Tag Archive for: Nachfolge

Oft liegen wir mit uns überquer. Haben uns anders verhalten, als gewollt. Haben nicht erreicht, was wir uns vorgenommen hatten. Haben etwas falsch gemacht. Wir lehnen uns selber ab. Weiterlesen

Der Brand der Pariser Kathedralen hat Quasimodo wieder in Erinnerung gebracht: jenen unförmigen Glöckner von Notre-Dame aus dem Roman von Victor Hugo. Weiterlesen

Spott und Hohn – und deren Kehrseite Scham und Schande – gehören wesentlich zur Passion. Im Alten Testament klagen die Psalmen über den Spott («Versengt wie Gras und verdorrt ist mein Herz. Den ganzen Tag verhöhnten mich meine Feinde.» Ps 102). Die Propheten werden verhöhnt, die Armen, ja das ganze Volk erleidet den Spott der Feinde. Im Neuen Testament wird es zu einer Kreuzwegstation, die in der kirchlichen Musik und Malerei intensiv bedacht wird. So kommt es zu einer Umkehr der Werte. Was Inbegriff der Schande ist, wird gewürdigt. Spott und Hohn werden geradezu geheiligt, weil sie als Leidensweg das Heil hervorbringen. Weiterlesen

Heute Morgen hab ich mir den Text zur Markuspassion angehört. In Erinnerung geblieben ist mir die Frage Jesu: «Simon, schläfst du?» (Mk 14,37). Ich will sie mit mir in den Tag nehmen. Ich fühlte mich ertappt. Die Frage trifft vieles, das mich ausmacht und mein Leben. Christus schwitzt Blut und ich schlafe. Die Menschen leiden bis ins Extrem und ich schlafe. Ich will schlafen. Ich schlafe nicht den Schlaf des Gerechten, ich stopfe mir die Augen und Ohren zu. Ich fühle mich überfordert von dem, was zu tun wäre, wenn ich wach wäre, wen ich hören würde, wenn ich sehen würde, wenn ich empfinden würde. So aber kann ich sagen, ich hätte geschlafen. Ich habe es nicht gewusst. Weiterlesen

Der Schreck kann lähmen, er kann die Fähigkeit, sich richtig zu verhalten, ausser Kraft setzen. So wird man untauglich für den Weg. In der Antike findet sich immer wieder das Verbot, zurückzuschauen.
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Am Aschermittwoch gabelt sich der Weg. Hier muss ich mich entscheiden. Ich weiss, dass ich zurückbleiben werde. Petrus, mein Namensvetter macht es vor, und ich bin ihm dankbar. Das ist der weniger anstrengende Weg, der Weg des Versagens. Er will Christus davon abhalten, nach Jerusalem zu gehen, alle wissen ja und spüren, was da geschehen wird. «Geh hinter mich, Satan», sagt Jesus. «Du denkst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.» Weiterlesen

Erinnert euch an euern Weg, sagt Moses zu seinem Volk. Ihr seid durch eine Wüste gekommen. Da war kein Weg sichtbar, den ihr gehen konntet. Gott hat vor euch einen Weg aufgemacht. Geht weiter auf diesen Weg, so kommt ihr in das gelobte Land, wo Milch und Honig fliesst. Weiterlesen

Eintreten
in die Mitte
in die Stille
in die Gegenwart
im Einklang sein Weiterlesen

Werschätzung

Warum können manche Menschen an ihrem Ziel festhalten und unbeirrt an einer Aufgabe arbeiten und andere verlieren sich immer wieder und resignieren an ihrem Leben? – Viele Menschen haben schon früh gelernt: „Was du machst, ist nichts wert.“ Und sie stimmen in dieses Urteil ein. Sie können im Lauf des Lebens lernen, sich ernst zu nehmen und dem treu zu bleiben, was sie für sich als richtig erkannt haben.

