was ich mitnehmen kann, was ich hin und her wenden kann in Gedanken, wenn ich aufstehe, wenn die dunklen Gedanken kommen, die Erinnerungen, die sich quer legen, die Schreck-Reaktionen, die aus den Knochen aufsteigen. Ich suche nach einer Weg-Beschreibung für den Ort, wo ich heute Morgen stehe.

 

„Wenn du mir nachfolgen willst, nimm dein Kreuz auf dich, täglich.“

Das fällt mir ein, und es schreckt mich, es verkörpert all das, vor dem ich davon laufe, um das ich mich drücke, um das ich einen Bogen mache – die Ängste meines Lebens, das Trauma im Nacken, das sagt „nie wieder!“ …

Dann fällt mir ein: es ist Evangelium. Es ist eine Hilfe. Jesus Christus ist der Helfer und Erlöser, selbst in dem, was schrecklich scheint. Selbst im Allerschlimmsten.

 

„Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst.“

Vielleicht ist das nicht der Verlust des allerletzten, was mir noch bleibt und ohne das ich nicht mehr leben kann? (Alles andere habe ich aufgegeben: Reputation, Stellung, eine Position unter den Menschen, Sicherheit für die Zukunft. Soll ich nun auch mich selbst noch verlieren?) Vielleicht ist es kein Verlust, vielleicht ist es ja eine Hilfe. Dann kann ich darauf vertrauen, wie auf eine Wegbeschreibung, die er mir gegeben hat, für den heutigen Tag!

 

 

Verleugne dich selbst und folge mir nach, geh meinen Weg.“

Es ist wie der „wunderbare Tausch“ [11]: Ich werfe meine Sorgen auf ihn, und er legt sein Joch auf mich…

„Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“ (1. Petr 5,7)

“Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“ (Mt 11, 28f)

 

Ich werde frei von der Angst um meine Geltung, und ob sie mich achten, oder ob sie ihren Neid an mir ausleben… Ich muss mich nicht mehr sorgen, ob mein Lebenslauf Respekt verdient oder ob ich in der Verachtung ende, in „Scham und Schande“.

Ich brauche keine Angst zu haben, ob ich auch das noch verspiele, was ich mit dem Berufswechsel zurückgelassen habe, den Respekt für mein altes Leben, nachdem ich mit meinem neuen Weg im Niemandsland gelandet bin, wo kein Staat zu machen ist, wo die Menschen mir ihre Geringschätzung zeigen und sich aufspielen…

Eigentlich habe ich mich ja von der „Karriere“ abgewendet, ich wollte diesen inneren Fragen nachgehen. Es kommt nur als Erinnerung zurück: „Ich war doch ein geachteter Berufsmann. Das bin ich mir schuldig, dass ich die Reputation hüte…“ Aber das Ziel hat sich verlagert. Wenn ich meiner Reputation nachtrauere und das hochhalten will, was niemand mehr in Erinnerung hat – sie haben mich ja so nicht gekannt, sie sehen nur, was sie jetzt vor Augen haben -, dann brauche ich zu viel Zeit und Energie dafür. Dann fehlt mir die Kraft für das, was ich eigentlich will und für das ich meine Karriere hinter mir gelassen habe.

 

 

So will ich jetzt lernen und akzeptieren: Ich kann nicht einen Beruf und eine Position hinter mir lassen und ewig von der Reputation zehren, die ich mal besessen habe. Die Leute verbeugen sich nicht ewig vor einem aufgestellten Hut. Es ist ein „alter Hut“. Aber ich bin jetzt da, sie sehen mich jetzt. Sie begegnen dem Menschen, der ich jetzt bin. Soll ich Respekt von ihnen fordern für das, was vorgestern war?

 

Es hatte kein Versprechen bei sich

Soll ich nicht lieber das Alte auch fortwerfen, mit leichter Hand – so wie man alte Hüte in die Alt-Kleider-Sammlung gibt – und meine Kraft für das einsetzen, was mir näher ist? Dafür habe ich mich doch schon entschieden, schon in dieser alten Zeit: Dass ich das suchen möchte. Dass ich dem nachgehen möchte. Und es hatte nicht das Versprechen bei sich, dass es mich zu Ruhm und Ehren bringen wird. Es war nichts als Neugier, es war nichts als Risiko, es war nichts als die Lust, in das hineinzugehen, was mir Angst macht. Es war haargenau das, was ich jetzt erlebe. Soll ich jetzt davon laufen?

Ich habe ja Hilfe gefunden. Ich bin ins Labyrinth gestiegen, und siehe, er hat mir den Ariadnefaden in die Hand gegeben. Da ist die Liebe, die mich rettet. Jetzt geh ich auch bis ins Zentrum, und begegne dem, was mich schreckt, was mich ein Leben lang verfolgt. Und ich finde meine Ruhe dort, sei es, dass es mich frisst oder dass etwas Unerwartetes geschieht, was ich mir jetzt noch nicht vorstellen kann. Aber nach allem, was ich auf dem Weg erfahren habe, wird das Wunder nicht fern sein.

So mache ich jetzt den Tausch, am Morgen des heutigen Tages. Da stehen all die Gepäckstücke vor mir, wie damals, als wir mit den Konfirmanden pilgern gingen. „Was lade ich mir auf?“, fragten wir uns am Morgen von jedem Tag. Nicht meine Sorgen, nicht meine Reputation, nicht meine Sicherheit. Sondern das Evangelium. Die Botschaft, dass das Leben gehalten ist. In diesem Vertrauen will ich auf die Menschen zugehen und auf das, was heute vor mir liegt.

Und in all dem will ich die Erfahrung machen von Jesus Christus auf dem Weg.[12]

 

 

Von Insel zu Insel

Lebensfreude und neue Unschuld

 

Je mehr ich verstehe, je mehr ich den Dingen ihren Platz geben kann, der ihnen gehört, desto weniger bin ich ihnen unterworfen. Dazu gehört Unschuld – nicht wie sie sich einstellt nach Vergebung. Sondern als neue Naivität, als neuer Vertrauens-Mut, als neue Harmlosigkeit, weil sie allen Harm hinter sich gelassen hat. Weil sie wieder lernt, sich anzuvertrauen. Unschuld, die das Trauma hinter sich gelassen hat und noch einmal ja sagt: Ja, ich will den Weg des Menschen gehen.

 

Ambach, 16. April 2007

Viele gegensätzliche Empfindungen. Da ist der Impuls: Ich kann auf den Tag zugehen, ich brauche nichts zu scheuen, auch wenn es Zeit kostet. Dann das Erschrecken: Schon zwei Wochen des Sabbaticals vorbei! Was habe ich mit der Zeit gemacht? Der Rückschlag kam beim Lesen eines Protokolls aus „Ambach“. Alle schlechten Lebensgeister stiegen wieder hoch.

Erotik? Ich bin nicht „abgestürzt“, aber auch nicht weiter gekommen. Sie ist, wenn wach, wie eine Sucht, ein Drang im Nacken. Alles andere wird weggeschoben. Alles wird auf einen Punkt gelenkt – Denken, Wollen, Fühlen. Alles will durch das Nadelöhr. Was links und rechts ist, wird abgestreift.

Spirituelles Suchen und Formulieren ist ähnlich. Man trägt es in sich, in einem Nebenbewusstsein, dreht es und wendet es, bis es sich rundet, bis es sich fügt, bis das befreiende Schreiben losgehen kann. Da ist das Alltags-Bewusstsein auch aufgehoben, suspendiert, bis der Drang vorbei ist. Erst dann stellt man sich wieder der Realität, schaut, was anliegt, macht Pläne, was zu erledigen ist und kehrt ins Dinge-Erledigen-Bewusstsein zurück.

 

Was will ich im Sabbatical?

  • Für das Wollen und Handeln?
  • Für das Suchen und Formulieren?
  • Für die Erotik?

 

 

Zunächst ist wenig da auf der Ebene Wollen. Daher habe ich das weggeschoben. Was ich suche: Ich will als Mensch wachsen. Und was ich dazu vor mir sehe, ist das Projekt „Wege mit Christus“. Dazu gehört der Gegenpol: das Ganz-Unten, die Erfahrung, das Nicht-Hohe. Beides ist vermittelt über das Niedersteigen und Erhöht-Werden Christi.

 

Aber die Lebensfreude, die Erlaubnis, das blosse Dasein, das fehlt mir noch, weil ich in Ambach immer wieder in den Tümpel eingetaucht werde. Dazu gehört dann auch die Erotik, die Freude am Leben. Das Leben, das sich rühren und zeigen darf. Das sich in Unbefangenheit bewegen darf, nicht stille stehen wie ein Käfer, auf den ein Schatten fällt und der sich totstellt, bis der vermutete Feind wieder weg ist.

Dazu gehört Unschuld – nicht wie sie sich einstellt nach Vergebung. Sondern als neue Naivität, als neuer Vertrauens-Mut, als neue Harmlosigkeit, weil sie allen Harm hinter sich gelassen hat. Weil sie wieder lernt, sich anzuvertrauen. Unschuld, die das Trauma hinter sich gelassen hat und noch einmal ja sagt: Ja, ich will den Weg des Menschen gehen. Ich will den „Rest des Lebens“ nicht verbringen hinter Barrikaden und mich schützen vor dem, was einmal war. (Das Leben lässt sich nicht aufteilen in Hauptsache und Rest. Es ist eine Hauptsache, so lange es dauert.)

 

Was will ich im Sabbatical? In der Liste steht wenig auf der Ebene des Wollens. Das meiste, was mir im Moment vorschwebt, versetzt mich in einen Zustand, in dem mir Planen und Handeln schwer fällt. Darum kommt periodisch das Erschrecken: Was schon zwei Wochen! Was habe ich erledigt? So hetze ich hin und her, mache Pläne, beginne dies und das, und wenn es auf ein Hindernis stösst, mache ich wieder etwas anderes… Es gibt ja so viel, was ich tun möchte, so kann ich vom einen zum andern hüpfen…

Was will ich im Sabbatical? Dass der Herrgott es Sabbat werden lässt für mich. Er ist der Herr des Sabbats! Ich kann nur die Erfahrung feiern, wenn er sie mir schenkt. Oder ich kann die Hoffnung feiern gegen alle Erfahrung: dass es gut kommt, das auch mein Leben ankommt…

 

 

Was will ich im Sabbatical? Das ist das erste, was man wissen muss, wenn man so was angeht. Ich weiss es jetzt noch nicht. Weil ich nicht geglaubt habe, dass man es mir zubilligt. Und als das Sabbatical bewilligt wurde, dass man mich damit leben lässt. Und nachdem ich leben gelassen werde, dass man mich nicht fertig macht, wenn ich zurückkehre. Und ich kann mir die Scham und Schande nicht vorstellen, wie es ist, wenn ich zurückkehre und mich wieder unter das Joch bücken muss. Ich muss unbedingt eine andere Stelle finden…!

Was will ich im Sabbatical? Ich weiss es noch nicht. Weil ich nicht weiss, was ich erreichen kann im Sabbatical und wie man ans Ziel kommt im Nicht-Machbaren.

 

Was will ich im Sabbatical?

Pläne, die nur auf der Willens-Ebene liegen, funktionieren nicht. Und das „andere“, was ich mir ersehnte, konnte ich nie als Plan vorlegen. Ich habe immer ein verstecktes Curriculum gehabt: was ich alles auch noch machen könnte, nachdem ich die Erwartung befriedigt habe. Ich habe „meine Sachen“ immer in den Untergrund versteckt. Dabei ist es das, was ich eigentlich machen will. Daher steigt es aus dem Keller empor wie das Gespenst eines Untoten, der nicht in Frieden begraben sein kann, weil er sein Leben nicht gelebt hat!

 

Ich muss einen „Plan“ machen für alle drei Ebenen [13]: für das Wollen und Handeln, für das Suchen und Formulieren, für die Erotik. Und da man es nicht planen kann, dafür Zeit-Inseln vorsehen. Sie anordnen. Nicht als „Agenda“, die immer auf der ersten Ebene bleibt (agere = handeln), sondern eher als „Topologie“: als Karte mit topoi = Orten, wo verschiedene Dinge stattfinden können, die aber einer ganz anderen Verlaufslogik gehorchen. Wo man sich z.B. einer Stimmung hingeben muss. Oder wo man aushalten muss ohne vorzeigbares Resultat.

 

 

Es gleicht der Heimkehr des Odysseus, der von Insel zu Insel fährt, und überall erlebt er ein anderes Abenteuer, je nach dem Gesetz, das auf dieser einen Insel herrscht. Das Ganze heisst dann wohl Odyssee, aber es ist keine Linie, keine Erzählung, sondern ein Nachhall, der unterschiedliche Erfahrungen noch nachbildet in dem Mix von Texten unterschiedlichster Gattung. Hier sind es Erlebnisse, dort Mythen, da denknotwendige Geschichten…

Je mehr ich verstehe, je mehr ich den Dingen ihren Platz geben kann, der ihnen gehört, desto weniger bin ich ihnen unterworfen. Hier müsste eigentlich das Bild eines Gartens stehen, eines Garten Eden, wo alles an seinem Platz ist. Darum ist hier Friede, darum das Paradies. Alles ist nach seinem Wert geachtet und gelebt.

So will ich mir einen Plan machen. Was ist bisher aufgestiegen an Wünschen und Beobachtungen? Ich lese dazu nochmals, was ich im Sabbatical geschrieben habe.

 

„Was bisher geschah“

Was ich will mit dem Sabbatical? – einige Sätze aus den Sabbatical-Notizen [14]:

 

  • „Es ist ein Aufräumen in den Hinterzimmern der Psyche.
  • Als Erwachsene würde sie sich fragen: wie man Säb Land hervorholt, wie man es macht, dass man das als Erwachsener erleben kann, mitten in dem Alltag, in dem man manchmal verloren geht.
  • Da ist auch Vertrauen in die Güte Gottes und die Güte des Lebens, gegen eine vorschnelle Unterwerfung unter eine angebliche „Realität“.
  • Die Erotik gehört dazu.
  • Wenn ich mein Leben übersehen will, beginne ich besser wohl nicht bei dem, was ich in der Hand habe, sondern bei dem, was ich nicht in der Hand habe.
  • So bleibt mir in diesem Beruf keine andere Wahl, als zu wachsen, mit meiner ganzen Identität. „Weiterbildung“ im Sinn des Erwerbs von bestimmten äusserlichen Fertigkeiten genügt hier nicht.
  • Im positiven Fall, wenn ich es annehmen kann (nach vielen Jahren, wo es mir einfach zu viel war) ist es eine Begegnung mit meinen dunklen Seiten.

 

 

  • Eine Einladung zum Wachsen, ein Kreuz, das „täglich“ zu übernehmen ist.
  • Es gibt Zeit für Ausflüge, ich gehe Wege, die ich nie gegangen bin, nicht weit. Auch hier ist Gegenwelt, hier ist Licht und Schatten, der ganze Kosmos.
  • Die Kids schmähen mein Alter und mein Aussehen. Sie wollen damit nicht erreichen, dass ich zornig werde oder mich klein fühle, im Gegenteil. Sie wünschten sich ein Lachen: „Ich bin hässlich, lebe gern!“
  • Gibt es überhaupt einen Neustart in Ambach, oder muss ich eine andere Stelle suchen?
  • Ich will mich endlich orientieren an dem, was ich eigentlich weiss, und mich danach verhalten.
  • Ich muss nicht mehr jede Meinung, die über mich gesagt wird, erfüllen.
  • Ich will mir ein Bild aufstellen, wie ich leben will, wie rechtes Leben für mich aussähe und das befolgen. Besuche gehören dazu, Unbefangenheit, Neugier, Lebensfreude…
  • Er spürt eine Verantwortung, als ob er sein Leben gestalten sollte, und kriegt es doch nicht in den Griff.
  • Es gibt keine Bedingung in der Welt, die zuerst erfüllt sein müsste, damit er so leben kann, wie er sich das vorstellt. Er lebt bedingungslos und frei. Er hat sein Leben auf Gott geworfen, der trägt die Welt. Er hat sein Leben ihm anvertraut. Er hat den Tod als Teil des Weges angenommen und nimmt das Leben aus seiner Hand.
  • Wie gut es tat, als ich krank war, als das „ICH KANN NICHT MEHR“ aufgeräumt hat im Estrich meiner Psyche.
  • Ich bin umgeben von der Liebe Gottes, scheint es zu sagen, ich kann nicht herausfallen.

 

  • Gibt es die nicht-gespaltene Existenz? Das erlöste Leben?
  • Lässt sich Eros und was damit zusammenhängt im individuellen und gesellschaftlichen Leben so gestalten, dass es in Harmonie mit allen anderen Daseinsbestimmungen gelebt werden kann?
  • Kann der Eros – statt als Medium der Verstrickung – auch als Medium der Erlösung gedacht werden? – Oder doch wenigstens neutral?
  • Ich suche nach einer Weg-Beschreibung für den Ort, wo ich heute Morgen stehe.

„Wenn du mir nachfolgen willst, nimm dein Kreuz auf dich, täglich.“ –

 

 

Das fällt mir ein, und es schreckt mich, es verkörpert all das, vor dem ich davon laufe, um das ich mich drücke: die Ängste meines Lebens, das Trauma im Nacken, das sagt „nie wieder!“ … Dann fällt mir ein: Es ist Evangelium. Es ist eine Hilfe. Jesus Christus ist der Helfer und Erlöser, selbst in dem, was schrecklich scheint. Selbst im Allerschlimmsten.

  • Es ist wie der „wunderbare Tausch“: ich werfe meine Sorgen auf ihn, und er legt sein Joch auf mich… Ich werde frei von der Angst um meine Geltung, und ob sie mich achten… Ich muss mich nicht mehr sorgen, ob mein Lebenslauf Respekt verdient, oder ob ich in Verachtung ende, in „Scham und Schande“.
  • Eigentlich habe ich mich ja von der „Karriere“ abgewendet, ich wollte diesen inneren Fragen nachgehen. Es kommt nur als Erinnerung zurück: Ich war doch ein geachteter Berufsmann. Das bin ich mir schuldig, dass ich die Reputation hüte…
  • Wenn ich meiner Reputation nachtrauere und das hochhalten will, was niemand mehr in Erinnerung hat, dann brauche ich zu viel Zeit und Energie dafür. Dann fehlen mir die Zeit und die Kraft für das, was ich eigentlich will und für das ich meine Karriere hinter mir gelassen habe.
  • Dafür habe ich mich doch schon entschieden, schon in dieser alten Zeit. Dass ich das suchen möchte. Dass ich dem nachgehen möchte.
  • Und es hatte nicht das Versprechen bei sich, dass es mich zu Ruhm und Ehren bringen wird. Es war nichts als Neugier, es war nichts als Risiko, es war nichts als die Lust, in das hineinzugehen, was mir Angst macht.

 

  • Darum geh ich bis ins Zentrum und begegne dem, was mich schreckt, was mich ein Leben lang verfolgt. Und ich finde meine Ruhe dort, sei es, dass es mich frisst oder dass etwas Unerwartetes geschieht, was ich mir jetzt noch nicht vorstellen kann. Aber nach allem, was ich auf dem Weg erfahren habe, wird das Wunder nicht fern sein.
  • So mache ich jetzt den Tausch, am Morgen des heutigen Tages. Da stehen all die Gepäckstücke vor uns, wie damals, als wir mit den Konfirmanden pilgern gingen. Was lade ich mir auf? – Nicht meine Sorgen, nicht meine Reputation, nicht meine Sicherheit. Sondern das Evangelium. Die Botschaft, dass das Leben gehalten ist. In diesem Vertrauen will ich auf die Menschen zugehen und auf das, was heute vor mir liegt.

 

 

  • Aber die Lebensfreude, die Erlaubnis, das blosse Dasein, das fehlt mir noch.
  • Dazu gehört dann auch die Erotik, die Freude am Leben. Das Leben, das sich rühren und zeigen darf. Unschuld, die das Trauma hinter sich gelassen hat und noch einmal ja sagt: „Ja, ich will den Weg des Menschen gehen.“
  • Was will ich im Sabbatical? Ich weiss es jetzt noch nicht. Weil ich nicht weiss, was ich erreichen kann im Sabbatical und wie man ans Ziel kommt im Nicht-Machbaren.
  • Ich will mich mehr in Gefahr bringen und solche Erfahrungen machen!
  • Ein Bild vor mich hinstellen, wie beim Berg, der das grosse Vorhaben für mich symbolisiert. Ein Bild, das Freude macht beim Ansehen und bei jedem Schritt auf dem Weg. Ein Bild, das zeigt, wie ich leben will. Wie rechtes Leben aussieht.
  • Hier müsste eigentlich das Bild eines Gartens stehen, eines Garten Eden, wo alles an seinem Platz ist. Darum ist hier Friede, darum das Paradies:

Alles wird nach seinem Wert geachtet und gelebt.

 

 

 

Jakobs Traum von der Himmels-Leiter (1.Mose 28,11ff)

 

Die Suche nach dem Paradies

 

Ich will das Nicht-Tun aufwerten, es gegen seine Verachtung retten, als Königsweg in jenen Bereichen, die ich nicht in Hand habe, die mich in Hand haben, wo ich mich anvertrauen darf.

 

Ambach, 17. April 2007

Ich will jetzt jenen Paradiesgarten skizzieren und die Elemente im Sinn einer Topologie aufzeichnen, anstelle einer Agenda, die eindimensional im Handeln bleibt.

Ich will das Nicht-Tun aufwerten, es gegen seine Verachtung retten, als Königsweg in jenen Bereichen, die ich nicht in Hand habe, die mich in der Hand haben, wo ich mich anvertrauen darf. Das ist nicht „Regression in frühkindliche Abhängigkeit und Verschmelzung“. Das ist Progression: sich tragen lassen auf einem Fluss, der den einzigen Eingang bildet in das Reich auf jener Insel, die Odysseus jetzt erforschen will. Odysseus ist nicht nur der paradigmatisch Leidende und Christus-Typus, er ist auch der Forscher, der Erprober, der Wegsucher, von da her mehr Mensch, weniger Gott.

 

 

Neue Unschuld

 

Ambach, 20. April 2007

Vor einigen Tagen stieg beim Aufwachen ein Satz in mir auf: «Lieber Gott, mach mich rein. Nimm Angst und Schuld von mir! Dann kann ich machen, was ich soll. [15] Das klingt grässlich beim Lesen. Aber es stimmt im Fühlen. Es geht um jene Wiedereinsetzung in den „Stand der Unschuld“, der den inneren Widerstand und die Blockaden wegräumt, die mich hindern. Die mich unfrei machen und wenn ich äusserlich noch so frei wäre. [16]

Die Widerstände kommen aus: Angst, Scham und Schuld. – So werden Vergangenheit und Zukunft als Gewicht empfunden, sie drücken nieder. Die Gegenwart ist aufgehoben. Ich kann nicht gegenwärtig sein.

Wenn Gott mich davon befreit, dann kann ich leicht und frei auf alles zugehen. Es ist alles neu, ohne den Rattenschwanz von „lebenslangen Versäumnissen“, ohne falsche Anpassungen und Niederducken… Es ist nur noch, was es ist – und nicht mehr ein alter Roman, wo das schlechte Ende schon festgeschrieben ist.

 

 

Verlust und Rückkehr ins Paradies

 

Ambach, 4. Mai 2007

Was ich im Tagebuch „Absturz“ nenne, hat mit Sexualität nichts zu tun, kann also nicht über Sexualität geheilt werden. Sexualität wird dort nur missbraucht. Die sexuelle Erregung, jene monomane Stimmung, der Drang, der alles Sein besetzt, der sich allem anderen verschliesst, bis dieser Weg gegangen ist – dieser ausschliessliche Bewusstseinszustand wird im „Absturz“ missbraucht.

 

 

Verlassenheitsgefühl

Er hat eine narkotisierende Wirkung, eine Intensität, die benutzt werden kann, um andere Empfindungen von ebenso grosser Intensität zu verdrängen, zu übertönen, vergessen zu machen. Wenn ich „abstürze“, bin ich in einem Zustand der Angst, der Ekstase. Es ist wie Sucht, ich biete alles auf, um jenem Gefühl von existentieller Einsamkeit und Ausgesetzt-Sein zu entfliehen.

Es ist wie das „Nina-Nina-Machen“ des Kleinkindes, als ich mich im Kinderbett hin und her warf, um nur überhaupt etwas fühlen zu können. Ich konnte so den Körper spüren, statt in die Leere abzudriften. Ich war so lange allein, dass ich mich selber verlor, ich fiel aus mir heraus und musste mich wiederfinden.

Wenn meine Mutter wieder kam, spürte ich, dass es das war, was ich vermisste: sie war nicht da, ich war allein. Und sie sagte: „Machst du Nina-Nina?“ Und es erhielt einen Namen, es war nicht mehr furchtbar und namenlos. Es war ja nur etwas, das damit endete, dass Mutter kam.

Gestern, in diesem Gefühl von Leere und Einsamkeit und Angst, habe ich es fertig gebracht, nicht abzustürzen. Unter Beten und in Furcht und Zittern, unter Heulen und Zähneklappern konnte ich arbeiten, und ich habe alles gemacht, was angestanden ist. Auch die Lager-Abrechnung, die ich lange vor mir hergeschoben habe, alles…

Das sexuelle Erleben in einem „Absturz“ hat mir Erotik nichts zu tun. Hier wird ein Aspekt der Erotik beigezogen, um Dämonen zu bekämpfen. Die Verzweiflung benutzt sie als Sucht, als Narkotikum, als Nina-Nina des Erwachsenen, der sich Empfindungen verschafft um dem Fall ins Empfindungslose zu entfliehen. Eine Pseudo-Himmelsleiter gegen den Sturz aus dem Paradies des Aufgehoben-Seins bei der Mutter, bei Mutter Erde, bei der Wirklichkeit als einem Umfeld, das bejaht und trägt und in die Mitte bringt.

Aber es schiebt den Sturz nur hinaus. Und an die Stelle der Angst, an die Stelle des Heulens und Zähneklapperns im Gefühl der Verlassenheit, tritt die Scham des Erwachsenen, der sich vorpubertären Lebensweisen überlassen hat. Bin ich das? Bin ich das wirklich? Die Lücke zum Selbstbild wird mit Scham geschlossen. Es ist der Zoll, der bezahlt werden muss beim Eintritt in den Tempel, den nur Gerechte betreten dürfen. Solche, die die Aufgabe der Entwicklung gelöst haben.

 

 

Die Scham Adams

Die Scham ist die Lücke zwischen realisiertem Selbst und idealem Selbst. Und sie bricht gewaltig auf, als Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis essen. Sie wissen jetzt, was gut und böse ist. Sie wissen, was sie sollen. Sie haben ein Ideal und sie verschwinden vor ihm ins Nichts. So werden sie aus dem Paradies vertrieben, bis der, der sie vertrieb, ihnen die Tür wieder auftut, weil Er die Lücke schliesst,

  • nicht indem er die Erkenntnis aufhebt und beide wieder ins Reich der Natur zurückgehen. (Durch triebhafte Erotik gibt es keinen Weg zum Heil. Das zu der Frage in diesem Tagebuch, ob Erotik auch ein Weg zum Heil sein könne.)
  • Er schliesst die Lücke, weil er das Sollen erfüllt.

Das meint die Bibel mit dem Glauben, mit der Religion, mit dem Leben in Beziehung auf Gott, auf das Ganze, auf die Mitte. Das meint das Neue Testament mit Erlösung und Rechtfertigung, damit wir jenen Paradiesgarten wieder finden, damit wir neu in den Stand der Unschuld versetzt werden, nicht durch Rückgang in die Natur, sondern durch Eingang in den Tempel, indem er die Lücke schliesst zwischen Sein und Sollen. Indem er die Lücke schliesst zwischen realisiertem Selbst und idealem Selbst.

 

 

Der Bann ist gebrochen

 

Ambach, 5. Mai 2007

Nach einer langen, heissen Trockenphase hat es begonnen zu regnen. Es ist kühler geworden. Endlich regnet es. Es ist wie Durststillen. Heute kommen die Kinder zurück. Morgen ist mein Geburtstag. Heute waren Antonia und ich zusammen. Danach sind wir in der Umarmung eingeschlafen.

 

 

Der Bann ist durchbrochen. Die Lähmung ist vorbei. Ich wusste und spürte: „Sie geht nicht weg, wir sind zusammen. Egal wie es wird.“ So wurde die Welt mir freundlich. Die Wirklichkeit umgab mich und hielt mich fest.

 

 

Das Lebensgefühl beim Aufwachen

Die Abschaffung der Angst

 

Ambach, 11. Mai 2007

Gedanken beim Aufwachen: Welche Haltung vermittle ich meinen Kindern?

Was verkörpere ich für sie? – „Man hat nichts Schönes zu erwarten. Man muss froh sein, es unbeschadet hinter sich zu bringen.“ Das ist mein Lebensgefühl, mit dem ich aufwache, bevor ich es beschwatzt habe. Das ist der Ungläubige, der Heide, der immer noch in mir steckt. Das Evangelium ist immer noch nicht bis in meinen Körper vorgedrungen. Der Schreck sitzt mir immer noch in den Knochen. Die Angst hockt mir im Nacken. Der Schmetterling im Bauch, das Zittern in den Knien. Ganze Provinzen wären da noch zu missionieren. Ganzen Landstrichen wäre die Botschaft zu verkündigen. „Das Evangelium nur bis Eboli gekommen.“ (Cristo si è fermato a Eboli) [17]

 

Die Abschaffung der Angst

Dazu passt, was Michael Hampe sagt. [18] In Grenz-Situationen werde nicht die wahre Natur eines Menschen oder „des“ Menschen aufgedeckt. Es führe ihn einfach zu einem Grenz-Verhalten, wo er Dinge mache, die in „normalem“ Zustand nicht möglich wären.

 

 

(„Im Krieg wird die Kontinuität des Selbst zerstört. Eine ganz normale Person begeht Grausamkeiten, (…) die der Person selber später ganz unverständlich erscheinen. Auf diese Weise entsteht eine Diskontinuität. – Im Krieg wird also sichtbar, dass es keinen Wesenskern des Selbst gibt, sondern nur Lebensgeschichten.“)

 

Das Erschrecken vor den Menschen

Ich erinnere mich an mein Erschrecken vor Menschen, wenn sie sich zusammenrotten. Die Unberechenbarkeit, wenn die Verantwortung des Einzelnen ausfällt, seine Gewissens-Steuerung, seine Ansprechbarkeit, die Appellmöglichkeit an sein Gewissen, seine Verhaltenskontrolle. Und wenn die Dynamik der Gruppe das Verhalten bestimmt. Das grölende Bejahen des Grenzübertritts, das rauschhafte Begehen der Übel, die das Gewissen verbietet, die Seligkeit des Aufgehobenseins in einem Gruppen-Ja, auch wenn alle Verbotslinien übertreten werden – und gerade darum die Seligkeit.

Darum stolpere ich im Unterricht. Die Kindheitserfahrung mit einer solchen Gruppe steigt in mir auf, wenn in der Konf-Klasse eine solche Dynamik aufbricht: mein Erstarren, die Rückwirkung auf die Dynamik… Es ist wie ein Wirbelsturm. Er gewinnt weiter an Energie. Die Angst erzeugt ein Machtgefühl und steigert den Rausch. Das erzeugt wieder mehr Angst und das wiederum das Erleben von Macht – ein Teufelskreis, der den Namen verdient. So zieht der Hurrikan eine Schneise der Zerstörung – bis er sich auf dem Land abkühlt. Bis die Rückkoppelung aufhört. Bis der Vorrat an Angst und „Erschreckbarkeit“ erschöpft ist. Weil keiner mehr da ist, der Angst hat. – Oder weil einer eine neue Unschuld lernte. Er hat keine Angst und lacht den Burschen entgegen.

Der Schreck über die Menschen ist in mich eingebrannt. Das macht das Misstrauen aus, die Angst-Gefühle, wenn ich zu sehr im Zentrum stehe und wahrgenommen werde. Ich kann es mir aufgrund dieser Erfahrungen nur vorstellen als Wahrgenommen-Werden zum Ziel.

Das ist der „Antichrist“ in mir, der dem Christus widerstreitet und der mit seiner Angst die Welt, mein Welt-Erleben, beherrscht. Und er verlangt Tribut von mir, Zinsen und Abzahlungen und Beweise meiner Unterwerfung, ansonsten er mich heimsucht.

 

 

Er schickt mir seine Schläger, er lässt die Schulden eintreiben, er brennt meinen Laden ab, damit es mir nie wieder einfällt, mich zu verweigern, und damit alle andern eine Lehre daraus ziehen können, wie es denen geht, die Widerstand versuchen.

 

Gespensterjagd?

Mit Hampe könnte ich mich jetzt beruhigen: Es gibt gar kein „Selbst“, das sich in solchen Erlebnissen enthüllt und sein „wahres Gesicht“ zeigt: den Menschen als grausames Wesen. Das ist eine „Hypostasierung“ des Menschen aus der Erfahrung der Angst.

Was gewinne ich damit?

Ich könnte den Begriff des Menschen reinigen, ihn als besseres Wesen sehen. An meinem Misstrauen gegenüber den Menschen arbeiten. – Aber das „Böse“ wird dann nur aus dem Menschen hinausverlagert in die Umstände. Der Mensch wir reingewaschen, wird zu einem reaktiven Wesen, das aus den Umständen zu verstehen ist. Die Umstände werden dafür aufgeladen. Dorthin ist die Beweislast jetzt verlagert. Dort sind dieselben Probleme jetzt abzuhandeln, die die Kultur früher am Menschen diskutierte:

 

Was ist gut, was böse? Was ist Unglück und Glück? Warum gibt es Leid?

Wie ist Gerechtigkeit zu finden? Woher die Lust am Quälen? –

Gibt es Verantwortung und Zurechenbarkeit von Taten? Gibt es freien Willen?

Gibt es ein Gericht? Kann der Mensch sich ändern? Gibt es Heilung?

Gibt es ein Ankommen am Ende eines Lebens? Und wie? Aus eigenem Tun? Oder durch Erlösung? Ist die Welt ein finsteres Loch, das nicht zu retten ist? Vielleicht dass es eine Rettung „aus der“ Welt gäbe, aber nicht eine Rettung „der“ Welt. Dann ist alles Heil individuell. …

 

 

Hampe zitiert Spinoza. Nach ihm gibt es kein „Selbst“, das der Wirklichkeit entzogen wäre und der Welt gegenüberstünde. Das folgt bei Spinoza aus dem Einwohnen der Gottes-Ursache. Er kennt keinen weltüberlegenen Schöpfer. So gibt es auch keinen welt-überlegenen Kern des Menschen. Das entspricht nicht dem biblischen Bild, nicht der Hauptströmung des Alten und Neuen Testamentes.

 

Der neue Mythos

Es sieht aus wie die „Entmythologisierung“ des Menschen im Zug der hirnphysiologischen Abschaffung der „Seele“. Es ist aber nur ein anderer Mythos. Der der Immanenz. Jede Erzählung, die Fragen von diesem Umfang beantworten will, hat mythologischen Charakter, da sie den wissenschaftlichen Diskurs begründet und von ihm selber nicht mehr eingeholt werden kann. [19]

 

Die alten Fragen

So beruhigt sich mein Erschrecken über die Welt nicht. Das löst die Starre nicht, mit der sich das Kind angesichts der Angst totstellt. Das ist kein Argument gegen die Depressionen und Angst-Attacken, die ein Leben lang aus diesem Totstellen aufsteigen. Das ist kein Zuspruch, mit dem ich aufstehen, keine Haltung, mit der ich die Kinder in die Welt einführen kann.

So wird der „Mensch“ freigesprochen. Aber die „Welt“ wird dämonisiert. Das landet früher oder später bei einer neuen Gnosis. Nein, die Bibel, in Tausenden von Jahren, hat solche Konzepte zurückgewiesen. Sie hält fest am weltüberlegenen Gott, am Schöpfer, der nicht in der Schöpfung aufgeht. Und am Geschöpf, das einen Kern besitzt, der „in der Welt, aber nicht von der Welt“ ist. Es hat damit eine Würde über alle Bestimmungen der Umwelt hinaus, über alles In-Anspruch-Nehmen, über alles Relativieren und Funktionalisieren.

