Tag Archive for: Gebet

Ob sich jemand in der Lebensmitte an Gott wendet, ist nicht eine Frage, ob er sich seinen Kinderglauben bewahrt hat, sondern eine Frage, ob seine Verzweiflung gross genug ist. Erst die Verzweiflung hebt auf diese Höhe, wo das Ganze des Lebens in eine Gestalt zusammen fliesst, z. B. indem jemand sein Leben fortwerfen will und dabei, in diesem Moment, die Erfahrung macht: „fortwerfen kann ich es ja immer noch, ich will es einsetzen“. Weiterlesen

Ich bete nachts für unsere Tochter. Sie ist in Afrika und hat sich schon seit einigen Tagen nicht mehr gemeldet, sie wollte in die Hafenstädte im Norden fahren. Ihr Handy ist ohne Kontakt. So habe ich früher für meine Frau gebetet. So ist überhaupt mein Interesse an Religion erwacht, im Beten für andere Menschen. Weiterlesen

«Vor Monaten hat sich etwas Neues in mein Gebetsleben eingeschlichen, unmerklich, von den Rändern her.» (So beginnt eine Notiz aus dem Jahr 1990, als ich nach dem Glauben suchte.) «Schon früher hatte ich manchmal, als paradoxe Gedankenspielerei, den Satz ausgesprochen: „Wenn wir ernst nähmen, wovon wir immer sprechen: Gott – dass es ihn wirklich gäbe …!“

Dann rutschte der Satz in mein Gebet. Und ich versuchte mir vorzustellen, dass dieser Gott, von dem ich immer redete, zu dem ich selbstverständlich immer betete, wirklich lebte! –

Es war eine Sensation wie ein Erdbeben: Eine Kruste brach auf, vom Magen her sprudelte etwas auf und überschwemmte mich, es ging durch alle Glieder…

Es war ein Gefühl ungeheurer Freiheit. Wenn Gott lebt und der Welt gegenübersteht, so lebe auch ich und stehe der Welt gegenüber! Dann bin ich frei – in meiner Fülle festgestellt, und gerade dadurch frei, mich ins Einzelne zu verlieren!»

Es war eine Ahnung von Freiheit, von der Möglichkeit, mich aus der Deckung aufzurichten, hinter der ich mich vor dem Leben verschanzt hatte.

Aber was hinderte mich, diese Freiheit zu ergreifen?
Ich lese am 2. August 1990:

 

Warum ich Gott nicht lebendig denken kann

«Warum bin ich immer blockiert? Warum komme ich nie zu einer Handlung? Im Halbschlaf hatte ich ein „Aha-Erlebnis“: Es sind nicht einzelne Widerstände, die ich nach und nach abbauen könnte, sodass ich immer näher zur Handlungsfähigkeit gelangte. Meine Widerstände zielen auf das Handeln selbst.

Durch eine Tat würde ich sichtbar, ich würde mich offenbaren, Profil zeigen. Ich wäre definierbar, müsste den Schutz der Unerkennbarkeit verlassen, den Bunker und den Unterstand, den Graben, das Bombenloch, in dem es nur Schlammpfützen gibt. Da möchte man nicht wohnen, aber es ist immer noch besser als „hinaus“ zu müssen, wo die Kugeln pfeifen, wo sich Visiere auf jeden richten, der sich zeigt.»

Es ist die Begegnung mit früh geprägten Ängsten, die verhindern, dass ich mich in der «Gegenwart» einfinde. Ich bin immer auf der Flucht, aber das wird jetzt vom Glauben herausgefordert. Das Leben, das ganz gelebt werden will, nimmt den Glauben zu Hilfe, um aus diesen kindlichen Traumata auszuwandern wie das alte Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten.

Ich lese in einer Notiz vom 31. August 1987:

 

Die Welt schmilzt auf einen Punkt

«Ich habe diese Ehrlichkeit und diese Abenteuersituation kennengelernt: alles in Frage stellen, alles aufgeben und fahren lassen, ganz hinab tauchen in das, was mir Angst macht, mich umdrehen und dem, was mich blendet, direkt ins Auge sehen. Das Davonrennen aufgeben, mich auf dem Absatz umdrehen, mich stellen.

Alles zittert, alles ist präsent, alles ist Gegenwart, die Welt schmilzt auf einen Punkt zusammen. Den Atem einzuziehen ist ein Ereignis. Es ist die Faszination der Kipp-Punkte: Am Kipp-Punkt wird das Ganze sichtbar. Es ist ein religiöser Moment, insofern als Religion die Teilhabe an der Ganzheit vermittelt.