Das ist nicht einfach, da es dem Gefälle des Charakters entgegenläuft. Sie haben das Urteil der andern übernommen. Sie neigen sich vor etwas, was grösser scheint, als ihre Einsicht. Es ist, als ob da ein Götze auf ihrem Altar thronte, dem sie dienten, auch wenn sie grosse Opfer dafür geben müssen. Sie opfern ihre bessere Einsicht und ihre Sehnsucht nach einem richtigen und ganzen Leben – dass das auch für sie eines Tages noch wahr werden könnte.

Innere Widmung
Wenn das gelingen soll, müssen sie andere Grössen auf den Altar setzen und ihren Götzendienst beenden. Das meint die Rede vom „inneren Altar“: dass sie das wertschätzen, was ihnen wirklich etwas bedeutet, statt es kleinzumachen und in den Chor der Spötter einzustimmen.

Sie müssen aufhören, mit dem zu kollaborieren, was sie kaputt macht, nur weil sie Anerkennung suchen, nur weil sie sich das Recht zum Dasein verdienen wollen. Dieses Recht verdient man nicht, man erhält es von Gott geschenkt. Er gehört darum auf den Altar. Ihm muss man danken lernen. Dann wird man vom Dienst an falschen Herren frei.

Psychologisch ausgedrückt geht es um die innere Widmung ihrer Arbeit: Was ist die innerste Ausrichtung ihres Tuns? – Was ist das Ziel, das alles andere relativiert? -Wofür lassen sie alles stehen und liegen, wenn sie nur das eine bekommen? –

„Der Gräuel“
Die Rede vom „inneren Altar“ ist ein religiöses Bild. Die Makkabäer Bücher in der Bibel schildern, wie Israel und der Vordere Orient von den antiken Griechen erobert und von den Diadochen-Staaten nach dem Tod Alexanders verwaltet wurden. Um ihre Herrschaft zu festigen, verfolgten sie eine bewusste Religionspolitik. Sie setzten einen „Gräuel“ auf den Altar, wie es in den Makkabäer-Büchern heisst.

Der Widerstand soll schon im Ansatz gebrochen werden, indem auch die Seelen in Verwaltung genommen werden. Mit dem Tempel, wo das Volk sein Heiligstes verehrt, soll auch das Innerste neu besetzt werden. Die Unterworfenen sollen sich vor den Werten der Besatzer verneigen. (So haben Herrscher in unterworfenen Gebieten immer ihre Repräsentanten zur Verehrung ausgestellt, von den Römern und ihrem Kaiserkult bis zu den Habsburgern mit dem sagenhaften Hut auf der Stange in Schillers „Tell“.)

Innerer Altar“ als abgekürzte Redewendung heisst: Das wertschätzen, was man als richtig erkannt hat; sich nicht vor falschen Götzen verbeugen; schon am Morgen nach dem Aufstehen die richtige Haltung einnehmen, damit das Verhalten während des ganzen Tags in die richtige Richtung geht. Denn das Bein, mit dem man aufsteht, macht den ersten Schritt. Die Haltung, mit der man aufwacht, bestimmt die Wahrnehmung, die Gefühle und das Verhalten.

Es ist eine komplexe Wechselwirkung von Innerem und Äusserem, was die soziale Realität bestimmt. Da sind Werte, Gefühle, Einsichten, Institutionen und Charakterprägungen, die das Verhalten bestimmen. Vieles scheint seit der Geburt geprägt und kaum veränderbar.

Es ist jedoch die Erfahrung eines spirituellen Lebens, die viele Menschen machen: Es kann verändert werden. Selbst die Verhärtungen des Charakters werden beweglich. Selbst die objektive Gestalt, die Inneres in äusseren Institutionen gefunden hat, kann verändert werden. So baut sich ein Leben ein neues Haus. So wächst es von innen, vom Altar und seinen Werten, nach aussen, in die sichtbare Wirklichkeit hinein.

Was wir wertschätzen spielt eine wichtige und oft unterschätzte Rolle dabei.

(Aus Notizen 24.3.19)

Ein Altar für die tägliche Verehrung

„Egal, ob andere sich für dasselbe interessieren.