 

 

Es wird kaum mehr geglaubt. Heute wird immer von Individualismus gesprochen. Aber es ist nur ein Partikularismus. Familien sind der Funktion entledigt und zersprengt. Der einzelne wohnt allein, arbeitet allein, hockt allein im Auto. Er vermittelt sich über Markt und TV mit der Allgemeinheit. Und wenn er über die Beerdigung nachdenkt, möchte er als Asche unter einem Baum begraben oder im Meer oder „im All“ verteilt sein. Er möchte „zurückkehren in den Kreislauf des Lebens“. So werden wir Einzelne – aber nicht Individuen. Darum finden sich kaum noch starke Charaktere.

 

Seele als Beziehung

Der Individualismus alten Stils setzt eine Seele voraus, eine unmittelbare Beziehung zu etwas Absolutem. Das ist nicht nur die Frage, ob nach dem Tod „etwas vom Menschen“ übrig bleibe. Es ist auch eine Frage des Lebens vor dem Tod. Gegenüber dem Absoluten gibt es ein Einkehren, ein Sich-Einfinden in der Mitte. Es gibt das Gebet.

Vor dem Einschlafen bete ich ein Gut-Nacht-Gebet mit Sandra:

 

Manchmal sind wir müde.

Dann ist es gut, sich in den Schlaf sinken zu lassen und zu wissen,

dass da Antwort ist.

Manchmal wissen wir nichts vom Leben.

Dann ist es gut, zu wissen, dass Du da bist und uns führst und begleitest.

 

„In der Welt habt ihr Angst, aber fürchtet euch nicht, ich habe die Welt überwunden.“ So spricht Christus im Evangelium. Er ist der Mensch, der die neue Unschuld gefunden hat. Er ist es, der ohne Angst auf Menschen zugehen kann (und der dazu nicht die Hölle der historischen Erfahrung auf die Umstände auslagern muss).

Er ist der, der Frieden stiftet, weil er es annimmt, bis ins Äusserste seiner negativen Möglichkeiten. Und der dann sagt: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23, 34) Frieden gibt es erst nach dem Kreuz. Und dass es da Frieden gibt, das hilft mir im Leben.

 

 

Warten auf die Katastrophe

 

Ambach, 11. Mai 2007

Am liebsten würde ich jetzt, so empfinde ich es beim Aufwachen, nicht „tun“, nicht meiner Agenda nachrennen – sondern mich der Schönheit ergeben, mich verlieren. Und einfach „da sein“.

Doch ist das vielleicht nur eine Flucht in die Ästhetik, ein Missbrauch der kontemplativen Stimmung. Das aus sich selbst herausgetretene Kind erlebt die Ekstase, das Ausser-Sich-Sein. Es verliert sich im Schauen. Es kippt hinüber, vereinigt sich mit dem Geschauten. Alles ist gleichwertig, alles ist schön, auch das Hässlichste. Nichts tut mehr weh, alles ist schön…

 

Das Warten auf die Katastrophe

In meinem Befinden beim Aufwachen steckt auch etwas von Warten: Endlich ist die Klima-Veränderung von Interessengruppen und Meinungsführern akzeptiert. Die Presse berichtet in bejahendem Sinn darüber. Die Allgemeinheit nimmt es auf.

Bald ist kein Spinner mehr, wer sein Auto verkauft und mit dem Fahrrad fährt… Vorgestern ist eine ganze Kleinstadt in den USA von einem Tornado von der Karte gewischt worden. Aber es ist immer noch seltsam fern. Wir erwarten, dass es kommt. Aber wann? – „Drôle de Guerre“.

Im Wartezustand, dass es uns einholt, verbündet sich das offiziell zugelassene Erschrecken mit den Katastrophen-Ängsten aus der Biographie. Endlich ist es erlaubt, Angst zu haben… Die Schleusen öffnen sich.

Aber die biographisch begründeten Katastrophen- Ängste sind auch durch die grosse Geschichte entstanden. Es sind nicht nur Projektionen. Es stammt nicht alles aus einem privaten Abfallsack, der über einer unbescholtenen Allgemeinheit ausgeleert würde.

 

 

Das Trauma von zwei Weltkriegen, von Terrorismus und Totalitarismus, von Shoa und Völkermord, von Grausamkeiten unvorstellbarer Art wird von diesen Nachrichten berührt und entlässt Gespenster aus der Unterwelt, wo sie lange eingesperrt waren, im vergeblichen Versuch, sie zu verdrängen.

 

Tristesse

Die Tristesse holt mich ein, die ich sonst mit einem „Absturz“ vertreibe. Der Rausch, der alles zudeckt, fehlt mir. Die Flucht in das Schöne, verbiete ich mir. Das ist ein Nachteil der Gesundung, auch wenn diese nur in kleinen Schritten vor sich geht. Es sind die Kosten der Gesundung. Sie sind gleich gross wie der Profit, den ich aus der Krankheit zog. (…) Das Weggehen aus dem Alten, das weckt den Widerstand, weil das Alte nicht nur schlimm war, es hatte auch die schönen Seiten.

Das Leben in der Sklaverei in Ägypten war ganz erträglich. Da gab es den Rausch, der das Schlimme vergessen half. Da gab es die Ekstase, die sich in Schönheit verlor, wenn die Welt gar nicht mehr auszuhalten war. Da gab es die Unterwerfung, die Selbst-Auslöschung, das Erfüllen des von mir Erwarteten, da gab es die Todessehnsucht und die Selbstmord-Gedanken. Und das Sterben schien viel einfacher als das Leben.

Gott, hilf mir. Schenk mir Mut und Freude. Hilf unseren Kindern! Amen

 

 

Aushalten in schlechter Zeit

Der „Schatz“ als Unterpfand einer neuen Heilszeit

 

Ambach, 11. Mai 2007

„Wo ist mein Schatz?“, frage ich mich nach dem Aufstehen.

Ich habe gestern die Baruch-Apokalypse gelesen. Da wird erst deutlich, was die Vorstellung von einem Schatz beinhaltet: Die Geräte des zerstörten Tempels werden in der Erde vergraben. Das ist nicht nur ein Tempelschatz, das sind nicht nur Becher aus Gold und Silber. Sie sind ein Unterpfand, dass es einen neuen Tempel geben wird, eine neue Heilszeit.

Aber wir überwintern, bis diese eintritt. Das ist Aushalten in schlechter Zeit, wo das Leben nicht gelebt werden kann, wie es nach seinem Vollsinn gemeint ist. Wo wir zwar symbolisch teilhaben am Ganzen, wo diese Teilhabe aber nicht real erlebt wird, höchstens in Teilen, in Momenten. Da wandeln sich die Elemente auf dem Altar, aber die Wandlung greift nie auf die Welt über – wie ein Feuer, das um sich greift, damit diese lebensfreundlicher werde.

 

Da ist die Teilhabe am neuen Äon ganz in die Hoffnung gesetzt, und die jetzige Generation hat kaum Hoffnung, es je erleben zu können. Daran ist der Kommunismus gescheitert, dass er die Spannkraft der Hoffnung überforderte: die symbolische Vermittlung wurde nicht zur realen Versöhnung. So wurde er zu einer Religion im schlechten Sinn, zu einem Opium für das Volk, das vertröstet.

 

 

Ein Pfand für kommendes Heil – die Baruch-Apokalypse [20]

Baruch sitzt auf den Trümmern des Tempelberges und empfängt eine Offenbarung über die Zukunft. Es kommt neues Unglück. Doch sind es Engel, die Jerusalem und den Tempel zerstören. Rom ist nur ein Werkzeug. Damit erweist sich Gott als Herr der Geschichte.

Dann sagt der Engel: „Erde! Erde! Erde! Höre das Wort des allmächtigen Gottes und nimm diese Dinge in Empfang, die ich dir nun anvertrauen will! Hüte sie und bewahre sie bis zu den letzten Zeiten, und schütze sie vor den Fremden, und halte dich bereit, sie herzugeben, wenn es dir befohlen wird. Denn die Stunde ist gekommen, da Jerusalem preisgegeben wird für eine Weile, bis sie wieder hergestellt wird nach dem Wort für immer. Und die Erde tat ihr Maul auf und verschlang sie.“ (BA 4)

 

Im Himmel ist bereits das Modell eines neuen Jerusalems und eines neuen Tempels. Sie werden herabkommen zur gegebenen Zeit. (Kap 3) Aber die Geräte sind als Schatz in der Erde verborgen. Die Erde selbst bewacht sie und gibt sie zur gegebenen Zeit hervor. Sie gebärt sie wie aus einem Samen.

Es ist nicht Reichtum und Gold allein, was den Schatz ausmacht und seine Kostbarkeit. Als Tempelgeräte sind es Vorbilder des Heiligen Grals[21], es ist ein Unterpfand für das Reich Gottes, die neuen Heilszeit, wie das Abendmahl, wie das Passamahl.

 

 

Analogiezauber

Das Buch Baruch und die Baruch-Apokalypse beziehen sich auf den historischen Baruch, der zur Zeit des ersten Exils lebte. Hier lässt sich etwas lernen über Pseudepigraphie [22]: Es nimmt die Autorität Baruchs in Anspruch, um beim Leser Glauben zu wecken. Vor allem ist es eine Art historischer Analogiezauber:

Baruch lebte im Exil und es gab eine Heimkehr. Auch wir sind im Exil, ich schreibe in seinem Namen. Auch für uns wird es eine Rückkehr geben. Gott wird alle sammeln von Ost und West und Nord und Süd und er wird sie heimführen ins Gelobte Land!

Die Verwendung seines Namens stellt alles in einen Kontext: in den Kontext des grössten Leids, das das Volk bisher erlitten hat, und in den Kontext der grössten historischen Rettungserfahrung, die das Volk bisher erlebt hat.

Unter dem Namen des alten Propheten schreiben heisst: Unsere Zeit ist wie die Leidenszeit im Exil; unsere Zeit ist wie die Erlösungszeit, als die Vorväter aus dem Exil zurückkamen. Und die Texte von der Rückkehr bilden auch das Grundgerüst des Jubels im Christentum. „Tröstet, tröstet mein Volk!“ heisst es im Advent. „In der Wüste bahnt einen Weg dem Herrn…“

 

 

Über die letzte Grenze

 

„Er nahm mich und brachte mich dahin, wo der Himmel befestigt ist und wo ein Strom war, den niemand zu überschreiten vermag.“

So erzählt die griechische Baruch-Apokalypse. Ein Strom trennt diese und die andere Welt und niemand kann ihn überschreiten. Es ist die Lebensgrenze, die nur im Tod überschritten wird.

 

 

Was in der mythologischen Erzählung eine Grenze zwischen Himmel und Erde, zwischen Leben und Tod darstellt, ist in der Erkenntnis-Theorie die Grenze zwischen dem sinnlich Erfahrbaren und dem nur geistig Erkennbaren. Das kann man nicht „erleben“, aber man kann davon „wissen“. Man findet es in den Intuitionen, die wir zum Leben-Können brauchen.

Dass es leichter zu leben ist, wenn es gerecht zugeht an einem Ort – das erfahren wir ansatzweise immer wieder im Leben. Aber in einer Situation, in der es nicht gerecht zu und her geht, stirbt die Intuition deswegen nicht ab, sie lebt umso stärker auf. So sind es oft Leid- und Katastrophen-Erfahrungen, die jenes Wissen hell aufstrahlen lassen. Das Leben soll sich entfalten, es soll nicht in Krankheit dahinsiechen oder zur Unzeit abgebrochen werden. Menschen sollen in Recht und Gerechtigkeit zusammenleben und darum im Frieden, ohne Angst vor ihresgleichen. Viele solcher Intuitionen lassen sich ausmachen, die zu einem rechten und vollen Leben gehören.

 

Ein grösseres Bild von Wirklichkeit

In der christlichen Mythologie werden sie am Weg Christi veranschaulicht. An Weihnachten kommt Gott zur Welt. Das Kind ist da, man kann es sehen. Es ist eine Zeit der Freude. Im Glück spüren wir, wie das Leben „eigentlich“ gemeint ist.

In der Passion ist nichts davon zu spüren. Als der Konflikt sich verschärft, verlassen Christus auch die Getreuen. Er wird zu Unrecht hingerichtet. Der Karfreitag ist das Gegenteil von all dem, was wir uns ersehnen. Da ist keine Menschlichkeit zu spüren und Gott wird vermisst in dieser Welt. Umso heller strahlt das Wissen auf, wie es sein sollte.

Die Intuition von Recht und Gerechtigkeit hat einen Anhaltspunkt im Erleben von Glück, aber zur Gewissheit kommt sie erst im Unglück. Wenn das Recht fehlt, strahlt es auf. Wir brauchen diese Solidarität, wonach „einer des andern Last“ mittragen soll – das wird jetzt so gewiss, dass man sein Leben darauf abstellt. Auf dieser Basis steht das neue Leben, wenn es nach der Katastrophe ein solches geben soll.

Das kontrafaktische Bewusstwerden der denk- und lebensnotwendigen Intuitionen am Karfreitag – das ist der Brückenschlag über den Graben zum Osterglauben.

 

 

Es ist nicht ein Wunder, das die Naturgesetze aushebelt. Es ist ein Wunder, das die Intuition bestätigt, das Recht gegen das Erleben, das Wissen gegen die blosse Empirie. Da wird ein grösserer Begriff von Wirklichkeit gezeichnet, gegen die beschädigte Realität.

 

Es ist auch ein Wissen von unten. Den Oberen reichen die Rechtsbegriffe, wo der Mächtige siegt, wo der Reiche das Sagen hat. Es gibt aber auch Wirklichkeits-Entwürfe „von unten“. Sie leben im Protest, werden bei Revolte und Revolution vorgetragen. Das Christentum geht den Weg unten durch. Es nimmt das Kreuz an und deutet es um. Es ist nicht mehr ein «Schandmal», das allen zeigen soll, wer hier das Sagen hat im Reich. Es ist ein «Siegesmal», das zeigt, wie Gott siegt. Aus Vergebung wächst neue Kraft. Gott schenkt das Leben, der Mensch kann es nur entgegennehmen. Der Mensch kann zwar töten, aber nicht Leben schaffen. Seine Macht ist asymmetrisch. Gott ist der Herr des Lebens.

 

 

 

Duccio: Christus rettet Adam und Eva aus der Unterwelt

 

Himmel- und Höllenfahrt in Antike und Moderne

 

Ich höre das antike Märchen von „Amor und Psyche“, es löst ein Nachdenken aus. Hier wird das Leben nicht nur zwischen Geburt und Tod betrachtet, sondern zwischen „Anfang von allem“ und „Vollendung“. Es schildert den Weg der Seele. Das erfordert eine „Geschichte von allem“, der Anteil des einzelnen am Absoluten wird traditionell an der Seele festgemacht.

 

Zwei moderne Seelenlehren, die hier betrachtet werden, nehmen die Anregung der Antike auf und rekonstruieren den Weg der Seele. E.H. Erikson bleibt im Rahmen empirischen Redens. Stanislav Grof überschreitet die Erfahrungsgrenze und spekuliert auf das Ganze. Ein Überschreiten der Erfahrungsgrenze erfordert ein mythologisches Reden.

 

 

Die Mischung von biographischem und mythologischem Reden, wie es in der Antike bei Apulejus und Augustinus begegnet, findet man auch heute, sogar im Alltag. Es geschieht immer, wenn ein Mensch sich aus einer religiösen Tradition versteht: er bezieht sich auf Gott, auf ein absolutes Ziel. Er macht sich auf einen „Nachfolgeweg“, hofft auf ein „Ankommen“. So ist auch das Selbstverständnis des Gläubigen heute „mythologisch“ verfasst.

 

Auch eine Grabrede, die das Leben des Verstorbenen nicht nur zwischen Geburt und Tod betrachtet, überschreitet diese Grenze. [23] So ist der Weg der Seele in religiöser Rede auch heute präsent.

 

Ambach, 15. Mai 2007

Aufwachen nach vielen Träumen, an die ich mich nicht erinnere. Los, aufstehen! – So geht der Impuls. Nein, ich darf noch mal hinabsinken und schauen, was kommt.

Ich habe vor dem Einschlafen Amor und Psyche gehört (ein antikes Märchen in dem Buch „Der goldene Esel“ von Apulejus). Das setzt einiges in Gang. Viele Themen scheinen auf, die auch in diesen Notizen begegnen: Der Weg der Seele, der Weg zu Gott, Wege mit Christus, Erotik.

 

Eine spezielle Rede für eine spezielle Sache

Wenn „Seele“ der Ausdruck für den Anteil am Absoluten ist – dann führt der Weg der Seele über die Grenzen der Empirie hinaus, dann braucht es eine mythologische Redeweise. So macht es Apuleius in seinem „Goldenen Esel“ (dem ersten vollständig erhaltenen Roman der Literaturgeschichte). So machte es Augustinus in seinen „Bekenntnissen“, wo er bewusst nach dem Vorbild von Apuleius seinen Weg dargestellt hat in einer Mischung von Autobiographie und Götterlehre. Er bringt das Modell ins christliche Denken ein.

 

 

Diese Mischform des Redens in Erfahrungs-Kategorien und mythischen Ganzheits-Aussagen gab es früher in Sagen von Halbgöttern, die zwischen menschlicher und göttlicher Welt changieren. [24]

 

Metamorphose

Wird nicht nur die Biographie betrachtet zwischen Geburt und Tod, sondern der Weg der Seele von Gott her und zu Gott hin, so erfordert dieser Weg eine Wandlung, eine Metamorphose. Selbst der heutige Sprachgebrauch, der die Metamorphose auf den Gestaltwandel von Amphibien oder Insekten anwendet, enthält noch die antike Erinnerung. „Psyche“ heisst Atem, Hauch, Seele. Die Seele wurde in der Antike als Schmetterling dargestellt, um die Metamorphose im Weg des Menschen anzudeuten. (Schmetterlinge wandeln sich vom Ei über die Raupe zur Puppe und zum Schmetterling.)

 

Rekonstruktion in der Entwicklungs-Psychologie

Wir Menschen machen keine Insekten-Metamorphose durch. Aber das Werden der Insekten zeigt den gewaltigen Weg, den es zu durchschreiten gilt, bis ein Lebewesen, und gar ein Mensch, „fertig“ ist (früher hätte man gesagt: am Ziel). Das ist beim Menschen nicht nur die Entwicklung im Mutterleib, nicht nur in der Pubertät, wo der Organismus, das Fühlen und Denken, völlig umgebaut werden. Das betrifft das ganze Leben, wofür Erik Homburger Erikson mit seiner Entwicklungs-Psychologie ein Modell vorgelegt hat. [25]

Das ist eine Art inner-empirischer Metamorphose, die von Stufe zu Stufe schreitet, bis zur Integrität, zur Ganzheit, zum vollen Menschsein. Viele Bezüge sind da verarbeitet, von der Antike bis zum Christentum.

 

 

Die über-empirische Ausweitung des psychoanalytischen Modells folgte auf dem Fuss, und damit die Überschreitung der Grenze von empirischer Psychologie zu einer quasi-mythologischen Seelenlehre in der „Transpersonalen Psychologie“. Diesen Schritt geht Stanislav Grof in „Das Abenteuer der Selbstentdeckung“.

Er verlängert den von Freud, Jung und Erikson geschilderten Entwicklungsweg rückwärts in den Mutterbauch. (Das nennt er die „perinatale Phase“. Erinnerungen an diese Zeit können durch Drogen, durch Atemtechnik oder durch Lebenskrisen aktiviert werden, was Bilder und Mythen aus dem kollektiven Gedächtnis hervorbringt.)

 

Und er geht noch weiter zurück, bis zu einer „holographischen“ Erinnerung. Dort macht nicht nur der Fötus im Mutterleib eine Metamorphose im Sinn der Evolution durch und bewahrt daran eine Erinnerung (wenn diese auch nicht im aktiven Wach-Bewusstsein abgelegt ist). Auch die Zellen, auch die Atome bewahren ihren Werdegang aus der Kosmogonie noch in sich, in einer Form von nicht-mentaler „Erinnerung“, auch wenn diese kaum mehr bewusst zu machen ist und nur noch „holographisch“ als Form-Erinnerung in der Materie liegt. [26]

 

Erfahrung und Spekulation

(Grof meint aber, dass diese Erinnerung durch Drogen-Reisen etc. bewusst gemacht werden könne. Er versteht alle psychedelischen Erfahrungen als Abbilder einer Realität, als Erinnerungen an eine Metamorphose, an eine Seelenreise. [27]

 

 

Er nennt das „beobachten“ und möchte den Nimbus der empirischen Wissenschaft, welche nicht spekuliert, sondern beobachtet, auf solche Phänomene übertragen, auf die Introspektion und auf Erlebnisse, die andere als Wahnvorstellungen in einem Drogenrausch abtun würden, oder mehr philosophisch: als „spontane Synthesen“ des menschlichen Geistes, denen keine empirische Wirklichkeit entspricht. Also doch Spekulation, angeleitet von Erfahrungen im Rausch-Zustand, in nicht-alltäglichen Bewusstseins-Zuständen.

 

Vergleiche dazu die Traumdeutung in Antike und Altem Orient. Der Gott in „Amor und Psyche“ steigt nachts die Jakobsleiter herunter wie die Engel im Alten Testament und offenbart der schlafenden Psyche göttliche Erfahrung. Der Autor Apulejus war Priester des Äskulap-Kultes, wo Praktiken wie Tempel-Schlaf und Inkubations-Traum gepflegt wurden.)

 

Aufstieg bis zur Einheitserfahrung

Hier jedenfalls liegt eine moderne Form der „Metamorphosen“ des Ovid vor: in der „transpersonalen Psychologie“. Hier übersteigt die Erinnerung die Grenzen der empirischen Identität und klettert den dialektischen Stammbaum hoch. Hier kommt es zu Identitäts-Erfahrungen [28]: Das ist zunächst die Einheits-Erfahrung mit anderen Menschen, mit Tieren, mit Pflanzen, mit Substanzen auf der Erde, über der Erde, mit dem ganzen physikalischen Universum (Überschreiten der Raum-Grenzen).

Ebenso wird hier unserer individuellen Zeit-Erfahrung überschritten: über den Rahmen der eigenen Biographie hinaus auf die Ahnen, auf angebliche frühere Inkarnationen, auf die Phylogenese, auf die Evolution, auf die Kosmogonie.

(So wie Ovid bei seiner Reise zum Ursprung immer weiter zurückgeht bis zum „Ursprung von allem“ in der Kosmogonie).

 

 

Ein Schlüssel für alles

Damit nicht genug, überschreitet er spekulativ auch die Grenzen der raumzeitlichen Welt. In der Begeisterung nach der Entdeckung seiner neuen Methode denkt er, er könne alle Phänomene der Religion, der Esoterik, der Magie, und was immer in der Kultur tradiert wurde, in seiner neuen, erst geplanten Wissenschaft „einholen“.

So will er „spiritistische und mediumistische Erfahrungen“ von seiner Wissenschaft her rekonstruieren, Begegnungen mit Geistern, Besuche in anderen Universen, Begegnungen mit Gottheiten. Dann auch „transpersonale Erfahrungen psychoider Natur“. Die neue Wissenschaft klärt, was Krankheit und Gesundheit ist, sie hebt den Schatz des kranken Erlebens, sie zeigt einen Weg der Gesundung. Sie erklärt übernormale körperliche Leistungen, Psychokinese, Poltergeist-Phänomene, Heilen und Hexen. [29] (Es wäre unverständlich, wenn er das nicht versucht hätte.)

 

Die Sehnsucht nach einer Neuen Mythologie

Was Apuleius und Augustinus getan haben, die Mischung von Mythologie und „realistisch-autobiographischem“ Schreiben, gibt es auch in der heutigen Literatur, z.B. bei jener indischen Autorin, die sich über die Tabus der europäischen Schriftstellerzunft hinwegsetzt bzw. sie nicht kennt. (All die Schlagworte von „Entmythologisierung“, „Ende der „grossen Erzählung“, nach-modern, nach-metaphysisch, alle diese Selbstverortungen mit dem Präfix „post-…“.) [30]

 

 

Die Metamorphose beschreibt einen Wandlungsweg. Sie verfolgt den Gegenstand über den Bereich hinaus, der dem normalen Bewusstsein zugänglich ist, also über die Grenzen von Geburt und Tod hinaus, so dass es in Kontakt kommt mit grösseren Entitäten als dem individuellen Ich, so dass es teilhat an der Entstehung und Wandlung der ganzen Welt, so dass man wie Ovid bei der Schöpfung beginnen muss… – [31]

 

Entstehen und Vergehen

Die Metamorphose ist Teil der Kosmogonie. – Die Kosmogonie [32] der alten Welt hat sich gebildet unter der Erfahrung des Lebens in Flusstälern (alle alten Hoch-Kulturen sind in Flusstälern entstanden). Alles Leben verdankt sich hier der jährlichen Überflutung. Diese bewässert und düngt die Felder. Bald geht das Wasser zurück. Aus dem „Urmeer“, dem Wasser, das alles bedeckt, tauchen die ersten Spitzen hervor, dann das Land. Die Pflanzen beginnen zu keimen etc.

 

 

Das Viele entsteht aus dem Einen und kehrt jährlich mit der neuen Überflutung in dieses zurück. So entfaltet sich das Eine in die Gegensätze (z.B. Mann und Frau, Yin und Yang) und es vereinigt umgekehrt die Gegensätze in sich.

So folgt die Schöpfung dem Werde-Weg hinab, bis alles zur Frucht entfaltet ist. Darauf steigt sie den Rückweg hinauf, über Tod und Verfall, bis zum obersten Ursprung, sie steigt den Berg hinan bis zur Quelle, bis zum Chaos, in dem alle Gegensätze vereinigt sind, wo alle Keime ungeschieden in einer Ursuppe liegen. Bis wieder eine neue Schöpfung erfolgt aus der Arché, dem Prinzip, dem Ursprung.)

 

Abstieg und Aufstieg

Die Metamorphose folgt der Dialektik von Auf- und Abstieg.

Das wird bei Platon zu einem abstrakten Geschehen. Im Alten Orient ist es noch anschaulich zu erleben: Der Mensch in Ägypten sieht jedes Jahr, wie der Nil kommt und alles überschwemmt. In den Tempeln ist der „Urhügel“ dargestellt, der aus dem Chaoswasser auftaucht, der Ursprung. In den Pyramiden ist er im Grab nachgebaut, als Unterpfand für die Teilhabe am Weg des Lebens.

Auch im Lauf der Sonne zeigt sich dieser Weg. Jeden Tag geht sie auf und unter, jedes Jahr macht sie ihren Lauf, der mal hoch in den Himmel führt, mal tief. So hält sie die Jahreszeiten in Gang, erweckt die Vegetation zu neuem Leben. Die Sterne zeigen diesen Lauf. Er zeigt sich in allem Lebenden, das entsteht, vergeht, sich vereinigt und neues Leben aus sich hervorbringt.

Der Mensch sieht und versteht. Er merkt sich den Gang der Sterne, lernt sie berechnen. So weiss er auch, was er nicht sieht, lernt das Wissen höher schätzen als das Sehen. Er vertraut auf die Vernunft, die sich Dinge erschliesst, die das Auge nicht sieht. Er vertraut auf die Grosse Wirklichkeit, die nur in kleinsten Teilen sichtbar wird, und die doch alles durchwirkt.

 

 

So beginnt die Philosophie die Mythen zu befragen. Aus den Riten der Kosmogonie entsteht die Philosophie des Einen und Vielen, die Dialektik. Mit dieser Denkfigur bleibt die Philosophie für Jahrhundert im Modell der antiken Kosmogonie. [33]

 

Die Liebe kommt ins Spiel

Was ist das Prinzip, das alles auslöst? – Es gibt ein Movens, das die Bewegung auslöst und in Bewegung hält: das ist die Erotik, der Eros, die Liebe. Sie vereinigt das Getrennte, führt es zur Einheit, so dass daraus neues Leben entsteht und das Eine sich wiederum zum Vielen entfaltet. Sie ist das dialektische Prinzip.

Im Erleben der Liebe haben wir Teil an diesem Weg. Im Festhalten an der Liebe finden wir den rechten Weg. Sie weist den Weg im Labyrinth zum Zentrum und wieder zurück zum Ausgang. Sie führt im kosmogonischen Lauf von Werden und Vergehen zum Zentrum und wieder zurück zu „Auferstehung“ und neuer Schöpfung. Sie verwandelt auch uns und führt uns auf dem Weg. Sie ist Vergil und Beatrice in einem, die Dante auf dem Weg hinab und hinauf begleiten. Sie ist das, was Christus verkörpert, der von sich sagt: Ich bin der Weg.

Die Liebe macht die Vereinigung „erfahrbar“: zwischen Menschen, aber auch als Verbindung mit Gott. Er ist das gemeinte Du, an dem wir selber werden, wer wir eigentlich sind. Nach ihm sehnen wir uns, wenn wir ihn verloren haben, in ihm freuen wir uns, wenn wir ihn gefunden haben. [34]

 

 

In der Verbindung mit Gott erfährt die Seele ihre Apotheose. Wie in einer Mesalliance wird sie durch die Vereinigung mit einem höherstehenden Geliebten geadelt und hinaufgehoben. Sie verwandelt sich, erhält neue Kleider und Würdenzeichen, sie wird überformt von einer neuen Identität. Aschenputtel wird Königsfrau. [35] Das ist das Ziel des Seelenweges, die Erlösung.

Das ist die Erfahrung, die man in der Liebe machen kann. Das ist die Lehre vieler Mythen und Sagen. Das lebt in Archetypen und Träumen. Das ist die Auskunft der Bibel, das ist das „Kernstück der Mystik aller Zeiten“, wie ein Autor formulierte. [36]

 

Lust und Liebe

Das Kind von Amor und Psyche ist Voluptas, die Lust, die Kraft zwischen Mann und Frau. Sie wird zur Ehre der Altäre erhoben, Psyche wird unsterblich, eine Göttin. Sie trinkt Ambrosia [37], die Seele kommt an ihr unsterbliches Ziel. Aber auch die Lust transformiert sich. Sie ist damit nicht nur eine Kraft, die auf Erden ihr Wesen treibt, sie wird ein himmlisches Prinzip. Sie erklärt in einem Bild, in der Analogie einer menschlichen Erfahrung, was die Kraft ist, die alles zusammenführt und die ein neues Leben aus sich entlässt.

 

 

Erotik

Was ist zu lernen für den Umgang mit Sexualität? – Sie steht zwischen asketischer Verachtung und esoterischer Verehrung, zwischen pornographischer Vermarktung und religiöser Heimholung. Was ist zu lernen in heutiger Liebes- und Sexualnot? – Sie entfaltet sich im Konflikt zwischen Trieb-Regungen, Ansprüchen von Über-Ich-Instanzen, Modetrends, sozialen Codes und Zugehörigkeits-Bedingungen … – und der Sehnsucht nach einem vollen, eigentlichen Leben.

 

Die Antwort des Märchens

Das Märchen „Amor und Psyche“ hat die europäische Kultur für Jahrhunderte beeinflusst. Meine Zusammenfassung kommt zu folgender Schlussfolgerung:

 

Das Leben hat eine Lösung.

Die Lösung kommt nicht durch ein „Machen“, aber durch „Nachfolge“ auf einem Weg. Dieser Weg führt wie die Bahn der Gestirne „hinauf“ und „hinab“. Er erfolgt mit zwingender Notwendigkeit. Auch das Hinab gehört dazu, das Dunkle ist ein Teil des Hinauf. „Psychisch“ gesprochen (im Erleben der Psyche) muss auch das Dunkle zur Lösung beitragen. [38]

 

Die Rolle der Liebe ist geklärt.

Sie hat Bezug zum Weg. Aber nicht der Rausch ist der Heilsweg. Und die Verzweiflung verschmähter Liebe bedeutet nicht den Untergang.

Die Liebe ist nicht nur ein Empfinden der Psyche. In diesem Empfinden hat sie Zugang zu einer Kraft, die die obere und untere Welt beherrscht.

Ihre Kraft zu verbinden und zu trennen, wird zum Bild für den kosmogonischen Prozess, durch den das Eine in das Viele strömt und das Viele in das Eine zurückkehrt.

 

 

Die Wirklichkeit ist kein „finsteres Loch“. „Gott liebt die Menschen.“

Die Wirklichkeit antwortet auf dessen Intuitionen. Sie hat eine „Asymmetrie“ zugunsten der Gnade. Die Welt hat ein Gefälle zum Glück.

Es gibt „Erlösung“ – ein Ankommen auf dem Weg, das nicht aus dem Machen kommt, sondern aus dem Nachfolgen auf einem Weg.

Da werden die Gäste mit Gott zu Tische sitzen. „Alle“ sind dabei, weil Gott sie sucht. Gott tauscht die Trauergewänder gegen Hochzeitsgewänder. Und es wird Hochzeit gefeiert.

 

 

Die Quelle des Lebens

 

Ambach, 15. Mai 2007

Die Bibel teilt viele Vorstellungen mit ihrer altorientalischen Umwelt. Auch sie kennt die kosmogonische Verwandlung als Modell, um den Fall und die Heilung des Menschen zu denken. Sie teilt mit der Antike das Bild der verschiedenen Weltzeitalter, in denen das Dasein mehr und mehr an Qualität verliert. (Das goldene, silberne, eherne und eiserne Zeitalter nach den Autoren der Antike.)

Das erste Buch Mose zeigt den Abstieg und Verfall der guten Schöpfung bis zur totalen Korruption, bis Gott sagt: „Es reut mich, dass ich den Menschen geschaffen habe.“ Und er rottet das Leben in der Sintflut aus.

Ähnlich der Aufstieg, die Heilung: Als die Offenbarung des Gesetzes nicht reicht (weil die Menschen nicht können, wie sie sollen), lässt er die Propheten eine neue Schöpfung verkünden. Der „neue Mensch“ trägt das Gesetz nicht mehr nur auf der Stirn, damit er sich an das Gebot erinnern soll, nicht als Gebetsriemen am Arm, damit er sich die Verpflichtung auf die Arme schreibt, sondern „im Herzen“. In der neuen Schöpfung neigt der Mensch schon „von Natur aus“, dem Rechten zu. Der Widerstreit von Natur und Geist ist aufgehoben.

 

 

Wie kann ich, was ich soll?

Heute aber, bevor die neue Schöpfung kommt, geht ein Riss durch die Schöpfung. Ich kann nicht, was ich soll. Das Alte Testament schildert das anhand der zwei Bäume im Paradies: der eine zeigt, was wir sollen, der andere gibt ewiges Leben. Da Adam und Eva nur vom einen gegessen haben, wissen wir Menschen, was wir sollen, aber wir können es nicht voll verwirklichen, da wir sterblich und begrenzt sind.

Die Früchte vom zweiten Baum sind uns erst „am Ende der Zeit“ zugänglich, wenn wir wieder ins Paradies eingehen. (Off. 22). Dann spricht Gott ein neues „Werde!“ Im Reich Gottes, in der Neuen Schöpfung können wir, was wir sollen. Sein und Sollen entsprechen sich. Das ist der Neue Äon, am Ende der Zeit. In Christus haben wir „schon jetzt“ einen Zugang, so sagt das Neue Testament. Die Taufe verweist in einem Ritual auf den Weg, den wir gehen und den Christus schon vorausgegangen ist: durch Tod zur Neuen Schöpfung. In der Antike wurden Rituale so gefeiert, dass sie auf dem Weg helfen sollten.[39]

 

Die drei Aufgaben

Einen Hinweis gibt die antike Tradition in den „drei Aufgaben der Seele auf dem Weg“, vgl. „Amor und Psyche“. [40]

  • Psyche soll einen Haufen von Weizen, Gerste etc. verlesen.
  • Sie soll Flocken von der Wolle der Schafe pflücken, die in einem dunklen Wald weiden.
  • Sie soll Wasser aus der Quelle holen, wo der Unterweltsfluss Styx entspringt.