Am Kipp-Punkt
Es ist das «Thrilling», diese kristallene Echtheit des Lebens am Nullpunkt, wenn es umzukippen droht, wenn das Scheitern in greifbarer Nähe ist. Schon tauchen die ersten Selbstvorwürfe auf, und plötzlich – das Elend des Misserfolgs streckt schon seine Hand aus und will bestätigen „es ist gescheitert“ – plötzlich tut sich eine neue Perspektive auf.

Der Punkt des „Nichts“, an dem das „Alles“ sichtbar wird: Das ist die Lebens-Verantwortung, die Position des Menschen, der sich bewusst ist, dass er ein Leben hat und dass er es zum Gelingen oder Misslingen bringen kann, und dass der erste und wichtigste Schritt zum Misslingen darin besteht, vor seinen Ängsten davon zu laufen, sich in die Unfreiheit der zwanghaften Angstabwehr-Mechanismen hinein zu begeben.

Das verpasste Leben
Ist man da erst mal drin, so laufen im Handumdrehen Jahrzehnte ab. Und kaum hat man Zeit gehabt, sich mal umzugucken, ist man alt geworden, bezieht eine Rente und hat Angst davor, zu entdecken, dass man sein Leben nicht genutzt hat, dass man 30 Jahre lang vor einer Angst davon gerannt ist, einer Angst, die – hätte man sich ihr gestellt – das Leben umgewühlt hätte, das Ganze gebracht hätte, das Gelingen, das Glück, das Dasein, die schneidend reine Atemluft.

Das ist die Höhenluft freier Entscheidung, der Schwindel der Freiheit, aber auch die Tiefe des Vertrauens, das Abstossen aller Angst und Unfreiheit, die die Sicherheits-Mechanismen gegen die Angst in uns aufrichten. Das vertrauensvolle Sich-Fallenlassen-Können, rückwärts in die Tiefe, mit der berauschenden, überwältigenden Gewissheit, AUFGEFANGEN zu werden!

Grenzwanderer
Diese Grenze, wo alles ins Gegenteil umschlägt, lässt sich überall finden. Alles oder nichts, Leben oder Tod, Absurdität oder Sinn, das Ganze oder das Fremde und das Verlorensein: Das findet sich in dem Moment, wo wir aufhören, von unseren Lebensängsten davon zu laufen, wo wir uns umdrehen und dem blendenden Licht ins Auge sehen. Das findet sich in dem Moment, wo wir alles kündigen und das Risiko des bürgerlichen Versagens auf uns nehmen, des Verdikts, ein Versager zu sein, im Alter arm und unversorgt dahinvegetieren zu müssen. Das findet sich im Spiel, wenn alles auf der Kippe steht, das morgige Essen, die ausstehende Miete, der Rausschmiss.

Das findet sich auf der Grenze der Identität, wo die Integration sich als voreilig und vorläufig erweist, mit zu viel Opfern erkauft. Zu vieles wurde über diese Grenze in den Abgrund hinuntergeworfen, geopfert, was notwendig zum Leben wäre. Die Grenze ist aufzukündigen, man wird zum Grenzwanderer: Was ist das dort auf der anderen Seite? Alles trägt dort ein negatives Etikett, alles ist „verworfen“, „unerlaubt“ und „eklig“. Und trotzdem ist es gleichzeitig so anziehend, Leidenschaft erregend: Aggression, Durchsetzen, Lust, Rhythmus, Pulsieren, Wühlen, sich eingraben, sich ausgraben, Nein sagen, Ja sagen.»

Es war die Zeit, man hört es den Sätzen an, als ich von Charles Bukowski fasziniert war, weil er sich radikal seinem Leben stellte.
Wie kann ich das im Glauben leben?
Ich lese die Notiz vom 20. Oktober 1988:

 

Nicht vom Glauben her, auf den Glauben hin

Es heisst, im Vertrauen auf Gott in die Angst hineinzugehen, aus der Unfreiheit in die Freiheit (das Kreuz auf sich nehmen, wie die religiöse Sprache formuliert), so dass die höchste Unfreiheit in höchste Freiheit umschlägt: im „Ja“ sagen, zu sich und der Situation.