Wenn ich es tue, will ich nicht davon abweichen, nur weil es ausserhalb scheinbar nichts gilt. Ich will mich nicht davon abbringen lassen, ob es sie interessiert oder nicht.

Ich will in mir selbst einen Altar errichten, ein Licht anzünden, den Tisch decken, die Hände waschen, ein schönes Kleid anziehen und feiern!“

(Aus Notizen 15.2.04)

Traum-Geschichten

„Ich habe das Gefühl, ich sei durch einen langen Tunnel hindurch gegangen. Und noch ist er nicht fertig. Eine Verletzung weckt alte Verletzungen und Reaktionsweisen. Sie wirft einen zurück. Entweder man wiederholt die alten Geschichten oder es wird eine Chance zu Versöhnung und Wachstum.

Was mir im Lauf meiner Notizen klar geworden ist: Mein ganzer Heilungsweg, was einen Lebensbeweg beinhaltet, einen Glaubensweg, einen Suchweg auf vielen Gebieten der Kultur und des Sich-Verhaltens, ging aus von einem „Trauma“.

Das Wort gefällt mir (und ich möchte nicht, dass gleich alle Aha-Erlebnisse wachgerufen werden, die man damit verbindet, mitsamt den Einordnungen und Schubladisierungen, die man in Auseinandersetzung mit diesem Wort gelernt hat).

Das Wort Trauma erinnert an Traum und das an jene Art, die Realität wahrzunehmen, die auch zu diesen Verletzungsgeschichten gehört, wo man durch eine Landschaft geht wie durch einen Traum. Und wo, wenn es intensiver ist, alles in ein helles Licht getaucht ist. Alle Angst, die vorher noch so bedrängend war, ist weg. Man ist reine Gegenwart, „actus purus“, wie in jenem Moment vor der Geschichte, als alles entstanden ist und alle Wirklichkeit geprägt wurde.

Oder man ist in Blaubarts Zimmer, wo er sein Geheimnis verwahrt hat. Und jetzt ist alles klar. Das ist der Ort, wo Verhalten geprägt, verletzt und geheilt wird. – Wenn man denn den Mut hat, da hinein zugehen, nicht vor der Angst davon zu laufen, sondern ihr entgegen und mitten hinein.

Es ist mein Stück
Das Trauma prägt jene Geschichten, die man immer wiederholt. Und man fragt sich: Warum muss mir das immer geschehen? Warum müssen die Menschen mir immer wieder auf diese Weise mitspielen? Man fühlt sich als Opfer, bis man begreift: Ich bin der Regisseur und die andern sind nur Marionetten in meinem Spiel. Und der Finger, der in ihrem Kopf steckt, das ist meiner. Ich führe das Stück auf. Es ist immer wieder dasselbe, aber ich nehme wechselnde Personen dafür, je nachdem, wie das Leben sie mir an die Hand gibt. Mal sind sie aus der Schule, dann aus dem Beruf, oder aus der Familie, wo immer.

Ich führe das Stück auf, und sie wären wohl froh, wenn ich sie frei liesse und wenn sie mir begegnen könnten, wie es ihnen entspricht und der Situation. Aber sie müssen immer ein Kleid anziehen, das ich ausgesucht habe, in die Maske gehen und einen Text aufsagen, der ihnen übergestülpt wird wie eine fremde Rolle.

Es ist die Rolle in meinem Stück, wo ich immer wieder verletzt, gedemütigt, vernichtet werde. Ich werde nicht müde, das Stück zu wiederholen, so schrecklich es auch ist. – So haben sich die Altvorderen die Hölle vorgestellt, in ewig gleichen Ablauf-Schlaufen, darum in Kreisen aufgebaut, in den neun Kreisen der Hölle.

Die Betrachtung der Passion ist heilsam. Die Geschichten, die in einer Religion erzählt werden, bilden so etwas wie ein gemeinsames Trauma. Viele Generationen von Menschen haben sich darin wiedererkannt und sie haben ihre Erfahrungen darin eingetragen. Und das sind nicht nur die verletzenden, sondern auch die heilsamen.