 

Dazu gehört auch der „kleine Dienst“, welchen Venus am Schluss noch von ihr erbittet: Psyche soll mit einer Büchse in die Unterwelt gehen und die Göttin Persephone um ein bisschen von ihrer (unsterblichen) Schönheit bitten. [41]

 

 

Die Reise in die Unterwelt

Die dritte Aufgabe betrifft den Tod und das scheint nicht unsere Lebensaufgabe zu sein. Doch gibt es auch zu Lebzeiten Seelenreisen in die Unterwelt – im Traum, in psychedelischen Erlebnissen, in krankhaften Durchbrüchen nicht-bewusster Erfahrungen, als psychische Reaktion bei traumatischer Verletzung, als Wiederbelebung perinataler Erfahrung in bestimmten Situationen… [42]

Es ist ein häufiges Motiv in antiken Sagen und Mythen. (Platon hat es als Erkenntnisweg der Vernunft rekonstruiert, die „zu Lebezeiten“ den dialektischen Baum hinauf und hinunter klettert, auch wenn sie dabei auf ein Vorwissen zurückgreift, das Platon mythologisch durch ein Vorleben der Seele erklärt.)

 

Tod und Leben – und die Sakramente

Es geht nicht ohne diese „Reisen“, denn dort geht es um die Unsterblichkeit, um das „Wassers des Lebens“. Das ist das Ziel dieser Aufgaben. Die drei Aufgaben sind nicht zu addieren, als ob sie verschieden wären. Sie erläutern sich gegenseitig.

Wir brauchen schon zu Lebzeiten Zugang zum „Wasser des Lebens“. Darum das Wasser, die Äpfel und was in den Märchen als Varianten zu den drei Aufgaben der Psyche immer aufgezählt wird. Es geht um das Manna und das Wasser in der Wüste: das Abendmahl.

Es geht darum, dass wir Anschluss finden an die Quelle des Lebens. Nur so finden wir immer wieder neue Kraft auf dem Weg, wie der Prophet Elia, der in die Wüste flieht und am Moses-Berg Gott schaut. Als er sterben will, wird er von einem Engel gesättigt.

Das alles ist für die Zeitgenossen verstellt bis zur Abwehr: „Es wird mir eng, wenn ich mir das nur schon vorstelle.“ Was Sakramente meinen, muss neu gedacht und gefühlt werden.

 

 

Ausblick auf die Sakramente

Die antike Seelenreise endet am „Tisch der Götter“, wo die Sterblichen den „Kelch des Heils“ trinken. Damit tauchen die Sakramente auf: sinnliche Zeichen, die etwas Geistiges ausdrücken, körperliche Symbole, die eine Heilserfahrung vermitteln. Und der „Weg der Seele“, der zum Himmel führte, richtet sich zur Erde zurück.

Der Körper scheint geeignet, das, was der Geist meint, in sinnliches Erfahren umzusetzen. So steht er auch in Bezug zum „Eros“, was beim ersten Hören vielleicht skandalös wirken mag.

Die Feier der christlichen Sakramente hat sich weit von solchen Ursprüngen entfernt. Die antiken Mysterien-Feiern zeigen einen Umgang mit solchen Symbol-Handlungen, der auf einem langen Erfahrungsweg verfeinert und vertieft worden ist. Er kann Anregung geben für eine neue Sakramenten-Praxis auch in der Kirche.

Körperliche Symbole markieren die Mitte zwischen Körper und Geist. Sie „bedeuten“ etwas und gehören doch der sinnlichen Welt an. Sie können die Kluft zwischen Wollen und Tun überspringen. Die Antike feierte die „Taufe“ so, dass der Gläubige nicht nur ein neues Weltbild und ein neues Selbstverständnis erhielt. Er wurde auch instand gesetzt, nach diesem Glauben zu leben und seinem Gott nachzufolgen.

Es ist eine Antwort auf den Skandal, dass der Glaube immer nur im Kopf sitzt, aber nie auf den Körper übergreifen kann. Denn dort, im Nacken sitzt immer noch die Angst, und der Schreck hockt in den Gliedern. Und der Gläubige erfährt jeden Tag, dass er will und nicht kann. Im Kopf ist er ein Christ. Aber mit dem Knie noch ein Heide. Es braucht nicht eine Missionierung aller Kontinente, aber eine Verkündigung bis in die Knochen. Bis wir mit dem Knie glauben können, mit dem Bein, das aufsteht und mit der Hand, die sich zum Tag rüstet. Damit die „Hand“-lungen gelingen mögen. [43]

 

 

Zu dumm für das Leben

 

Ambach, 21. Mai 2007

Mein Montagmorgen-Weh ist ein Weh aus früher Kindheit. Es ist die Verlassenheits-Angst, die aufsteigt. Sie macht mich fremd in dieser Welt. Die Welt strahlt in einem gleissenden Licht, und ich tappe darin herum wie geblendet. Ich verstehe die Welt in ihrem Innersten nicht. Ich verstehe die Zeit nicht, die vergeht und alles verzaubert.

In meinem Innern ist alles noch da. Ich möchte den Ort aufsuchen, wo meine Eltern leben und ihnen einen Besuch abstatten, aber der Ort hat sich verändert, das Haus ist kaum wiederzufinden, es wohnen fremde Leute dort, das Grab meiner Eltern ist auf dem Friedhof.

So geschieht es jetzt auch mit meiner Familie, die Zeit schwingt ihren Zauberstab über sie. Eben waren es noch Kinder, schon sind sie gross. Und „klack!“ macht die Türe und weg sind sie. Ja, es ist leicht, darüber zu lachen und über die Schwäche. Aber so lebe ich, ich werde älter und verstehe es nicht. Das Leben vergeht, und ich verstehe es nicht. Eine Zukunft kommt, und ich verstehe sie nicht.

Ich bin zu dumm für das Leben.

 

 

Studien in Scham

 

Ambach, 25. Mai 2007

Antonia und die Kinder verbringen Pfingsten mit befreundeten Familien auf einem Bauernhof. Auf dem Weg zum Bahnhof gehen Deborah und Sandra einen anderen Weg als wir Eltern, sie wollen nicht mit uns zusammengezählt werden. Antonia meint, so fühlten sie sich freier. Ich denke: Sie schämen sich.

Die Scham spricht Verbote aus, zwingt andere Wege auf. Man wünscht sich eine Tarnkappe oder den Schutz der Nacht. Sonst muss man Orte und Menschen meiden. Frei ist nur, wer durch die Scham hindurchgegangen ist. Er lässt sich von ihr keinen Zwang mehr auferlegen.

Durch die Scham hindurchgegangen – das bin ich noch nicht, wenn das heissen soll, dass ich jetzt zu allen Zeiten an alle Orte hingehen könnte.

Hindurchgehen heisst: sich mit dem Bedrohlichen anfreunden, mit dem Feindseligen Frieden schliessen, auch mit dem an mir, was ich selbst ablehne. Dann erwarte ich diese Ablehnung nicht mehr von den andern. Dann muss ich mich nicht mehr verbergen und ich kann mich zeigen.

 

Die Nachtfahrt der Seele

Hindurchgehen heisst: mich bei Licht betrachten und sehen, was an mir ist, und es schön finden. Das kommt aber erst nach dem Hässlichen. Es kommt nach dem Furchtbaren, das es für mich bedeutet, mich in diesem Spiegel zu sehen. Es kommt nach der Scham, dem Herabgeholt-Werden von meinem Selbstbild. Es kommt erst, nachdem ich das annehmen lerne, was ist, und wenn ich den selbst-identifizierenden Satz ausspreche: Das bin ich, Peter W.

„Ego eimi“ – „das bin ich“. Christus spricht das immer wieder aus im Evangelium des Johannes. Es ist der Selbstoffenbarungs-Satz der Gottheit in den antiken Mysterien. Aber zuerst spricht er es aus in der Passion. Als Judas ihn verrät, als die Kriegsknechte in den Garten kommen, geht er ihnen entgegen: Wen sucht ihr? Sie antworteten ihm: Jesus von Nazareth.

 

 

Er spricht zu ihnen: Ich bin‘s. Da wichen sie zurück und fielen zu Boden. (Joh 18,4ff) – Dass sie zu Boden fallen zeigt den Offenbarungs-Charakter dieser Worte. Aber zuerst identifiziert sich Jesus in diesem Satz nicht mit einer Gottheit, sondern mit dem Gesuchten, der ans Kreuz geführt wird.

Vor dem Beginn des neuen Weges braucht es das Weggehen vom Alten. Es ist paradox, aber der Schritt ins Neue fällt mit dem Annehmen des Alten zusammen. Es ist mit einem Wort: Demut. Mich schön finden, mich hässlich finden – die Demut macht leer, sie trägt die Last, ausgestellt zu sein. Dann erst bin ich frei, ich kann mich neu verstehen von dem Gott her, der da kommt und sagt: „Ich bin… – und du, folge mir nach.“ Und das Bild Gottes, das verdunkelt war, kann von neuem erstrahlen.

Es ist die Nachtfahrt der Seele, die erst ans Ziel kommt, wenn das alte Selbstbild stirbt und das neue geboren werden kann. Ich wehre mich immer noch, zu sterben.

 

 

 

Mysterien und Sakramente

Suchwege in dieser Zeit

 

Das „Sabbatical“ gab mir Zeit im Pfarramt. Ich stand nicht mehr unter Produktionsdruck. Was sich innerlich angestaut hatte, brach jetzt hervor. Einige Wege habe ich bewusst eingeschlagen. Anderes konnte ich einfach geschehen lassen, weil es freie Bahn suchte.

Eros ist ein Stichwort für meine persönliche Entwicklung. Es meint nicht nur die Sexualität, sondern die ganze Lebendigkeit, die bei mir in der Kindheit „eingefroren“ war. Es meint eine Unbefangenheit, eine Erlaubnis zum Dasein, die bei mir immer wieder aufgehoben scheint und die ich auch meinen Kindern nicht vermitteln kann, was mich besonders schmerzt.

Darum ist es auch ein Stichwort in meinem Nachdenken zum Glauben. Im Glauben will ich wieder neu vertrauen lernen. Gerade diese Suche muss auf die Widerstände stossen, auf all das, das „verhockt“ und blockiert ist, was sich aktiv gegen Vertrauen wehrt. Mein Glauben muss den Weg durch den Körper nehmen, das wird mir klar. Dann klärt sich nicht nur meine Beziehung zu Gott, sondern auch zu den Menschen und zu mir selbst.

Das sind die Suchwege dieser Zeit. Ich will das Vertrauen auch in meinem Körper verankern, damit ich mich unbefangener verhalten kann, damit ich mich weniger im Zwangs-Korsett gelernter Mechanismen drehe. Entwicklungen, die sich bereits abzeichnen, die in meinen Träumen aufsteigen, sollen sich auch äusserlich in meinem Leben konstellieren können. Ich will die Schritte tun, für die die Zeit „reif“ geworden ist.

In dieser Zeit lese ich intensiv in der Bibel. Im Neuen Testament finde ich nicht nur die Nachwirkung des „alten“ Testamentes, sondern auch Motive aus der antiken Umwelt. [44] In der griechischen Antike kam dem Eros eine zentrale Stellung zu. Er ist das bewegende Prinzip in der Kosmogonie, er bringt das Viele zusammen und lässt das Eine in das Viele auseinandertreten.

 

 

Er bewegt die Menschen und führt sie auf ihrer Bahn, er lässt sie zum Himmel steigen und begleitet sie in der Unterwelt.

Das Märchen Amor und Psyche zeigt den Weg der «Psyche» (Seele) durch all ihre leidvollen Verirrungen bis zur Ankunft im „Himmel“, wo sie am Tisch der Götter sitzt und aus dem „Becher der Unsterblichkeit“ trinkt.

Das Märchen stützt sich auf Erzählungen in antiken Mysterien-Kulten. Der „Kelch des Heils“ wird dort nicht nur im „Himmel“ ausgeschenkt. Er wird auch in den Feiern gereicht. Es ist ein Sakrament, das dazu dienen soll, dass der Angehörige dieses Kults nach der Weise leben kann, die er hier kennengelernt hat. Dabei helfen ihm auch die Feier und die Gemeinschaft der Kultgenossen. Sakramente helfen auf dem Weg der Nachfolge, damit die Eingeweihten auch „können, was sie sollen“. Es sind Bindeglieder zwischen Körper und Geist, die die Motivationskräfte stärken.

Das Sakrament ist eine Antwort auf die Frage, warum der Glaube immer wieder hilflos vor den Widerständen steht, die aus dem eigenen Inneren aufsteigen. Kein Wunder, haben moderne Entwicklungspsychologen sich auf die Kult-Mysterien bezogen, auf den Weg der Seele, der dort gezeichnet wird und auf die Frage der Motivationskräfte für das Verhalten. Das wird für mich zu einer spannenden Lektüre in dieser Zeit, den „Weg der Seele“ in Antike und Moderne zu verfolgen.

Was mich interessierte, war die Frage, wie wir in der christlichen Kirche heute Sakramente feiern können, die dem Feiernden helfen, das zu tun, was er feiert. Die Sakramentenfeier hat sich in manchen Kirchen veräusserlicht und erreicht die Menschen nicht mehr in ihren zentralen Fragen. Sie neu feiern zu lernen, das ist eine Lebensfrage für die Kirche.[45]

 

 

Die Sakramente

 

In dieser Zeit las mir unsere kleine Tochter ein Märchen vor. Es berührte mich wie ein Traum. Es handelte davon, wie Quellen austrocknen, und wie der Mensch auf einer Reise zu den Quellen den Anschluss wieder finden kann. Dieses Märchen beschäftige mich lange. Und ich begriff, dass es von denselben Dingen handelte wie das Abendmahl.

 

Ambach, 31. Mai 2007

Ich möchte mal hinsitzen und ohne langes Zusammenstellen einfach aus dem Kopf aufschreiben, was mir zu den Sakramenten einfällt. Und zwar nicht als Pfarrer, der Auskunft gibt, sondern als Mensch, der sein Leben gestalten soll und der für sich die Sakramente „entdeckt“ hat, weil er ahnt, dass sie Antworten geben auf solche Fragen.

Taufe und Abendmahl sind mit einem Bild des Lebensweges verbunden, ich habe angefangen, mich damit zu beschäftigen, weil ich hier auch einen Weg für mein eigenes Leben zu finden glaube. Es hat wenig mit Wissen, viel mit Ahnung zu tun, mit dem, was in Träumen aufscheint. Ich habe immer wieder erlebt, dass Träume mich durch etwas hindurch geleitet haben. Das macht mich hellhörig für solche Ahnungen, für das Wissen der Träume, für solche Landkarten des Lebensweges. Es ist, als ob es Schatzkarten gäbe, die den Weg zeigen zu ungehobenen Schätzen. Das elektrisiert mich, es verspricht mir Zugang zu Dingen, die ich auf andere Weise nicht finden kann.

Ob es nun Schätze sind, die ich zu finden hoffe, oder Fallgruben, denen ich entgehen möchte. Es sind Dinge der Art, die ich nicht in die Agenda schreibe, weil ich sie gar nicht nach üblicher Art erledigen kann. Sie stehen an in meinem Leben, sie erfordern eine Antwort, aber ich kann sie nicht einfach machen, denn das zu tun, steht nicht in meiner Macht. Es steht mir nicht zu Gebot, jedenfalls nicht so, dass ich davon wüsste.

Ich will eine Schraube anziehen, aber in dem Werkzeugkoffer, der mir für meine Alltagsfragen hilft, ist der Schraubenzieher nicht zu finden, der diese Schraube anziehen kann. Es ist überhaupt weniger eine Aufgabe für die Hände als für… –

 

 

Es ist ein Gehen auf einem Weg, ein Hinüberschreiten über eine Brücke. Und manchmal ist da kein Weg und keine Brücke – da ist nur Wasser, und ich soll über Wasser gehen…

 

Taufe

Es geht um Fragen, von denen ich spüre, dass sie im Leben anstehen, und doch kann ich sie nicht einfach beantworten. In diesen Bereichen habe ich den Zugang zur Taufe gefunden. Um Wandlung geht es, um Heraustreten aus etwas Altem, das mehr und mehr als Last empfunden wird. Aber es ist nicht leicht. Das Alte, das war bisher mein Leben. Das war das, was mir geholfen hat. Ich ahne etwas Neues vor mir, aber für das Gefühl ist es, als ob ich in die Tiefe springen müsste. Es weckt grosse Ängste, ich weiche zurück. Ich bleibe beim Alten.

Mit dem Zurückweichen bin ich die Ängste los. Dafür ist jetzt etwas da wie ein Schuldgefühl. Es ist, als ob ich eine Pflicht versäumte. Aber wenn ich in der Agenda nachsehe: Da ist keine Pflicht, die ich nicht erfüllt hätte. Und doch mahnt mich mein Gewissen. (Ist es das Gewissen, was mich auf diese Dinge hinweist?) Es ist wie eine Pflicht, die ich meinem eigenen Leben schulde, und sie ist irgendwo aufgeschrieben. Aber mit dem Alltagsbewusstsein habe ich keinen Zugang. Dieses sagt mir nur „es ist ok“. Ich schaue in die Agenda: ich habe alles erledigt. Ich schaue auf das Pult: da sind noch viele Aufgaben, aber dabei ist keine, die mein Gewissen auf diese Art berühren kann. So ist das mit diesem Weg, den ich gehen muss – will ich vorwärts, macht es mir Angst, weiche ich zurück, bleibt diese Unruhe.

In diesen Wechselbädern stand ich, als ich einen Traum hatte: Ich sah mich und ging einen Weg. Der Weg hatte viele Stationen, und er führte bis ans Ziel. Als ich später über den Traum nachdachte, stiegen viele Bilder in mir auf. Und ich sah: das entspricht dem Weg der Taufe. Taufe ist nicht nur ein Ritual in der Kindheit. Darin steckt mehr, darin steckt ein Wissen über den Menschen und seinen Weg.

 

 

Abendmahl

In einer anderen Zeit – es war vielleicht zehn Jahre später – fühlte ich mich in meinem Leben seltsam blockiert. Wenn ich anderen Menschen zuschaute, so schien es in ihrem Leben viel mehr zu „fliessen“. Sie nahmen etwas in die Hände, begannen etwas Neues, und es entstand etwas daraus. Das geschah ohne Plan, es entwickelte sich einfach, es war ein Hin und Her von Tun und Sich-Entwickeln. Und ihr Leben veränderte sich dadurch. Im Nachhinein wurde sichtbar, dass sie auf einen neuen Weg kamen. Was ein persönliches Interesse war, wurde zu einem neuen Beruf. Was im Kleinen begann, brachte später Geld ein, so dass sie ihr ganzes Dasein auf eine neue Grundlage stellen konnten.

Ich dagegen fühlte mich leer. Mir wollte nichts gelingen. Was ich nach aussen einbrachte, stiess auf keinen Widerhall. Ich fühlte mich wie ein Baum, dem das Wasser ausgeht. Ich war nicht verwurzelt, hatte keinen Zugang zur Quelle.

In dieser Zeit las mir unsere kleine Tochter ein Märchen vor. Es berührte mich wie ein Traum. Es handelte davon, wie Quellen austrocknen, und wie der Mensch auf einer Reise zu den Quellen den Anschluss wieder finden kann. Dieses Märchen beschäftige mich lange. Und ich begriff, dass es von denselben Dingen handelte wie das Abendmahl.

Dieser Name ist für viele heute fremd, sie verbinden wenig Positives damit, wenden sich eher davon ab. Das Abendmahl ist nicht nur eine Feier für die „Frommen“. Darin steckt mehr, darin steckt eine Auskunft, wie man wieder an die Quelle gelangen kann. So dass man säen kann – und die Saat geht auf, so dass man handeln kann – und es „fliesst“.

 

 

Der Körper

Eine Zusammenfassung

 

Ambach, 9. Juni 2007

Ich habe schon lange nicht mehr Tagebuch geschrieben. Ich habe den Einstieg gefunden in die Fragestellung. Eines zog das andere nach sich. So kam ich vom hundertsten ins tausendste. [46]

 

Die Frage

Im Hintergrund all dieser Suchwege steht die grosse Frage: Wie man den „Weg“ gehen kann, was die Kraftquellen sind, die dabei helfen. Die Kultmysterien geben einen Hinweis: Sie kannten eine Initationsfeier (initiatio), die bewusst nicht auf den Intellekt wirkte, sondern tiefere Schichten im Menschen ansprach. So prägte sich das in der Feier Geschaute tiefer ein. Und die Erinnerung half später auf dem Weg (ordinatio). Sei es, dass es darum ging, es in Handlung umzusetzen, sei es, dass es Vertrauen brauchte, um eine Entscheidung zu fällen, auch in jenen Dingen, die man nicht vorhersehen kann.

Diese in die Körpererfahrung eingeprägte Erinnerung half auch, wenn die Entwicklung verlangte, dass man einen Schritt wagte und auf etwas zuging, das man nicht selber in der Hand hielt. Das ist etwas, das man nicht deutlich weiss, es steht nicht in der Agenda, es zeichnet sich in Träumen ab, es meldet sich diffus an in Unruhe, Sehnsucht etc. Aber ein Schritt in diese Richtung weckt Angst und Gegenkräfte. So lässt man es ruhen. Und doch spürt man, dass es ganz wesentlich zum Leben gehört.

 

 

Es sind Wandlungsprozesse, die nicht bewusst gesteuert werden können. Sie öffnen erst wieder einen neuen Handlungsraum, wo das bewusste Verhalten sich Ziele setzen und diese anstreben kann. [47] Solche Wandlungsprozesse sind z.B. die Pubertät, die Wechseljahre, das Altern. Es kann aber auch individuell verschieden sein: wenn immer eine neue Lebensaufgabe vor uns steht, die wir in der alten Charakter-Ausstattung nicht bewältigen können.

Nach Jung müssen wir ein Stück vom „Schatten“ integrieren, um das Instrumentarium zu finden, das uns hilft. Nach Erikson können wir nur das in uns zur Integrität bringen, was wir auch durch unser Verhalten in die Gemeinschaft einbringen. Selbst-Integration und soziale Integration verlaufen spiegelbildlich.

So bringt uns auch das Wachstum am Arbeitsplatz, die simple Karriere, an die Grenzen unseres Charakters. Sie verlangt, dass wir uns immer wieder grundsätzlich neu organisieren, wenn das Wachstum vorwärts gehen soll. (So gibt es eine Berührung zwischen „Karriere“ und „Weg“).

 

 

Nachdenken im Gefolge von Platon

Im Kultmysterium geht es um pathein, nicht mathein. Es braucht die „Erschütterung“, der Mensch muss berührt werden, wenn er das Geschaute behalten soll. [48]

Deutsch und deutlich sagt man: sich etwas hinter die Ohren schreiben. Gemeint ist die Ohrfeige. Wenn Kinder früher eine Grenze überschritten haben, ist Erwachsenen manchmal „die Hand ausgerutscht“. Und die Kinder wussten jetzt und haben sich erinnert, dass sie das nicht tun dürfen. Die frühere Pädagogik (ohne Plädoyer für diesen Weg) hat den Kindern etwas „eingebleut“, indem sie ihnen manchmal auch etwas „hinter die Löffel“ gab. Damit schrieb man das Gehörte nicht nur „in“, sondern auch „hinter“ die Ohren.

 

 

Körperliche Erinnerung

Gemeint ist das körperliche Erlebnis, das mit dem Gesagten einhergeht und das dieses nicht nur im kognitiven Gedächtnis abspeichert, sondern auch in einer Art Körper-Gedächtnis. Manchmal erinnert man sich genau an die Seite, wo ein Lehrstoff im Lehrbuch steht, aber nicht mehr an den Inhalt. So kann man nachschlagen. Das Ortsgedächtnis hilft. Es hat nicht nur die Nervenverknüpfungen im Gehirn als Hilfen, sondern auch die assoziativ wirkenden Eselbrücken in der Umwelt.

So findet der Reiter den Weg wieder, den er ein Jahr lang nicht mehr eingeschlagen hat: im Lauf des Vordringens wird er Schritt um Schritt erinnert und weitergeleitet. So lernt ein Klavierspieler die Noten auswendig. So kann ich blind auf der Tastatur schreiben. Wenn ich es angeben müsste, welcher Finger welchen Buchstaben betätigt, wüsste ich es nicht. Im Schreiben „weiss“ ich es aber. So habe ich als Konditorlehrling gelernt, „Schoggi-S“ mit dem Dressiersack auf das Blech zu pressen. Es braucht Übung, bis es „aus der Hand“ fliesst und nicht mehr aus dem Kopf.

Der Körper hat ein eigenes Gedächtnis und die Umwelt ist eine Art Erinnerungs-Speicher, der als assoziative Eselsbrücke wirkt, sobald man den Weg durch diese Umwelt geht. Es ist eine Art Landkarte für die Erinnerung, wie eine Auslagerung der Erinnerungsfunktion in einen „externen Speicher“.

Nicht nur die räumliche Umwelt kann assoziativ Erinnerungen speichern und wiederbeleben, alle Umstände beim Lernen gehören dazu: Das Licht, wenn es damals besonders war, die Geräusche, Musik. Ein besonderes Lied kann sich einprägen, und v. a. auch Gerüche. (Auf dem Estrich bei meinen Eltern fand ich eine alte Tauchmaske. Als ich sie aufsetzte und ihren Gummi-Geruch einatmete, überfiel mich fast schockartig die Erinnerung an die Badeanstalt meiner Kindheit.)

Alle sinnlichen Eindrücke können mitwirken, wenn sich eine Empfindung der Erinnerung einprägt. Das macht die Erschütterung aus, den Unterschied des pathein zum blossen mathein.

So lernen Kinder mit Hilfe von rhythmischem Singsang und im Wiegen der Körper den ganzen Talmud oder Koran auswendig, sogar wenn sie die Sprache nicht verstehen. So haben wir selbst als Kinder noch Dinge auswendig gelernt, indem wir sie in einen Merk-Vers fassten.

 

 

Erinnerung vermittelt Kompetenzen

Was die Erinnerung wiederbelebt, ist nicht nur der abstrakte Lerninhalt. Die Erinnerung an bestimmte Lebensphasen kann auch die Gefühle wiederbeleben, die wir damals empfanden. Für mich war es eine Aufbruch-Zeit, als ich im ersten Studium für eine Zeitung zu arbeiten begann. Viele Dinge haben sich damals geordnet: endlich Erfolg haben, Geld verdienen, unabhängig werden von den Eltern, Selbstachtung entwickeln, eine Beziehung eingehen.

Ich habe mich später an diese Zeit erinnert, in einer Phase grosser Demütigungen, die sich von jener Zeit abhob wie Schwarz und Weiss. Aber die Erinnerung weckte nicht Bedauern, was ich verloren hatte. Die Erinnerung weckte die Empfindungen in mir aufs Neue. So dass ich wirklich besser auftreten konnte auf der Strasse. Ich hatte ein besseres Auftreten vor den Menschen. Ich konnte mich besser achten, als ich es eben noch tat.

Nicht nur die Gefühle wurden also wiederbelebt, sogar die Haltung, die ich damals im Leben empfand, konnte ich wieder neu aktivieren und als Quelle für die Bewältigung meines Alltags heute anzapfen. (Und es ist eine Möglichkeit, die ich bewusst in der Seelsorge mit alten Menschen einsetze.)

Dass der Aufstieg zu den höchsten Prinzipien durch die sinnliche Welt führt, ist also kein Nachteil, wie man nach der Lektüre von Platon meinen könnte. Das Sinnliche ist eine Hilfe, der Körper verfügt über Erinnerungen, von denen das Bewusstsein nichts weiss. Und diese Erinnerungen können abgerufen werden, sie können in Dienst gestellt werden für die Aufgabe, den Weg zu gehen. [49] Jetzt nach dem Aufstieg und der Initiatio geht es zurück in den Alltag (ordinatio). Das Geschaute soll uns helfen bei der Bewältigung der Aufgaben. [50]

 

 

Auf dem Weg im Alltag kann mir das helfen, was ich sinnlich bei der initiatio erfahren habe. Was immer diese Qualität einer Initiations-Erfahrung hatte in meinem Leben, auch wenn es nicht so hiess (es war vielleicht der erste Kuss oder der erste Lohn, das „Aha!“ beim Lernen, eine Melodie, die sich mir einprägte, als ich verliebt war…) – es hilft mir jetzt dank der sinnlichen Einkleidung. Denn diese ist es, die auch den Weg zurück zu den Sinnen weiss.

 

Was die Romantiker suchten, nach der Katastrophe der Revolution

(Das ist die „Vermittlung“, die die Romantiker suchten, der Weg zur „schönen Seele“ Schillers. Das ist die Versöhnung von „Pflicht und Neigung“ bei Kant. Das ist jene gesuchte „Gemütskraft der Seele“, die zwischen Geist und Körper steht. Sie löst die Blockierung, baut eine Brücke vom Denken zum Handeln und wird eine Hilfe zur Willensfreiheit. Und jetzt wird das Gesetz befolgt, als ob es „ins Herz geschrieben“ wäre und nicht nur auf die Stirn…

Es hat Teil am Sakrament, es wirkt, was die Feier versprochen hat, schon hier in diesem Leben. Es ist ein Stück imitatio Dei, ein Stück Versöhnung zwischen Gott-Natur und Mensch-Natur, wie es Jesus Christus verkörpert. Und die Initiation, wo immer sie geschah, ob im ersten Kuss oder im ersten „Aha!“ – es ist sein Geschenk. Denn initiatio geschieht in Begegnung. Es gehört zur Gnade, es kommt uns zu von jenem „andern“ und Umfassenden, das uns voraus liegt.

Es ist nicht nur so, dass ich „mich selber neu verstehen lerne aus diesem andern“, es ist nicht nur ein hermeneutisches Geschehen, ich trete vielmehr in eine Beziehung zu ihm. Jesus Christus zeigt sich in einem Beziehungsgeschehen, er zeigt sich auf dem Weg, wenn ich ihm nachfolge. Darum handelt Platon von der Liebe. Und er allegorisiert sie nicht völlig zu einer Idee, die der Vernunft einleuchtet. Es ist eine Leidenschaft, die die Seele bewegt. Die Liebe ist das bewegende Prinzip in all diesen kosmogonischen Spekulationen, die Liebesmystik ist ihr Erbe an das Christentum.)

 

 

Aus der Symbolhandlung wird ein Nachfolgehandeln im Alltag

So versteht es auch das Kultmysterium. Schon in der Feier wird der Adept berufen und in die Prozession der Nachfolgenden aufgenommen. Nach der Feier wird diese Symbolhandlung übersetzt in das Nachfolgehandeln im Alltag.

Das erfordert den Schwellenübergang vom Tempel in den Alltag, von der einen Sphäre in die andere. Das erfordert eine Metamorphose. Was vorher nur symbolisch geschaut wurde, muss jetzt sinnlich gelebt werden. Und der Erfahrungsschatz des Lebens, der in sinnlich-körperlichen Erfahrungen erinnert wird, hilft bei dieser Überführung. [51]

Der Köper mit seinen Erfahrungen ist eine Hilfe.[52] Das ist der Lernerfolg der Frömmigkeits-Geschichte der letzten 20 Jahre, die sich auf so vielfältige Weise mit Körperarbeit befasst hat. Alles Sinnliche, in welches initiatorische Erfahrungen eingekleidet waren, hat diese Kraft, dass es nicht nur die Erinnerung daran wiederbeleben kann, sondern auch die Gefühle, die dabei mitschwangen und sogar die Haltungen, die damit verbunden waren, damit wir auch können, was wir sollen.[53]

 

 

Drogen als Mittel zur Seelenreise?

Darum sprachen die antiken Kulte alle Sinne an. Es geht nicht um die Enträtselung jenes Krauts, das dem Becher beigemischt war, ob es jetzt Lorbeer vom „Schwellenbaum“ war oder Mutterkorn. Der Rausch bei seinem Genuss führt zwar zu aussergewöhnlichen Bewusstseins-Zuständen und eröffnet den Weg zu Erfahrungen, die nicht im Wachbewusstsein abgerufen werden können, er allein ist aber nicht die Kraft, die es fertigbringt, dass der Adept nachher ein anders Leben führten kann. Die Diskussion um das Mutterkorn kann zwar von modernen Erfahrungen her plausibel machen, wie man tiefe Seelenbereiche ansprechen kann.

 

Die interessantere Frage ist aber, wie dieses Erlebnis bei der initiatio nachher transformiert werden kann in Alltagshandeln. [54] Dabei helfen die unschuldigen Beimengungen des antiken Mythos vielleicht mehr als das Mutterkorn. Und die Frage, ob die äusseren Elemente der Sakramente, Brot und Wein, vielleicht wirkmächtige Substanzen enthielten, die wir heute vermissen und wieder finden sollten, führt am Ziel vorbei.

Das Lied, das damals erklang, hat auch geholfen. So geschieht es heute noch alten Ehepaaren, wenn sie ein Lied am Radio wieder hören: Es übt einen mächtigen Zauber auf sie aus, denn das war „ihr Lied“. Das haben sie damals immer gehört, als sie verliebt waren. Und mit dem Lied steigen alle Gefühle wieder auf. Das Licht war wichtig. Alles war wichtig, darum zogen die Kultmysterien alle Sinne bei im Sinn eines Gesamtkunstwerkes. [55]

 

 

Handeln wo man nichts machen kann

Stanislav Grof hat mit dem Mutterkorn-Extrakt LSD experimentiert. Er hat damit Zugang gefunden zu Erfahrungen, die bei der Geburt gemacht und tief in die körperliche Erinnerung eingeprägt werden (er nennt sie „perinatalen Erfahrungen“). Er hat sie beschrieben als ein Set von „Matrixen“, welche nicht nur die Erinnerungen büscheln, sondern ganze Verfahrensabläufe organisieren. Besonders wertvoll:

Es sind Erfahrungen, die nicht beim autonomen Handeln gewonnen werden, sondern in jenen Bereichen, die nicht unserer bewussten Verhaltenssteuerung unterstehen, die wir also nur geschehen lassen können, so wie eben die Geburt. [56]

 

Das sind Schwellenübergänge, wie in der Antike. Da geschieht eine Metamorphose, wie in den Kultmysterien der Antike. Da geht es um die Begegnung mit dem Andern, das sich erst zeigt, wenn wir die autonome Steuerung aufgeben. Und wir dürfen uns dem andern überlassen, es führt uns hinüber. Da sind die „Autopiloten“ jenes Weges, der zu Wachstum und Wandel führt. Das ist das, was wir suchen, wenn wir im Leben anstehen. Das ist der Schritt über eine Brücke, die wir mit aller Anstrengung nicht begehen können, weil wir uns selbst auf diesem Weg aufgeben müssen, weil uns die Flossen für den Wasserweg erst wachsen müssen…

 

Zusammenfassung

Ich halte das bisherige Ergebnis fest: Weil wir im Leben immer wieder eine Wandlung durchmachen, ist immer wieder gefordert, dass wir etwas zurücklassen (separatio), dass wir uns vergewissern in dem, was uns Bestand gibt (initiatio) und dass wir wieder neu in den Alltag zurückgehen, ausgerüstet jetzt mit dem, was uns helfen kann (ordinatio). So schreiten wir immer wieder den Weg der Taufe ab, brauchen immer wieder Essen und Trinken auf dem Weg (Eucharistie).

 

 

Wir müssen etwas davon mit uns führen, damit es jederzeit verfügbar ist, so wie der Wanderer das Picknick bei sich trägt.