Das Kreuz ist der Ort, wo die Unfreiheit in Freiheit umschlägt. So dass der Augenblick die Fülle wird, der Bruch die Ganzheit; dass die Lebenslust wieder beginnt, aus dem Bauch empor zu sprudeln; dass die Kreativität anhebt, wie beim Anblick einer Klaviatur, eines weissen Blattes Papier, einer leeren Bühne, die auf den ersten Auftritt wartet.

Wahrhaftig
So kann Glaube auch aussehen, so kann er entstehen, so kann er wahrhaftig sein und wahrhaftiger, weil er meiner Situation Rechnung trägt.

Ich habe mich vom Scheitern und der Selbstablehnung so anstecken lassen, dass ich nicht mehr wagte, auch diese Infragestellung auf den Glauben hin zu leben, als Infragestellung, die zum Glauben gehört, als Ausdruck meiner Situation vor Gott.

Ich habe wieder begonnen, in psychologischen Kriterien zu denken, habe meinen Charakter beklagt, meine Lähmung, die innere Dynamik meiner Psyche, die mich versagen lässt.

Wagnis
Ich kann nicht vom Glauben her leben aber auf den Glauben hin. Den Glauben, den man als Ressource für das Leben abrufen könnte, habe ich nicht, ich kann ihn auch nicht aus mir erzeugen. Ich kann die Situation aber auf Gott hin leben. Ich kann sie ins Gebet nehmen, die Situation anschauen, wie sie im Licht des Evangeliums aussieht und dann voll Vertrauen auf die Situation zugehen. Dabei wachsen mir Kompetenzen zu, ich mache Schritte, als ob ich jenes Vertrauen schon hätte, das ich mir erst wünsche.»

Natürlich geht das nicht ohne Rückschläge.
Ich lese in der Notiz vom 26. März 1990:

 

Geh aus deinem Vaterhaus!

«Meine Verwirrung zeigt, dass ich mich einem neuralgischen Punkt nähere: Ich will Dinge versuchen, die ich nach verletzenden Versagens-Erfahrungen jahrzehntelang umgangen habe. Jetzt könnte ich in meine Ängste hineingehen, Grenzen abbauen, neue Freiheitsbereiche erobern.

Andererseits mobilisiert das eine (für Aussenstehende völlig unproportionale) Versagens-Angst. Sie wundern sich über das Verhalten eines erwachsenen Mannes, der sich so gar nichts zuzutrauen scheint. Doch in mir ist alles Zittern und wie „Gelée“. „Nur weg von hier…!“ Vorderhand tue ich weder das eine noch das andere. Das ist der Ort der Verwirrung und Ungewissheit!

Gehen
Ich muss mich an das Seil binden, das ich selber geknüpft habe: meine Einsichten, wie ich das Leben zum Gelingen bringen kann, obwohl ich täglich mein Scheitern erlebe – im Vertrauen, im Hier und Jetzt. Gott lebt, hier und jetzt. (Ich muss es mir in der Angst vorsagen wie eine Formel; bis ich mich hineinfinde). Ich kann auf ihn vertrauen und das tun, was ich als richtig erkannt habe.

Das ist der heilige Augenblick und der Ort, an dem Gott erscheint. Die Angst will alles in ein fahles Licht tauchen, aber das Licht seiner Gegenwart ist heller. Hier ist Heil; kein Wenn und Aber. Hier ist alles in Gelingen getaucht. Meine Angst will, was mich bedroht, auf das Gegenüber projizieren. Aber Gott will in ihm erscheinen, er löst alle Angst.

Gott blickt auf mich – in seinem Blick wird alles heil, in seinem Blick wird die Welt, wie sie von ihm gedacht ist. In ihm kommt sie in sich selber an. Das ist Ankunft, Advent, Epiphanie. „Ich wusste nicht, dass dieser Ort heilig ist“. „Das ist heiliger Boden, zieh deine Schuhe aus“. „Hier ist das Haus des Herrn“ – hier die Himmelsleiter, auf der Engel auf- und niedersteigen. Eine tiefe Ruhe breitet sich aus.»

Der Glaube versteht sich nicht selbstverständlich. Ich habe die Wahl, wie ich mich und meine Situation verstehen will.
Ich lese in der Notiz vom 8. Juli 1991:

 

Wie will ich mich verstehen?

«Es gibt im Glauben offenbar eine Phase, wo alle anderen Lösungen nicht mehr überzeugen, wo der Glaube aber auch noch nicht gefestigt ist, so dass die Befindlichkeit unvermittelt in die Extreme umschlägt und zwischen Vertrauen und blanker Verzweiflung hin und her schwankt.