Die Mitte taucht auf
„Er wird die Schuld der Väter heimsuchen bis ins dritte und vierte Glied.“ – Das Trauma vererbt sich, es legt sich wie ein dunkler Fluch auf kommende Geschlechter, aber es mildert sich auch. Und nach drei, vier Generationen ist es verheilt.

Das Leben ist kreativ, Kinder sind kreativ. Und auch ein Mensch allein arbeitet schon an seinem Leben. Und dort, wo das „Loch“ war, die Finsternis, wo alles Leben hineinzustürzen drohte, dort wird die „Mitte“ sichtbar. Es ist ein Ort, wo man nicht mehr verschlungen wird, sondern wo man gerne hingeht, wo man sich gehalten und geborgen fühlt, wo man gegenwärtig werden kann, das Ganze des Lebens ergreifen.

Und dieser geplagte Mensch – im Gebet kann er sich einem „Du“ gegenüberstellen, alles fasst er in diesem Du zusammen. Er kann alles übergeben und erhält alles zurück. Er sieht sein Leben jetzt mit andern Augen. Mit den Augen Gottes: Das sind Augen der Liebe, nicht der Verfolgung, der Annahme, nicht der Verwerfung, der Würdigung, nicht der Verachtung.

Die Intuitionen haben ihm dabei geholfen. Jene Ahnungen, die nicht aus der Erfahrung abgezogen werden, sondern vor aller Erfahrung das Leben und Erfahren prägen: dass es so etwas wie Gehalten-Werden gibt, Erbarmen, dass es so etwas wie Gerechtigkeit gibt und die Würde der Person, dass Leben gelingen soll, nicht verstümmelt werden, dass ein Weg ankommen soll, nicht in der Wüste verlaufen…

Der Moloch
So füllt sich das Loch, die Farbe ändert sich. Und wo die Makkabäer, die Freiheitskämpfer des antiken Israel, von jenem Ungeheuer sprechen, dem „Gräuel der Verwüstung“, das auf dem Altar sitzt (die Eroberer und Unterdrücker des Volkes haben es als Götzen dorthin gesetzt, damit die Unterworfenen es anbeten sollen und ihre Herrschaft anerkennen), dort ist wieder Gott anzutreffen. Der Altar wird gereinigt, die Verletzung geheilt. Und wer dorthin flieht, findet Hilfe und Heilung.

Aber diese Schande hatte die Lebenskraft des ganzen Volkes geraubt:

„In seiner Vermessenheit betrat der König sogar das Heiligtum; er raubte den goldenen Rauchopferaltar. (…) Da kam grosse Trauer über das ganze Land Israel. Die Vornehmen und Alten stöhnten; die Mädchen und jungen Männer verloren ihre Kraft und die Schönheit der Frauen verfiel. Jeder Bräutigam stimmte die Totenklage an, die Braut sass trauernd in ihrem Gemach. Das Land zitterte um seine Bewohner. Das ganze Haus Jakob war mit Schande bedeckt.“ (1, 21ff)

Der innere Altar
Ich habe meine Notizen aus dem Jahr 2006 unter dem Titel „Der innere Altar“ zusammengefasst. Ich habe damals eingesehen, dass ich meiner Tendenz widerstehen muss, mich immer nach aussen auszurichten. Wenn einer was gut findet, renne ich in diese Richtung, weil ich unersättlich bin nach Anerkennung. Wenn jemand etwas kritisiert, lasse ich mich selber im Stich. Ich verrate das, was mir wichtig geworden ist. Ich muss von mir selber ausgehen und dem treu bleiben, was ich für mich als gut und richtig erkannt habe. Ich muss selber einen Tisch decken, eine Kerze anzünden, einen Altar aufrichten und das feiern, was ich als wahr und richtig und schön erkannt habe.

Das Mädchen mit der Flagge
So hisst das Mädchen in Miyazakis Film „Mohnblumenstrauss“ jeden Morgen die Flagge, weil es auf die Rückkehr seines Vaters hofft, der im Koreakrieg geblieben ist. Es ist wie ein Gruss in den Himmel. Und sie findet, als sie herangewachsen ist, ihren Freud, als ob der Himmel Antwort gegeben hätte.