Oder besser, wir dürfen vertrauen, dass es immer wieder geschieht: Wir finden, was wir brauchen. [57] Wir dürfen vertrauen, dass wir zu einem Brunnen kommen, an dem Rahel sitzt; dass dort, wo wir schlafen, das Tor des Himmels ist und Engel auf und ab steigen. Wir brauchen weniger ein „Tischlein deck dich!“ als diese bewusste innere Haltung: Ich finde, was ich brauche. Gott führt und behütet mich. Er lässt Manna vom Himmel regnen. Es reicht für einen Tag. Und wenn ich in der Wüste auf einen Stein stosse, muss ich so lange auf ihn schlagen, bis er die Quelle hergibt, die er verbirgt. „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“

 

Platons Wagen

Soweit die Zitate. Sie zeigen das Körperliche als Hilfe auf dem Weg. Gegen eine lange Tradition, die es als Hindernis empfand (gnostisierende Unterströmungen im Christentum). In der antiken Seelenlehre ist das Körperliche zwei-wertig, vgl. das Wagen-Gleichnis bei Platon: der Mensch ist auf dem Nachfolgeweg, den Gott gebahnt hat. Die Vernunft mit ihrem Planen und ihrer Fähigkeit, die willkürlichen Muskeln zu betätigen, will den Wagen lenken.

 

Was ich in der Hand habe und was widerstrebt

Es hat zwei Pferde, die den Wagen ziehen: eines, das der Lenkung folgt und bewusste Entscheidungen in Handlungen umsetzt, und eines, das manchmal der Lenkung folgt, das aber auch eigene Impulse hat. Wenn der Lenker nicht „gerecht“ ist und nicht jedem das Seine gibt, dann bricht dieses Pferd aus und holt sich, was ihm verweigert wird. Es folgt dem Bedürfnis nach Essen, Trinken, Fortpflanzung. Diese Bestrebungen sind dann im Widerspruch zu den Zielen des Vernunft-Lenkers, beide Pferde ziehen in verschiedene Richtungen. Der Wagen ist dann blockiert und man kann noch so viel Kraft aufwenden, der Wagen kommt nicht vom Fleck.

 

 

Wenn es da gelänge, beide Pferde in die selber Richtung zu lenken, dann ginge der Wagen ab wie die Post. Dazu muss der Lenker aber auch in die Tiefe lenken, damit auch das andere Pferd gemäss der Tugend der Gerechtigkeit zu dem Seinen kommt, der Körper und seine Bedürfnisse müssen geachtet und beachtet werden.

 

Die Institutionen des Aristoteles

Die Kräfte, die in dem dunklen Pferd wirken, sind aber nicht nur die „natürlichen Bedürfnisse“. Es gibt auch biographisch erworbene Neigungen, die den Wagen in Richtung auf das Gefälle ziehen. Das sind Gewohnheiten, daher nimmt Aristoteles auch das in sein Nachdenken auf. (…)

Der Mensch erhält im Lauf der Kindheit nicht nur Normen vorgesetzt, sondern eine ganze Lebensweise. Die ist verankert in seinem Gewissen, aber auch in seinen Gewohnheiten. Und wer sich als Kind nicht daran gewöhnt, nach jedem Essen die Zähne zu putzen, der wird es wohl auch als Erwachsener nicht tun. So bildet sich ein individuelles Gewohnheits-Kleid in Form eines „Charakters“. Dazu gehören auch die äusseren Institutionen der Kultur in Staat und Gesellschaft. Diese binden die Bestrebungen der Individuen zusammen, vereinigen die Kräfte und bauen so Werke, die die Kraft des einzelnen übersteigen.

 

Trauma als Blockierung

Noch etwas, und auf das will ich jetzt hinaus: In dem „Charakter“ stecken nicht nur die Gewohnheiten aus der Kindheit. Er ist nicht nur das verkrustete Verhalten, nicht nur das Bachbett, welches der Fluss des Handelns sich durch wiederholtes Fliessen in dieselbe Richtung gegraben hat, sodass er jetzt seinerseits das Handeln anleitet und den Weg erleichtert. Darin stecken auch die Körper-Erfahrungen aus der Kindheit. Das ist der Punkt meiner Überlegungen: wie der Körper wieder ins Spiel gebracht werden kann. Wie man ihm Ehre antut, wie man ihn versöhnt, dass er zu seinem Recht kommt, wie man Blockaden überwindet, wie man das Gefährt tüchtig macht für den Weg.

 

 

Grofs Matrizen und Lowens Körper-Therapie

Stanislav Grof hat gezeigt, dass der „Körper“ über Verhaltens-Matrizen verfügt, durch die er auch komplexe Geschehnisse organisiert: nicht nur Blutdruck und Atmung, nicht nur Verdauung und Fortpflanzung, nicht nur Reifungsvorgänge wie Zahnen, Sprechen etc., sondern auch Vorgänge der Wandlung und Anpassung an neue Lebensphasen, von der Geburt bis zum Tod, die man traditionell eher der bewussten Lebensführung zuordnet und der Weisheit.

Hier ist der Weg nicht so fest gesteuert wie beim Zahnen. Er läuft nicht einfach vor-bewusst ab. Das bewusste Verhalten wird in Dienst genommen. Atem und Muskulatur sind beteiligt, viele körperliche Funktionen. Aber es kommt auch zu starken Gefühlen. Nachts steigen Träume auf, sie erinnern an die Symbole, die auch in der Kultur erinnert werden, in religiösen Mythen und Erzählungen. Das Verhalten des Menschen, sofern er diesen Symbolen folgt, geht in dieselbe Richtung, die der Körper schon weist. Der religiöse Weg und der in den Körper eingeprägte Weg sind sich nicht einfach feind, sie sind befreundet, sie weisen einen Pilgerweg zum selben Ziel.

 

Das meint auch Alexander Lowen mit seinem Titel „Der Verrat am Körper“. [58] „Körper“ und „Geist“ sind nicht von Natur aus getrennt oder in Gegensatz, wie gnostisierende Tendenzen in der Kulturgeschichte meinen, sie sind grundsätzlich befreundet. Und erworbene Feindschaft kann behoben werden, die Kraft des Körpers kann für den „Weg“ in Dienst genommen werden.

 

Rhetorik als Seelenführung

Damit bin ich wieder bei den alten Kult-Mysterien angelangt, die das antike Wissen bezüglich der „Seelenführung“ zusammenfassen.

Dieses Wissen ist von Platon später in seiner Rhetorik zu einer lernbaren Methode an seiner Akademie gemacht worden. Er hat dieses Priesterwissen säkularisiert.

 

 

Er hat das Arbeiten am Weg der Seele, das damals ein Einbruch war in die geordnete Welt des Alltags, zu einem kontinuierlichen zivilisierenden Prozess im Rahmen der Bildung der nächsten Generation gemacht. (Wobei dieser Einbruch einer anderen Dimension bereits mit den jährlichen Kult-Mysterien eine erste Zähmung erfahren hatte. Die Bürger Athens liessen jedes Jahr zweimal die Arbeit ruhen und pilgerten nach Eleusis.) Die Überführung des religiösen Festes in einen akademischen Bildungsweg ist ein weiterer Schritt.

 

Was bei der Verschulung auf der Strecke bleibt

Wie bei jeder Transformation bleibt aber auch hier etwas auf der Strecke. Kinder stehen an einem anderen Ort als Erwachsene. Wer von gewissen „Fragen der Seele“ nie etwas gehört hat, der kann auch mit den Antworten nichts anfangen. Durch die Verschulung wird der Weg der religiösen Einführung auf den Kopf gestellt: Die Antworten sind vor den Fragen da. Das führt zu Langeweile, zu Verkennung des Werts der religiösen Tradition, zu Abwehr – oft für lange Zeit. [59]

 

(Die Tradition – begierig, sich an die nächste Generation weiterzugeben – bricht ab, gerade weil sie keine Geduld hatte, zu warten, bis die Fragen bei den Kindern da sind. Und weil die Kirche so mit Unterricht beschäftigt ist, hat sie keine Zeit mehr für die Erwachsenen, die mit ihren Fragen herumgehen, so dass sie dann ihre Zuflucht zur Esoterik auf dem Buchmarkt nehmen.)

 

 

Die Rhetorik allein ist zu schwach, um Seelenführung zu leisten. Die Erneuerung einer kultischen Mystagogie mit Feiern, Musik und Gebeten allein ist zu schwach, um das von den Alten Gewusste wieder zu beleben. [60]

 

Das Ursakrament

Die Erfahrung der Körperarbeit der letzten 50 Jahre muss einbezogen werden. Im Sinn des obigen Mottos: Der Körper gehört dazu, der Körper ist das andere Element im Sakrament. Jesus Christus als das Ursakrament ist wahrer Mensch und wahrer Gott.

Seine Herabkunft ist nicht nur theologisch, sondern auch praktisch wahrzunehmen. Und zwar die Herabkunft bis ans Kreuz, bis zu dem Ort der Scham und Schande draussen vor Jerusalem, dem unreinen Ort, wo er hingerichtet wurde, denn er wurde zu den Verbrechern gezählt. [61] Ohne Kreuz kein Heil, ohne Herabkunft keine Auffahrt. Ohne Körper und Welt kein Himmel.

Scham und Schande sind geheiligt, es ist der Ort, wo Christus bei den verletzten Menschen ankommt und sie heilt. Es ist der Ort der Ankunft, wo das Heil geschieht.

 

Verkrümmt

Der Körper bewahrt in sich die Erinnerung an Verletzungen und er verkrümmt sich so, dass diese nicht mehr ins Bewusstsein aufsteigen. Damit verewigt er sie aber im Gegenteil.

 

 

Das Kind hat sich totgestellt, es hat den Atem angehalten, die Glieder eingezogen. So spürt es nichts. Wenn immer etwas an seine schmerzhafte Erinnerung rührt, nimmt dieser Mensch unwillkürlich diese Haltung wieder ein, der Atem stockt, der Körper erstarrt, die Empfindungen werden nicht mehr verspürt. – Das Kind fühlt sich wie tot.

Es hat für das Überleben die Lebendigkeit geopfert, sagt Lowen, damit aber auch die Spontaneität, das Verfügen-Können über jene selbstverständlichen Verhaltens-Matrizen, die es uns erlauben, uns zu bewegen, uns in ein Verhältnis mit uns selbst zu setzen und mit den Menschen rund herum.

 

Sexualität

Das Kind verkrümmt sich, habe ich oben gesagt. Das Wort bezeichnet in der theologischen Tradition die Erbsünde („incurbatum in se ipsum“). Das hat hier aber nichts mit Sexualität zu tun, aus der oben geschilderten Erfahrung ist es eher eine in der Kindheit eingeübte Haltung, die für das Überleben alles andere opfert. Das ist eine Art Kinderfresser-Religion, die dringend zu christianisieren ist. [62]

In dieser Verkrampfung, in der das Kind sich wie tot stellt, gerät die Sexualität in Feindschaft zum denkenden ängstlichen Ich. Es gehört zu den Empfindungen, die geopfert werden, die, wenn sie durchbrechen Angst und Scham auslösen, weil die Deckung verlassen ist.

 

 

Ein Bericht

[63]

 

Ambach, 19. September 2007

Sakramente sind Hilfen auf dem Weg. Sie haben ursprünglich eine grosse praktische Bedeutung für den Alltag und das Leben, auch wenn man das heute vielleicht nicht mehr glauben kann und das Gefühl hat, das seien altertümliche Relikte in Sonder-Gottesdiensten.

 

Sakramente – richtig feiern

Wie können wir sie feiern, dass sie wieder helfen auf dem Weg? Wie können Sakramente schon jetzt Anteil geben an dem, was sie dem Feiernden zusagen: die Gemeinschaft mit Gott?

Die archaische Zeit kannte Riten, wo ein Mensch durch Trinken und Essen eine „Seelenreise“ antrat zum Ursprung der Welt und zum Ziel des Lebens. Von dort kam das „Wasser des Lebens“, dort war der Zugang zur „Quelle“, aus der das Leben stammt, wo es unverlierbar gehalten ist. Dort fand er Unterstützung auf dem Weg. Die Antike kannte einen „Göttertrank“, der Unsterblichkeit verleiht und einen Ritus, der den Feiernden aufnimmt in eine Gemeinschaft, wo er nicht mehr verloren geht, wo er neue Identität gewinnt.

Die Mysterienkulte der Antike zeigen, wie Adepten in eine religiöse Gemeinschaft eingeführt werden. Dabei wird das Fühlen betont, nicht das Lernen. Dadurch soll sich das Neue, was der Glaube vermittelt, ins Körpergedächtnis einprägen, damit es hilft auf dem Weg. Das wirft ein Licht auf das Verhältnis von Körper und Spiritualität und zeigt einen Weg für die Feier von Sakramenten.

 

Körper und Spiritualität

Die christliche Spiritualität hat in den letzten 20 Jahren die Diskussion innerhalb der Therapie-Bewegung aufgenommen. Dort wollte man weg von einer blossen „Rede-Kur“.

 

 

Diese wird als ohnmächtig erlebt, sie bleibt nur im „Kopf“, während das Fühlen und Verhalten den alten Erfahrungen folgen, die im Körpergedächtnis abgespeichert sind. (Der Schreck sitzt einem noch „in den Knochen“. Man unterdrückt das Atmen, stellt sich tot – eine Haltung, aus der sich eine Depression entwickeln kann.)

Die im Körper gespeicherten Erfahrungen bestimmen die Haltung schon beim Aufstehen und sie haben Folgen für den ganzen Tag. Und man realisiert, „Christ“ ist man erst im Kopf, während der Unglaube noch in den Knien hockt. Vertrauen zu lernen, das muss durch den ganzen Körper gehen! Die Kontinente, die von der Mission noch nicht erreicht sind, liegen im eigenen Körper. Dabei helfen die Sakramente als Bindeglieder zwischen Fühlen und Denken, Kopf und Körper.

Hier ist das Vorgehen der Mysterienkulte interessant. Und das Christentum hat sich in der Antike in Formen aus den Mysterienkulten gekleidet. So wurde eine Taufe gefeiert als Ritual für die Aufnahme und ein Abendmahl für die Feier der Gemeinschaft. Die Gegenwart Gottes erlebte man im Gottesdienst.

Hier ist vieles zu lernen.

 

 

 

Aus „36 Ansichten des Berges Fuji“ von Ando Hiroshige

 

Mitte des Sabbaticals

 

Ich kann gegen aussen nicht auftreten, weil ich mich irgendwo tief in mir für unwert halte. So mag ich mich nicht zeigen, es erfüllt mich mit Scham, mit einer tiefen, existentiellen Scham, die nicht nur an einem Tun hängt, sondern an meinem ganzen So-Sein. Dieser Scham kann ich nur entgehen, wenn ich „anders“ werde.

 

Vieles in der Arbeit kann ich „machen“, in immer neuen Versuchen und Anläufen. Aber die Befreiung von der Scham – das ist ein Stück „Seelenweg“. Ich gehe ihn unbewusst. Im Traum kann ich einen Zipfel davon erhaschen. Dieser „Seelenweg“ ist keine Karte, die ich bewusst abschreiten könnte. Aber es gibt mir doch Vertrauen, es stillt meine Verzweiflung, indem es mir sagt: Das Schiff ist unterwegs, und es ist auf gutem Kurs.

 

 

Ambach, 10. Juni 2007

Ich will einen Halt einlegen, am Freitag ist Halbzeit im Sabbatical.

Ich will diese Zeit nutzen! Sei es bewusst, indem ich mir Ziele setze, sei es indem ich Räume freihalte, wo etwas geschehen kann. Ich will Freude haben am Sabbatical, nicht irgendwas abspulen und mich hinterher betrogen vorkommen.

Was ich nicht will: „ein Buch schreiben“ in dem Sinn, wie das früher in den Hinterzimmern meiner Psyche herumgeisterte. Vielleicht entsteht etwas, wenn ich mich jenem anderen Bild überlasse, das ich im Sabbatical gefunden habe. Ich habe das Bild eines Berges an die Wand gehängt, und ich kann es immer beim Aufstehen ansehen.

 

Der Berg

Es ist „das Grosse“ vor mir. Es ist nicht eine grosse Anstrengung, die aus mir kommt, sondern wie ein grosser, schöner Berg, auf den ich zugehe. Schon der Weg macht Freude. Es ist ein Weg, der ans Ziel führt, er stammt nicht von mir, er ist vorgeprägt.  [64]

„Nachfolgen ist eine besondere Art des Gehens. Wer Christus nachfolgt, der macht eigene Schritte, er geht seinen Lebensweg und kommt dabei doch zu einem Ziel, das er aus eigener Kraft nie erreichen könnte. Denn Einer ist vorausgegangen, er hat den Weg gebahnt, er hat einen Weg aufgemacht, wo vorher keiner war.

 

Das Ziel unseres Lebens, das steht vor uns, wie der Berg am Horizont. Mächtig steht er da, er verbindet Himmel und Erde.

Wir sind auf dem Weg dazu. Und der Weg gelingt uns nur, wenn wir jetzt schon von dem leben, was wir anstreben.

Das ist der Glaube. Er ist ein Stück vom Ziel, während wir noch auf dem Weg sind.

 

 

Wer glaubt ist wie ein Wanderer in der Natur.

Vor sich sieht er den Berg, er macht ihn nicht, er steht da, mächtig und wunderbar, wie eine Achse im Kosmos.

Wenn der Wanderer sich auf den Weg macht, tritt er in diese Landschaft ein. Wer sich den Berg zum Ziel nimmt, der ist schon mit dem ersten Schritt in der Landschaft, die zu diesem Berg gehört:

Er lässt die Häuser und Strassen hinter sich, den Lärm. Er tritt in die Stille ein, Vögel singen, Blumen blühen am Weg.

 

Wer Augen hat dafür, der sieht das Grosse auch im Kleinen. Es ist ja nicht klein, es ist von derselben Art wie der Berg, der da vorne in den Himmel ragt.

Und vom Berg her kommt uns der Fluss entgegen. Erst ist es nur eine Quelle, dann wird sie grösser. Sie bringt das Wasser bis zu uns, die wir noch auf dem Weg sind.

So können wir jetzt schon unseren Durst stillen, an dieser Quelle, auch wenn wir noch unterwegs sind. Im Gebet, im Glauben, erfahren wir immer neue Kraft. Wir können uns anschliessen an der Quelle.

So gehen wir unsern Weg.

 

Ein Vor-Bild

Das Bild vom Berg ist eine andere und neue Form, mir etwas vorzunehmen. Nicht als „die grosse Leistung“, die aus mir kommt und die sogleich zwischen die Mühlsteine von Motivation und Selbstachtung gerät: mal ist das Selbstbild zerknirscht, weil man das Ziel nicht zu erreichen meint, mal fühlt man sich grandios, weil etwas gelungen ist.

 

 

Der „Weg der Seele“ in einer bürgerlichen Biographie

 

Ambach, 14. Juni 2007

Morgen ist Mitte des Sabbaticals. Gestern Abend habe ich die Unterlagen für mein Ehrenamt übergeben, das Kapitel ist abgeschlossen. Ich möchte Bilanz ziehen, wo ich stehe.

 

Ich träume zweimal in dieser Nacht:

Ich spiele. Vor einem Laden male ich mit Wasser Buchstaben auf den Boden. Es geht, aber bald sind sie verlaufen. Ich soll hier nicht mehr spielen. Ich soll hinaus auf die Strassen, aber diese sind voller Leute. Da geniere ich mich. Ich realisiere, dass ich schon gross bin; wie kann ich da spielen?! Zweiter Traum: Ich bin in der Konditorei meiner Lehrzeit. Aber die Lehre ist vorbei.

Wenn ich die Träume in ein paar Sätze zusammenfasse: Ich gehe nicht hinaus auf die Strasse zu den Leuten. Ich spiele nur. Ich getraue mich nicht, mich mit jener Arbeit einzubringen, die ich ernst meine. Ich geniere mich, weil ich mich unwert fühle. So fühle ich mich unfrei, abhängig von den Leuten, die mir Wert zusprechen sollen. Aber ich bin frei. Ich habe es nur noch nicht bemerkt. Ich darf es jetzt realisieren. Und es ist wie ein grosses „Aha“, das wie ein Ruck durch meinen Körper geht. Und ich verlasse den Ort meiner Lehrzeit.

 

Wie ich Träume umsetzen kann

Wenn ich das als Hinweis nehme, was ich tun soll, dann wäre das:

Nicht mehr nur spielen. Meine Freiheit in Anspruch nehmen. Nicht auf Beachtung, Wertschätzung oder Abwertung von aussen schielen. Mich einbringen, eine ernst gemeinte Arbeit unternehmen, zu meiner Arbeit stehen.

Das Umsetzen von Träumen geschieht nie durch bewusstes Verhalten. Ich kann das nicht in die „Agenda“ schreiben. Aber das „agere“ gehört dazu. Das „Handeln“ in meinem Leben ist blockiert, weil ich mich irgendwo tief in mir für unwert halte.

 

 

So mag ich mich nicht zeigen, es erfüllt mich mit Scham, mit einer tiefen, existentiellen Scham, die nicht nur an einem Tun hängt, sondern an meinem ganzen So-Sein. Dieser Scham kann ich nur entgehen, wenn ich anders werde. Das aber kann ich nicht „machen“ (agere). Aber es verändert sich etwas in den Grundlagen. Der Traum erzählt von einer Wandlung, die in Gange ist.

Vieles in der Arbeit kann ich „machen“, in immer neuen Versuchen und Anläufen. Aber die Befreiung von der Scham – das ist ein Stück „Seelenweg“. Ich gehe ihn unbewusst. Im Traum kann ich einen Zipfel davon erhaschen. Dieser „Seelenweg“ ist keine Landkarte, die ich bewusst abschreiten könnte. Aber es gibt mir doch Vertrauen, es stillt meine Verzweiflung, indem es mir sagt: Das Schiff ist unterwegs, und es ist auf gutem Kurs.

 

Wer die Bahn nicht verlässt

Der Psalm 23 ist wie ein Pilgerführer auf der Seelenreise, auf der Bahn, die Gott gebahnt hat. Darum kommt ans Ziel, wer die Bahn nicht verlässt. Er macht eigene Schritte aber kommt doch an ein Ziel, das er aus eigener Kraft nie erreichen könnte.

So ist die Nachfolge jene gesuchte Art des Handelns, das weder ein blosses Machen ist noch ein untätiges Warten, bis das Neue, sich von selbst einstellt.

Nachfolge ist ein Tun, das nicht auf die eigene Kraft vertraut. Es ist kein blosses Geschehenlassen, weil hier nur Gott helfen kann. Es ist Nachfolge auf dem Weg Gottes, den er gebahnt hat und auf dem er gegenwärtig ist.

Es ist der Weg, der auch durch solche Wandlungen führt, die wir nicht selber verantworten können, so wie Geburt und Tod, weil hier die Grundlagen unseres Seins selbst verändert werden.

 

 

Noch einmal die Träume

Nach all diesen Erinnerungen lese ich aus den Träumen:

Ich freue mich über den Wandel, der im Gange ist. Ich danke dafür.  Ich bin wach für alles, was sich konstelliert. Vielleicht bricht der Damm der Blockierung und ich kann aus dem Spiel ausbrechen und das tun, was mit meinem Leben gemeint ist.

 

 

Herabfallen vom Weg

Das Sakrament als Rückkehr-Hilfe

 

Darüber darf man nicht zu harmlos nachdenken. Was „Busse“ meint, kann man nicht verstehen ohne die Erfahrung einer zu Tode erschrocken Seele.

 

Das meint „Reinigung“: sich wieder unschuldig fühlen dürfen, einen neuen Anfang machen dürfen, ohne die Zentnerlast der Vorwürfe an sich selbst, ohne das bittere Gefühl, aus eigener Schuld alles verdorben zu haben, ohne diese Bitterkeit im Leben, die nicht mehr mit etwas Gutem rechnet, die nicht mehr hoffen kann, dass es noch gut wird mit dem eigenen Leben!

 

Ambach, 21. Juni 2007

Sommer-Sonnenwende, bald ist Johannistag, Halbzeit auf dem Weg zur Winter-Sonnenwende und zu Weihnachten. „Ich muss abnehmen, er muss zunehmen.“ [65]

Die Mitte-Daten häufen sich: Es ist Mitte des Sabbaticals. Ich will Bilanz ziehen über meinen Weg. Das Ehrenamt habe ich abgegeben, auch das ist eine Art Mitte in meinem Weg. Von hier aus laufen die Wege anders weiter. Die Unterlagen habe ich alle übergeben. Dadurch ist in meinem Büro-Schrank ein ganzes Fach frei geworden.

 

 

Dort kann ich jetzt die Ordner für meine Schreiberei hinstellen. Bisher standen sie unten, bei den Zeitschriften für den Unterricht, eingeklemmt im Krimskram, ohne rechten Platz in meinem Schrank, in meiner Zeit und in meinem Leben. Ich nehme es als Sinnbild für das Neue, das kommt (auch wenn es nur darin besteht, dass etwas Neues Platz bekommt. Der Platz wird neu verteilt. Etwas anderes darf sich jetzt entfalten, das alte hat seine Zeit gehabt.).

 

Abgestürzt

Am Montag wieder „Absturz“. Ich bin aus meiner Bahn gekippt. Eine wochenlange Phase des Lesens und Schreibens, in der mir die Dinge nur so zufielen, ist damit zu Ende gegangen. (Ich bin immer noch blockiert, kann kaum schreiben. Der Gedankenfluss stockt. Der Zugang ist verschüttet. Die Motivation ist nahe am Kippen, es braucht nur wenig, so bricht sie ein.)

Klar, ursprünglich war geplant, dass ich um diese Zeit wegfahre (mit dem Fahrrad der Donau entlang). Ich hätte in der Zeit also ohnehin nicht geschrieben. Aber dann lief es so gut, die Zeit reute mich. Nun ist die Fahrrad-Tour ins Wasser gefallen: Es regnet und stürmt. Es kommt zu Überschwemmungen, es ist kein Wetter für eine wochenlange Tour. So ist es typisch für Blockierungen – ich habe keines von beidem: weder bin ich unterwegs, noch kann ich schreiben.

 

Der Weg zurück

In der Scham nach dem Absturz denke ich, ich hätte mich aus eigener Schuld herausgekippt, ich hätte mich und seine Gnade verachtet, ich würde jetzt nie mehr auf den Weg zurück finden… Die Erfahrung sagt aber, dass es immer so ist in dieser Phase. So hat es fast sein Gutes, dass ich das nicht zum ersten Mal erlebe. Es gibt einen Weg zurück (ohne das wäre Seelsorge ein höllisches Geschäft). Dank der Erfahrung denke ich: Ich darf wieder zurück, ich werde wieder angenommen.

 

 

Zu Tode erschrocken

Aber ich denke zu harmlos über das nach, was ich erfahren habe. Die Erfahrung, dass es immer wieder in Ordnung kommt, relativiert es und macht es zu etwas Belanglosem.

Gerade jetzt jagt ein Gewittersturm über das Haus und lässt Fenster und Türen knallen. Was «Busse» meint, kann man nicht verstehen ohne die Erfahrung und die Erinnerung daran, wie es ist, wenn die Seele zu Tode erschrocken ist. Und wenn sie die Schuld bei sich sucht (und findet, schuldlos ist kein Leben).

 

Das meint Reinigung: sich wieder unschuldig fühlen dürfen, einen neuen Anfang machen dürfen, ohne die Zentnerlast der Vorwürfe an sich selbst, ohne das bittere Gefühl, aus eigener Schuld alles verdorben zu haben, ohne diese Bitterkeit im Leben, die nicht mehr mit etwas Gutem rechnet, die nicht mehr hoffen kann, dass es noch gut wird mit dem eigenen Leben! Denn es ist selbst verspielt, die Chance war da, das Geschenk war da. Aber ich habe es nicht respektiert und für wert geachtet. Ich kann niemandem einen Vorwurf machen als mir selber Und jetzt ist es zu spät.

Über «Busse» [66] kann nicht leichtfertig geschrieben werden. Nicht ohne diesen Schrecken in der Seele und ohne diesen Jubel über das Evangelium.

 

 

Zorn und Selbstverlust

Das Gewitter verbindet die innere mit der äusseren Welt. Die Furcht vor dem, was sich drohend über dem Kopf zusammenbraut, erinnert an den Vater und seinen Zorn. (Dieser Zorn mag „jähzornig“ hervorgebrochen sein, durch langes Anstauen besonders heftig und überraschend, aber er hatte doch auch zu tun mit dem Gewissen, mit der inneren Stimme, die einen mit sich selbst entzweit, weil man sich im Widerspruch weiss).

Der Vater und das Gewissen – das muss man nicht entmythologisieren, so als ob jetzt alles aufgeklärt und erledigt wäre. Es macht aufmerksam auf etwas, was da ist, mit und ohne Gewitter. Es geht um das Gewissen bzw. um die Selbst-Integration mit den Normen des Richtigen – die Auseinandersetzung mit Stimmen, die beanspruchen, das Richtige zu vertreten, die Stimme des Vaters, die Codes der Familie und der „peer group“, das Über-Ich, die Normen und Werte der verschiedenen Subkulturen, in denen man lebte…

 

Die Freude am Gesetz

Während des Gewitters musste ich den PC abstellen. Ich konnte nicht schreiben, ich benutzte die Zeit, um die Bibel aufzuschlagen. Und ich schlug sie zufällig auf beim Psalm 119: „Die Freude am Gesetz.“

Das ist der Weg: nicht die Furcht, nicht das Ducken unter einen Moloch, der Kinderopfer verlangt, nicht das Ducken unter einen Dämon, der das Leben verneint und Lebensopfer fordert, keine Selbstbeschneidung, kein Kriechen auf dem Boden und sich mit Staub zudecken, weil die Scham am liebsten in den Boden kriechen würde, kein Fallen ins Bodenlose wie die „Rotte Korach“. Keine von all diesen Riten der Busse, die die Religionsgeschichte hervorgebracht hat. [67]

Sondern Freude ist der Weg, Freude am Gebot, das nicht lebensfeindlich ist, Freude am Weg, auf dem er uns entgegen kommt. Und er reicht uns die Hand, er hilft uns, er gibt uns das Gleichgewicht, so dass wir gehen können.

 

 

Jetzt ist das Gewitter verzogen, ich kann wieder schreiben. Ich öffne die Fenster, die ich gegen den Platzregen geschlossen hatte. Die Wolken, die den Himmel verdunkelten und es im Haus fast Nacht werden liessen, haben sich verzogen. Der Garten ist nass, die drückende Schwüle, die sich über Wochen aufgebaut hatte, hat einer herrlichen Frische Platz gemacht. Die Atmosphäre ist gereinigt.

 

Ich lese den Psalm, wo ich ihn aufgeschlagen hatte:

«Ich habe Freude an deinen Geboten, sie sind mir sehr lieb,

und hebe meine Hände auf zu deinen Geboten, die mir lieb sind, und rede von deinen Weisungen.

 

Die Stolzen treiben ihren Spott mit mir; dennoch weiche ich nicht von deinem Gesetz.

 

Herr, wenn ich an deine ewigen Ordnungen denke, so werde ich getröstet. Herr, ich denke des Nachts an deinen Namen und halte dein Gesetz. Das ist mein Schatz, dass ich mich an deine Befehle halte.» (Ps 119,47ff)

 

 

Katastrophen-Angst

 

Unsere Kinder werden die Welt nicht mehr so erleben, wie wir das noch durften. Das hat mir lange am meisten zu schaffen gemacht. Es macht mir Angst, in die Zukunft zu gehen und die Kinder auf diesem Weg allein lassen zu müssen. Wer behütet sie?

 

Auch der Tod hat sein Gesicht verändert. Alles ist unbekannt und unerprobt. Wer könnte hier Führer sein, wer hat das schon erlebt? Wer könnte die Worte sprechen, die Trost und Vertrauen geben, weil er weiss, dass es einen Weg hindurch gibt?

 

Ambach, 4. Juli 2007

Mein „neues Leben“, in der zweiten Hälfte des Sabbaticals. Ich habe gestern angefangen, das Büchergestell aufzuräumen. Vieles wandert in den Abfall. Ich schnüre dicke Bündel Altpapier. Beim Abendessen Hochstimmung, als ob ein neues Kapitel angefangen und ich eine neue Stelle angetreten hätte und darum das Alte „verlese“. Aber das ist nicht der Fall, darum wundert es mich, dass dieses simple Aufräumen so viel Hochstimmung erzeugen kann. Gibt es den Neuanfang mitten im Alten?

Beim Frühstück ist es finster im Esszimmer, wir müssen das Licht anzünden, obwohl es Juli ist, mitten im Sommer. Es ist oft so dunkel jetzt. Die neue Wetterlage, an die wir uns mittlerweile schon fast gewöhnt haben, bringt oft Regen, Gewitter, verbunden mit dunkeln Wolken. Einmal, vor einigen Wochen, war es am Tag so finster, als ob die Sonne untergegangen wäre. Es war aussergewöhnlich, niemand konnte sich an ein ähnliches Erlebnis erinnern. Anderntags stand es in allen Zeitungen.

 

Zeichen am Himmel

Aufbruch nach dem Frühstück. Sandra geht zur Schule. Deborah ist schon weg. Antonia macht ihre Übungen. Ich gönne mir noch ein paar Minuten. Ich setze mich auf das Sofa und blättere die Zeitung durch, während ich den Rest Kaffee trinke. Da ruft mich Antonia: „Schau mal aus dem Fenster!“ Es ist hell geworden und ein wunderbarer Regenbogen steht am Himmel.

 

 

Es berührt mich. Es ist – es klingt kitschig – als ob Gott zu mir spräche. Ich fühle mich im Innersten erkannt, in dem, was mich beschäftigt. Ich wusste es selbst nicht, bis ich es sah. Wie finster meine Gedanken waren, sehe ich erst in der Antwort, die Gott mir gibt. Und diese ist überraschend, völlig anders, überwältigend:

Dass es gut kommt, dass der Fluss der Ereignisse nicht einfach in seinem Bette läuft. Dass es etwas ganz anderes gibt, eine Kraft, mit der ich nicht gerechnet habe und niemand von uns. Er vertreibt die Wolken, hebt die Finsternis auf und setzt ein Zeichen in den Himmel …

Ich kann es nicht richtig wiedergeben. Es erinnert mich, wie ich als Kind einmal einen Regenbogen sah. Ich will darüber nichts sagen, weil Worte alles klein machen. Als ich damals nach Hause zurückkam, war ich so glücklich, dass ich mich nach bald 50 Jahren noch daran erinnere.

 

Hinausgehen

Ich gehe hinaus. Ich kann wieder gehen. Ich danke Gott dafür. Vielleicht bin ich wirklich auf einem neuen Weg. Hat sich nicht vieles verändert? Hatte ich mich nicht schon eingerichtet in dem Gedanken, ich würde nie wieder richtig gehen können, nachdem ich mir beim „Pilgern“ mit den Konfirmanden eine Gelenkentzündung geholt hatte und seit etwa drei Jahren nur mit Schmerzen gehen konnte? Ich kann wieder gehen! Ist das nichts? Es ist mehr als ich gedacht hätte! Es ist eine Absage an die Resignation, mit der ich den Verlust schon akzeptiert hatte. Es ist eine Absage an die Resignation, mit der ich mein Leben schon abgeschrieben hatte.

Auf dem Weg begegnen mir Menschen, Jugendliche, die zur Schule gehen. Sie erinnern mich an Erlebnisse, die mit Misserfolg und Scham behaftet sind. Wegen solcher Begegnungen, gehe ich wenig hinaus. Darum isoliere ich mich, habe wenige Kontakte. Darum gehe ich im Sabbatical kaum hinaus. Darum laufe ich Gefahr, mich zu einem Eintopf einzukochen. Darum versinke ich in vorzeitiger Resignation.

