Ewige Theologie

Die Welt ist dermassen im Wandel, alles ist flüchtig, manches in Auflösung. So ist die Sehnsucht begreiflich, einen Ort zu haben, wo man sich einfinden kann. Ähnlich wie in der katholischen Kirche, die eine Weltkirche ist, wo ich überall einen Ableger finden kann, aber noch universeller, einen Ort, der nicht in der Aussenwelt, sondern im Innern zu finden wäre. Da wären die Altäre geschmückt, man könnte eine Kerze anzünden. Ein Ort der Stille und Schönheit, des Sich-Einfindens, des Zur-Ruhe-Kommens, des Stille-Werdens, des Einklangs.

Ein Gottesdienst der Engel
So müsste ein Gottesdienst aussehen, den die Engel im Himmel feiern, denkt man. Am Ort der Wahrheit, Schönheit und «Richtigkeit». (Das Wort Gerechtigkeit trifft es nicht ganz, es ist nur ein Aspekt jener Intuition, die mit «Logos» bezeichnet wird: dass es da so etwas wie eine «Richtigkeit» in allem gebe, und wer sich daranhalte, finde den Weg. Es ist ein Weg, wie der Vogelflug, ohne Strassen und Wegweiser, und doch lässt er sich finden. Diese «Richtigkeit» ist dem Kosmos eingeschrieben.)

Die Schönheit im Beten
„Theologia perennis“ – Ich schreibe dieses Stichwort in mein Notizbuch, das ich unterwegs bei mir trage. Ich denke dabei an das, was man im Beten streift, was immer „da“ ist und über den Moden steht.

Ich denke an eine Sonne, einen Garten.
Sie sind immer „da“, man kann sich dort einfinden.
Etwas strahlt in Schönheit, Wahrheit, Richtigkeit…

Mir ist der Name aufgetaucht als Analogiebildung zu „philosophia perennis“. Ein Nachfragen zeigt: diese bezieht sich auch auf Religion, es ist eine neuplatonische Vorstellung. Das Konzept bezieht sich auf den Universalismus und die Versuche, aus der Vielfalt der Religionen und Traditionen eine „universelle geistige Wahrheit“ wieder herzustellen. Es ist gespiesen aus dem Widerwillen gegen Zank und Streit, Dogmatismus und „Religionskriege“, auch aus der offensichtlichen Unfähigkeit, zwischen den verschiedenen Religionen und ihrem Wahrheitsanspruch zu entscheiden.

Eine Religion in allen Religionen?
Wer wacht über dem Heiligen? Ist es der Mensch? Und wenn wir in dieser Aufgabe versagen? In diesem Konzept liegt das Vertrauen nicht auf der Bibel als Text, es liegt nicht auf der Traditionslinie, die gewahrt werden muss, es liegt auf der Wirklichkeit selbst, die sich durchsetzt, auf der Wahrheit, die gilt, weil sie wahr ist, auf der Schönheit, die strahlt, auch wenn niemand sie bewundert oder schmäht, auf der Richtigkeit, die einen Weg vor Augen stellt, solange noch Menschen einen Weg suchen.

Das Christentum als Kultur-Phänomen, wie wir es kennen, kann verloren gehen. Die Traditionslinie kann abbrechen. Aber sie kann immer neu gefunden werden. Und wenn die letzten Gläubigen sterben, Gott kann sich aus Steinen ein Volk erschaffen, wie Johannes der Täufer predigt. (Lk 3,8)

Das schwebte mir vor unter dem Bild einer «theologia perennis».

Himmlische Idee und irdischer Weg
Die Idee ist verführerisch und diese Ruhe und Schönheit wird ja auch im Gebet erfahren. So kann es zu einer Gegenwelt werden und zu einer Rückzugsposition, zu einer Abwehr der schlechten Welt. In der Zeitung lese ich von einer katholischen Bruderschaft, welche an einer «ewigen, unveränderlichen Wahrheit» festhält und alle Neuerungen ablehnt. Sie hat sich von der Kirche abgespalten. Ich lese von einer Sekte in Afrika, die das Leiden an der Welt zu einer Untergangsansage verdichtet. Sie will den Schrecken des «Weltendes» entfliehen, um «bei Jesus» zu sein. So fasten sie sich zu Tode. Bisher wurden über 400 Tote geborgen.

Das «Ewige» ist in der Idee zu finden. Wir leben aber in einer veränderlichen Welt. Die Kirche hat im Mittelalter nach Platon auch Aristoteles aufgenommen und würdigt damit diese vergängliche Erfahrungswelt. Im Gottesdienst haben wir ein Fenster zu Wahrheit und Schönheit; der Glaube gibt uns symbolische Bilder, die das Ewige erfassen. Aber nach dem Gottesdienst kehren wir zurück in den Alltag, wo wir die Herausforderungen unserer Zeit angehen in dem Vertrauen, das wir im Glauben erneuert haben.

Fenster zum Ewigen
Die katholische Messe kennt mit dem «Sanctus» eine Stelle, wo der Blick ins Allerheiligste geht. Engel umstehen Gott in einem himmlischen Gottesdienst nach der Vision von Jesaja: «Da sah ich den Herrn auf einem hohen und erhabenen Thron sitzen. Serafim standen über ihm. Und einer rief dem anderen zu und sagte: Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen.» Es erinnert an Platon und seinen himmlischen Gottesdienst, wo die Seele, von Schönheit entzückt, in die Höhe schwebt und zur Quelle von Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit findet. Aber bald entlässt der Priester die Gemeinde: «Gehet hin in Frieden!» sagt er und die Gemeinde kehrt in den Alltag zurück.

 

Beachten Sie «Wie kommt die Theologie zu ihren Erkenntnissen?» mit dem Abschnitt «Wie lässt sich Glaube begründen?»
Nach Notizen 2014
Foto von Liger Pham, Pexels