Sie denkt nie und nimmer daran, dass sie einen Freund finden würde, wenn sie die Flaggen hisst, sie denkt an ihren Vater. Sie zeigt die Flagge und ist dem treu, was ihr wichtig ist, wichtiger als alles andere.

So kann ich meine Arbeit tun und brauche an nichts anderes zu denken. – Ob das je auf Beachtung oder Wertschätzung stossen wird? Ich kann die Flagge hissen, an den Vater denken und den Rest ihm überlassen.

(Aus den Notizen 7.11.17)

Innere Bilder und äussere Wege

„Was wissen innere Bilder von äusseren Ereignissen?

Dieses Buch handelt von inneren Bildern und äusseren Wegen.
Wie soll das eine mit dem andern zusammenhängen?
Ist das Innere nur ein Echo für das Äussere? Oder – wenn es manchmal sogar früher auftaucht als das Äussere und in Träumen und Ahnungen eine Zukunft aufscheint – sollte da eine geheime Alchimie vorhanden sein für eine „innere Führung“ im Leben?
Nicht die Spekulation interessiert hier, sondern die Lebenspraxis: Ist da etwas zu finden, was im Leben hilft?

Der Sturm und sein „Ende“
Heute Morgen sitze ich mit flauem Gefühl am Schreibtisch. Draussen braut sich ein Sturm zusammen. Dunkle Wolken türmen sich auf. Es rüttelt an Bäumen und Ästen. Ich denke an die Klimaveränderung und ihre Folgen. Das flaue Gefühl rührt vielleicht aber eher von meinem Leben her, weil es sich seinem Ende nähert.

Schon gestern haben sie eine Sturmwarnung durchgegeben. Aber morgen soll es schon wieder ruhiger werden. So nimmt die Zivilisation die Angst aus dem Sturm. Die Wetterprognose weiss: „Übermorgen“ ist es vorbei. Aber wenn man den Sturm kommen hört, identifiziert man ihn leicht mit dem, „was kommen muss“ und was allem ein Ende setzt. Da ist ein inneres Ende, ein inneres Bild für Ende, das aufwacht und sich mit diesem und jenem verbindet, das man kommen sieht.

Das innere Bild ist nicht falsch. Die äusseren Ereignisse haben auch das Zeug dazu, ein Ende zu bringen für vieles. Aber die Verknüpfung ist oft falsch. Das innere Bild vom Ende ist auf bestimmte Weise geprägt, es mobilisiert die Angst von „damals“. Es führt auf den abschüssigen Weg traumatischer Erfahrung, wo es „nur noch einen Schritt!“ braucht und alles stürzt ins Loch…

Mein Innenleben an der Zimmerdecke
Letzten Sommer waren wir in Rheinau. Es war „Tag der offenen Türe“ auf der Klosterinsel. Jahrelang kannten wir das Kloster nur von aussen. Aber wir fühlten uns zu diesem Ort hingezogen. Jetzt öffnete sich die Tür. – Wie wird es sein?

Alles ist aufwendig restauriert. Alles sieht teuer aus, die Installationen sind auf modernstem Stand. – Aber ich bin enttäuscht. Alles ist grau-weiss gestrichen. Ein Gefühl von Enge stellt sich ein. Nur dort, wo ein altes Treppenhaus belassen wurde, wird es weit, so dass man atmen kann.

Den Weg, der vom Kloster zur Kirche führt, kann man jetzt inwendig abschreiten. Wir gehen durch diesen Gang. Ein Wohlgefühl stellt sich ein. Obwohl es immer noch eng ist. Aber gehen, etwas abschreiten, einem Ziel entgegen gehen – das ist ein inneres Bild, wie ein „Archetyp“. Es weckt ein Echo, lässt etwas anklingen, dem wir nachhören. Wir werden nach innen geführt, wenn wir aussen gehen. Es weckt die Erinnerung und lässt die Intuition äusserlich erleben. – Architektur wird offenbar als wohltuend empfunden, wenn sie erlaubt, etwas äusserlich zu begehen, was innerlich lebendig ist. Sie bekommt etwas Sakrales. Als ob es Teil von einem Tempel wäre.

