Ein Zauberwort

«Transformation» scheint das neue Zauberwort. Dass es «so nicht weitergehen» könne in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, scheint vielen klar, aber woher die Änderung? Früher sprach man von «Reformen», zu Zeiten auch von «Revolution», später ging es um eine «Änderung des zivilisatorischen Entwicklungspfades».

Heute scheint «Transformation» die Sprachformel geworden zu sein, die alles in sich aufnimmt: die Kritik am bestehenden Entwicklungsweg und die Hoffnung auf eine grundsätzliche Veränderung. Und diese Hoffnung erhält Dringlichkeit durch die Warnung der Ökologen vor einem Schliessen des Zeitfensters, in dem sich der Klimawandel noch in Grenzen halten lässt.

Das «Erdsystem»
Informiert man sich bei Wikipedia, findet man viele Bereiche, wo «Transformation» eine Rolle spielt. Darunter sind fundamentale Veränderungs-Prozesse, denen man eine Änderung des zivilisatorischen Entwicklungspfades zutraut. Ein Beispiel gibt die «sozial-ökologische Transformation»:

«Der Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) sprach von einer „grossen Transformation“ als einem „fundamentalen Wandel, der einen Umbau der nationalen Ökonomien und der Weltwirtschaft vorsieht, um irreversible Schädigungen des Erdsystems sowie von Ökosystemen und deren Auswirkungen auf die Menschheit zu vermeiden“.

Verschärfung der Krisenlage
Mit der Verschärfung der Krisenlage haben sich auch die Phantasien und Utopien zu ihrer Überwindung verändert. Die Tradition behandelt die Anpassung an veränderte Umstände unter dem Namen Reform, selten, in historisch besonderen Umständen unter Revolution. Im 19. Jh. kamen die «Ismen» auf. Es gab eine Systemdebatte, «Kapitalismus» und «Sozialismus» wurden Programmworte im politischen Kampf. Dagegen gab es immer Aussteiger, die sich aus dem wirtschaftlichen Verkehr zurückzogen und in den Bergen oder in einer gesellschaftlichen Nische Subsistenzwirtschaft betrieben.

Alternativen
Sie suchten für sich selbst und ihr Leben eine Alternative und beschränkten sich auf das Wenige, das sich so erwirtschaften liess. Askese und Konsumverzicht begleiteten so die Debatte um eine effiziente oder richtige Wirtschafts- und Lebensweise von Anfang an, weil diese grosse Anpassungsleistungen verlangten, die nicht alle vornehmen wollten oder konnten. Die Selbstverwaltung bot eine Möglichkeit, einen Betrieb am Markt zu führen und trotzdem auf Chefs und Hierarchien, auf Arbeitsteilung und entfremdete Arbeit zu verzichten.

In den 70er Jahren zog die Selbstverwaltungs-Bewegung jedoch eine ernüchterte Bilanz. Diese Art des Wirtschaftens schien nur in Nischen möglich, diese waren allmählich voll. Entweder mussten die Grundsätze verallgemeinerungsfähig sein, dann konnten sie auf die ganz Wirtschaft übergreifen und diese im Sinn der Werte transformieren, oder die Betriebe, wenn sie wirtschaftlich überleben wollten, mussten sich den allgemeinen Normen anpassen und den Anspruch einer «Alternative» aufgeben.

Jenseits der Gestaltung?
Mit dem immer deutlicheren Auftreten der Klimafrage bekam die Debatte eine weitere Dimension. Es ging nicht nur um Gerechtigkeit, sinnvolle Arbeit, Arbeitsteilung, Hierarchie und gesellschaftliche Herrschaft. Diese sozioökonomischen Faktoren wurden ergänzt um biologische und kulturelle Fragen. Jetzt ging es um Zivilisation, um den Entwicklungspfad der Menschheit insgesamt. Der Mensch wurde beschuldigt, die ganze Biosphäre verändert und eine neue erdgeschichtliche Epoche, das «Anthropozän», heraufgeführt zu haben.

Mit dem immer weiteren Ausgreifen der Faktoren, die einbezogen wurden, schwand die Möglichkeit, hier noch gestaltend einzugreifen. Während die alte «Reform» einen ganzen Werkzeugkasten der Politik zur Verfügung stellte, wird der Mensch und sein gestalterisches Handeln von einer Änderung des Klimas, des Meeresspiegels, der Luft- und Wasserströme etc. schlicht überwältigt. Den «Reformen» traut man hier wenig zu. «Revolutionen» sieht man kommen, wenn die Konflikte um Wasser, Nahrung, Auskommen weiter steigen, sie scheinen aber unsteuerbar, so wie die Migrationsströme, die erwartet werden.