 

 

Nach den häufigen Regenfällen der vergangenen Tage sieht der Bach verwüstet aus. Und die Mauer beim Schwimmbad, mit der das Bachbett gesichert werden sollte, hat sich etwa einen Meter abgesenkt. Es zeigt, wie schnell Berechnungen ungültig werden, wie das Wetter uns alle überrascht, obwohl wir schon lange darauf vorbereitet sein sollten. Ich mache einen Bogen, um wieder nach Hause zu kommen, und gehe über das grosse Kies-Feld bei der Stadthalle. Grosse Pfützen stehen darauf. Aus meinen Gedanken steigt der Satz auf: Es ist kein Untergang, es ist eine neue Ära. Das klingt ärgerlich banal, wenn es so dasteht, für mich in meinem Brüten war es etwas Neues. Es ist ein Stück Abfinden darin, ein Akzeptieren, dass sich vieles verändert hat:

 

Unsere Kinder werden die Welt nicht mehr so erleben, wie wir das noch durften. Das hat mir lange am meisten zu schaffen gemacht. Ich hätte ihnen gern die Welt meiner Kindheit gezeigt. Aber sie hatten auch ihre Kindheit, und der Zauber gehört dazu, sie haben ihn wohl an einem anderen Ort erfahren, als ich damals.

Ja, das Klima hat sich verändert. Die Wetterlagen sind anders, die Windsysteme haben sich teils verlagert. Immer mal wieder berichten die Zeitungen, dass sich die Meeresströmungen verändern könnten. Vor wenigen Jahren, als noch kaum jemand davon sprach, war das eine Schreck-Vorstellung für mich, als ich mit Karl darüber sprach, dass der Golfstrom kippen könnte. Das würde das Klima in ganz Europa verändern.

Wie auch immer, ob mit oder ohne Mitwirkung des Menschen, die ökologischen Räume verändern sich. Und mit ihnen ihre Besiedlung, die Tier- und Pflanzenarten, die Mikroben, die Krankheitserreger, die Insekten, die Überträger von Krankheiten. Der Mix der Arten wird sich verändern und bei einem neuen Gleichgewicht einpendeln.

 

Wir Menschen haben Angst. Es macht mir Angst, in die Zukunft zu gehen und die Kinder auf diesem Weg zunehmend allein lassen zu müssen. Wer behütet sie? Auch der Tod hat sein Gesicht verändert. Alles ist unbekannt und unerprobt. Wer könnte hier Führer sein, wer hat das schon mal erlebt? Wer könnte die Worte sprechen, die Trost und Vertrauen geben, weil er weiss, dass es einen Weg hindurch gibt?

 

 

Auch wir hatten früher Angst, als wir Kinder waren. Wir hatten Angst vor der Atombombe, dass die Mächte im kalten Krieg die Welt auslöschen könnten. Jetzt ist eine andere Epoche. Nicht mehr der Atompilz steht als Fanal über dem Horizont, nicht mehr der atomare Winter, aber dass die Vögel verstummen, dass die Stürme unerhörte Gewalt erlangen, dass das Wasser in die Häuser steigt, dass die Ernten vernichtet werden und Hunger und Krankheit und Krieg wieder kommen…

Es ist nicht der Untergang, es ist nur eine neue Ära – so tönt es in meinem Innern. Der Gedanke ist tröstlich, als ob der Schrecken damit eingeebnet wäre. Als ob er auf jene Stufe gebracht wäre von Abenteuern, die wir schon erlebt und durchlitten haben – und überlebt. Es ist, als ob das Leben auch das meistern könnte. Der Schrecken wird beruhigt.

Die Erde kennt das, nicht auf diese Art, aber auf analoge Weise. Das Leben kennt das, hat Ähnliches durchgestanden. Es ist in den Tod getaucht und hat eine Metamorphose durchgemacht. Krisenzeiten waren immer schöpferische Zeiten. Nach einer Katastrophe entstanden neue ökologische Räume, die Zahl der neu entstandenen Arten ist jeweils geradezu explodiert. Die schöpferische Kraft ist nicht erloschen.

Die Welt hat schon viele Zustände erlebt, die Biosphäre hat sich oft neu ausgerichtet. Die „Seele der Welt“, das Leben, kennt das aus ihrer Geschichte, und trägt das Wissen in sich. Das ist niedergelegt in der „Nachtfahrt der Seele“, von der wir Bilder und Symbole in uns tragen. Diese Fahrt führt ins Chaos, in den Tod, sogar in den Tod der Arten, und sie führt zu einer neuen Schöpfung.

 

Als ich nach Hause gehe, habe ich aber andere Gedanken. Ich spürte das Herz klopfen. Und ich erinnere mich an das Bild von der Madonna mit dem Kind, das einen kleinen Vogel in seiner Hand hält. Eigentlich berichtet das Bild von der Erlösung des Menschen: weil Gott aus dem Himmel auf die Erde herabgestiegen ist, hat er den Weg aufgetan. Der Mensch hat Flügel bekommen und kann in den Himmel steigen wie ein Vogel.

 

 

Mir ist das Bild eingefallen, weil ich mich fühle wie ein kleiner Vogel in seiner Hand. Mein Herz klopft gegen seine Hand. Er kann es spüren. So ist es, wenn ich selber einen Vogel in die Hand nehme, z.B. weil er sich in einem Schutzzaun verfangen hat, der über die Reben gespannt ist. Auf der Wanderung sehe ich ihn und löse ihn aus den Schnüren. Und ich spüre das kleine Leben in meiner Hand. Es zittert und hat Angst, aber ich will ihm nur helfen. So zittert auch das Herz des Menschen in der Hand Gottes. Er hat Angst, aber Er ist schon dabei, ihm zu helfen.

 

Und das Bild von der Madonna mit dem Kind hat nicht unrecht: Er steigt herab zu uns. Er durchsteigt Abgrund um Abgrund, bis er uns gefunden hat. Er lässt nicht davon ab, bis er bei uns ist, und wenn wir noch so tief gefallen wären.

Unser Herz flattert vor Angst, wenn wir in den dunkel verhangenen Himmel schauen. Aber er kommt auf dem Regenbogen, und dieser erinnert uns: dass er die Welt nicht mehr in einer Sintflut ersäufen will, weil ihn die Schöpfung reut. [68] Der Mensch ist so, wie er ist, aber er will es sich nicht mehr gereuen lassen. „Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“

Ich darf unsere Kinder in die Zukunft gehen lassen und – wenn es soweit ist – sagen wie Simeon: „Ich kann in Frieden gehen, denn ich habe Dein Heil gesehen, das du uns bereitet hast.“ [69]

 

 

Weltfremd

 

Ambach, 9. Juli 2007

Nachdem Deborah angefangen hat, mir ganze Bücher vorzulesen, hat nun auch Sandra damit angefangen.

 

Höllenfahrt für das erste Lesealter

Sandra liest eine Hexengeschichte. Da interessiert sich ein Mädchen für „Atlantis“ und geht die „Orpheus-Treppe“ hinunter. Das ist der Abstieg ins Dunkle schon für das erste Lebensalter!

Ich muss mir nicht einbilden, dass das irgendetwas Neues sei, wenn ich mich mit der „Nachtfahrt“ der Seele beschäftige – 100 Jahre, nachdem C. G. Jung das längs und quer durchpflügt und als Steinbruch für seine Theorien verwendet hat; 50 Jahre nachdem Campbell in den USA populär wurde und seine mythische Heldenreise nicht nur neue Therapie-Konzepte anregte, sondern auch in die Handbücher zum Verfassen von erfolgreichen Drehbüchern eingegangen ist.

Die Religions-Geschichte ist ausgelutscht. Das Reflexiv-Werden der Religion, ihr Sich-mit-sich-selbst-Beschäftigen und sich über ihre Geschichte beugen, ist vollzogen. Es ist heute konsumierbares Kulturgut, es ist Anwendungswissen für die Herstellung verschiedenster Gattungen der Fantasy-Literatur.

Da wird im Vorabendprogramm am TV für die Kleinen jeden Abend die Welt gerettet. Da kommt ein Erlöser. Es ist in jedem Programm wieder ein anderer. Die mythischen Elemente sind drin. Das spricht die Phantasie an, und es stumpft sie zugleich ab. Was Jesus Christus einmal brachte, was die Faszination seiner Geschichte ausmacht, ist hundertmal ausgelaugt, bevor die Kinder zum ersten Mal von ihm hören.

 

 

Höllenfahrt für Erwachsene

Trotzdem ist es etwas anderes, wenn man sich „stellt“ und selber hinabsteigt in die Abgründe des eigenen Lebens. Denn das heisst, sich dem stellen, was man nicht in der Hand hat. Dem, was einen ausbremst, ins Schleudern bringt, aus der Ruhe reisst, beelendet, bis zum Überdruss enerviert. Was einen zur Verzweiflung bringt.

 

Nachts habe ich dunkle Gedanken. In stecke in der Sackgasse mit meiner Lebensführung. Ich bin unduldsam, es gibt einen Zusammenstoss mit den Kindern. Darauf überhocke ich am TV. Im Bett mache ich mir Vorwürfe: ich hätte auf der ganzen Linie versagt, als Pfarrer, als Ehemann, als Vater und als Mensch.

Am Morgen denke ich: Vielleicht ist es auch nur ein Aufbegehren gegen die Zuschreibungen in all diesen Rollen und Funktionen. Und ich frage mich, was ich denn tun würde, wenn das Leben mir selbst gehörte? – Reisen!

Ich möchte mir, obwohl die Zeit des Sabbaticals zu Ende geht und ich jetzt den Pflicht-Stoff erledigen sollte, noch mal Zeit nehmen für einen solchen „Abstieg“. Auch das ist eine Reise. Ich möchte dem Thema „Sucht“ in meinem Leben nachgehen und dazu die Lesenotizen zu Sloterdijk (Weltfremdheit) zusammenstellen.[70]

Später träumte ich. Nach vielen Selbstvorwürfen und in verzweifelter Angst, dass ich mein Leben zerstört hätte, sah ich beim Einnicken eine riesige Blume vor mir. Ein prächtiger Garten mit langstieligen Blumen und ausladende Blüten.

 

 

Das Widerfahrnis und seine Kultivierung in Religion

Ich habe durch dieses Tagebuch eine Sicht von aussen auf mich gewonnen. [71] Ich habe Mechanismen durchschaut, die mich vordergründig leiden machen, die aber hintergründig von mir gewollt sind. Hinter der scheinbaren Ohnmacht der Psyche taucht ihre Macht auf. Sie setzt die Ohnmacht ein, um noch Schlimmeres abzuwenden.

 

Erotik

„Erotik“ wird missbraucht, um die Angst vor Verlassenheit zu überdecken. Als Kind schon habe ich gelernt, „aus dem Körper zu fliehen“. Hier wird das Schöne missbraucht. Kontemplation geschieht naturwüchsig, wie ein Angstabwehr-Mechanismus. Eine ähnliche Funktion haben Suizid-Gedanken, die mir eine letzte Ausweich-Möglichkeit vorgaukeln. Sie verhindern aber eine wirklich „Einwohnung“ ins Leben. Ich muss damit besser zu Rande kommen. Vielleicht hilft es mir, das bewusster zu machen.

 

Religion

Religion so scheint es, hat einen bewussten Umgang mit diesen Dingen entwickelt, die bei mir unwillkürlich durchbrechen. Ist da ein Weg, auch diese im Körper verankerten Verhaltensweisen aufzubrechen?

Religion gibt Meditation – statt wilder Kontemplation, Begeisterung – statt wilder Ekstase. In ihr lebt die Sehnsucht nach „Mehr“ in den religiösen Bildern einer langen Tradition – statt in privaten Suchtwegen. Sie kennt diese Erfahrungen: wie ich an einem „Ganzen“ teilhabe, wie ich mich in die „Mitte“ stellen kann, wie ich Freude erfahre im Gebet – statt diesem reaktiven Aus-der-Welt-Gleiten und Hinüber-Träumen.

 

 

Sprachlos

Die Sucht mit ihrem alles erfüllenden Zwangs-Erleben ist geeignet, andere Dinge, die noch viel schlimmer sind, zu überdecken, z.B. Verlassenheitsängste, die in früher Kindheit angelegt wurden und dadurch eine vorsprachliche Dimension annehmen, so dass sie sich durch Sprache und sprachlich vermittelte Kultur-Inhalte nicht beschwichtigen lassen. Hier ist das Ende aller sprachlichen Therapie und Seelsorge. Das Ende der Verkündigung.

 

Das Sakrament

Darum muss sie die Sprache wechseln und Körpersprache reden. Darum bin ich in diesem Buch auf der Suche nach dem Sakrament, das die Verwandlung und Teilhabe „körperlich“ erfahren lässt – statt der individuellen Flucht in Gegenwelten.

 

 

Dornröschen und der 100-jährige Schlaf

[72]

Vor einigen Monaten hatte ich die Empfindung, als ob ich im „Wiederholen“ meiner Entwicklung allmählich in der Pubertät angelangt sei. Wer Kinder hat wird durch sie an seine eigene Kindheit erinnert. Vieles steigt auf und wird erinnert, was verbal nicht verfügbar und nicht einmal bewusst ist. So ist Kinder-Haben wie eine Chance auf Nachreifung.

Ich erinnere mich, wie Sandra als Kleinkind Magenkrämpfe hatte und wie mich ihr Schreien „verrückt“ machte. Mein Zorn stand in einem derart krassen Missverhältnis zu seinem Anlass, dass ich begriff: In ihrem Schreien wurde mein eigenes Kinderschreien wiederbelebt – ein Gefühl von äusserster Ohnmacht und Ausgeliefertsein, das mir noch in den Gliedern steckte. (…)

 

 

Die Ohrfeige des Kochs

Mit dem Antritt der Lehre ging es um die Frage, wie ich aus dem Elternhaus weggehen kann, wie ich mich in der Lehre behaupte, ohne täglichen Rückhalt in der eigenen Familie. Woher nehme ich die Kräfte, um fester und bestimmter aufzutreten? Woher nehme ich das Selbstvertrauen und die körperliche Sicherheit, um einer Frau entgegen zu treten, mich auf eine körperliche Begegnung einzulassen?

Bin ich „ansehnlich“, dass ich mich zeigen kann? Bin ich wert und liebenswürdig, dass ich mich zumuten kann? Bin ich sicher in meinem Verhalten? Vertraue ich darauf, dass es „ankommt“, so dass die angefangene Geste nicht in der Luft stehen bleibt wie die Ohrfeige des Kochs in dem Moment, als Dornröschen sich mit der Spindel sticht?

 

Mitte des Daseins

Die Erotik sticht nicht nur ins Fleisch, der Stich der Spindel meint nicht nur den Genital-Akt. Die Erotik trifft in die Mitte unseres Daseins. Und dort finden sich entweder Kräfte und sie kommen ins Fliessen und begleiten uns in den Aufgaben dieser neuen Lebensperiode, oder die Kräfte sind blockiert und entmutigt, sie bergen die Erinnerung an Verletzung und Verlassenheit. (…)

Wo die Fremdheit gegenüber dem Körper und seinen Impulsen also in der Pubertät auftaucht, da hat dieser Mensch sich schon als kleines Kind fremd in seinem Körper gefühlt. Obwohl neugeboren, ist er nie wirklich eingetaucht in diese Welt. Kaum angekommen, hat der sich wieder zurückgenommen, den Atem angehalten. Er wollte unsichtbar sein, hat sich totgestellt.

 

Fremd im Körper

Die Ursache ist nicht primär sexueller Natur, geschwächt ist die ganze Kraft, der Wille zum Dasein, die Lust am Vorhandensein, die Freude sich zu regen und zu bewegen. Nicht vorhanden ist die Sicherheit, wie ich mich mit andern austausche, wie ich eine Geste anfange und vertrauen kann, dass sie verstanden und angenommen wird.

 

 

Darum ist auch die Erlösung nicht primär sexuell. Gemeint ist die ganz Inkarnation, die Weise, wie ich zur Welt komme, wie ich in dieser Welt Gestalt gewinne, wie ich Boden unter die Füsse kriege, wie ich einen Ort finde zwischen den Armen eines geliebten Menschen und unter seinem Blick und wie mein Blick und meine Arme Zwiesprache halten.

 

 

Weltflucht oder Verwirklichung des wahren Lebens?

 

Ambach, 9. Juli 2007

Die Erlebnisse in meinem Tagebuch zeigen mein Kämpfen um einen Weltzugang, um volles Geborenwerden. Sie zeigen aber auch immer wieder mein Hinüber-Rutschen über den Zaun, mein Grenzgängertum, mit dem ich mir die Flucht offenhalte.

 

Naturwüchsige Religion

Da ist der kleine Grenzverkehr mit dem Nicht-Geboren-Sein, was mir das Heimisch-Werden in dieser Welt erschwert. Es ist wie nach meinem Weggang von Zürich, als ich in Bern nicht richtig heimisch werden konnte, solange ich meine Wohnung in Zürich behielt und immer wieder dorthin floh. Wage ich es, mich ganz ins Leben zu stürzen und all die Folgen zu tragen, die das haben mag?

 

Religion als Kultur

Von einer anderen Seite ist es die Frage, wie ich das besser kultivieren kann, was ich naturwüchsig immer schon praktizierte, seit ich mich als Säugling in der Wiege hin und her warf. Ich wollte mir Körperempfindungen verschaffen und suchte so den Zugang zu dieser Welt, ich kämpfte gegen das Versinken in jenem „Loch“, wo die Welt keine Antwort gibt, wo das Grauen der Verlassenheit haust und von wo ich nur entfliehen konnte, wenn ich aus meinem Körper austrat und gar nichts mehr spürte. – Eine höllische Ekstase. Mit dem „Nina-Nina“ war ich ein Anti-Ekstatiker. Ich versuchte, mich schon in der Wiege zu entwöhnen von der Droge der Körperflucht.

 

 

Religion und Körpersprache

Es ist die Frage nach einer religiösen Praxis, die körperliche Empfindungen vermittelt, die das Sakrament des Körpers kennt und seine Kraft, in die Welt hinein zu zeugen. Sie kann das, wenn sie dem Menschen zeigt, dass sie auch das andere kennt, sein Grauen, seine Flucht und die Rettungsanker, die er sich zurechtgelegt hat und ohne die er nicht mehr ausgeht ins Leben.

Religiöse Praxis kann es, wenn sie ihm etwas Besseres anbietet, als diese reaktiven Mechanismen der Flucht, der Ekstase, des Symptoms und der Privatreligion. Sie zeigt ihm das Grauen der Welt, so dass er sich verstanden fühlt, und sie gibt ihm in ihren Sakramenten Anteil an dem, was über die Welt hinausgeht, über das Leben und Leiden. Sie gibt ihm, was Schönheit vermittelt, Aufgehobensein und in der Mitte stehen.

 

Auf der Grenze – Flucht oder Weg ins Leben?

Religion ist ein Hin und Her auf der Grenze von Geborenwerden und Sterben, das sich in diesem Grenzverkehr auskennt und das Wissen nicht benutzt für die Flucht aus dem unerträglichen Alltag, sondern als Ausflug, als Ausblick, als Reservat, aus dem ich mit neuer Kraft ins Leben zurückfinden kann und meinen Weg hier gehen.

 

Es ist ein Erkundungsweg ins Gelobte Land, von wo die Kundschafter mit einer riesigen Traube zurückkehren. Sie redet nicht in Bildern, sie ist mehr als Metaphorik, man kann davon essen und trinken, und spüren, wie es sich wandelt.

Die Traube ist riesig und lässt ahnen, dass noch mehr davon da ist. Aber sie gibt jetzt schon Kraft. Sie ist ein Bild der Mutterbrust für Erwachsene und sie erfüllt wirklich diese Funktion: Wir erleben, dass wir angeschlossen sind an jenen grossen Rebstock, der seine Wurzeln bis zum Ursprung herabstreckt und uns „einmittet“ in die Welt, auf eine Weise, dass wir nicht verloren gehen. [73]

 

 

Die Kinder werden es von uns lernen

So lernen wir leben, dass auch unsere Kinder die lebenszugewandte Seite der Welt kennenlernen und diese Welt mehr und mehr bebauen können als Ort des Lebens, nicht des Todes, aus dem man nur fliehen kann, um ihn erträglich zu machen.

So ist das Sakrament etwas, das Gott den Menschen schenkt an einem Schöpfungstag, damit seine Schöpfung weitergehen möge. Es ist der Schöpfer selbst, der sich zu uns kehrt. Der in uns eingeht und Kraft schenkt, der uns spüren lässt, dass wir angeschlossen sind an die Quelle des Lebens.

Auf das „Spüren“ kommt es an. Denn die Gegenposition hat den Körper schon besetzt. So gibt es keinen Sieg über den Unglauben, es sei denn über den Köper.

Die „Mission“ der Worte kommt immer schon zu spät. Denn die Kinder sind im Mutterleib schon geimpft mit höllischen Empfindungen. So muss das Sakrament lernen, in diese Tiefe hinabzusteigen.

 

 

Die nächtliche Katze und die Engel im Körper

Das Sakrament der Liebe

 

Da ist etwas, aus dem ersten Ursprung, das alle verbindet, die da sind. Und es ist voller Wärme und Verbundenheit. Wer darauf hört, versteht die Bäume. Er lernt die Sprache der Tiere, und der Himmel spricht zu ihm.

 

Ambach, 10. Juli 2007

Im Traum reise ich zum Planeten Venus. Ich sehe seine Sichel (ganz abstrakt in einem Bild). Ich trete aus dem Schatten ins Licht (auf die erleuchtete Seite der Sichel). Da blendet mich die Sonne, es ist wie ein wirklicher Sonnenaufgang! Ich staune über den Wechsel von einem Bild zur Wirklichkeit.

 

 

In derselben Nacht bin ich in einem anderen Traum mit dem Fahrrad unterwegs. Ein grosser Hund taucht neben mir auf. Er fasst mich mit seiner Schnauze an der linken Hand. Er beisst nicht, es tut nicht weh. Aber ich habe Angst, dass ich ihn nicht mehr loswerde. Er hält mich fest. Er folgt mir und begleitet mich überallhin. Endlich kann ich mich zwischen Bögen verstecken.

 

Die Traumreise

Ich hatte den Traum vergessen. Am Morgen, als die Katze Mali kommt, erinnere ich mich, dass etwas war – ah ja, da war ein Traum! – Und jetzt erinnere ich mich daran wie an etwas Tiefes und Schönes. So ist es, wenn ich allein bin und Mali kommt. Ich spüre die zwischen-geschöpfliche Solidarität und die Einsamkeit fällt von mir ab.

Es ist „der Körper“, der mich begleitet, das Warme, das Geschöpfliche, in das Gott sein „Ja“ hineingesenkt hat. Der Schrecken hat seine Dämonen dort einquartiert, dass sie dort hausen, dass sie jeden Morgen von dort aufsteigen und mich schrecken. Aber älter ist die Erinnerung an die Engel, die dort wohnten.

Wenn die Dämonen ausziehen, taucht tief unten die Erinnerung an sie wieder auf, wie an etwas Schönes, an das man sich bewusst nicht erinnert, wenn man am Morgen aufwacht. Aber es begleitet einen mit dem Gefühl: Da war doch etwas? – etwas Tiefes und Schönes!

Zuerst erschrickt man, diese Hohen kennt man nur als Dämonen. So schrecken sie einen. Die Angst lebt noch in allen Knochen. Sie sitzt mir im Nacken. Plötzlich, mitten im Tag, bringt sie sich in Erinnerung und lässt die Hand, die schon erhoben war, in der Bewegung erstarren. Die Angst lähmt mich, ich werde klein und suche eine Höhle, wo ich mich verstecken kann. (Und der Gang meines Lebens, der schon anfing, einen schöneren Lauf zu nehmen, bricht wieder ab. Und auch diese Zeit fügt etwas zu der Sammlung von Bruchstücken bei, die mein Leben ausmachen.)

Aber es sind die Hohen. Sie zeigen es durch den Eindruck und Nach-Druck, den sie hinterlassen. War da nicht etwas Tiefes und Schönes?

 

 

Der Kopf erinnert sich an Angst und Hunde. Aber die Katze bringt es zur Erkenntnis: Es ist etwas wie eine tiefe Solidarität, die alles Lebendige verbindet. Sie ist vor aller Leistung, vor allem Bemühen, etwas darzustellen. Da ist etwas, aus dem ersten Ursprung, das alle verbindet, die da sind. Und es ist voller Wärme und Verbundenheit. Wer darauf hört, versteht die Bäume. Er lernt die Sprache der Tiere, und der Himmel spricht zu ihm. Ich aber fliehe noch vor ihnen. Halte sie für die alten Dämonen. Verstecke mich zwischen Bögen und Fahrrad-Ständern und hoffe, dass der Hund dort nicht hinkommt.

Wie können sie mich hervorlocken? – Sie versuchen es mit allen Mitteln. Und zwischendrin klappt es auch, ich fasse Vertrauen, komme hervor. Aber schon haben mich die alten Dämonen wieder am Wickel, ich „stürze ab“, bin meilenweit von ihnen entfernt. Ich sitze am Boden, die Bahn aber geht hoch am Himmel. Wie soll ich je wieder dort hinaufkommen? Ich bin verzweifelt und ich kann nur mir selber Schuld geben. Warum bin ich abgestürzt?

 

Die Bahn Apollos

Phaëton, so erzählt eine Sage der Antike, ist ein Halbgott, der Sohn des Sonnengottes Apollo und einer menschlichen Mutter. Als er herangewachsen ist, fragt er nach seiner Herkunft. Er will wissen, wer er ist und was sein Weg ist. Als er von Apollo hört, sucht er seinen Vater. Er will wie dieser den Sonnenwagen lenken.

Apollo sagt zu Phaëton: „Glaube doch, dass du mein Sohn bist und ich dir als Vater zugetan. Was willst du den Wagen lenken, was suchst du den Beweis, dass du aus meinem Geschlecht bist? Das kannst du nicht. Lass es genug sein an dieser Liebe, die ich zu dir spüre. Du bist mein Sohn! Du hast einen Vater, der zu dir steht und dich nicht vergisst. Er führt dich, und du wirst zu ihm kommen, eines Tages, dorthin, wo alle vereint sind. Es wird ein grosses Ankommen geben.

Darum darfst du aufstehen und gehen. Auf der Erde, die ich dir bestimmt habe. Und ich habe eine Grosse Liebe eingepflanzt allem was auf dieser Erde lebt. Du kannst es spüren. Es ist eine tiefe Solidarität, dass alles Leben sich zudienen muss. Unter allem Schein von Feindschaft und Gegnerschaft. Es ist der Weg, den ich bestimmt habe.

 

 

So geh jetzt in Gottes Namen. Nimm diese Erinnerung mit, dann hast du genug. Du brauchst nicht immer wieder Halt zu machen, umzukehren und zu suchen, als ob du alles verloren hättest. Ich sage dir, Amen, ich verlasse dich nicht, bis du an dem Ziel angekommen bist, das ich dir jetzt zugesagt habe.

 

Die Bahn der Venus

Ich habe den Weg falsch verstanden, wenn ich denke, meine Bahn wie die Sonne am Himmel ziehen zu müssen. Und wenn ich ihr wirklich folgen wollte: Sie geht auch ins Dunkle, in den Tod. Sie zieht durch die Unterwelt und erneuert die Schöpfung. Das ist Christus, der in diesem Bild gemalt ist.

Im Traum ist mir Venus als Bild gegeben. Meine Sichel ist schmal geworden, und doch ist genug da, dass ich ins Licht treten kann. Und der Morgen geht wieder auf, auch bei mir. Ich empfange mein Licht von der Sonne. Auch mein Lauf neigt sich ins Dunkle, aber er empfängt sein Licht und wird neu aufgehen am Himmel, erleuchtet von der Sonne.

Sie steht für die Liebe. Das ist mir zum Zeichen gegeben. Sie schenkt den Ariadnefaden, der den Weg weist aus der Unterwelt. Sie ist eingesenkt in alles, was da ist. Sie ist das Lebenselixier, das wahre Sakrament, das den Körper reinigt, die Dämonen austreibt. Christus ist von der Liebe bewegt, wenn er den Tempel reinigt. Sie wird spürbar in der tiefen Gemeinschaft, die alles Leben verbindet. Sie ist eingepflanzt in das Begehren der Menschen. Sie kommt zum wahren Verständnis, wo sie diese Erfahrung schenkt:

Am 16.4.07 habe ich dazu die Stichworte notiert: Erotik, Unschuld, Dasein dürfen – die Erlaubnis, auch für die Kinder, der Zuspruch. Auf den Fluss gehen und sich dem Fluss überlassen, sich tragen lassen. In Sonne und Licht. Unter Augen von freundlichen Menschen. In Kontakt mit der Mitte der Welt. Über Augen eintreten in einen Menschen, Verschmelzen der Seelen. Ermatten, froh und zufrieden. Mit der ganzen Welt, mit der ganzen Schöpfung befreundet sein. [74]

 

 

Das Sabbatical geht zu Ende

 

Am Ende kommt es zu einigen öffentlichen Formulierungen von dem, was ich erarbeitet habe, Vorträge über den „Lebensweg“ oder die „Körper-Spiritualität“, ein Gottesdienst über die „Busse“. Darin steckt so etwas wie eine Zusammenfassung des Sabbaticals. Für mich wichtig ist das Zusammenkommen mit Antonia.

 

Lebenswege…

 

Ambach, 28. Juli 2007 [75]

Wir kennen verschiedene Lebenswege. Gibt es auch „den“ Lebensweg? Gibt es einen Weg, der wie gebahnt ist, so dass wir ihm nachfolgen können. Eine Bahn, auf der wir ans Ziel gelangen?

Viele Religionen sprechen vom „Weg“, vom „do“, vom „Tao“, von der „Ma’at“, von der „Weisheit“. Sie berichten von einer Erfahrung, nach der nicht alles nur gemacht wird im Leben. Vieles ist Geschenk, manches fügt sich. Auf dem Weg wird man angeschlossen an einen Ursprung und findet zu Zielen, die man aus eigener Kraft nicht erreichen könnte. Man kann herabfallen vom Weg, aber auch auf ihn zurückfinden.

Die Antike kannte den „Weg der Seele“ und beschrieb verschiedene Stationen auf dieser Reise. Reste dieser Tradition finden sich (neben der Esoterik) auch in modernen psychologischen Schulen. Der Mensch, der sein Leben als sinnvoll erfahren und gestalten will, braucht ein Bild von seinem Weg und wie er sich einordnet ins grössere Ganze.

 

 

… Weg des Lebens?

 

Ambach, 9. Juli 2007 [76]

Gibt es hinter all den verschiedenen Lebenswegen so etwas wie einen Weg des Lebens, eine Spur durch das Gestrüpp? Einen Pfad, der ans Ziel führt? Das müsste etwas anderes sein als die Trampelpfade der Psyche: jenes Verhalten, das wir gelernt haben und das wir immer wieder abspulen, so dass wir immer wieder in derselben Falle landen.

 

Wege am Himmel

Woher kommt eigentlich die Sicherheit im Märchen, dass es am Ende gut heraus kommt? So fragt der Autor in einem Buch über Märchen. [77] Woher weiss das Märchen, dass das Gute siegt? Dass die Menschen, von denen da erzählt wird, nicht untergehen, sondern ans Ziel kommen? Es ist ja nicht so, dass das Märchen dem Dunkeln im Leben ausweichen würde. Der dunkle Wald gehört zum Märchen wie der böse Wolf. Und die Menschen, von denen da erzählt wird, gehen nicht immer nur auf der Sonnenseite. Im Gegenteil. Oft hat man Angst um diese Kinder. Sie geraten in einen Zauberwald, in den Bannkreis einer Hexe und werden in Stein verwandelt.

Und doch bleibt es bei diesem Dunkel nicht stehen. Das Märchen weiss mit schlafwandlerischer Sicherheit, dass der Weg nicht ins Leere führt. Am Ende steht oft eine Hochzeit. Am Ende siegt das Gute, die Gerechtigkeit. Die Wahrheit kommt an den Tag. Und selbst wer unter einem Bann stand und sein Leben schon für verloren hielt, wird erlöst. Das Märchen schildert das Leben des Menschen wie einen Weg, der gebahnt ist, auf dem es sinnvolle Schritte gibt – und nichts ist sinnlos, was ihm darauf geschieht. Auch das Unglück ist nicht umsonst. Und sogar, wenn einer am Anfang im Nachteil scheint, weil er der Kleinste ist oder der Dümmste – am Ende ist er es, die die Aufgabe löst.

 

 

Soweit die Märchen. Ich habe das als Einstieg gewählt, weil die Märchen eine Sprache haben, wie man über Dinge reden kann, die wir mehr ahnen als wissen. Es gibt Dinge, die wichtig sind im Leben, und trotzdem kann man nicht mit Fingern darauf zeigen.

Wir fragen uns: Gibt es ein „Ankommen“ auf dem Lebensweg? Hat das Leben einen Sinn? Wenn im Märchen ein Mensch in einen „Bann“ gerät, dann können wir uns einfühlen. Wir kennen das Gefühl, blockiert zu sein und aus einer Situation nicht weg zu kommen. Gibt es auch im Leben so etwas wie Erlösung, wo ein Bann sich löst, eine Lähmung von einem Menschen abfällt, eine Blockierung verschwindet, so dass das Leben sich freier entfalten kann? –

Kann man von einem Leben als Ganzes sagen, dass es gelungen ist? Und wie soll man es anstellen, da hin zu gelangen, da schon der Anfang, die Geburt, nicht in unserer Macht steht? Gibt es also hinter all den Lebenswegen, die so unterschiedlich sind bei den Menschen, so etwas wie einen Weg des Lebens, der allen gemeinsam ist? Gibt es einen Weg zum Ziel?

Ich will nicht nur in der Sprache der Märchen danach fragen. Wenn man von Weg redet oder von einer Bahn, dann kann man auch an einen Himmelskörper denken. Der kreist auf einer festen Bahn. Er weicht nicht davon ab, denken wir an die Sonne: Jeden Tag geht sie auf und unter. Wenn sie davon abweicht, ist das Leben gefährdet. Viele Märchen haben ihren Ursprung in Himmels-Beobachtungen. Auch die Sicherheit, dass es richtig herauskommt am Ende, stammt aus dieser Erfahrung mit den Himmelskörpern.

Die Menschen, die den Himmel beobachteten, haben schon in Urzeiten empfunden, dass es so etwas wie eine „Richtigkeit“ gibt in der Natur, einen richtigen Weg, auf dem das Leben gelingt. Und wenn man davon abweicht, geht es verloren.

Darum haben die alten Griechen einen Namen gehabt, mit dem sie die ganze Wirklichkeit bezeichneten: „Kosmos“. Das heisst wörtlich: Schmuck, Ordnung. Es ist eine grosse Schönheit und Ordnung in der Natur und in allem was da ist. Diese Ordnung ist allem eingestiftet. So entfaltet sich das Leben, es gilt im Himmel und auf der Erde.

 

 

Die Vorstellung, dass das Gesetz des Himmels auch auf der Erde gelten solle, zeigt sich bis in die Struktur des „Unser Vater“, wo wir beten: „Dein Wille geschehe – wie im Himmel, so auf Erden.“ Es gibt einen Weg, auf dem alles sich entfaltet. Er gilt im Himmel und lenkt die Sonne, und er gilt auf der Erde und soll uns Menschen leiten.

„Sogar die Zugvögel kennen ihren Weg“, heisst es in einem Text der Bibel. Sogar die Schwalbe weiss, woher sie kommt und wohin sie geht. Aber der Mensch hat es vergessen.

Gibt es wirklich so etwas für den Menschen: einen Weg, auf dem man gehen kann? So wie bei den Zugvögeln: Sie wissen nicht bewusst, wohin sie fliegen, und finden doch jedes Jahr ihren Weg? – Unser Gefühl sagt ja: Wir sind nicht endlos unterwegs, es gibt so was wie ein „Ankommen“. Wir sind nicht von uns aus auf dem Weg, da war etwas vor uns da. Es hat uns alles gegeben, was wir brauchen. Es ist, als ob es uns begleitet.

