Zuschauen wie die Bibel denkt

«Auferstehung», «Himmelfahrt» – Zeitgenossen können wenig damit anfangen, auch in die Bibel ist das spät gekommen. Sie antwortet damit auf Herausforderungen ihrer Zeit. Wie lässt sich die Wirklichkeit begreifen, wenn sie sich widerständig zeigt gegen alle Hoffnung auf positive Veränderung? Haben Recht und Gerechtigkeit keine Heimat auf dieser Erde?

Das Alte Testament redet kaum von Auferstehung, im Neuen Testament steht es im Zentrum. In zwischen-testamentlicher Zeit taucht es auf: in Apokalypsen, Weisheitsschriften, späten Psalmen. Das Thema begleitet das Werden der Bibel.

Zuschauen, wie die Bibel denkt
Man kann zusehen wie eine Religion denkt, wie viele Generationen ihre Erfahrungen vor Gott bringen. Und wir sehen, wie sie ihr Vertrauen zu Gott neu begreifen lernen.

So verändert sich auch ihre Auffassung von Wirklichkeit, immer mehr Erfahrungen werden vom Glauben durchdrungen. So finden sich schliesslich auch Antworten auf Erlebnisse, die uns schwer verstören, z.B. die Fragen:

  • Wie ist es mit dem Unrecht, das auf der Erde keinen Richter findet?
  • Wie ist es mit all den Toten der Kriege, die immer wieder die Erde verwüsten und Elend verbreiten?
  • Wie ist es mit all den Armen und Benachteiligten – bleiben sie für immer auf der Verliererseite?
  • Gibt es also kein Recht auf der Erde? Ist alles nur blindes Schicksal oder Zufall oder folgt die Welt einfach dem Recht des Stärkeren?

Eine Sprache für die Auferstehung
In antiken Legenden sprach man von den Göttern, als ob sie in dieser Welt erschienen seien. Und Menschen folgten ihrer Bahn, als ob sie den Olymp ersteigen könnten und mit den Göttern zu Tische sitzen.

So entsteht eine Erzählweise, die das «Ewige» und das «Zeitliche» verbindet, das Irdische und das Göttliche. Man erzählt von der Welt der Ursprünge und letzten Ziele, als ob sie in der Erfahrungswelt begegnen könnten. Und die begrenzten Wesen dieser Erfahrungswelt werden betrachtet, als ob man ihren Weg bis zum Ursprung oder bis zum Ziel allen Daseins verfolgen könnte.

Das ist keine Eigenart einer bestimmten Religion. Das Erzählen muss immer «mythologisch» werden, wenn Göttliches und Menschliches verbunden wird. Das gilt auch für das Christentum, wenn es erzählt, wie Gott als Mensch geboren wird. Wenn Gott eintritt in diese begrenzte Welt, so tritt das Absolute ins Relative ein. Und es wird betrachtet wie ein Ding der Welt, wo es doch dessen Anfang und Ende ist.

Eine Sprache für das Leben
Das gilt auch, wenn Menschen um ein Grab stehen und das Leben des Verstorbenen betrachten. Im Lebenslauf, wenn erzählt wird, was ihm begegnet ist zwischen Geburt und Tod, bleibt man in der vertrauten Erfahrungswelt. In der Predigt wird der Blick aber geöffnet. Man nimmt die Glaubenssprache zu Hilfe. Wo kommen wir Menschen her? Wo gehen wir hin? Wo sind wir gehalten und aufgehoben?

Das Leben, in dieser Sicht, bewegt sich nicht nur zwischen Geburt und Tod. Liegt der letzte Grund nicht schon im Anbeginn der Welt? Und das letzte Ziel, zu dem wir es unterwegs sehen, ist nicht erreicht vor der Vollendung der Welt. So von einem Menschen zu sprechen, öffnet den Blick und den Zugang zu Versöhnung und Vollendung. Erst in dieser Perspektive wird das Leben «ganz». Es gibt eine Integration auch von Erfahrungen, die im «irdischen» Leben nicht versöhnt werden konnten. «Bei Gott» aber ist Ankommen, Gelingen, neue Unschuld, neues Leben.

Auferstehung in der Bibel
In spät-alttestamentlicher Zeit taucht die Rede von der Auferstehung in der Bibel auf. Wenn Leidens-Erfahrungen versöhnt werden sollen, die durch menschliches und geschichtliches Wirken nicht vermittelt werden können, muss die Rede «mythologisch» werden. Das ist nicht falsch, es ist kein «Märchen», keine fromme Erfindung. Man hält damit an beiden Pfeilern fest, ohne die das Leben nicht zu führen ist: die Anerkennung der Menschen, die uns vorausgingen und die wir würdigen für ihr Tun und Dasein, und die Anerkennung der Intuitionen, von denen Menschen leben: dass es Recht gibt und Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Vergebung, Vollendung und Ankommen auf einem Weg. Und dass diese Welt, die nicht von uns geschaffen wurde, Bestand hat, trotz uns Menschen.

Die Umkehr der Geschichte
Mit der Lehre der Auferstehung erhält das Verständnis der menschlichen Geschichte – flapsig gesprochen – eine Umkehr-Funktion. Die Folter-Opfer der Militärherrschaft können nicht mehr aus dem Flugzeug ins Meer gekippt werden. Da ist eine Instanz die hört und sieht. Die Schwachen können nicht mehr unerkannt aus dem Weg geräumt werden. Da ist einer, der sie aus der Unterwelt herausruft und in die Mitte stellt. Die Geschichte hält ihren Lauf an, die Logik wird umgekehrt. Die letzten werden die ersten sein: weil Gott ein Gott der Gerechtigkeit ist. Weil die Schöpferkraft, die vor dem Menschen da war und seine Kraft übersteigt, immer wieder einen Neuen Anfang ermöglicht.

 

Nach Notizen 2002
Bild: Auferweckung des Lazarus, Duccio