So kann es geschehen, dass ich innerhalb eines Tages einerseits meinen Weg wie selbstverständlich in der „Kirche“ sehe, dann handkehrum alles für verstiegen halte.

Wie soll ich mich verstehen? – Ich habe die Wahl.
Letztlich überzeugt mich nur der Glaube. Zu den alten Versuchen, mich autonom zu denken, mein Leben selber zu verantworten kann ich nicht zurück.

Als ob Er durch meine Landschaft ginge
Und das Selbstverstehen im Glauben funktioniert nur in der Liebesmystik: Es geht nicht, mich als „Subjekt“ zu denken, das glaubt und Jesus nachfolgt. Als Christ und Bürger, der sonntags geputzt und gekämmt zur Kirche geht – die Kinder sind in der Sonntagsschule…

Ich werde ein „lch“ erst, wenn Gott mich anspricht, wenn er „Du“ sagt, wenn er meinen Namen nennt. Oder wenn er sich erweichen lässt, wenn ich mich verzweifelt an ihn hefte – ich kann nicht mehr zurück, mit diesem Kniefall habe ich allen Stolz abgelegt. Wenn er mich von sich stösst, bin ich zutiefst verletzt und verachtet. Doch so berichten die Evangelien nicht von Gott.

„Evangelisch erleben“: sein Erleben sehen, als ob Er da wäre, als ob er durch meine Landschaft ginge, als ob ich bei jenen wäre, die ihn umstehen. Nur so ist beides möglich:

Die Evidenz, die allein aus der Begegnung mit dem eigenen Trauma fliesst. („Ja, so ist es!“ – In aller Verzweiflung gibt es so etwas wie ein Heimatgefühl, ein Wiedererkennen – dieses Land kenne ich, in dieser Landschaft kenne ich jeden Stein!)

Und vertrauen, still werden, ruhig werden, anhalten können – weil Er da ist, der Inbegriff der Wirklichkeit, wo es letztentscheidend um Wahrheit geht, um Gerechtigkeit, um Schönheit, um Liebe, um Ankommen und Hinausgehen.

Zwei Wahrheiten
So ringen zwei Evidenzen miteinander: die Evidenz des Kreuzes, der traumatischen Verletzung. Und die Evidenz der Auferstehung, des Lebens. Und sie können miteinander reden, es ist nicht ein aneinander vorbei reden wie bei den appellativen Ermahnungen, ob diese nun im Namen der Moral, der Ethik oder der Psychologie ergehen: „Ich sollte…“ – Aber ich bin nun mal nicht so, dass ich könnte, was ich sollte… Hier ist einer, der beides durchwandert, Kreuz und Auferstehung, der erst ganz hinabsteigt, bevor er nach oben lockt, der begleitet, nicht fordert.»

Ich kann dem Weg folgen oder nicht,
ich lese in der Notiz vom 25. Januar 2007:

 

Eine Weg-Wahrheit

«Da spricht Thomas zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen? Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. Wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen.“ (Joh 14,4f)

Er sagt:
Ich bin die Wahrheit.
Aber nicht abstrakt, sondern als Weg.
Wer sein Leben einsetzt und diesen Weg geht, der findet Wahrheit (auch für sein Leben). Und er findet über den Weg, den Jesus Christus gegangen ist, zum Vater.

So gibt es keine abstrakte Entscheidung über die Wahrheit der Bibel vom Schreibtisch aus. Man findet sie nur auf dem Weg, auf dem man sein Leben einsetzt.
Das kann man bleiben lassen. Wer es aber tut, der findet Leben, Wahrheit, Gott.
Die Wahrheit der Bibel ist eine Weg-Wahrheit. Nicht eine Schreibtisch-Wahrheit.

Die Bibel spricht sich über diese Dinge aus, wenn sie von Pfingsten handelt:

 

Pfingsten

Glaube hat etwas Existenzielles. Es geht darum, sein Leben jetzt zu ergreifen und sich in dem anzunehmen, was die eigene Situation ausmacht. Es geht um die Aufgabe, die Herausforderung, das Hinaustreten jetzt in diesem Augenblick. Diese Erfahrung des Glaubens hat im Kirchenjahr ein eigenes Fest. Es gehört zu Pfingsten.

