Quasimodo

Der Brand der Pariser Kathedralen hat Quasimodo wieder in Erinnerung gebracht: jenen unförmigen Glöckner von Notre-Dame aus dem Roman von Victor Hugo.

Seinen Namen hat er vom ersten Sonntag nach Ostern, weil er als Kind an diesem Sonntag auf der Treppe der Kirche ausgesetzt und gefunden wurde. Die Sonntage tragen ihre Namen nach den biblischen Lesungen. Und die Lesung vom Sonntag „Quasimodo geniti“ hat zu tun mit der Situation nach Ostern: Alles ist neu geworden, Christus ist auferstanden, aber die Welt zeigt das alte Gesicht. Der Mensch, wie er uns in der Welt begegnet, hat seine Gott-Ebenbildlichkeit verloren, er ist deformiert. So steht „Quasimodo“ für den Menschen schlechthin und die Frage, ob der Menschheit noch zu helfen ist.

Die Fantasy-Literatur spielt gern mit Halb- und Mischwesen, in denen der Mensch noch nicht oder nicht mehr zu erkennen ist. Das Bild, dass der Mensch seine Gestalt verloren habe, ist seit der Antike (und dem „Goldenen Esel“ von Apulejus) oft verwendet worden. Wie kann das noch „Mensch“ heissen, was uns fast jeden Tag in den Medien entgegen tritt? So viel Brutalität, aber auch so viel Elend, Demütigung und Herabwürdigung! Am schlimmsten vielleicht die Hoffnungslosigkeit, als ob heute keine Zeit mehr wäre für ein volles und richtiges Leben, als ob man solche Hoffnungen angesichts der Weltprobleme vielleicht endgültig begraben müsste.

Im Miterleben der Karwoche sind wir die Passion mitgegangen. Als es nicht mehr weiter hinab gehen konnte, ist die Überzeugung in uns erwacht, dass es so etwas wie Gerechtigkeit und Barmherzigkeit geben muss, auch wenn es gar nicht in der Welt zu finden wäre. An Ostern ist das Vertrauen wieder stärker geworden, dass wir Menschen, die wir die Welt nicht gemacht haben – wir haben sie vorgefunden – getragen sind. Und wir haben wieder gelernt, uns von dem tragen zu lassen, was da ist und was sich nicht unserem Tun verdankt.

Aber dieses Vertrauen ist noch schwach. Es lebt erst im Kopf und noch nicht im Körper. Das Vertrauen auf Gott ist noch nicht „verkörpert“ in den Institutionen der äusseren Welt und in den Gewohnheiten unseres Charakters. Darum ist es krisenanfällig. Es ist immer wieder bedroht von Rückfällen. Das ist die Situation nach Ostern, davon spricht der Sonntag quasimodo geniti.

Die Figur des Quasimodo gehört zu dieser Zeit nach Ostern, nach einer Bibelstelle, die im Gottesdienst zitiert wird: „quasi modo“ = nach Art, „geniti infantes“ = von neugeborenen Kindern. Wir sollen uns verstehen als Kinder, die in der Taufe an Ostern neugeboren sind, sagt der Apostel Petrus. Wir müssen noch Acht haben auf uns. „Quasi modo geniti infantes, halleluja, rationabile, sine dolo lac concupiscite.“ „Wie die neugeborenen Kinder seid begierig nach der vernünftigen, lauteren Milch”. (1. Petr. 2,2) Und Petrus mahnt: „Legt also alle Bosheit ab, alle Falschheit und Heuchelei, allen Neid und alle Verleumdung. Verlangt, wie neugeborene Kinder, nach der unverfälschten, geistigen Milch, damit ihr durch sie heranwachst und das Heil erlangt. Denn ihr habt erfahren, wie gütig der Herr ist.“

Das ist die Situation nach Ostern: Da ist die überhöhte Erwartung, als ob mit der neugeborenen Hoffnung auch schon der ganze Mensch neugeboren wäre. So entsteht das Gefühl von Rückfall, Enttäuschung an sich selber, und die Gefahr eines „Verleiders“: dass man den Glaubensweg verlässt, weil man ihm doch nicht gerecht werden kann.

Die kommenden Sonntage der „österlichen Freudenzeit“ legen aus, was Auferstehung an Ostern für den Glaubenden bedeutet und nicht bedeutet, ähnlich wie die „psychagogischen Katechesen“ des 4. Jahrhunderts, wo dem Glaubenden im Nachhinein zum Verstehen gebracht wird, was er in der Feier schon geschaut, aber noch nicht umgesetzt hat in einen lebenspraktischen Weg. Es wird ihm gezeigt, wie er das leben kann.

So beginnt das Übungsfeld der Zeit nach Ostern. Handeln ohne Vertrauen ist nicht möglich. Aber ein Vertrauen, dem nie entsprechende Schritte folgen, muss auch zugrunde gehen. Glaube, damit er bleibt, braucht Handlung. Geist braucht Körper.

 

Weiterführende Beiträge unter „Körper-Spiritualität“ .

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