 

Wege im Leben

Gibt es also einen „Weg“? Die Frage klingt „altmodisch“; die moderne Welt redet nicht in diesem Stil. Allenfalls findet man Anklänge noch in der Entwicklungs-Psychologie. Diese entwirft einen Stufenweg, sie skizziert einen Weg, dem entlang sich ein Mensch entwickelt. So kennen wir den Weg, wie sich das Denken und Wahrnehmen beim Kind entwickeln (das ist die kognitive Entwicklung nach Piaget). Freud und die Psychoanalyse haben den Weg der sexuellen Entwicklung aufgeklärt. Erik Homburger Erikson hat das Schema von Freud erweitert. Er zeigt, dass die Entwicklung in der Pubertät nicht aufhört, sondern im Erwachsenenalter weitergeht bis ins hohe Alter. Er zeigt, dass der Mensch immer wieder neue Aufgaben bewältigen muss.

Stanislaw Grof hat den Weg nach hinten erweitert: Schon die Geschehnisse bei der Geburt beeinflussen den Menschen. Sie prägen sich dem Körpergedächtnis ein und beeinflussen die Art, wie er später in bestimmten Situationen reagiert. Nach Grof hat der Körper des Menschen auch eine Art Gedächtnis, die weit zurückreicht in die Geschichte der Menschwerdung und weiter in die Geschichte des ganzen Kosmos.

 

 

Diesen Gedanken kennen wir auch von C. G. Jung. Im Mutterleib wiederholt das ungeborene Kind die ganze Entwicklung der Menschwerdung. So sind in seiner Psyche auch Spuren dieser Entwicklung eingegraben, die sog. Archetypen. Es sind Symbole der Menschwerdung.

Hier finden wir – in einer psychologischen Sprache – den „Weg“ wieder, von dem wir sprachen. Der Weg des Menschen – so wird hier behauptet – ist in einer symbolischen Form im Innern jedes Menschen niedergelegt. Er ist wie eine Art „Autopilot“, der seine Entwicklung steuert. Es liegt nicht im Bewusstsein, sodass man sich daran einfach erinnern könnte. Man kann die Schritte dieses Wegs nicht einfach in die Agenda schreiben und dann Tag für Tag abarbeiten.

 

Traumwege am Übergang

Der Weg ist in einer eigenen Sprache notiert, ähnlich wie die Märchensprache. Es ist eine bildhafte Sprache, wie wir sie aus Träumen kennen. Wenn wir träumen, dann fühlen und erleben wir und wir handeln. Aber es ist nicht das bewusste Ich, das handelt. Es ist etwas in uns, das agiert. Aber es ist nicht weniger erfolgreich. Auch Geschehnisse, die wir bewusst gar nicht steuern könnten, sind von dort her angeleitet.

Das ist wichtig bei Übergängen im Leben, wenn unser Leben sich verändert. Da verändern sich oft so viele Dinge gleichzeitig, dass es für unser Gefühl ist, als ob das „Album des Lebens“ eine Seite umgeblättert hätte. Denn nachher, wenn wir darauf zurückschauen, sind ganz andere Bilder zu sehen. Andere Aufgaben standen vor uns. In den Träumen spürten wir, dass etwas Neues sich konstelliert. Mit dem Bewusstsein können wir solche Dinge nicht steuern, aber wir können es begleiten.

Da kommt jetzt die Religion ins Spiel. Immer wieder haben Menschen Rituale gefunden, die solche Übergänge verständlich machen. Die Rituale nehmen auf, was in inneren Symbolen schon im Menschen liegt, sie machen es bewusst. So können „äussere“ Sakramente tief ins Innere wirken. Sie können blockierte oder verschüttet Wege öffnen. Sie können Vertrauen schenken, wenn die Angst den Übertritt erschwert. Sie können Schritte ermutigen.

 

 

Sie helfen dem Menschen auf seinem Weg. Die Religion spricht von Gott. Er hat diesen Weg eröffnet, er ist auf ihm vorausgegangen. So kann der Gläubige den Weg bewusst gehen, als Nachfolge auf diesem Weg.

 

„Seelenreise“

  1. G. Jung hat seine Symbole nicht nur aus der Traumforschung gewonnen, sondern auch aus seiner Beschäftigung mit alten Religionen. In der altägyptischen Feier vom Weg der Sonne fand er das Konzept der „Seelenreise“ (ein in der Antike verbreitetes Bild vom Weg des Menschen). Die Seele geht auf einem Weg vom Ursprung bis ins Ziel. In antiken Religionen fand er das in einer kultivierten Form vor: In den Feiern dieser Religionen wird der Weg Gottes nachgezeichnet. Die Teilnehmer des Gottesdienstes schauen und hören vom Weg. Sie sehen, woher ihr Leben stammt, wohin es unterwegs ist und was ihnen auf dem Weg begegnet. In der Mitte begegnet Gott auch ihnen.

In der Initiationsfeier, durch die die Menschen in die feiernde Gemeinde aufgenommen werden, begegnen sie Gott. Er sagt ihnen seine Hilfe und Begleitung zu. Sie sollen nicht verloren gehen, sie gehörten dazu. Gott ruft sie auf seinen Weg, sie sollen ihm nachfolgen. Er gibt ihnen Kraft dazu: sie erhalten Gemeinschaft an Gott durch ein gemeinsames Mahl. Sie lernten sich anschliessen an die Quelle, aus der alles Leben kommt. Sie müssen nicht mehr kämpfen, wo kämpfen nichts bringt, sie dürfen sich an einen Tisch setzen und teilhaben an etwas Grossem. Danach kehren sie in den Alltag zurück, aber jetzt neu, mit neuer Kraft und Ausrichtung.

 

„Nachfolgen“

Leben ist jetzt Nachfolge auf einem göttlichen Weg. Wer darauf geht, der ist angeschlossen an den Ursprung, er geht nicht verloren. Er hat Zugang zur Quelle, er findet immer neue Kraft.

Er ist auf einem Weg, auf dem er eigene Schritte machen muss, und doch findet er zu einem Ziel, zu dem er aus eigener Kraft nie gelangen könnte. So findet er zu einem Ziel, wo es ein Ankommen gibt und wo die tiefsten Intuitionen wahr werden.

 

 

Und er kann sich mit seinem Leben versöhnen, er kann den Ort annehmen, wo er steht, und sich auf den neuen Weg machen. So findet er Frieden in sich und kann tun, was er soll.

Auch die Anhänger von Jesus Christus, als sie ihre Erfahrungen mit ihm weitergeben wollten, haben das in einer solchen Feier getan. In der Taufe geschieht die Initiation, die Aufnahme auf den Weg. Im Abendmahl erfährt der Glaubende Gemeinschaft mit Gott. Der Gottesdienst feiert die Gegenwart Gottes unter den Menschen.

Im Christentum können wir auch sehen, wie sich das Wissen um einen solchen Weg entfaltet. Die Bibel fasst die Erfahrungen von vielen Generationen zusammen. Sie erzählt, was sie erlebt haben auf dem Weg und wie sie leben. Die Ethik ist zusammengefasst in der „goldenen Regel“: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!“ Aber das Zentrum ist nicht die Ethik, am Anfang steht der Glaube, das Vertrauen, aus dem wir leben. Das ist die Beziehung zu dem, der von Gott her kommt, der uns sucht.

Es ist wie bei der Begegnung von Christus mit dem Blinden vor Jericho. Er bückt sich zu uns nieder und fragt: „Was willst du, dass ich Dir tue?“ Er heilt uns („dir geschehe, wie du geglaubt hast“). Und er führt uns auf dem Weg. Er selbst ist der Weg. Er kommt uns entgegen und begleitet uns bis ins Ziel.

 

 

„Du liebst alles, was ist.“

 

Ambach, 20. August 2007

Ich danke Gott in Gebeten, ich danke laut in den Gottesdiensten, die ich jetzt vorbereite. Ich bin ein Stück weit angekommen. Die ganze Familie ist weitergekommen. Wir spüren es an allen Ecken und Enden.

Antonia und ich sind wieder zusammen. Vieles ist gut gekommen, vieles hat einen guten Verlauf genommen. Auch wenn ich fast nicht mehr daran geglaubt habe. Es war schön vorgestern. Wir lagen noch lange beieinander, hielten uns umfasst und horchten der Musik nach, die in uns angerührt worden war.

 

 

Ich muss in dieser Zeit Andachten und Gottesdienste für Bettag und Erntedank vorbereiten. Ich habe den Text hervorgeholt, den ich am letzten Sylvester in der Bibel angetippt hatte. Er ist zum Motto geworden für dieses Jahr:

„Dadurch überzeugst Du unsere Feinde, dass Du es bist, der aus allem Übel erlöst.“

 

 

Wieder ins Reine kommen

 

Nein, sein Leben verdiente es nicht mehr, Leben zu heissen, auch wenn andere ihn für reich und glücklich hielten. Die Unschuld, mit der man am Morgen aufsteht und den Tag beginnt, hatte er verloren.

Die Unbefangenheit, mit der man der Zukunft ins Auge blickt, war vorbei. Die Spontaneität, mit der man andern Menschen begegnet und ihnen das Beste zutraut, die hatte er schon lange verloren.

 

Ambach, 20. August 2007 [78]

Im Herbst beginnt wieder die Wanderzeit. Viele zieht es in die Berge. Es ist ein schöner Moment, wenn man nach einem anstrengenden Aufstieg oben angekommen ist. Jetzt hat man es geschafft. Von jetzt an geht es nur noch geradeaus, und man geniesst den Blick, der weit in die Runde geht. Auch das Leben kennt eine solche Aufstiegszeit. Man erlernt einen Beruf, geht Beziehungen ein, löst sich vom Elternhaus und stellt sich auf eigene Beine. Irgendwann hat man es „geschafft“, man weiss, wie es läuft, hat einen Weg gefunden.

 

Der innere Weg

Auch innerlich macht man einen Weg in diese Zeit. Die Erfahrungen in der Beziehung zeigen, wo man steht. Die Erfahrungen im Beruf konfrontieren mit den eigenen Grenzen. Auch im Innern wird viel Arbeit geleistet in den „Aufstiegsjahren“. Altes, das man hinter sich glaubte, taucht wieder auf.

 

 

Frühere Erfahrungen im Leben helfen bei der Bewältigung des Neuen. Sie können sich aber auch wie Fesseln um die Beine legen, wenn verletzende Erfahrungen damit verbunden sind. Viel Versöhnungsarbeit ist zu leisten in diesen Jahren, und so reift man auch innerlich in dieser Zeit. Nach vielen Rückschlägen findet man einen Weg. Und schliesslich ist auch dieser Aufstieg geschafft, und der Blick geht weit in die Runde.

Aber wie das Wetter umschlägt, kann auch diese innere Ruhe verloren gehen. Ein Sturm kann aufziehen, Wolken, die den Horizont verhängen, Stürme, die einen bis in die Seele erschrecken. Und der Weg, auf dem man so sicher vorangeschritten ist – man hat ihn verloren. Nichts mehr scheint zu gelingen. Man fühlt sich verstrickt in Mechanismen, die man nicht kontrollieren kann. Und oft muss man sich selber die Schuld geben an dem, was geschehen ist.

Wie gern würde man da einen neuen Anfang machen, ohne die Zentnerlast der Vorwürfe an sich selbst, ohne das bittere Gefühl, es aus eigener Schuld verdorben zu haben. Es gibt Momente, wo man nicht mehr hofft, dass es noch gut wird mit dem eigenen Leben.

Man möchte wieder ins Reine kommen. Das ist auch der Sinn des Bettags, den wir am 16. September feiern. Menschen haben immer schon Wege gefunden, wie sie auf den guten Weg zurückfinden. Der Wanderer, der sich verirrt hat, schaut in die Karte. Und notfalls kehrt er um und geht ein Stück zurück, bevor er es mit einem anderen Weg versucht. In der Politik sind es Wahlen, die einen Neuanfang markieren. Das Rechtsleben ist voll von Verfahren, wie Verstösse wieder gut gemacht werden können.

Aber auch mit sich selbst möchte man ins Reine kommen. Das Gewissen klagt an, auch hier erwartet man Bestrafung, und sehnt sich manchmal vielleicht sogar danach, wenn nachher nur wieder alles gut ist. Im Lauf der Geschichte haben Menschen viele Formen entwickelt, die es ihnen erlauben sollen, wieder ins Reine zu kommen. Oft sind sie verbunden mit einer Selbstminderung, einer Selbst-Bestrafung, dass man sich selbst eine Busse auferlegt. Im Mittelalter zogen Geissler-Züge durch die Städte, andere rutschten auf Knien auf einem Pilgerweg, in den Klöstern kasteite man das Fleisch, um den sündigen Leib abzutöten.

 

 

Unbegreifliche Güte

Viele Buss-Wege wurden beschritten, auch solche, die ins Abartige kippen und die nur verständlich sind aus einer zutiefst verängstigten Seele. Im Lauf der Religionsgeschichte wurden sie geläutert. Gott, so wurde begriffen, ist kein Moloch, der Kinderopfer verlangt, kein Dämon, der die Menschen quält. Er ist ein gütiger Gott. Er verachtet nichts, was er geschaffen hat, wie schon ein Text aus dem Alten Testament sagt:

 

„Du liebst alles, was ist. Du verabscheust nichts von dem, was Du gemacht hast; denn Du hast ja nichts bereitet, gegen das Du Hass gehabt hättest.

 

Wie könnte etwas bleiben, wenn Du nicht wolltest?

Du schonst alles; denn es gehört Dir, Herr, Du Freund des Lebens.

 

Darum bestrafst du die, die fallen, nur leicht und warnst sie, indem Du sie an ihren falschen Weg erinnerst. So kommen sie von ihrer Verdrehtheit los und lernen auf Dich vertrauen.

 

Dein Volk aber lehrst Du auf solche Weise, dass der Gerechte menschenfreundlich sein soll. Wer sich zu Dir hinwendet, der wird errettet durch Dich, den Heiland aller Menschen.

 

Dadurch überzeugst Du unsere Feinde, dass Du es bist, der aus allem Übel erlöst.“

 

(Weisheit Salomos 11, 24ff)

 

 

So kann sich der mit sich entzweite Mensch wieder versöhnen. Er muss vor Scham nicht mehr in den Boden sinken, Angst muss ihn nicht mehr lähmen, Schuld nicht mehr am Sinn des Lebens verzweifeln lassen. Er wird zu einem neuen Leben befreit, einem neuen Anfang.

 

 

Mit dem Knie glauben

 

Das ist ein sehr persönliches Thema: „Körper und Spiritualität“. Denn konkret wird es erst, wenn man sich der Realität seines Lebens stellt. Der Körper trägt in sich eine Erinnerung an die ganze Lebensgeschichte. Er erinnert uns mit seinen Empfindungen daran. Er mahnt uns damit auf eine unaufdringliche aber doch hartnäckige Art, unser Leben durchzuarbeiten.

 

Ambach, im Mai 2008 [79]

Kann man mit dem Knie glauben? Die Frage scheint absurd. Umgekehrt ist es aber so, dass der Unglaube durchaus im Körper sitzt. Der Schreck ist mir in die Glieder gefahren sagt man, oder die Angst sitzt mir im Nacken. Das Herz setzt aus, die Glieder sind wie gelähmt.

Nicht glauben können, die Unfähigkeit zum Vertrauen, die Verzweiflung – das sitzt auch im Körper, in den Muskeln, die verspannt sind, im Atem, der stockt, das sitzt in den Knochen. Und von dort her prägt es immer wieder unsere Gefühle und unser Verhalten. So stellt sich wirklich die Frage: Kann ich mit dem Knie glauben lernen? Kann ich dem Nacken das Evangelium verkünden, dass die Angst dort loslässt?

Der Körper speichert Erfahrungen aus der Lebensgeschichte. Und er speichert auch die Reaktionen, die wir in bestimmten Momenten gefunden haben. So muss nur eine bestimmte Frage an uns herantreten, eine bestimmte Situation, und schon spulen diese Reaktionsmechanismen ab. Und wir selber kommen zu spät, wenn wir bewusst darauf reagieren wollen.

Das beginnt schon am morgen früh, wenn wir aufwachen. Im Kopf haben wir vielleicht schon lange zum Glauben gefunden, aber der Körper speichert noch die alten Erfahrungen. Und bevor wir bewusst den Tag anfangen, mit Bibellektüre, oder was zu unserem persönlichen spirituellen Leben gehört, steigen die alten Gefühle schon aus dem Körper auf und bestimmen die Haltung, wie wir in den Tag gehen.

 

 

Diese Gefühle sind von Mensch zu Mensch verschieden. Ein glücklicher Mensch wird mit Gefühlen der Bejahung aufwachen. Es gibt andere, die so etwas wie ein „Nein“ in sich tragen. Sie fühlen sich schon abgelehnt, bevor sie den Tag beginnen und dem ersten Menschen begegnen.

 

Darum ist das auch ein sehr persönliches Thema: „Körper und Spiritualität“. Denn konkret wird es erst, wenn man sich der Realität seines Lebens stellt. Der Körper trägt in sich eine Erinnerung an die ganze Lebensgeschichte. Er erinnert uns mit seinen Empfindungen daran. Er mahnt uns damit auf eine unaufdringliche aber doch hartnäckige Art, unser Leben durchzuarbeiten. Denn wenn wir es nicht tun, stolpern wir immer wieder über die gleichen Erfahrungen. Es ist wie im Dunkeln durch einen Keller gehen: wenn man den Keller nicht aufgeräumt hat, stösst man sich bei jedem Schritt.

Den Keller aufräumen, das Leben durcharbeiten – man könnte auch sagen: missionieren. Zwar ist unsre Landesgegend in der späten Antike durch das Christentum missioniert worden, aber manchmal denke ich, das Christentum ist noch nicht ganz bis zu mir gekommen. Mit dem Kopf habe ich es schon aufgenommen. Aber mit dem Körper noch nicht. Und es entsteht das Bild einer Mission, die auch durch den Körper geht. Damit ich später auch mit dem Knie glauben kann; und der Nacken mir nicht immer wieder Streiche spielt. Dass der Körper mit seinen Erfahrungen mich unterstützt im Glauben, statt mich immer wieder auf andere Bahnen zu bringen.

„Christus kam nur bis Eboli“. So heisst ein Buch, das beschreibt, wie das Evangelium nach Italien kam, aber es hat noch nicht alle Provinzen erlöst, so dass die Menschen dort immer noch in Dunkelheit und Verzweiflung leben. Auch bei mir gibt es noch heidnische Gebiete. Mit dem Kopf habe ich schon vom Evangelium gehört. Aber mit dem Knie bin ich noch ein Heide.

 

 

Der Körper als Gegenspieler

Der Körper verfügt über autonome Reaktionsweisen, die in früher Kindheit gelernt werden. Z.B. versucht ein Mensch bei einer verletzenden Erfahrung den Schmerz abzuwenden, er versteift die Muskeln, atmet flach. Es ist fast eine Art Totstellreflex.

Das wird zu einem Angstabwehr-Verhalten, das später selbsttätig abläuft und sich bei einem bestimmten Reiz reaktiv einklinkt. Die bewusste Verhaltenssteuerung kommt hier immer schon zu spät.

Das macht das Demütigende solcher Erfahrungen aus, dass man sich als unfrei erlebt, als ohnmächtig, wie ausgeliefert einem dunklen Schicksal, das aber nicht über einem lauert, sondern das man wie einen Kern in sich selber trägt.

Und man hat das Gefühl, dass man im Leben immer wieder in dieselbe Falle trampelt. Mit der Zeit kann man an seinem Leben verzweifeln, und ob man es noch zu einem guten Ende bringt.

Vielleicht kennt Ihr auch solche Erlebnisse, wo die alten Erfahrungen im Leben sich immer wieder durchsetzen, es scheint kein Kraut dagegen gewachsen. Und man möchte mit Paulus sagen: das, was ich will, das tue ich nicht, aber das, was ich nicht will, das tue ich. (Römerbrief). …

 

Der Körper als Helfer

Auf der anderen Seite gibt es andere Erfahrungen, wo der Körper nicht ein Gegenspieler ist, sondern ein Helfer. Vielleicht habt Ihr es schon erlebt, dass ihr euch in einer schwierigen Phase eures Lebens an eine andere Zeit in eurem Leben erinnert habt. Es war eine Zeit des Aufbruchs, viele Fragen haben sich damals geklärt, viele „Knöpfe“ sind aufgegangen, und ihr habt das Leben frei gestaltet. Es hat sich nach vielen Seiten hin entfaltet.

Wenn ihr euch an diese Zeit erinnert, dann steigen auch die Gefühle auf, die dazugehören, die Haltung, die ihr gefunden habt. Ihr spürt, wie sich das angefühlt hat, auf diese Weise durchs Leben zu gehen. Und dieser Erinnerung hilft euch auch jetzt, in eurer neuen Situation:

 

 

Ihr könnt die Kompetenzen von damals „abrufen“, nicht nur das kognitive Know-How, sondern auch die Art, wie man auftritt, das nonverbale Drumherum, wie man auf andere Menschen zugeht… Und es funktioniert: Auch später, in einer Phase, wo es euch nicht so gut geht, könnte ihr euch verhalten wie damals, als eine gute Zeit war in eurem Leben!

Die meisten Menschen kennen das aus ihrem Leben. Und die meisten Pfarrer nutzen das auch in der Altersarbeit: dass man mit den Menschen zu bestimmten biographischen Erfahrungen zurückgeht, wie zu einer Quelle, und dort an der Tankstelle die Energie zapft, die sie heute brauchen für ihren Weg.

Wir sehen, der Körper hat ein eigenes Gedächtnis. Dieses ist mitbeteiligt an der Art, wie wir Situationen wahrnehmen und wie wir reagieren. Es bestimmt, wie wir uns selber als Person empfinden und wie wir in die Welt hinausschauen: So kann aus dem Totstellreflex, mit dem wir eine traumatische Erfahrung überstanden haben, ein Gefühl von Lähmung, Ohnmacht und Depression aufsteigen.

Und aus der Erinnerung an eine glückliche Phase fliessen uns Quellen zu, von denen wir gar nichts wussten.

 

Eine neue Feier der Sakramente

Damit wäre auch schon ein Programm skizziert: Es ist die Frage, wie wir negative Prägungen aufheben oder um-modeln können. Und wie wir vermehrt solche Tankstellen in uns verankern.

Damit ist auch die Frage der Sakramente angesprochen. Diese können uns auf dem Glaubensweg helfen, weil sie eine sinnliche Dimension enthalten. Alles Sinnliche, das eine Erfahrung begleitet, hilft, das Erfahrene im Körpergedächtnis abzuspeichern. Hier wird also das Körpergedächtnis als Hilfe eingesetzt. Es kann später wieder angezapft werden wie eine Quelle. Mit der Erinnerung werden auch die Haltungen wieder verfügbar und die Handlungsweisen, die diese erschliessen.

 

 

(Diese sinnliche Dimension des Sakraments wurde früher bewusst eingesetzt, um das Körper-Gedächtnis im Sinn des Glaubens zu prägen. Wenn in der Antike ein Adept in einen Kult eingeführt wurde, so wurde die Initiation so gestaltet, dass sie sich der Erfahrung möglichst einprägte. Der neue Glaubensgenosse wurde durch gewissermassen „geimpft“, und das half ihm später auf dem praktischen Lebensweg, gemäss seinem Glauben auch zu leben.)

 

Zum historischen Hintergrund dieser Fragen

Dass wir im Glauben, in der praktischen Frömmigkeit nicht am Körper vorbei kommen, das ist nichts Neues. Die Glaubenspraxis hat hier vieles aufgenommen, was in der Therapiebewegung der letzten Jahrzehnte erarbeitet wurde.

Schon bald nach Freud gab es Therapeuten, die seine Analyse als „Rede-Kur“ verstanden und nach wirkungsvolleren Mechanismen suchten, auf die Seele einzuwirken. So entstand die Körpertherapie (Reich, Lowen…). Heute werden diese Erkenntnisse in der Sprache der Neurobiologie formuliert. [80]

In den 80er Jahren gab es in der philosophischen Ethik eine analoge Diskussion. Auch dort war man unzufrieden mit einem Ansatz, der nur über den Intellekt auf das Verhalten der Menschen zugreifen wollte. Der Vernunft wurde nicht zugetraut, das Verhalten zu bestimmen. Beispiele aus der Geschichte liessen ausserdem skeptisch werden gegen den Rigorismus einer Vernunftethik. So suchte man den Zugang über Institutionen, die sich nicht nur mit Normen an den Intellekt richten, sondern diese Werte bereits verkörpern. Damit können diese der neuen Generation auf eine Weise vermittelt werden, damit diese auch „können, wie sie sollen“. [81]

 

 

Sakramente

Was helfen Sakramente? – Ich fange hinten an. (Nicht bei einer Sakramenten-Lehre. Als Pfarrer sind wir vielleicht ein Stück weit verbildet, weil wir immer wieder von der Antwort her feiern und kaum dazu kommen, den Weg selber zu finden.)

Wir Menschen kennen die Empfindung – es ist uns vielleicht nicht immer bewusst, aber im Lauf des Lebens taucht es wie eine Ahnung in uns auf: dass es so etwas wie eine Quelle gibt, wo wir uns anschliessen können. Wo das Leben herkommt, wo wir Kraft schöpfen können.

Wir spüren, gewisse Dinge können wir uns nicht erkämpfen, wir können sie uns nur schenken lassen. Und es gibt auch den Moment, wo wir uns wie leer fühlen, wir können uns anstrengen wie wir wollen, es kommt nichts mehr. Es ist, als ob wir immerzu in einem leeren Kübel kratzten, aber es ist einfach nichts mehr drin.

Da hilft es nichts, sich noch mehr anzustrengen – das ist Kratzen im leeren Kübel. Da gibt es nichts, was wir erkämpfen können. Viel eher hilft uns hier ein anderes Bild, was wir tun können: Es ist, wie wenn wir uns an einen Tisch setzen und teilnehmen. Wenn wir Teil haben an einem Geschehen, uns anschliessen an eine Quelle, angeschlossen sind an ein Grosses, Ganzes, das nicht aus uns kommt, aber wir aus ihm.

Ich denke, in solchen Erfahrungen spüren wir etwas von dem, was das Abendmahl meint. Hier will ich aber nicht weiter dozieren. Schöner fände ich es, mit euch auf einem Suchweg zu sein. Am allerschönsten, aber das kann man nicht erzwingen, wenn wir uns gegenseitig erzählen wollten, wie es uns geht dabei. Welchen Zugang haben wir zu den Sakramenten? Wie ist es verknüpft mit unserem Leben? Das liegt jetzt an uns allen.

 

 

«Säb Land» – was ist jetzt mit dem Paradies?

 

„Säb Land“ – so hiess das Traumland von Antonia, wenn sie als Kind zusammen mit ihrem kleinen Bruder von einer Welt schwärmte, wo alles anders ist und wo die schönsten Träume in Erfüllung gehen. Und als der kleine Bruder sie drängte, sie solle ihm dieses Land jetzt endlich zeigen, da konnte sie ihn nicht mehr länger hinhalten. Aber herzaubern konnte sie es auch nicht.

So ging sie mit ihm dreimal um den Tisch. Dann machte sie die Türe zu, die immer offen gestanden hatte, und wies auf die Ecke hinter der Tür. Diese Ecke hatte man bisher nie angesehen. (Man war da höchstens mal hingelangt, wenn man Verstecken spielte. Und die Atmosphäre hinter diesem Türflügel war noch geladen von jenem Wunsch, in diesem Dunkel versteckt und geborgen zu sein, und von der Angst, in diesem vergessenen Winkel vielleicht gar nicht gefunden zu werden und jetzt für immer da bleiben zu müssen). „Da!“, sagte sie, „da isch säb Land!“ –

Der kleine Bruder sperrte den Mund auf – vor Staunen und Enttäuschung. Dann ging er mit Fäusten auf sie los. Wo waren die Rutschbahnen, wo man fahren konnte und es hörte nicht auf? Wo die Buden mit den Süssigkeiten?! Sie wusste sich nicht zu helfen und musste seine Wut ertragen.

 

Jenes Land für Erwachsene

Heute, wenn sie die Anekdote erzählt, denkt sie, dass man „jenes Land“ hier so gut finden kann wie irgendwo. Das Dämmerdunkel regt die Phantasie an. Wunschbilder und Angstphantasien steigen auf, wie man es ja schon beim Versteckspiel erlebt, wodurch gerade der Winkel hinter der Tür zu einem geheimnisvollen Ort wird. Als Erwachsene würde sie aber fragen: wie man es hervorholt, wie man es macht, dass man das als Erwachsener erleben kann, mitten in dem Alltag, in dem man manchmal verloren geht.

 

 

Es ist nicht anders als mit dem „Reich Gottes“. Das ist die erwachsen gewordene Variante des Schlaraffenlandes. Da sind die Bilder des Glücks nicht mehr nur Antworten auf den Hunger, nicht mehr nur Kompensation des Leids. Da ist viel Annehmen dabei, viel Versöhnen mit Widerständigem, viel Demut, die gelernt hat, Grenzen anzunehmen, statt sich diese in Demütigungen von aussen aufzwingen zu lassen. Da ist ein grosser Blick dabei, der auch das „andere“ ansieht, das was uns begegnet, wenn wir an der Grenze stehen. Und da ist ein neues Selbstbild, das sich aus diesem Grösseren versteht.

 

 

 

Rückblick

 

Ein Pfarrer sucht seine Lebendigkeit. 2007 habe ich ein Sabbatical: fünf Monate freie Zeit! Und die Fragen kommen jetzt von innen, sie werden nicht mehr vom Alltag gestellt. Ich bin auf eine Insel gespült und darf sie erkunden. – „Säb Land“, das sagenhafte Land, in dem Wünsche wahr werden!

 

Das Buch als Erlebnisreise

Ich folge dem Erlebnisweg dieses Sabbaticals, von dem hier erzählt wird. Das ist spannender als eine abstrakte Zusammenfassung: als innere Reise durch das ganze Buch. Das ist nicht nur Erlebnis-Sprache, da ist auch Überlegung dabei. Aber das Empfinden überwiegt, so dass ich mich beim Lesen wieder identifizieren kann: Doch, so habe ich es erlebt!

Im Folgenden einige Zitate aus dem Buch. Sie fügen sich assoziativ aneinander und schlagen einen Weg durch das Dickicht, auf dem das Ganze sich durchwandern lässt:

 

„Säb Land“ – eine Vision

Das Dämmerdunkel regt die Phantasie an. Wunschbilder und Angstphantasien steigen auf, wie man es ja schon beim Versteckspiel erlebt, wodurch gerade der Winkel hinter der Tür zu einem geheimnisvollen Ort wird.

Als Erwachsene würde sie aber fragen: wie man es hervorholt, wie man es macht, dass man das als Erwachsener erleben kann, mitten in dem Alltag, in dem man manchmal verloren geht.

 

Was ich mir vornehme und nicht vornehmen kann

Wenn ich mein Leben übersehen will, beginne ich besser wohl nicht bei dem, was ich in der Hand habe, sondern bei dem, was ich nicht in der Hand habe, was mich in der Hand hat.

Ich wolle die „Erotik erproben“, habe ich geschrieben. Klingt seltsam in dieser Planungs-Sprache. Es gehört zu den Dingen, die ich nicht in Hand habe.

 

 

Realität

Also noch einmal: Aufstand aller schlechten Gefühle und Projektionen. Ich kann beim Gedanken, dass alles immer neu entsteht, heulendes Elend kriegen.

 

Suche

Ich möchte mir schon jetzt ein Bild aufstellen, wie ich leben will, wie ein rechtes Leben für mich aussähe und das befolgen. Besuche gehören dazu. Unbefangenheit gehört dazu (sie fiele mir leichter an einem anderen Ort, wo ich nicht dauernd über das Alte stolperte). Neugier gehört dazu und Lebensfreude.

Ich will suchen, ohne in eine lebensfeindliche Frömmigkeit abzudriften, wie mir das früher manchmal geschah. Eine enthusiastische Karwochen-Stimmung, die das eigene Leben opfert – das verhält nicht, weil der Mensch, der sich da verschenkt, sich gar nie zu eigen hatte.

 

Gott weiss, dass sie nicht können, wie sie sollen, und begegnet ihnen in Gnade. Darum geschieht Erlösung. Davon kann nicht mehr moralisch-ethisch gesprochen werden; darum die mythologische Sprache von der Höllenfahrt.

 

Gibt es den geraden Weg – ohne Rückfall und Busse?

Das ist keine innere Versöhnung der Gegensätze, sondern nur das zyklische Geschehen von Absturz und Rückkehr, von Verfehlung und Vergebung, von Getrieben-Sein und Sich-Beherrschen-Wollen, von Trieb und Vernunft. Es ist das Buss-Drama vom Herausfallen aus dem Gnadenstand und Rückkehr durch das Buss-Sakrament. Das erfordert die Kirche und ihre Gnadenmacht.

 

Es ist aber die Frage, ob eine Integration auch wirklich gelingt, und das innerweltlich, in nützlicher Frist. Gibt es die nicht-gespaltene Existenz? Das erlöste Leben? Lässt sich Eros und was damit zusammenhängt im individuellen und gesellschaftlichen Leben so gestalten, dass es in Harmonie mit allen anderen Daseins-Bestimmungen gelebt werden kann?

 

 

Gibt es auch eine religiöse Bejahung des Eros? – Die Reformation akzeptiert die Säkularisation, sie hebt das Sakrament der Ehe auf, erklärt sie zu einem „weltlichen Ding“. Sie lässt Scheidung und Zweit-Ehe zu. Sexualität wird „kanalisiert“ in der Institution der Ehe.

Eine wirkliche Versöhnung und Integration ist das nicht. In der kirchlichen Seelsorge begegnet es als Zyklus aus Durchbruch und Vergebung (Busse). Erfahren wird es als ein quasi naturwüchsiges Geschehen, als Krise mit zwanghaften Verhaltens-Schlaufen, die an eine Sucht erinnern.

 

Hier gibt es keine Tempel-Prostitution wie in der Antike, keine Tantra-Spiritualität wie im Hinduismus. – Sind das denn Wege? In der christlichen Tradition geht es um die Liebes-Beziehung zu Gott. Die endgültige Vereinigung erfüllt die Sehnsucht und hebt den Körper als Medium auf. – Der Körper kann gar nicht Medium der Gottes-Erfahrung sein. – Stimmt das?

 

Im Wirklichkeits-Modell des Alten und Neuen Testamentes (im Unterschied zu den Kulturen des Alten Orients) geht Gott nicht in die Schöpfung ein. Er ist wohl ihr Urheber, aber er bleibt von ihr geschieden. Sie ist aber eine „gute“ Schöpfung (anders als in neuplatonischen Sekten, die einen unheilbaren Graben zwischen Mensch und Welt aufreissen, wo Askese, Entsagung, „Abtötung des Fleisches“ heilsnotwendig werden. Da ist der Mensch mit sich entzweit, solange er in der Welt lebt. – Diese „Körperfeindlichkeit“ gibt es nicht in der Hauptströmung des Christentums. Aber es gibt auch nicht eine „Körperseligkeit“.)

 

Könnte Eros gar ein Heilsweg sein?

Eine über den Körper vermittelte Vereinigung mit Gott ist hier kaum denkbar, auch wenn Jesus Christus als Schöpfungsmittler allgegenwärtig gedacht wird. – Es geht mir aber zu schnell, wenn ich die körperliche Welt überspringen soll, weil Gott sowieso nur im Absoluten zu erfahren sei. Er hat Spuren des Guten hinterlassen.

 

 

Und wenn es eine gute Schöpfung ist, kann der blosse Eros einen nicht in derart grosse Konflikte reissen, dass man am Heil verzweifeln müsste. Und meine Konflikte sind dann vielleicht zu verstehen als Überreste asketischer Traditionen. Als Folgen von Nebenströmungen des Christentums, die es eben auch gab. Wo die Sexualität verpönt ist.

 

Der Weg in die Angst – ein mythologischer Weg und ein realer Weg

Dafür habe ich mich doch schon entschieden, schon in jener alten Zeit: Dass ich das suchen möchte. Dass ich dem nachgehen möchte. Und es hatte nicht das Versprechen bei sich, dass es mich zu Ruhm und Ehren bringen wird. Es war nichts als Neugier, es war nichts als Risiko, es war nichts als die Lust, in das hineinzugehen, was mir Angst macht. Es war haargenau das, was ich jetzt erlebe. Soll ich jetzt davonlaufen?