Pfingsten lenkt die Aufmerksamkeit auf einen Aspekt des Glaubens: auf den Ereignis-Charakter, auf den Menschen, der diesen Glauben hegt und der in einer bestimmten Situation steht, mit dem ganzen existenziellen Ernst des Lebens. Dabei hilft ihm das Gebet: So kann er sich gleichzeitig machen, sich am Ort einfinden, ganz gegenwärtig werden. So findet er sich «ganz» ein in der Situation und mobilisiert alle Kräfte, die er zu ihrer Bewältigung braucht.

Dann gilt es, diese Situation zu ergreifen, ehe das Zeitfenster vorbei ist. Das Gebet öffnet ein Fenster, es macht die Türe auf zum Tempel. Der Beter stellt sich vor Gott. Das Gebet ist ein Gottesdienst «in nuce.» Er unterbricht den Alltag, gibt ihm Kraft und Orientierung, aber man kann darin nicht verweilen. Der Weg geht hinaus. So ist Pfingsten nicht nur ein Fest im Kirchenjahr. Es unterscheidet sich von Weihnachten oder Ostern nicht nur darin, dass ein anderer Moment im Leben Jesu betrachtet wird. Dieser andere Moment hat auch eine ganz andere Zugangsweise. Er zeigt den Glauben in einer anderen Herausforderung.

Mit seiner Zuspitzung auf den Augenblick der Bewährung bekommt er existenzielle Tiefe. Auch das Leben, das sich diesem Glauben anvertraut, wird «zugespitzt», auf den Moment ausgerichtet. Es verdichtet sich in Aufmerksamkeit und Konzentration und sammelt alle Kräfte, damit der entscheidende Schritt «jetzt» getan werden kann.
Denn um Entscheidung geht es. Das Leben, in einer Pfingstsituation, plätschert nicht in seinen Gewohnheiten dahin, es ist herausgefordert. Hier ist ein Wegkreuz, hier scheiden sich die Wege, hier ent-scheidet sich, wo ein Mensch gehen will und mit welcher Kraft er seinen Weg fortsetzen kann.

Die biblische Situation an Pfingsten gibt es vor: Die Jünger sind allein, Jesus ist gestorben. Im «Geist» ist er ihnen gegenwärtig. Er tröstet sie, aber er fordert sie auch heraus. Er befreit sie aus dem Versteck, in das sie sich nach Kreuzigung und Verfolgung zurückgezogen haben. Er bringt die Erstarrung in Bewegung, löst die traumatischen Ängste und den Bann, den diese über sie geworfen haben.

Jesus schickt die Jünger hinaus, er gibt ihnen eine Aufgabe und sagt ihnen eine Hilfe zu: Ich werde bei euch sein. Ihr seht mich nicht mehr, aber habt Vertrauen. Vertraut auf die unsichtbare Gegenwart Gottes. So werdet ihr alles meistern, was euch auf dem Weg begegnet.

Pfingsten ist Berufung und Sendung, Begabung und Segnung. Es ist die Zusage eines Bundes, der den Schritt in die Zukunft erleichtert. Es ist ein unsichtbarer Bund mit einem unsichtbaren Partner, von aussen ist da gar nichts zu sehen. Da ist nur ein Mensch, allein, der seinem Weg folgt, aber innerlich weiss er sich getragen und geführt. Und wenn ihm auch vieles nicht gelingt, so lässt er nicht davon. Er findet immer wieder Hilfe und Orientierung, indem er sich vor den stellt, der ihm seinen Bund zugesagt hat.

Es ist das Bild eines «erwachsenen» Menschen, wenn man die Pfingstgeschichte psychologisch lesen will. Er ergreift sein Leben und nimmt die Verantwortung an. Jesus, nachdem er in den Himmel enthoben wird, wiederholt an Pfingsten die Zusage, die Jakob nach dem Traum seiner Himmelsleiter empfangen hat: «Siehe, ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst, und bringe dich zurück in dieses Land. Denn ich verlasse dich nicht, bis ich vollbringe, was ich dir versprochen habe.» (Gen 28,15)

Auf manche mag das kindlich wirken, diese Zusage der Geborgenheit für einen erwachsenen Mann. Aber es ist diese Zusage, die ein Erwachsener in sich trägt, die ihn befähigt, den Weg zu gehen, so dass er allein auftritt. Dass er den Moment ergreift, den Ort füllt, an den er gestellt ist. Damit an diesem Ort und zu dieser Zeit gesagt und getan wird, was gesagt und getan werden muss.