Auf diesem Weg kommen wir an einem Zimmer vorbei, dessen Decke original belassen wurde. Man kann sich setzen und das Deckengemälde von 1675 betrachten. Ich staune: Das hielt ich für das Allerprivateste, denn ich kenne es von meinen Träumen. Aber hier ist es öffentlich! Es sind Bilder vom „Tor“, vom „Garten“, vom „goldenen Haus“, vom „Turm“… Es sind offenbar solche Archetypen. Jedenfalls innere Bilder, wie sie auf dem Glaubensweg aufscheinen.

Ich erinnere mich gut an die Träume vom Tor (wenn man hineinging, wurde es ruhig, das Gelärm der Leute verlief sich); vom Garten, der nicht verschlossen war (das Tor zum Garten war immer da, aber bisher bin ich immer daran vorbeigegangen, ich sah es nicht. Hier konnte ich mich in die „Mitte“ stellen.); vom Turm, der am Wegrand stand, ich musste erst dort vorbei (und da sein für unsere Kinder), bevor ich zum Tempel im Hintergrund weitergehen durfte; vom schönen Haus

Innen und aussen
Das Erlebnis mit dem Sturm zeigt: Es gibt innere Bilder, die bereit stehen, Erlebtes zu deuten. Es gibt dunkle Bilder, die aus traumatischen Erfahrungen stammen. Und es gibt helle Bilder – und diese kommen von weiter her. Auch andere Menschen kennen sie, die nicht meine Erfahrungen geteilt haben. In alter und ältester Zeit finden sich Berichte darüber. In der Religion werden sie kultiviert.

Das Bild vom „Ende“ ist ein Bild, das die traumatische Erfahrung immer wieder wie ein Netz über das tägliche Erleben wirft. Und so wird es gefangen. Es zappelt im Netz. Das Leben zappelt wie ein gefangenes Insekt und will sich befreien. Und der Mensch denkt: „So ist es, das Leben ist ein dunkles Loch, es ist alles sinnlos, alles geht zugrunde.“ Darum sind die andern Bilder so wichtig. Darum ist es so wichtig, dass das Evangelium von aussen kommt und die andern Bilder weckt, die innen in uns ruhen. Dass wir wieder anschliessen können an die lebenspendenden Bilder, an Bilder der Hoffnung, der Liebe und des Vertrauens.

Denn nur so können wir die Spaltung überwinden, die Spaltung in uns und gegen aussen. Nur so finden wir ein Bild des Ganzen, das mit sich übereinstimmt. Nur so ist Integration möglich: Integration in sich selbst und damit psychische Gesundheit und Integration nach aussen, im Zusammenleben mit den Menschen. Nur so auch ein Umgang mit der inneren und äusseren Natur, der diese nicht vergewaltigt sondern Frieden schliesst. Nur so also ein Entwicklungspfad der Zivilisation, der sich nicht selbst ein Ende gräbt, weil er auf Nebenwege führt, wo es kein Durchkommen mehr gibt.

(Aus dem Vorwort für das Buch „36 Ansichten vom Berg Fuji“, Notizen 2009)

 

Foto von Jose Luis Acevedo Gonzales, Pexels

Das Christentum wird oft geschmäht, weil Gott hier «seinen Sohn geopfert» habe. Dabei ist das Christentum der denkbar grösste Gegensatz zur heutigen Opfer-Kultur. Das wird deutlich gerade in der Passionszeit mit ihrer Aufforderung, Christus «nachzufolgen» und «das Kreuz auf sich» zu nehmen. Hier wird die Verantwortung für das eigene Leben auf die Spitze getrieben und umfasst auch Momente der Fremdbestimmung, die aber doch in die eigene Verantwortung übernommen werden. Weiterlesen