 

Ich habe ja Hilfe gefunden. Ich bin ins Labyrinth gestiegen, und siehe, er hat mir den Ariadnefaden in die Hand gegeben. Da ist die Liebe, die mich rettet. Jetzt geh ich auch bis ins Zentrum, und begegne dem, was mich schreckt, was mich ein Leben lang verfolgt. Und ich finde meine Ruhe dort, sei es, dass es mich frisst oder dass etwas Unerwartetes geschieht, was ich mir jetzt noch nicht vorstellen kann.

 

Wie ich die Welt meinen Kindern vermittle

Ich erlebte, wie die Kinder sich entwickeln in dieser Welt, wo man sich nie etwas erlauben darf, wo man immer mit schlechtem Gewissen lebt und jede Äusserung von Leben, Lust und Freude unterdrückt, weil sonst jemand mit dem Stecken draufschlägt.

 

Die Lebensfreude, die Erlaubnis, das blosse Dasein, das fehlt mir noch, weil ich immer wieder in den Drecktümpel eingetaucht werde. Dazu gehört dann auch die Erotik, die Freude am Leben. Das Leben, das sich rühren und zeigen darf. Das sich in Unbefangenheit bewegen darf, nicht stille stehen wie ein Käfer, auf den ein Schatten fällt und der sich totstellt, bis der vermutete Feind wieder weg ist.

 

 

Dazu gehört Unschuld – nicht wie sie sich einstellt nach Vergebung. Sondern als neue Naivität, als neuer Vertrauens-Mut, als neue Harmlosigkeit, weil sie allen Harm hinter sich gelassen hat. Weil sie wieder lernt, sich anzuvertrauen. Unschuld, die das Trauma hinter sich gelassen hat und noch einmal ja sagt: Ja, ich will den Weg des Menschen gehen. Ich will den „Rest des Lebens“ nicht verbringen hinter Barrikaden und mich schützen vor dem, was einmal war. (Das Leben lässt sich nicht aufteilen in Hauptsache und Rest. Es ist eine Hauptsache, so lange es dauert.)

 

Busse – die „zweite Unschuld“ ist besser als gar keine

Vor einigen Tagen stieg beim Aufwachen ein Satz in mir auf: „Lieber Gott, mach mich rein. Nimm Angst und Schuld von mir! Dann kann ich machen, was ich soll.“ Das klingt grässlich beim Lesen. Aber es stimmt im Fühlen. Die Worte sind alt, sie wecken andere Vorstellungen als ich sie im Fühlen vor Augen habe.

 

Es geht um jene Wiedereinsetzung in den „Stand der Unschuld“, der den inneren Widerstand und die Blockaden wegräumt, die mich hindern. Die mich unfrei machen und wenn ich äusserlich noch so frei wäre.

 

Die Widerstände kommen aus Angst, Scham und Schuld. – So werden Vergangenheit und Zukunft als Gewicht empfunden, sie drücken nieder. Die Gegenwart ist aufgehoben. Ich kann nicht gegenwärtig sein. Wenn Gott mich davon befreit, dann kann ich leicht und frei auf alles zugehen. Es ist alles neu, ohne den Rattenschwanz von „lebenslangen Versäumnissen“, ohne falsche Anpassungen und Niederducken… Es ist nur noch, was es ist – und nicht mehr ein alter Roman, wo das schlechte Ende schon festgeschrieben ist.

 

Die Übung der persönlichen Frömmigkeit ist ein Anfang – aber reicht er aus?

Das ist die Frage nach dem „Buss-Ritus“. Wie kann er so ausgerichtet werden, dass er wirkt? Wie finden wir zu einem fröhlichen neuen Anfang? Zu einer neuen Unschuld?

 

 

Absturz – die Erotik wird missbraucht

Was ich im Tagebuch „Absturz“ nenne, hat mit Sexualität nichts zu tun, kann also nicht über Sexualität geheilt werden. Sexualität wird dort nur missbraucht. Die sexuelle Erregung, jene monomane Stimmung, der Drang, der alles Sein besetzt, der sich allem anderen verschliesst, bis dieser Weg gegangen ist – dieser ausschliessliche Bewusstseinszustand wird im „Absturz“ missbraucht. Er hat eine narkotisierende Wirkung, eine Intensität, die benutzt werden kann, um andere Empfindungen von ebenso grosser Intensität zu verdrängen, zu übertönen, vergessen zu machen.

 

Wenn ich „abstürze“, bin ich in einem Zustand der Angst, der Ekstase. Es ist wie Sucht, ich biete alles auf, um jenem Gefühl von existentieller Einsamkeit und Ausgesetzt-Sein zu entfliehen.

 

Es ist wie das „Nina-Nina-Machen“ des Kleinkindes, als ich mich im Kinderbett hin und her warf, um nur überhaupt etwas fühlen zu können. Ich konnte so den Körper spüren statt in der Leere abzudriften. Ich war so lange allein, dass ich mich selber verlor, ich fiel aus mir heraus und musste mich wiederfinden.

Wenn meine Mutter wieder kam, spürte ich, dass es das war, was ich vermisste: sie war nicht da, ich war allein. Und sie sagte: „Machst du Nina-Nina?“ Und es erhielt einen Namen, es war nicht mehr furchtbar und namenlos. Es war ja nur etwas, das damit endete, dass Mutter kam.

 

Der Weg geht vorwärts

Das meint die Bibel mit dem Glauben, mit der Religion, mit dem Leben in Beziehung auf Gott, auf das Ganze, auf die Mitte. Das meint das Neue Testament mit Erlösung und Rechtfertigung, damit wir jenen Paradiesgarten wieder finden, damit wir neu in den Stand der Unschuld versetzt werden, nicht durch Rückgang in die Natur, sondern durch Eingang in den Tempel, in dem er die Lücke schliesst zwischen Sein und Sollen. Indem er die Lücke schliesst zwischen realisiertem Selbst und idealem Selbst.

 

 

Buchstabiertabelle für die gesuchte Erotik

Der Bann ist durchbrochen, das Nicht-Aussprechen, das trennt. Ich habe die Worte gesagt, so kam das Tun von selbst. Die Lähmung ist vorbei.

Ich wusste und spürte: „Sie geht nicht weg, wir sind zusammen. Egal wie es wird.“ So wurde die Welt mir freundlich. Die Wirklichkeit umgab mich und hielt mich fest.

 

„Erotik“ – die Erneuerung der Unschuld. Dasein dürfen. Erlaubnis haben. Auch die Kinder spüren es und werden ruhig. Zuspruch. Auf den Fluss gehen und sich dem Fluss überlassen. Sich tragen lassen. In die Sonne treten, ins Licht, unter Augen von freundlichen Menschen. In der Mitte der Welt.

Eintreten, sich hingeben, verschmelzen. Ermatten, froh und zufrieden. Mit der ganzen Welt, mit der ganzen Schöpfung befreundet sein.

 

Woher kommt das falsche Verhalten?

Falsche Dinge habe ich getan, wenn ich der Angst gefolgt bin. So sind Sachen entstanden, die ich gar nicht mir zurechne. Ich wäre von mir aus nicht auf die Idee gekommen. Ich meinte, ich müsse mittun, ich dachte ich müsse mich absichern und hab irgendetwas ausprobiert. Und doch habe ich sie getan.

 

Habe ich es verpasst in Nichtwissen und in jener typischen Form von Schuldig-Werden, wie ich es immer wieder erfahre im Leben? Wie die Figur bei Kafka, die im Vorbeigehen gedankenverloren an ein Tor klopft und so einen Rattenschwanz von Verhängnis auslöst. – Es gibt nicht nur die eine falsche Tat. Es gibt so etwas wie ein Verhängnis, das immer neue Taten zeugt. Man kann in einer Schieflage sein, und alles wird schief, was hier begonnen wird.

 

Als ich mit dem Velo durch die Stadt zur Post fahre, spüre ich, es ist etwas wie Gnade. Es ist eine Gnade, die ich viel elementarer denken muss. Ich brauche sie fürs blosse Da-Sein. Die Blicke verurteilen mich immer noch. Jemand blickt steinern geradeaus, als ich vorbeifahre. Mag sie mir nicht begegnen? Oder ist das Projektion?

 

 

Ich denke, wenn ich mir Erlaubnis nehmen kann, dann spüren es auch die andern. Die Nicht-Erlaubnis meines Lebens strahlt aus. Menschen in bestimmten Situationen spüren es, sie erstarren. Die Nicht-Erlaubnis steckt sie an wie ein Fieber, wie eine Grippe. Sie wehren das ab, indem sie wegsehen. Der böse Blick. Auch die Kinder leben unter dem Bann der Nicht-Erlaubnis.

 

Körpergefühle – aber „falsche“

Welche Haltung vermittle ich meinen Kindern? Was verkörpere ich für sie? „Man hat nichts Schönes zu erwarten. Man muss froh sein, es unbeschadet hinter sich zu bringen.“ – Das ist mein Lebensgefühl, mit dem ich aufwache, bevor ich es beschwatzt habe. Das ist der Ungläubige, der Heide, der immer noch in mir steckt.

 

Das Evangelium ist immer noch nicht bis in meinen Körper vorgedrungen. Der Schreck sitzt mir immer noch in den Knochen. Die Angst hockt mir im Nacken. Der Schmetterling im Bauch, das Zittern in den Knien. Ganze Provinzen wären da noch zu missionieren. Ganzen Landstrichen wäre die Botschaft zu verkündigen. Aber „das Evangelium hat Halt gemacht in Eboli.“

 

Das Erschrecken vor den Menschen

Ich erinnere mich an mein Erschrecken vor Menschen, wenn sie sich zusammenrotten. Die Unberechenbarkeit, wenn die Verantwortung des Einzelnen ausfällt, seine Gewissens-Steuerung, seine Ansprechbarkeit, die Appellmöglichkeit an sein Gewissen, seine Verhaltenskontrolle. Und wenn die Dynamik der Gruppe das Verhalten bestimmt. Das grölende Bejahen des Grenzübertritts, das rauschhafte Begehen der Übel, die das Gewissen verbietet, die Seligkeit des Aufgehobenseins in einem „Gruppen-Ja“, auch wenn alle Verbotslinien übertreten werden – und gerade darum die Seligkeit.

Der Schreck über die Menschen ist in mich eingebrannt. Das macht das Misstrauen aus, die Angst-Gefühle, wenn ich zu sehr im Zentrum stehe und wahrgenommen werde. Ich kann es mir aufgrund dieser Erfahrungen nur vorstellen als Wahrgenommen-Werden zum Ziel.

 

 

Ist die Welt ein finsteres Loch?

Was ist gut, was böse? Was ist Unglück und Glück? Warum gibt es Leid? Woher die Lust am Quälen? – Kann der Mensch sich ändern? Gibt es Heilung? Gibt es ein Ankommen am Ende eines Lebens? Aus eigenem Tun? Oder durch Erlösung?

Ist die Welt ein finsteres Loch, das nicht zu retten ist. Vielleicht dass es eine Rettung „aus der“ Welt gäbe, aber nicht eine Rettung „der“ Welt. Dann ist alles Heil individuell… (Und wir sind wieder bei diesen gnostisierenden Sektierern mit ihrem arroganten Elitarismus.)

 

Die Schönheit wird missbraucht

Am liebsten würde ich jetzt, so empfinde ich es beim Aufwachen, nicht „tun“, nicht rennen – sondern mich der Schönheit ergeben, mich verlieren.

Doch ist das vielleicht nur eine Flucht, ein Missbrauch der kontemplativen Stimmung, so wie ich in meinen „Abstürzen“ in eine Quasi-Erotik geflohen bin. Das aus sich selbst herausgetretene Kind erlebt die Ekstase, das Ausser-Sich-Sein. Es verliert sich im Schauen. Es kippt hinüber, vereinigt sich mit dem Geschauten. Alles ist gleichwertig, alles ist schön, auch das Hässlichste. Nichts tut mehr weh, alles ist schön…

 

Die Kinder- und Enkel der Traumatisierten

Aber die biographisch begründeten Katastrophen-Ängste sind auch durch die grosse Geschichte entstanden. Es sind nicht nur Projektionen. Es stammt nicht alles aus einem privaten Abfallsack, der über einer unbescholtenen Allgemeinheit ausgeleert würde.

 

Das Trauma von zwei Weltkriegen, von Terror und Totalitarismus, von Shoa und Völkermord, von Grausamkeiten unvorstellbarer Art wird von diesen Nachrichten berührt und entlässt Gespenster aus der Unterwelt, wo sie lange eingesperrt waren, im vergeblichen Versuch, sie zu verdrängen.

 

 

Da ist die Hoffnung, dass es eine neue Heilszeit geben wird. Aber wir überwintern, bis diese eintritt. Das ist Aushalten in schlechter Zeit, wo das Leben nicht gelebt werden kann, wie es nach seinem Vollsinn gemeint ist. Wo wir zwar symbolisch teilhaben am Ganzen, wo diese Teilhabe aber nicht real erlebt wird, höchstens in Teilen, in Momenten. Da wandeln sich die Elemente auf dem Altar, aber die Wandlung greift nie auf die Welt über – wie ein Feuer, das um sich greift, damit diese lebensfreundlicher werde.

 

Der Spott richtet sich verzweifelt auch gegen den eigenen Glauben, der sich verblenden liess, in dieser Welt noch an etwas Gutes zu glauben. Aber jetzt streckt man die Waffen angesichts dieser Demonstration der wahren Macht. „So ist es in dieser Welt! Dumm ist, wer etwas anderes glaubt.“ Der Spott ist eine zynische Selbstdemontage und eine resignative Anpassung an das, was als Wirklichkeit der Welt wahrgenommen wird.

 

Der Weg der Seele in der Antike

Ich höre das Märchen von „Amor und Psyche“, es löst ein Nachdenken aus. Hier wird das Leben nicht nur zwischen Geburt und Tod betrachtet, sondern zwischen „Anfang von allem“ und „Vollendung“. Es schildert den „Weg der Seele“. Das erfordert eine „Geschichte von allem“.

Wenn „Seele“ der Ausdruck für den Anteil am Absoluten ist – dann führt der Weg der Seele über die Grenzen der Empirie hinaus, dann braucht es eine mythologische Redeweise.

 

Die Auskunft dieses Märchens:

Das Leben hat eine Lösung. – Nicht durch Machen, aber durch Nachfolge auf einem Weg. – Dieser führt wie die Bahn der Gestirne „hinauf“ und „hinab“. Wie diese mit zwingender Notwendigkeit. Auch das Hinab gehört dazu, das Dunkle ist ein Teil des Hinauf. „Psychisch“ gesprochen (nach dem Erleben der Psyche) muss auch das Dunkle zur Lösung beitragen.

 

 

Die Rolle der Liebe ist geklärt. Sie hat Bezug zum Weg. Aber nicht der Rausch ist der Heilsweg. Und die Verzweiflung verschmähter Liebe bedeutet nicht den Untergang.

Die Liebe ist nicht nur ein Empfinden der Psyche. In diesem Empfinden hat sie Zugang zu einer Kraft, die die obere und untere Welt beherrscht. Ihre Kraft zu verbinden und zu trennen, wird zum Bild für den kosmogonischen Prozess, durch den das Eine in das Viele strömt und das Viele in das Eine zurückkehrt.

 

Die Wirklichkeit ist kein „finsteres Loch“. „Gott liebt die Menschen.“ Die Wirklichkeit antwortet auf seine Intuitionen. Sie hat eine Asymmetrie zugunsten der Lösung. Die Welt hat ein Gefälle zum Glück. Es gibt „Erlösung“ – ein Ankommen auf dem Weg, das nicht aus dem Machen kommt, sondern aus dem Nachfolgen auf einem Weg.

Da werden die Gäste mit Gott zu Tische sitzen. „Alle“ sind dabei, weil Gott sie sucht. Gott tauscht die Trauergewänder gegen Hochzeitsgewänder. Und es wird Hochzeit gefeiert.

 

Die Verwandlung auf dem Weg

Im Erleben der Liebe haben wir Teil an diesem Weg. Im Festhalten an der Liebe finden wir den rechten Weg. Sie weist den Weg im Labyrinth zum Zentrum und wieder zurück zum Ausgang. Sie führt im kosmogonischen Lauf von Werden und Vergehen zum Zentrum und wieder zurück zu „Auferstehung“ und neuer Schöpfung. Sie verwandelt auch uns und führt uns auf dem Weg.

 

Die Reise in die Unterwelt

Die dritte Aufgabe, die Psyche lösen muss, betrifft den Tod und das scheint nicht unsere Lebensaufgabe zu sein. Doch gibt es auch zu Lebzeiten Seelenreisen in die Unterwelt – im Traum, in psychedelischen Erlebnissen, in krankhaften Durchbrüchen nicht-bewusster Erfahrungen, als psychische Reaktion bei traumatischer Verletzung, als Wiederbelebung perinataler Erfahrung in bestimmten Situationen…

 

 

Es ist ein häufiges Motiv in antiken Sagen und Mythen. (Platon hat es als Erkenntnisweg der Vernunft rekonstruiert, die zu Lebzeiten den dialektischen Baum hinauf und hinunter klettert, auch wenn sie dabei auf ein Vorwissen zurückgreift, das Platon mythologisch durch ein Vorleben der Seele erklärt.).

Es geht nicht ohne diese „Reisen“, denn dort geht es um die Unsterblichkeit, um das „Wassers des Lebens“. Das ist das Ziel dieser Aufgaben.

 

Wir brauchen schon zu Lebzeiten Zugang zum „Wasser des Lebens“. Darum das Wasser, die Äpfel und was in den Märchen als Varianten zu den drei Aufgaben der Psyche immer aufgezählt wird. Es geht um das Manna und das Wasser in der Wüste: das Abendmahl. Es geht darum, dass wir Anschluss finden an die Quelle des Lebens. Nur so finden wir immer wieder neue Kraft auf dem Weg.

 

 

Das alles ist für die Zeitgenossen verstellt bis zur Abwehr: „Es wird mir eng, wenn ich mir das nur schon vorstelle.“

Was Sakramente meinen, muss neu gedacht und gefühlt werden.

 

 

Die antike Seelenreise endet am „Tisch der Götter“, wo die Sterblichen den „Kelch des Heils“ trinken. Damit tauchen die Sakramente auf: sinnliche Zeichen, die etwas Geistiges ausdrücken, körperliche Symbole, die eine Heilserfahrung vermitteln. Der Körper scheint geeignet, das, was der Geist meint, in sinnliches Erfahren umzusetzen. So steht er auch in Bezug zum „Eros“, was beim ersten Hören vielleicht skandalös wirken mag.

Die Feier der christlichen Sakramente hat sich weit von solchen Ursprüngen entfernt. Die antiken Mysterien-Feiern zeigen einen Umgang mit solchen Symbol-Handlungen, der auf einem langen Erfahrungsweg verfeinert und vertieft worden ist. Er kann Anregung geben für eine neue Sakramenten-Praxis auch in der Kirche.

 

 

Zu dumm zum Leben

Beim Zähneputzen habe ich das Gefühl, ich mache falsch, was man in einem Leben überhaupt nur falsch machen kann. Man könnte mein Leben als Beispiel aufstellen, wie man es nicht machen soll. Es zeigt, wie man bei jeder Probe untergeht.

 

Morgen ist der Todestag meines Vaters. Bald bin ich 60. – Was ist das, ein Leben? Mein Leben? Was wird es sein, wenn es fertig ist? Habe ich nicht vieles schon vertan und verpasst? Hinterher gibt es vielleicht so etwas wie eine rote Linie in meinem Leben. Aber das war nichts, dem ich bewusst gefolgt wäre. Hätte ich dem folgen können, wenn ich es früher gewusst hätte?

 

Eros und Glaube

Eros ist ein Stichwort für meine persönliche Entwicklung. Es meint nicht nur die Sexualität, sondern die ganze Lebendigkeit, die bei mir in der Kindheit „eingefroren“ war. Es meint eine Unbefangenheit, eine Erlaubnis zum Dasein, die bei mir immer wieder aufgehoben scheint und die ich auch meinen Kindern nicht vermitteln kann, was mich besonders schmerzt. Darum ist es auch ein Stichwort in meinem Nachdenken zum Glauben. Im Glauben will ich wieder neu vertrauen lernen.

 

Der Glaube stösst immer wieder auf Hindernisse. Er kann das Verhalten nicht gestalten, alte Erlebnisse haben den Handlungsraum schon vorbereitet, so dass der Glaubende immer wieder seine alte Welt reproduziert. Die Angst sitzt ihm noch im Nacken, der Schreck in allen Knochen… Der Nacken müsste missioniert werden, die Knochen müssten das Evangelium hören.

Wenn Körper und Geist versöhnt werden könnten, würde nicht nur das Hindernis beseitigt, der Körper könnte sogar „Geschäftsführer“ des Glaubens werden: Statt ihm zuwider zu handeln, könnte er in seinem Sinn tätig werden und all die Ressourcen, über die nur er verfügt, in diesen Dienst stellen!

 

 

Das Verhalten ändern?

Im Hintergrund all dieser Suchwege steht die grosse Frage: Wie man den „Weg“ gehen kann, was die Kraftquellen sind, die dabei helfen.

 

Die Diskussion um das Mutterkorn kann zwar von modernen Erfahrungen her (Experimente mit LSD) plausibel machen, wie man tiefe Seelenbereiche ansprechen kann. Die interessantere Frage ist aber, wie dieses Erlebnis nachher transformiert werden kann in Alltagshandeln.

 

Dabei helfen die unschuldigen Beimengungen des antiken Mythos vielleicht mehr als das Mutterkorn. Und die Frage, ob die äusseren Elemente der Sakramente, Brot und Wein, vielleicht wirkmächtige Substanzen enthielten, die wir heute vermissen und wieder finden sollten, führt am Ziel vorbei.

Ich kann gegen aussen nicht auftreten, weil ich mich irgendwo tief in mir für unwert halte. So mag ich mich nicht zeigen, es erfüllt mich mit Scham, mit einer tiefen, existentiellen Scham, die nicht nur an einem Tun hängt, sondern an meinem ganzen So-Sein. Dieser Scham kann ich nur entgehen, wenn ich „anders“ werde.

 

Vieles in der Arbeit kann ich „machen“, in immer neuen Versuchen und Anläufen. Aber die Befreiung von der Scham – das ist ein Stück „Seelenweg“. Ich gehe ihn unbewusst. Im Traum kann ich einen Zipfel davon erhaschen. Dieser „Seelenweg“ ist keine Karte, die ich bewusst abschreiten könnte. Aber es gibt mir doch Vertrauen, es stillt meine Verzweiflung, indem es mir sagt: Das Schiff ist unterwegs, und es ist auf gutem Kurs.

 

Einen mythologischen Weg „real“ abschreiten

So ist die Nachfolge jene gesuchte Art des Handelns, das weder ein blosses Machen ist noch ein untätiges Warten, bis das Neue, sich von selbst einstellt. Nachfolge ist ein Tun, das nicht auf die eigene Kraft vertraut. Es ist nicht ein blosses Geschehenlassen, weil hier nur Gott helfen kann.

 

 

Es ist Nachfolge auf dem Weg Gottes, den er gebahnt hat und auf dem er gegenwärtig ist. Es ist der Weg, der auch durch solche Wandlungen führt, die wir nicht selber verantworten können, so wie Geburt und Tod, weil hier die Grundlagen unseres Seins selbst verändert werden.

 

Der „Weg des Helden“ ist eine Rekonstruktion der antiken Seelenlehre, die über Hollywood stark in die Populärkultur einwirkt. Der Mythenforscher Josef Campbell beschreibt den Archetyp des „Helden“. In seinem Weg und in den Aufgaben, die sich stellen, wirkt vieles aus der antiken Seelenreise nach. Wie in der Seelenreise macht er für die Fahrt durch die Elemente eine „Metamorphose“ durch. Diese Wandlung ist hier das Zentrale, denn hier geschieht Reifung, Integration, Befähigung, die Aufgaben zu lösen, indem Elemente aus „unteren Sphären“ heraufgeholt und integriert werden.

 

Herabfallen vom Weg und die Antwort

Darüber darf man nicht zu harmlos nachdenken. – Was „Busse“ meint, kann man nicht verstehen ohne die Erfahrung einer zu Tode erschrocken Seele. Das meint „Reinigung“: sich wieder unschuldig fühlen dürfen, einen neuen Anfang machen dürfen, ohne die Zentnerlast der Vorwürfe an sich selbst, ohne das bittere Gefühl, aus eigener Schuld alles verdorben zu haben, ohne diese Bitterkeit im Leben, die nicht mehr mit etwas Gutem rechnet, die nicht mehr hoffen kann, dass es noch gut wird mit dem eigenen Leben!

 

Ich fühlte mich im Innersten erkannt, in dem, was mich beschäftigt. Ich wusste es selbst nicht, bis ich es sah. Wie finster meine Gedanken waren, sah ich erst in der Antwort, die Gott mir gab. Und diese ist überraschend, völlig anders, überwältigend: dass es gut kommt, dass der Fluss der Ereignisse nicht einfach in seinem Bette läuft. Dass es etwas ganz anderes gibt, eine Kraft, mit der ich nicht gerechnet habe und niemand von uns. Er vertreibt die Wolken, hebt die Finsternis auf und setzt ein Zeichen in den Himmel …

 

 

Das Wilde kultivieren

Ich habe durch dieses Tagebuch eine Sicht von aussen auf mich gewonnen. Ich habe Mechanismen durchschaut, die mich vordergründig leiden machen, die aber hintergründig von mir gewollt sind. Hinter der scheinbaren Ohnmacht der Psyche taucht ihre Macht auf. Sie setzt die Ohnmacht ein, um noch Schlimmeres abzuwenden.

 

Erotik“ wird missbraucht, um die Angst vor Verlassenheit zu überdecken. Als Kind schon habe ich gelernt, „aus dem Körper zu fliehen“. Hier wird das Schöne missbraucht. Kontemplation geschieht naturwüchsig, wie ein Angstabwehr-Mechanismus. Eine ähnliche Funktion haben Suizid-Gedanken, die mir eine letzte Ausweich-Möglichkeit vorgaukeln. Sie verhindern aber eine wirklich „Einwohnung“ ins Leben. Ich muss damit besser zu Rande kommen. Vielleicht hilft es mir, das bewusster zu machen.

 

Religion, so scheint es, hat einen bewussten Umgang mit diesen Dingen entwickelt, die bei mir unwillkürlich durchbrechen. Ist da ein Weg, auch diese im Körper verankerten Verhaltensweisen aufzubrechen?

Religion gibt Meditation – statt wilder Kontemplation, Begeisterung – statt wilder Ekstase. In ihr lebt die Sehnsucht nach „Mehr“ in den religiösen Bildern einer langen Tradition – statt in privaten Suchtwegen. Sie kennt diese Erfahrungen: wie ich an einem „Ganzen“ teilhabe, wie ich mich in die „Mitte“ stellen kann, wie ich Freude erfahre im Gebet – statt diesem reaktiven Aus-der-Welt-Gleiten und Hinüber-Träumen.

 

An der Quelle

So lernen wir leben, dass auch unsere Kinder die lebenszugewandte Seite der Welt kennenlernen und diese Welt mehr und mehr bebauen können – als Ort des Lebens, nicht des Todes, aus dem man nur fliehen kann, um ihn erträglich zu machen. So ist das Sakrament etwas, das Gott den Menschen schenkt an einem Schöpfungstag, damit seine Schöpfung weitergehen möge. Es ist der Schöpfer selbst, der sich zu uns kehrt. Der in uns eingeht und Kraft schenkt, der uns spüren lässt, dass wir angeschlossen sind an die Quelle des Lebens.

 

 

Auf das „Spüren“ kommt es an. Denn die Gegenposition hat den Körper schon besetzt. So gibt es keinen Sieg über den Unglauben, es sei denn über den Köper. Die „Mission“ kommt immer schon zu spät. Denn die Kinder sind im Mutterleib schon geimpft mit höllischen Empfindungen. So muss das Sakrament lernen, in diese Tiefe hinabzusteigen.

 

Der Traum bringt es zur Erkenntnis: Es ist etwas wie eine tiefe Solidarität, die alles Lebendige verbindet. Sie ist vor aller Leistung, vor allem Bemühen, etwas darzustellen. Da ist etwas, aus dem ersten Ursprung, das alle verbindet, die da sind. Und es ist voller Wärme und Verbundenheit. Wer darauf hört, versteht die Bäume. Er lernt die Sprache der Tiere, und der Himmel spricht zu ihm. Ich aber fliehe noch vor ihnen. Halte sie für die alten Dämonen. Verstecke mich und hoffe, dass sie dort nicht hinkommen.

 

Das ist mehr, als ich zu hoffen wagte. Ich dachte lange Zeit, ich würde hier zugrunde gehen. Dass es sich so gut entwickeln könnte, dachte ich gar nicht, als ich das Sabbatical begann.

 

 

Beim Schwellenbaum

Holunderbaum

 

Der Holunderbaum soll vor Blitzeinschlägen schützen und wurde gern bei Höfen und Scheunen gepflanzt. Der Esoterik gilt er als Schutzbaum überhaupt und als Schwellenbaum beim Übertritt in die «Anderswelt». Der Holunder sei der Göttin Holda geweiht, der Göttin des Lebens und Todes und der Unterwelt. Von ihr handle das Märchen Frau Holle.

 

Pharmakologische Sakramente?

Blüten und Früchte können genossen werden. Vergoren entwickelt sich im Holundersaft Alkohol, dieser wirkt «psychotrop». Wegen solcher Wirkungen spielen Speisen und Getränke auch eine Rolle in der Drogenkultur. Hinter den modernen synthetischen Substanzen stehen Gewächse, die in den langen Zeiträumen einer agrarischen Kultur bewusst genutzt wurden.

 

 

Als Verunreinigungen riefen sie aber auch Vergiftungen hervor, die sich epidemieartig ausweiten konnten. [82] Gern erzählt wird die Geschichte vom Mutterkorn, das als Pilz auf Getreide vorkommt, und seinem Wirkstoff LSD: wie der Schweizer Chemiker Albert Hofmann den Stoff 1943 synthetisierte und in Selbstversuchen seine psychotrope Wirkung entdeckte. [83]

 

Den Atem anhalten

Mit Drogen experimentierte auch der Psychologe Stanislav Grof. Er beschränkte sich dann aber auf Atemtechnik, mit der er die gesuchte Wirkung ebenfalls erzielen konnte. Den Atem anhalten, sich totstellen – solche Reaktionen gibt es aber auch unwillkürlich, schon in früher Kindheit. Auch Traumata und die eingeübte Abwehr-Haltung können das Bewusstsein verändern. In späteren Phasen erscheinen diese Menschen oft als «Träumer», die sich aus der Situation «wegträumen». Der Wechsel in einen kontemplativen Bewusstseinszustand macht subjektiv unangreifbar. Angst und Schmerz sind verschwunden, man scheint über dem Leben zu stehen (bis zum Erlebnis, als ob man über sich schwebte und auf sich hinunterschauen könnte).

 

Jenseits und Diesseits

Diese Menschen sind bekannt mit der «Anderswelt», sie leben in solchen Momenten nicht diesseits, nicht jenseits, es ist ein Hin und Her auf der Grenze, ein Hinüberschweben und Zurückkommen. Hinter vielen Schwierigkeiten, die sie auf Grund ihrer Disposition im Leben antreffen, spüren sie die Aufgabe, erst einmal geboren zu werden und Platz zu nehmen in ihrem Körper und in der Welt.

 

 

Dabei kann auch die Religion helfen, diese ist nicht nur auf das «Jenseits» abonniert:

„Religion ist ein Hin und Her auf der Grenze von Geborenwerden und Sterben, das sich in diesem Grenzverkehr auskennt und das Wissen nicht benutzt für die Flucht aus dem unerträglichen Alltag, sondern als Ausflug, als Ausblick, als Reservat, aus dem ich mit neuer Kraft ins Leben zurückfinden kann und meinen Weg hier gehen.“ [84]

„Religion so scheint es, hat einen bewussten Umgang mit diesen Dingen entwickelt. Religion gibt Meditation – statt wilder Kontemplation, Begeisterung – statt wilder Ekstase. In ihr lebt die Sehnsucht nach „Mehr“ in den religiösen Bildern einer langen Tradition – statt in privaten Suchtwegen. Sie kennt diese Erfahrungen: wie ich an einem „Ganzen“ teilhabe, wie ich mich in die „Mitte“ stellen kann, wie ich Freude erfahre im Gebet – statt diesem reaktiven Aus-der-Welt-Gleiten und Hinüber-Träumen.“ [85]

 

Unter dem Holunderbaum

So setze ich mich gern unter einen Holunderbaum, Ich geniesse den Saft, vergoren oder unvergoren, und den Gelée und freue mich an seinen weissen Blüten, die dem Frühsommer das Gepräge geben. Und ich geniesse das Paradies, das der Glaube mir aufschliesst. Hier gibt es neue Unschuld wie in der Anfangszeit, als das Sein noch nicht verdorben war (ich finde sie in der Vergebung). Ich freue mich über den neuen Anfang, den diese möglich macht, als ob die Utopie Wirklichkeit geworden wäre. Und ich freue mich jetzt schon auf das «Ankommen» am Ende meines Weges, weil ich mich hineinstellen darf in das Bild des Ganzen, wie der Glaube es zeigt.

 

 

Nachweis der Texte

 

Nach 20 Jahren Pfarramt habe ich die beruflichen und privaten Notizen durchgesehen und eine Auswahl in einigen Manuskripten zusammengefasst. Sie zeigen die Entwicklung der Glaubensfragen in dieser Zeit. Das zwölfte Buch «Im Innern des Wals. Was Jona sah und erlebte, als er zum Grund des Meeres reiste. Ein Längsschnitt durch die Notizen» ist 2022 im Druck erschienen.

Das Buch «Eros und Sakramente» ist eine Auswahl aus dem achten Buch (mit Notizen aus dem Sabbatical 2007). Weitere Bände werden folgen.

 

Die Notizen:

  1. Wie ich den Unglauben lernte und andere Notizen, 1983 – 1991.
  2. Geborenwerden, wachsen und reifen, Notizen 1992 – 1998.
  3. Das Furchtbare und das Schöne, Notizen 1998 – 1999.
  4. Katastrophen und Wendepunkte, der Weg ins neue Millennium, Notizen 2000-2002.
  5. Heulen, Zähneklappern und Himmelfahrt – Für eine Rückgewinnung des mythologischen Erzählens in der reformierten Kirche, Notizen 2003.
  6. Die Hälfte meines Pfarramtes. Die Mitte meines Pfarramtes, Notizen 2004-2005.
  7. Der innere Altar, Notizen 2006 – März 2007.
  8. Chaos. Kosmos. Das Sakrament, Notizen aus dem Sabbatical, April – August 2007.
  9. Mission impossible – Die unmögliche Aufgabe, deren Lösung eine Kultur begründet, Notizen September 2007 bis Ende 2008.
  10. Die Texte «Versunkene Kathedrale» (zur Archäologie religiöser Empfindungen) sind als «Streiflicht» in meinem Blog «vongotterzaehlen» veröffentlicht.
  11. 36 Ansichten vom Berg Fuji. Notizen 2009.
  12. Im Innern des Wals. Was Jona sah und erlebte, als er zum Grund des Meeres reiste. Ein Längsschnitt durch die Notizen. 2022 im Druck erschienen.
  13. Das Hingabe-Verbot, Notizen 2010.
  14. Der starke Gott, Notizen 2011. Der Anhang „Rollenprosa und Propheten, Nachdenken über Rolle und Risiko im Pfarrberuf» ist auch als Broschüre erschienen.