 

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Eintreten
in die Mitte
in die Stille
in die Gegenwart
im Einklang sein Weiterlesen

«Uhu, Weltuntergang!», sagt Antonia. Es ist rabenschwarz draussen. Es regnet. Die Dramatisierung hat sich erschöpft. Das hatten wir noch und noch, die «Krise», die «Zeitenwende», die neue Weltlage. Ja es ist dunkel. Juhui. Wir leben noch! Und jetzt?

Was ich gesucht habe
Heute Morgen sah ich ein Foto aus der Zeit, als wir an diesen Ort umgezogen sind. Damals habe ich begonnen, meine Texte durchzusehen aus all den Jahren. Ich wollte wissen, was denn die Frage war, die sich damals gestellt hat. Jetzt weiss ich, was ich gesucht habe in all den Jahren, jetzt, im Nachhinein, liegt es vor mir. Es ist nichts Wunderbares, auch wenn ich, als ich unterwegs war, immer dem Wunderbaren gefolgt bin, der Ahnung, dem Reiz… Aber es ist wunderbar genug.

Was ich gefunden habe
Wenn ich bete, bin ich wieder beim Besten, was ich gefunden habe. Wenn ich mich Gott anvertraue, bin ich im Zentrum von allem, was ich gesucht habe und was mir zwischendrin immer wieder das Gefühl gab, am Richtigen dran zu sein, auf Schatzsuche zu sein, das Leben nicht zu verfehlen und zu verpassen.

Jeder Schritt hatte ein Versprechen bei sich. Und der Morgen war ein Aufbruch in etwas Wunderbares. Ich konnte Gott danken, am Morgen und am Abend, ich konnte einschlafen im Vertrauen auf ihn. Und selbst wenn ich herausgerissen war, wenn ich Schmerzen hatte, wenn ich bestellt war zu einer Operation, konnte ich mich hier wieder einfinden, konnte ich zur Ruhe kommen und zu einem Neuanfang.

Was kommt jetzt?
Letzte Woche steckte ich den Finger in die Bibel und stiess auf einen Text von Jesus Sirach: «Wer sich selbst nichts gönnt, wem kann er Gutes tun? Er wird seinem eigenen Glück nicht begegnen.» Es ist ein guter Zuspruch in einer Zeit, die von Krise redet, ein gutes Wort am Jahresanfang.

 

Aus Notizen 2022
Foto von cottonbro studio

 

Nachts konnte ich nicht schlafen und stellte den Fernseher ein. Spät kam noch ein Film über den Völkermord in Ruanda. Ich erinnere mich, noch von meiner Arbeit im Journalismus her, die Gegend hiess „afrikanische Schweiz“, weil sie so grün war. Es war lange ein Schwerpunktland der Schweizer Entwicklungshilfe. Weiterlesen

Eine Stimme im Dunkeln. Ich höre einen Psalm, überfliege vor Tagesanbruch die Nachrichten: Krieg, Teuerung, drei Lecks an der Pipeline, Sabotage auf dem Meeresgrund. Eine Nachricht erschlägt die andere. Draussen regnet es. Der «Starkregen» ist ausgeblieben, vor dem sie warnten. Weiterlesen

Beten, zumal öffentliches Beten, scheint seine Zeit hinter sich zu haben. Der Bettag, den die Kirchen im Herbst feiern, geht zurück auf eine Anordnung des Obrigkeits-Staates. In einer Krise sollte Gott um Beistand gebeten werden. Vielleicht hat das Beten aber auch eine Zeit vor sich? Es muss nicht nur ein angstvolles um-Hilfe-Rufen sein. Weiterlesen

Was soll ich tun, wenn in der Partnerschaft Spannungen auftreten? Etwa die Kirche fragen? Was mache ich, wenn ich abends von Haushalt und Kindern fix und fertig bin? Weiss da etwa der Pfarrer Rat? Und die Probleme im Beruf – hat da die Bibel vielleicht Rezepte? Auch wer im Glauben Orientierung sucht, findet für die konkreten Fragen des Alltags nicht schnell eine Antwort. Weiterlesen

Es gibt wohl keinen Gott, sagen sie. Er lässt sich nicht erkennen. Für die Gläubigen ist Gott gegenwärtig. Dort lässt er sich finden. Auf dem schmalen Grat zwischen Vergangenheit und Zukunft, wenn man sich dort einfindet, in der Gegenwart. Weiterlesen