Wie ich als Ungläubiger gebetet habe

Ich bete nachts für unsere Tochter. Sie ist in Afrika und hat sich schon seit einigen Tagen nicht mehr gemeldet, sie wollte in die Hafenstädte im Norden fahren. Ihr Handy ist ohne Kontakt. So habe ich früher für meine Frau gebetet. So ist überhaupt mein Interesse an Religion erwacht, im Beten für andere Menschen.

Fürbitte und Glauben
Ich hielt mich damals für nicht religiös und ich ertappte mich dabei, wie ich für meine Frau betete, die in ihrem roten Ford „Mustang“ über die Autobahnen bretterte, weil sie immer wieder auswärtige Termine wahrzunehmen hatte.

Hätte ich am Schreibtisch darüber nachgedacht, so hätte ich fragen können: Welche Voraussetzungen müsste ein Weltbild haben, dass ich für jemanden beten kann, damit er bewahrt wird? Und es wären irgendwelche Spekulationen entstanden. Ich habe aber nicht am Schreibtisch über Glauben nachgedacht, sondern im Leben.

Widerstände
Und da entdeckte ich die Glaubens-Widerstände in mir selber. Nicht die kognitiven Widerstände, die schienen mir lösbar (trotz 200 Jahren Religionskritik), aber die psychischen – meine Unfähigkeit zu vertrauen. Das beschäftigte mich auch sonst in dieser Zeit. Das hatte ich als Ursache entdeckt für meine Schwierigkeiten in Beziehungen und am Arbeitsplatz. Damit war die Glaubensfrage in der Mitte meiner Lebensfragen platziert: warum kann ich nicht vertrauen? Es beschäftigte mich im Verhältnis zu den Menschen, zu mir selber, und jetzt entdeckte ich: das war auch die Frage in meinem Verhältnis zu Gott. Es war die Frage, die entschied, ob ich überhaupt ein Verhältnis zu einem „Gott“ haben könne.

Lieben lernen
Wenn ich vertrauen kann, kann ich auch für jemanden beten. Ich kann Fürbitte leisten. Ich kann ihn anvertrauen. Ich kann jemanden aus der scheinbaren Kontrolle entlassen und ihn trotzdem aufgehoben wissen. Ich kann Liebe von Angst trennen. So kann ich, wenn ich vertrauen lerne, auch lieben lernen.

Heute Morgen kam über einige Face-Book-Freunde unserer Tochter ein Kontakt nach Afrika zustande. Unsere ältere Tochter hat sie angeschrieben. Natürlich, das gibt es ja auch! Offenbar hat sie auch dort Kontakte. Gott sei Dank! Wir hatten keine Adresse, wo wir hätten nachfragen können.

Wenn die Katastrophe kommt
Schon oft dachte ich, wir müssten uns bereithalten, wenn die grosse Krise kommt, gerade auch Menschen aus den Kirchen hätten eine Verantwortung dafür. Denn hier gehe es um die grossen Fragen des Vertrauens und der Verzweiflung. Und ich wunderte mich, dass das niemanden zu interessieren schien.

Seit meinen ersten Notizen beschäftigt mich die Frage, wie wir uns von Gott gehalten fühlen können, wenn wir diese Welt selber zerstören, wie wir uns an ein Vertrauen hingeben können, wenn wir diesem aktiv zuwiderhandeln. In der Kirche wurde aber nur das Energiesparen thematisiert und wie wir ohne Erdöl heizen können.

Wenn die grosse Not kommt, werden wir wieder glauben wie die Früh-Christen, wie wir es bei Paulus lesen. Da wird das Christentum wieder das ungebildete Monstrum werden, als die es die Gebildeten sahen, damals im 19. Jh., als man seinen „apokalyptischen Charakter“ entdeckte. In der Krise wird der Glaube aktualistisch. Morgen interessiert nicht mehr, da ist nur der Augenblick. Da ist „Naherwartung“.

Und wenn der Tag trotzdem vorbeigeht und ein neuer kommt, so entwickelt sich eine Ethik auf begrenzte Zeit. Im Erdbeben flieht man auf die Strasse. Später getraut man sich wieder in die Häuser zurück. So wird man sich auch nach der grossen Krise wieder in der Welt niederlassen, aber „so, als hätte man sie nicht“, wie Paulus im 1. Korinther schreibt.

 

Aus Notizen 2017
Foto von Zak Bentley, Pexels