 

 

  1. Der leidenschaftliche Gott. Notizen 2012. Dazu gehört das Büchlein „Das halbierte Evangelium“.
  2. Bruchstücke – es ist eine Lust zu leben! Notizen 2013. Die Texte zur Apokalyptik sind als Streiflicht meines Blogs «vongotterzaehlen» veröffentlicht.
  3. Von Gott erzählen. Auszug aus den Notizen 2014. (Nach 20 Jahren Pfarramt)
  4. Broschüren: Gott gesucht (auf der Suche nach dem Glauben). – Unser Glaube, nach den Glasfenstern der Kirche Ambach. – Du bist schön! (Texte zum Kirchenjahr). – Mit dem Knie glauben (zur Körperspiritualität). – Müssten wir nicht können, was wir sollen? (Autonomie und Glaube). – Nur eine Katze (die Solidarität alles Lebendigen). – Und aus Abend und Morgen ward der sechste Tag (Texte zur Lebensbilanz).

 

Ausführliches Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 5

„Säb Land“ 8

„Ich bin hässlich und lebe gern!“ 12

In der Passionszeit 12

Nach Ostern. 14

Don Juan als Mysterienspiel 14

Die Liebe, die mich rettet 17

Von Insel zu Insel 21

Lebensfreude und neue Unschuld. 21

„Was bisher geschah“ 24

Die Suche nach dem Paradies. 28

Neue Unschuld. 29

Verlust und Rückkehr ins Paradies. 29

Der Bann ist gebrochen. 31

Das Lebensgefühl beim Aufwachen. 32

Die Abschaffung der Angst 32

Warten auf die Katastrophe. 37

Aushalten in schlechter Zeit 39

Der „Schatz“ als Unterpfand einer neuen Heilszeit 39

Über die letzte Grenze. 41

Ein grösseres Bild von Wirklichkeit 42

Himmel- und Höllenfahrt in Antike und Moderne. 44

Die Sehnsucht nach einer Neuen Mythologie. 49

Die Liebe kommt ins Spiel 52

Die Antwort des Märchens. 54

Die Quelle des Lebens. 55

Ausblick auf die Sakramente. 58

Zu dumm für das Leben. 59

Studien in Scham.. 60

Mysterien und Sakramente. 62

Suchwege in dieser Zeit 62

Die Sakramente. 64

Der Körper 67

Eine Zusammenfassung. 67

Erinnerung vermittelt Kompetenzen. 71

Drogen als Mittel zur Seelenreise?. 74

Handeln wo man nichts machen kann. 75

Das Ursakrament 80

Ein Bericht 82

Mitte des Sabbaticals. 84

Der Berg. 85

Der „Weg der Seele“ in einer bürgerlichen Biographie. 87

Herabfallen vom Weg. 89

Das Sakrament als Rückkehr-Hilfe. 89

Katastrophen-Angst 94

Weltfremd. 99

Das Widerfahrnis und seine Kultivierung in Religion. 101

Dornröschen und der 100-jährige Schlaf 102

Weltflucht oder Verwirklichung des wahren Lebens?. 104

Auf der Grenze – Flucht oder Weg ins Leben?. 105

Die nächtliche Katze und die Engel im Körper 106

Das Sakrament der Liebe. 106

Das Sabbatical geht zu Ende. 110

Lebenswege…… 110

… Weg des Lebens?. 111

„Du liebst alles, was ist.“ 116

Wieder ins Reine kommen. 117

Mit dem Knie glauben. 120

«Säb Land» – was ist jetzt mit dem Paradies?. 126

Rückblick. 128

Das Buch als Erlebnisreise. 128

Beim Schwellenbaum.. 145

Nachweis der Texte. 148

Ausführliches Inhaltsverzeichnis. 149

 

 

Der Autor

Peter Winiger, geb. 1949, Konditor. Abitur über Fernkurse. Breit gefächertes Studium. Abschluss in Schweizer Geschichte, Sozialökonomie und Staatsrecht. Journalist, Bundeshausredaktor (Berichterstattung aus Parlament und Regierung). Reise auf unbestimmte Zeit ins Ausland. Seminar bei Jürgen Habermas. Zweitstudium in Theologie. 20 Jahre Pfarrer einer reformierten Kirche. Verheiratet mit einer Katholikin, zwei Kinder und eine Enkelin.

 

Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes sind die Namen verändert.

 

Titelbild

Mit einem Foto von Liana Horodetska von Pexels

Copyright

Peter Winiger, Grampenweg 33, CH 8180 Bülach

[1] Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch: «Eros. Chaos. Kosmos. Das Sakrament.»

[2] Das Sakrament der «Busse», das hier neben Taufe und Abendmahl betrachtet wird.

[3] «Jenes Land»

[4] «Da, da ist jenes Land!»

[5] Wie der Evangelist Lukas im Evangelium anfügt. Als Arzt ist er gewohnt, die Medikamente „täglich“ zu verordnen. Und so fügt er der Stelle bei, dass das Kreuz wie ein Medikament „täglich“ zu tragen sei. Und es ist tatsächlich eine Hilfe, denn so erhält die Frage einen Sinn. Es kriegt eine Perspektive, es dient zu etwas, es ist Nachfolge auf dem Weg. Es führt wohl hinab bis ins Grab, durch den Spott am Kreuz, aber es führt auch hinauf. Es ist der Weg, der durch alles hindurchführt.

 

[6] Die Konfirmandinnen und Konfirmanden danken in der Feier ihren Eltern und Paten und empfangen ihren Segen für den Weg.

[7] Beatrix Müller-Kampel, Mythos Don Juan, Leipzig 1999. – Ich zitiere aus meinen Lesenotizen.

[8] Der Konflikt wird „gelöst“ durch Säkularisierung des metaphysisch «Guten» als soziales «Über-Ich». Dessen Geltung wird relativiert und auf eine Funktion begrenzt. Der höchste Wert ist „das Leben“, dem alles funktional zudienen muss. Mit dem Begriff des richtigen Lebens» ist auch die «Sünde» aufgehoben. (Mit dieser Lösung ist die andere Gross-Erfahrung, der Tod, nicht mehr aufzuheben. Darum fürchtet die erotisierte Gesellschaft den Tod).

[9] Aus dem Jesus Christus-Tagebuch, vgl. dazu Suchwege I

 

[10] Vgl. die Abbildung im Kapitel «Mitte des Sabbaticals»

[11] Wikipedia: „Wunderbarer Tausch (lat. admirabile commercium) oder auch fröhlicher Wechsel (Luther) ist eine theologische Beschreibung für das Erlösungsgeschehen. … Jesus Christus, der ewige Sohn Gottes, entäussert sich der göttlichen Herrlichkeit und nimmt in der Welt der Sünde Sklavengestalt an, damit der von der Sünde versklavte Mensch zur göttlichen Herrlichkeit gelangt. Christus macht sich zum „Preis“ in einem Tauschhandel und vertauscht dabei das eigene Sein mit dem des Sünders.

[12] Vgl. die Andacht zum wunderbaren Tausch, Advent 2007

[13] Es sind drei Wege und drei Bewusstseinsformen: Handlungs-Bewusstsein / Such- und Finde-Wege / Heilen und neue Unschuld.

[14] Unten sind auch Sätze aus Textabschnitten eingefügt, die ursprünglich in diesen Notizen stehen, aber in diesem Auszug weggelassen wurden.

[15] Vgl. den Tauftraum: „Ein innerer Friede, und ich kann, was ich soll.“

 

[16] „Wiedereinsetzung in den Stand der Unschuld“ – das ist nach der Mythologie nichts anderes als die Rückkehr ins Paradies, wo die Unschuld verloren wurde.

[17] Das Buch handelt von einem Ort, wo sich die Einwohner aufgegeben haben, weil alle, die sich etwas zutrauen, den Ort verlassen, um etwas aus ihrem Leben zu machen. „Wir sind keine Christen“ sagen sie, „Christus ist nur bis Eboli gekommen.“ (Wikipedia)

 

[18] „Die Macht des Zufalls. Vom Umgang mit dem Risiko“ im „Tages Anzeiger“ vom heutigen Tag

[19] Die drei traditionellen Geltungsansprüche der abendländischen Philosophie von wahr, gut und schön werden eingelöst in je einem spezifischen Diskurs (Theorie, Praxis, Ästhetik). Dieser Diskurs um wahr und falsch etc., setzt eine Auslegung voraus, was „Welt“ sei, was überhaupt Gegenstand der Erkenntnis werden kann. Es ist der mythologische Grenzdiskurs, der das Vorhandensein der Welt „erzählt“ und die Spielregeln des Diskurses setzt. Das kann nur erzählt und nicht nach den Regeln des untergeordneten Diskurses als wahr oder falsch erwiesen werden.

[20] Der Name Baruch taucht in der Bibel mehrfach auf, immer in schwerer Zeit. Der historische Baruch aus dem 6. Jahrhundert vor Christus begleitet den Propheten Jeremia. Es ist die Zeit des Exils, als viele aus Juda nach Babylon verschleppt werden. Es ist die Zeit, als Volk und Vaterland verloren gingen. Der Tempel wurde geschleift und geschändet, die Geräte nach Babylon entführt. –

Als Babylon untergeht, als ihr Reich von den Persern erobert wird, können die Exilierten nachhause zurückkehren. Eine neue Stadt, ein neuer Tempel wird gebaut.

Doch 70 n. Chr. wird auch dieser Tempel zerstört. Nach dem Bar-Kochba-Aufstand 132-135 n. Chr. zerstreuen die Römer das Volk in die Diaspora. Das Unglück scheint sich zu wiederholen. Ein Zeitgenosse schlüpft in die Gestalt des Baruch und deutet es nach dem Muster der ersten Katastrophe.

 

[21] Abendmahls-Kelch

[22] „Lügen-Schrift“, unter Verwendung eines historischen Namens verfasst.

[23] In einer Grabrede steht man schnell an diesem Punkt. Nach der Liste der Verdienste kommen all die Dinge, die das Leben ausmachen, die man aber nicht selber herstellt. Sie sind geschenkt, sie gehören zum „andern“. Sie bilden die condition humaine, mit der man sich in ein Verhältnis setzen muss. Und das besteht nicht in Herstellen und Kontrolle. Es hat zu tun mit Danken und Feiern.

[24] Vgl. die Metamorphosen Ovids. Die himmlische Herkunft bzw. die Vergöttlichung am Schluss des Weges – das überschreitet die Grenzen der Empirie.

 

[25] Zum Folgenden vgl. 5. Buch, „Heulen, Zähneklappern und Himmelfahrt – Für eine Rückgewinnung des mythologischen Erzählens in die Reformierte Kirche“, Notizen 2003

[26] Der populäre „Sternenstaub“. Alle Atome in unserem Körper sind in einer bestimmten Phase des Universums entstanden: die Wasserstoff-Atome früh nach dem Urknall, die Eisen-Atome erst in der zweiten Sternen-Generation. So tragen wir alle „Sternenstaub“ in uns. –

Das ist eine populär-poetische Säkularisierungsform der alten Seelenlehre, wonach wir einen Anteil des Absoluten in uns tragen, so dass wir letztlich unverlierbar in der Wirklichkeit verankert sind. Aber die Seelenlehre ist gegenüber dieser physikalischen Ableitung dynamischer, dort ist es ein „Weg“, der auch die Freiheit des Menschen beansprucht. Dort gibt es Herkunft und Zukunft, Brücken und Gefahren, Glück und Gnade. Es gibt Helfer, die uns entgegen kommen… Es ist weniger eine Lehre als ein „Weg“, über den es nur ein „Wissen“ gibt, insoweit wir den Weg gehen.

 

[27] Vgl. Grof, Das Abenteuer der Selbstentdeckung, Reinbeck bei Hamburg, 4. Auflage, S.71

[28] Das buddhistische „tat twam asi“: „Das bist du!“

[29] Grof 70

 

[30] Diese Mischung von „Mythologie und Realismus“ steckt in jeder rationalistischen, idealistischen Philosophie. Der Idealismus sucht im 19. JH nach einer „neuen Mythologie“, die wissenschaftlich auf der Höhe der Zeit ist und die doch die Seele und das Gemüt anzusprechen vermag und die Auskunft gibt auf die grossen Fragen der Seele, welche in der alten Seelenlehre gegeben wird: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Gibt es Hilfen auf dem Weg?

So etwa in Hegels System, das noch einmal das kosmogonische Schema rekonstruiert. Der Auf- und Abstieg ist dort nicht nur eine spontane Tätigkeit von Verstand und Vernunft, wie bei Kant (weil der Mensch die Vielfalt der Erfahrungen unter Begriffe fassen will). Die Synthese geschieht „wirklich“ und die forschende Vernunft folgt nur den Verbindungsstellen, so wie Platons Metzger, der das Schwein an den Gelenkstellen teilt und mit dem analytischen Messer nur freilegt, was im Schwein schon objektiv vorhanden war.

Eine Sehnsucht nach einer solchen Neuen Mythologie gibt es auch heute, wo Wissenschaft und Lebensfragen des Menschen scheinbar unvermittelbar auseinanderklaffen. Unvermittelbar jedenfalls dort, wo der theoretische Standpunkt solche Lebensfragen prinzipiell ablehnt. Vgl. meine Notizen zur „Grossen Erzählung“ im 5. Buch, „Heulen, Zähneklappern und Himmelfahrt – Für eine Rückgewinnung des mythologischen Erzählens in die Reformierte Kirche“, Notizen 2003

[31] Ist das immer dasselbe Wesen: das Ei, die Raupe, die Puppe, der Falter? – Hier Identität zu behaupten ist ein grosser Schritt. Darum der Begriff der Wandlung, der Metamorphose, die in ihrem Begriff eine These enthält: die Behauptung einer Identität trotz der Veränderung.

 

Aber in der Metamorphose des Schmetterlings wird diese These anschaulich. Die Anschauung, das lebendige Vorbild, wirkt wie eine Art Analogiezauber des Denkens: Unwillkürlich überträgt man es auf andere Gegenstände und sucht nach Vor-Formen und Nach-Formen. Unwillkürlich muss man annehmen, dass sich dasselbe bewahrt, auch wenn die Form sich wandelt. Metaphysik-Kritiker werden hier einhaken und die Grenze der Erkenntnis anmahnen.

 

Andererseits entfaltet gerade die moderne Wissenschaft eine „grosse Erzählung“, die eine grandiose Metamorphose ist: die Entfaltung von „allem“ aus dem Urknall. Da ist die Synthese der physikalischen Stoffe in den Sternen, da ist die Evolution des Lebens. Da lässt sich ein Weg verfolgen, der von den ersten Atomen bis zu uns Menschen führt.

Die Sterne „sterben“, und werden neu geboren. Milchstrassen erscheinen und gehen in andern auf… Auch hier gibt es die Behauptung von der Identität des Verschiedenen, von der Bewahrung im Wandel. Nur wird die alte Seelenvorstellung abgelehnt, die alte Metaphysik, die nach dem Wesen fragt, welche aller Veränderung zugrunde liegt.

 

Atomphysik und Genetik entdecken das Bleibende heute ebenfalls im nicht-sichtbaren Bereich. Es ist ein materialistischer Nachklang auf die Metaphysik, wie der Fortschritts-Gedanke ein Nachfahre der Heilsgeschichte ist. Die Suche nach der „universellen Weltformel“ ist die rationalistische Variante, die Suche nach der Einheit in mathematischer Gestalt. Der Traum der Pythagoreer.

[32] Erzählung vom Entstehen der Welt.

[33] Sie erzählt nicht, sie sucht Prinzipien. Nur wo sie das Empirische überschreitet, nimmt sie Rekurs zu alten Mythen, wie z.B. Platon, wenn er sagt, dass wir die Ideen wiedererkennen, weil wir sie präexistent schon geschaut haben. Wie Kant, der in der Verteidigung gegen die Angriffe des Empirismus die Syntheseleistung der Vernunft hervorhebt und die alten Zentrallehren der Religion und des Seelenweges rekonstruiert als Postulate der praktischen Vernunft. Wir können darüber nichts wissen, aber sie sind denk- und lebensnotwendig.

 

[34] Vgl. 7. Buch, „Der innere Altar“, Notiz 8.10.2007

[35] „Me aschpot jearim aebjon“ – „aus dem Aschenhaufen erhebt er den Armen“, heisst es in Psalm 113,7 und im Lied der Hanna (1. Sam 2,8.) – „Ich tausche deine Trauerkleider gegen Freudenkleider“, sagt das Alte Testament. – Das neue Jerusalem kommt, geschmückt wie eine Braut, und Gott wird bei ihr wohnen, und sie werden einen neuen Bund eingehen. (Off. 21)

 

[36] So stellt Platon im „Phaidros“ den Weg der Seele dar. Die auf die Erde gefallene Seele kann sich beim Anblick einer irdischen Schönheit an die wahre Schönheit (das Gute, die „oberste“ Idee) erinnern. Sie sehnt sich nach jener Welt, so dass ihr Flügel wachsen. Sie wird beschwingt und möchte wie ein Vogel emporfliegen.

Vgl. die Federn in Amor und Psyche. Die Vögel gelten als Götterboten, ähnlich der Unke, der Kröte, die als Amphibium in beiden Welten lebt. Es ist ein Bild für die Seele und die erkennende Vernunft, die die Pyramide der idealen Welt hinauf- und hinabsteigt. Vgl. auch die Federn in den Kissen der Frau Holle, die zu schütteln sind…

 

[37] Wikipedia: Ambrosia (altgriechisch ἀμβροσία ambrosía, deutsch ‚Speise der Götter‘). Das Wort ist die feminine Form des Adjektivs ἀμβρόσιος, ἀμβροσία, ἀμβρόσιον, unsterblich. Es ist vor-urgriechisch aus dem die Verneinung anzeigenden Sonanten *n- (der im Griechischen zum α privativum, im Lateinischen zu in- und im Deutschen und Englischen zu un- wird) und der Wurzel *mrt– („Tod“, vgl. lat. mors) gebildet. Im Roman Der goldene Esel des Apuleius reicht Jupiter Psyche einen Becher mit Ambrosia mit den Worten: „Nimm, Psyche, und du sollst unsterblich sein!“ (6,23: Sume, Psyche, et immortalis esto!)

[38] Die Bibel drückt diese Gewissheit so aus: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.“ (Römer 8,28)

[39] Dieser Frage geht der Abschnitt nach: Mysterien und Sakramente.

 

[40] Das Märchen „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ ist davon abgeleitet.

 

[41] Vgl. die Zusammenfassung des Märchens Amor und Psyche im Anhang

[42] Vgl. Stanislaw Grof im 5. Buch: Heulen, Zähneklappern und Himmelfahrt – für eine Rückgewinnung des mythologischen Erzählens in der reformierten Kirche.

[43] Geist und Körper: Im folgenden Abschnitt liegt das Interesse auf dem Sakrament, auf dem sinnlichen Zeichen, das hilft, den Weg zu gehen. In antiken Einweihungsriten wurde es verwendet, um dem Getauften einen starken Körper-Eindruck zu verschaffen, der ihm auf dem Weg dank Körper-Erinnerung helfen soll. Das sinnliche Sakrament überschreitet die Kluft von geistiger Erkenntnis und sinnlichem Handeln. Es ist elementar für die Frage, wie ich kann, was ich soll, wie ich mein Leben richtig leben kann.

Eine andere Form, wie die antike Tradition in der neuen Zeit weiterlebt, sind die psychologischen Rekonstruktionen der Seelenreise. Vergleiche dazu im Anhang den Abschnitt «Mythologie in praktischer Absicht. Entwicklungspsychologie als Rekonstruktion des antiken Seelenwegs.» Dieser Anhang findet sich nicht in diesem Textauszug.

[44] Eindrücklich für mich ist die Lektüre des dritten und vierten Kapitels aus dem Johannes-Evangelium, das ich zunächst auf das Erste Testament hin lese, dann auf die griechische Umwelt. Vgl. die Lesenotizen: Jakobsbrunnen und Himmelsleiter in Johannes 3 und 4 vom 24.8.07.

[45] Das Märchen «Amor und Psyche» findet sich in der längeren Fassung dieses Buches, das hier nur in einem Auszug vorliegt, so auch der Abschnitt «Mysterien und Sakramente».

[46] Sinnlichkeit und Vergeistigung in der Feier der Antike. Ich streife in diesem Abschnitt das intellektuelle «Aufsteigen» von Platon und das «Herabholen» auf die Wahrheit des Körpers durch Aristophanes. Dieser gehört dazu, der Körper ist das andere Element im Sakrament. Beide zusammen erinnern an Jesus Christus. Und er ist: wahrer Mensch und wahrer Gott.

 

Ich bin auf der Suche nach dem „wirkmächtigen Sakrament“ im Gefolge der alten Kulte. Diese stiegen auf der Suche nach dem Heil nicht zuerst hinauf, sondern hinab. Die Fahrt hinauf führte zuerst hinab durch alle sinnlichen Elemente.

 

Dann beschäftige ich mich kurz mit Alexander Lowen, dem „Vater der Bioenergetik“, der schon in den 60er Jahren vom „Verrat am Körper“ sprach. Auf der Suche nach einem Lebensweg, der die traumatische Verkrümmung des Körpers wieder aufhebt, steuerte er klinische Erfahrungen bei. (Darüber hinaus ist es die Frage, wie man auch positive Körper-Erinnerungen für den Weg dienstbar macht.)

[47] Sie schaffen die Möglichkeit des Handelns. Es sind lebensweltliche Voraussetzungen für Willensfreiheit, es sind Institutionen der Sittlichkeit, die durch Gewöhnung einen „Charakter“ prägen.

[48] Die gesuchte Wirkung wird v. a. in die initiatio gesetzt, diese soll ein neues Verstehen auslösen, einen Wandel in Gang setzen, der nichts weniger ist als eine neue Geburt. Aber nicht nur die initiatio mit ihrer „Erschütterung“ ist wirksam, auch die ordinatio hat ihre Erfahrungs-Quellen, vgl. den traditionellen Begriff der Heiligung (es meint die Fortsetzung der Wandlung nach der Taufe). Und auch die separatio übt Wirkung aus. (Vgl. arm werden: den falschen Reichtum der Symptome loslassen…)

 

Um die Wirkung zu vertiefen, ist das Kultmysterium in Eleusis jedes Jahr aufgeführt worden, darum spricht Platon analog von mehrfacher Weihe, darum ist der Adept in Apuleius mehrfach geweiht worden. Darum gibt es christliche Sakramente, die häufig wiederholt werden. (Nicht die Taufe, weil diese die Nebenbedeutung erhalten hat, sich einem bestimmten Gott zu weihen. Aber es gibt die Möglichkeit der Tauferinnerung, was jeder erlebt, der als Pate oder Besucher einer Taufe beiwohnt.)

 

Was ist gesucht? Was kann das Sakrament leisten? Dazu muss man unterscheiden zwischen den empirisch erfahrenen Veränderungen, die sich auch in einem Wandel der Lebensführung zeigen (ich kann besser aufstehen, besser zu Bett gehen; ich verfüge über Geistesgegenwart; ich kann die Aufgaben besser bewältigen; dank der Wandlung bin ich bereit für die nächste Lebensaufgabe etc.) und den theologischen Gehalten, die nicht erfahren, sondern symbolisch verstanden werden. Die neue Schöpfung, von der das Sakrament spricht, gehört beidem an.

 

Am Beispiel des Jona: Wenn er am Meeresgrund angelangt ist, ist seine alte Identität zugrunde gegangen. Im Gebet lernt er sich neu verstehen, nicht mehr nur aus sich selbst, sondern aus dem andern, das ihm voraus liegt, und wo die Grenzen seiner Autonomie aufgehoben sind. So ist er ein neues Wesen. Er hat Teil an jenem Grossen und Ganzen, das das Leben trägt. Das wirkt sich „empirisch“ in seinem Leben aus.

Dass er ein „neues Wesen“ ist, heisst nicht, dass er den Grenzen der empirischen Welt nicht mehr unterworfen wäre. Er bleibt „sterblich“, ist Krankheiten unterworfen, etc. Aber er übersteigt diese Grenzen in seinem Glauben. Das gibt ihm Trost und Zuversicht, es macht Kraft frei für den Weg. Er verzweifelt nicht mehr, sagt Ja zu seinem Leben, etc. Es ist ein Ineinander von Gehalten, die empirisch erfahren und symbolisch repräsentiert werden.

[49] Das nimmt der Mythos auf: Es sei heilsnotwenig, sagt er, den Weg unten auf der Erde zu gehen. Darum würden die Seelen inkarniert. Weniger mythologisch: Das Vorher und Nachher der Initiation gehört wesentlich dazu. Man kann nicht sein ganzes Leben im Tempel hocken. Die Verzweiflung ist nötig, all das, was zur separatio gehört. Und der Weg durch den Widerstand in der ordinatio ist nötig.

 

[50] Schon das Absterben in der Phase der separatio hat viel geholfen. (Vgl. das „Ich kann nicht mehr“ in meiner letzten Krankheit, das mir mehr geholfen hat bei der Lösung aus meinen Verstrickungen als alle bewussten Anstrengungen, mit denen ich mein Leben damals beruflich und privat besser einrichten wollte. Vgl. Notizen März 2007)

[51] Es gleicht der Arbeit des Demiurgen in der Gnosis, der auf die Welt der Symbole schaut und sie in der sinnlich wahrnehmbaren Welt imitiert. Aber hier helfen die Sinne selber mit, gegen ihre Abwertung in der Gnosis.

 

[52] Es ist wie bei traumatischen Verletzungen, die sich über körperliche Erinnerungen weiterpflanzen und ein Leben mit-bestimmen. Aber auch das Heilen kann von dieser Körpererinnerung lernen. Das eben macht die Körper-Therapie aus, dass man neue Körper-Erfahrungen einpflanzt, den schlechten Erinnerungen auf dieser Ebene zu Leibe rückt.

 

[53] Es ist das, was die Güter-Ethik sucht nachdem die Normen-Ethik in die Sackgasse führte.

Die Philosophische Ethik, sagt Habermas, könne nur Normen intersubjektiv begründen. Sie anzuwenden, erfordere Urteilskraft, sie in Handeln umzusetzen, Ich-Stärke. Beide Kräfte könnten von der Philosophie nicht begründet werden, sie wüchsen lebensweltlich. Er lässt die Stelle leer.

Darum die Renaissance der aristotelischen Ethik in den 80er Jahren, die Suche nach Entitäten in der Lebenswelt, die die Vermittlung von Sein und Sollen leisten. Statt Normen, die sich dem Handeln nicht vermitteln können, sind Sitten gefragt, wo ganze Handlungsketten schon verankert sind.

[54] Anlässlich des 75-Jahr-Jubiläums der Entdeckung von LSD interviewte der „Tages-Anzeiger“ Peter Gasser, der als erster wieder Forschung damit betreiben konnte, nachdem die Substanz jahrzehntelang verboten war (Tages-Anzeiger vom 18.4.2018, S. 40). Er meint: „In den Sechzigern ging man davon aus, dass LSD das Verhalten des einzelnen verändere und dadurch auch die Gesellschaft. Viele Forscher und User hofften, eine positive Entwicklung herbeizuführen.“ Aber:

Man muss diese Erfahrung integrieren, sonst bleibt sie wirkungslos. (…) Nehmen wir das Beispiel von Depressionen: ich fürchte, dass ich mithilfe von LSD oder MDMA zwar eine kurzfristige Verbesserung erreichen lässt, die aber nicht anhält, weil die Patienten in ihren vorherigen Zustand zurückfallen.“ – Die Droge nützt nichts, wenn sich allfällige positive Wirkungen nicht in Alltagshandeln transformieren lassen.

 

[55] Die Reizung aller Sinne war kein Selbstzweck, es sollte die Batterien aufladen, aus denen sich das Handeln speist. Das ist der Unterschied zur Suche nach dem Gesamtkunstwerk im fin de siècle.

[56] Oder das Sterben, wo diese Matrixen ebenfalls wieder die Steuerung übernehmen, oder bei Krankheiten, bei jeder Neu-Organisation des Lebens an einem Übergang. Es ist quasi die Entsprechung zu jener Entwicklungssteuerung, die bei Insekten die Metamorphose auslöst. Damit sind wir wieder nahe am Mythos.

[57] Darum ist Pilgern so wertvoll, es ist das tägliche Loslassen, Separieren, sich vergewissern und auf dem Weg gehen mit nichts als einem Bündel und dem Vertrauen: dass sich findet, was nötig ist. Es ist die Einübung des spirituellen Weges auf dem körperlichen Weg. Es ist das Yoga des Christentums.

[58] Reinbek bei Hamburg 1986, engl. 1967

 

[59] Dazu passt die folgende Geschichte: „Was sagst du, wer ich sei?“ fragt Christus den Petrus. „Du bist Christus“, antwortet dieser. „Das hast Du nicht von Menschen erfahren, das hat dir der Vater im Himmel offenbart“, sagt Christus und er macht ihn zum Felsen, auf den er seine Kirche baut.

„Und was sagst du, wer ich sei?“ fragt er ein Unterrichtskind heute. „Du bist Christus“, antwortet dieses. „Du hast wahr geantwortet, sagt Christus. Schade, dass du es von einem Menschen erfahren hast und nicht vom Vater im Himmel“. – Kind: „Ja, ich bin betrogen worden, jemand gab mir die Antworten, bevor mein Vater im Himmel sprechen konnte. Ich staune über deine Weisheit, dass Du nichts zu Simon Petrus sagtest, sondern wartetest, bis der Vater als erster zu ihm sprach. Darauf kann man keine Kirche bauen.“ (Anthony de Mello, Warum der Vogel singt, Freiburg-Basel-Wien, 2004, S. 116)

 

[60] (Dazu passt die Auskunft, dass auch die von Lowen vertretene Richtung sich aus einer Art Rhetorik, entwickelte, die beanspruchte, die Seelen führen zu können. Lowen besuchte ein Seminar des ehemaligen Psychoanalytikers Wilhelm Reich, der Freuds „Rede-Kur“ zu einer Vegeto-Therapie weiterentwickelt hatte, wo der gesamte Organismus einbezogen wurde, insbesondere auch die Muskulatur.)

 

[61] Vgl. Phil. 2,5f: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht:

6 Er war Gott gleich, / hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, 7 sondern er entäusserte sich /

und wurde wie ein Sklave / und den Menschen gleich. / Sein Leben war das eines Menschen; 8 er erniedrigte sich / und war gehorsam bis zum Tod, / bis zum Tod am Kreuz. 9 Darum hat ihn Gott über alle erhöht / und ihm den Namen verliehen, / der größer ist als alle Namen,10 damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde / ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu 11 und jeder Mund bekennt: / Jesus Christus ist der Herr – / zur Ehre Gottes, des Vaters.“ – Der Philipperhymnus, der von einzelnen asketisch gelesen wird, meint die Würdigung des Körpers in so hohem Ausmass, dass ihm und der Welt sogar Heilsbedeutung zukommt.

[62] (Aus Angst ist der Mensch in sich verkrümmt, im Vertrauen auf das Evangelium kann er sich entfalten. Aber dieses Vertrauen verfällt immer wieder dem Zweifel. Der Weg durch den Köper hilft dem Glauben und dem Leben aus dem Glauben.)

 

[63] Worum ging es in diesem Kapitel? Ich zitiere aus einem späteren Bericht an die Kirchenpflege über das Sabbatical und meine Überlegungen zu Sakrament und Körper-Spiritualität.

[64] Aus einem Beerdigungs-Gottesdienst 2009

[65] Das sagt der Täufer in Joh 3,30 von Jesus. Der Täufer ist der Vorläufer, der auf den verweist, der nach ihm kommt. Der Johannistag ist die Sommersonnenwende, der längste Tag im Jahr. Danach nehmen die Tage ab bis zur Wintersonnenwende, dem kürzesten Tag. Dann wird Weihnachten gefeiert, die Geburt Christi. So nimmt die Sonne ab bis sie wieder zunimmt. „Ich muss abnehmen, er muss zunehmen.“

[66] «Busse» ist ein weiteres Sakrament der alten Kirche. Das erste Jahrhundert der Kirchengeschichte kannte nur die Taufe, das dritte Jahrhundert führte aufgrund langer Kämpfe die wiederkehrende Busse ein. Immer mehr wurde damals die Taufe an das Lebensende verschoben, in der Taufe fand man Vergebung, eine zweite Taufe gab es nicht. Die Menschen machten die Erfahrung, dass sie auf ihrem Weg immer wieder in alte Verhaltensweisen zurückfielen, sie litten an der Selbstverurteilung und wollten rein vor Gott treten, wenn sie schon im Leben nicht rein sein konnten. Darauf wurde die Beichte und Busse geschaffen. Die «Schlüsselgewalt des Petrus», die Vollmacht zur Vergebung, die Jesus den Jüngern mit dem Taufbefehl übergeben hatte, wurde in ein neues Sakrament ausgeformt, ein Tochter-Sakrament der Taufe. Es ist eine Tauferinnerung, eine Erinnerung daran: dass Gott Menschen macht, auch den neuen. Der Mensch kann Sein und Sollen nicht versöhnen. Er kann aber Vergebung empfangen und Schuld vergeben. (Aus Notizen 2012)

[67] Aber es stellt sich hier die Frage, ob es eine „Religionsgeschichte“ in diesem Punkt überhaupt gibt, denn diese Phänomene sind von anderer Art. Sie gehören in die Sozialpsychologie, nicht in die Religion.

[68] „Da aber der Herr sah, dass der Menschen Bosheit gross war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war, da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden.“ (Genesis 6,5)

 

[69] „Und siehe, ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war mit ihm. Und ein Wort war ihm zuteil geworden von dem heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach: Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast. Denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, den du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.“ (Lk 2, 25ff)

[70] Vgl. dazu das Kapitel «Sakrament der Unsterblichkeit» im Anhang, «Religion und Rausch»

 

[71] Aus meinen Lesenotizen und Gedanken zu Peter Sloterdijk, Weltfremdheit, Ffm 1993. Die Lesenotizen sind in meinem Buch «Eros. Chaos. Kosmos. Das Sakrament». Notizen aus dem Sabbatical.» aufgenommen.

[72] Ich trage eine Notiz vom 2. Februar 2002 ein.

[73] Vgl. das Gleichnis vom Rebstock, Joh 15, 1-8.

[74] Vgl. Zu diesem Abschnitt das Kapitel «Sakrament der Unsterblichkeit» im Anhang: Sind Drogen die besseren Sakramente? Religion und Rausch. Die Antwort der Antike.

[75] Aus der Ausschreibung für einen Vortrag

[76] Aus dem Vortrag

 

[77] Ralf Koneckis, Mythen und Märchen. Was uns die Sterne darüber verraten. (Astronomische Vorgänge im Bild bestimmter Märchen.) Stuttgart 1994.

[78] Aus einer Kolumne zum Bettag

[79] Aus einem Workshop. 2008 habe ich im Pfarr-Kapitel einen Workshop geleitet, in dem die Erfahrungen mit der Köper-Spiritualität zur Sprache kamen. Es ist ein Beispiel für eine öffentliche Formulierung der dort gefundenen Resultate wie die Gottesdienste, die Feier der Sakramente oder der Vortrag zum Weg des Lebens vor dem «Philo-Zirkel».

[80] Vgl. Joachim Bauer, Das Gedächtnis des Körpers, 2007 in 11. Auflage

 

[81] Diese Debatte der 80er Jahre ist zusammengefasst in dem Buch „Moralität und Sittlichkeit. Das Problem Hegels und die Diskursethik“. Hg von Wolfgang Kuhlmann, Ffm 1986. – Ich habe damals ein Seminar bei Jürgen Habermas in Frankfurt besucht und konnte teilhaben an dieser Diskussion.

[82] Im Jahr 943 sollen europaweit etwa 40.000 Menschen einer Mutterkornepidemie zum Opfer gefallen sein. (Wikipedia)

 

[83] «Hofmanns darauf folgende Fahrradfahrt nach Hause, die er im Buch «Mein Sorgenkind» ausführlich schildert, wird von Anhängern des LSD seit 1984 als Bicycle Day gefeiert.» (Wikipedia).

[84] Vgl. das Kapitel «Weltflucht oder Verwirklichung des wahren Lebens?».

 

[85] Vgl. das Kapitel «Das Widerfahrnis und seine Kultivierung in Religion».