Die Welt der Kindheit
Viele Arten sterben heute aus, der Zeitgenosse erlebt, wie ungeheuer aufwendig es ist, auch nur eine einzige Art zu erhalten, weil die ganzen Lebensräume erhalten und aus der wirtschaftlichen Nutzung ausgeschieden werden müssen. So müssen Nutzungspläne geändert, Entschädigungen gezahlt werden. Für den Laichzug der Frösche sammeln sich Freiwillige, die sie über die Strasse tragen. Spaziergänger, wenn sie in die Natur hinauswandern, zählen die Anzahl der Kuckuck-Rufe in einem hilflosen Versuch, sich zu vergewissern, dass sie «noch da» sind, dass die Welt der Kindheit noch nicht ganz vergangen ist. Aber die Sterne am Kindheits-Himmel, sind nicht mehr zu sehen. Sie verschwinden im grauen Dunst und hinter den schwarzen Schatten der Hochhäuser, die den Himmel immer mehr beschneiden.

Das Absolute
So ist begreiflich, dass auch «weiche» Faktoren heute eine Rolle spielen: die Werte werden diskutiert und inkriminiert, die «Hybris des Menschen». In den Feuilletons verteidigen Philosophen die Religion, die die Philosophie jahrhundertelang «verabschiedet» hat.

Die Globalisierung hat die Welt global vernetzt, alles ist mit allem verbunden. Die Synthese-Leistung des «Weltsystems» ist fast absolut geworden, verständlich, werden die Begriffe wieder hervorgeholt, in denen frühere Jahrhunderte das Absolute verhandelten: Gott, Welt, Seele, das Ganze. Dazu gehörte aber auch das Bild einer finalen Gerechtigkeit in einem «Jüngsten Gericht» und in einem «neuen Äon» der Welt- und Schöpfungsgeschichte, wie es die Apokalyptik in antiken Krisenzeiten vor Augen stellte. Diese «Vollendung» der Geschichte stellt nicht nur das verletzte Recht wieder her, sondern auch das Heil der ganzen Schöpfung.

Ein Zeichen der Vergewisserung
In der Antike waren grosse Krisenzeiten auch religiös aufgewühlte Zeiten. Die Menschen wollten nicht einfach zuschauen. Fliehen war nicht möglich, aushalten nicht erträglich. So wollten sie sich umdrehen und sich dem Neuen stellen. Eindrücklich schildern die Apokalypsen den Einbruch dieses Augenblicks:

«Und wie es geschah in den Tagen Noahs, so wird’s auch sein in den Tagen des Menschensohns: Sie assen, sie tranken, sie heirateten, sie liessen sich heiraten bis zu dem Tag, an dem Noah in die Arche ging und die Sintflut kam und brachte sie alle um. (…) Auf diese Weise wird’s auch gehen an dem Tage, wenn der Menschensohn wird offenbar werden. Wer an jenem Tage auf dem Dach ist und seinen Hausrat im Haus hat, der steige nicht hinunter, um ihn zu holen. Und ebenso, wer auf dem Feld ist, der wende sich nicht um nach dem, was hinter ihm ist.» (Lukas 17,26ff)

Die Religion bot den Menschen eine Deutung, aber auch eine Gemeinschaft und ein Zeichen, das spürbar machte, dass sie dem kommenden Gericht entrinnen würden, den Katastrophen entgehen. Bereits die antiken Mysterien-Kulte kannten die Taufe, in der der Schöpfungsprozess nachgestellt wird: Das Land versinkt im Wasser, wie in Ägypten, wenn der Fluss in der jährlichen Nilflut ansteigt, das bringt Tod aber auch Fruchtbarkeit, weil es das Land düngt und bewässert. Dann zieht sich das Wasser zurück, das Leben beginnt von neuem, der Zyklus von Blühen, Fruchtbringen, neuem Leben kehrt zurück. Im Untertauchen und Wiederauftauchen in der Taufe erhält der Gläubige Anteil an diesem Prozess von Tod und neuer Schöpfung. Er wird die kommende Not bestehen. Er hat bereits Teil an der neuen Schöpfung. Das hat sich ihm mit sinnlicher Gewissheit eingeprägt.

Religion in einer Krisenzeit
Solche Zeichen gab es nicht nur in den antiken Mysterienkulten, sondern auch im Bereich des biblischen Israel. Johannes der Täufer taufte die Menschen, die zu ihm in die Wüste kamen und nach einem Zeichen verlangten. Die Kirche hat es später ebenfalls getan. Die Taufe wiederholt zeichenhaft den Tod und die Auferstehung Christi aber auch der ganzen Schöpfung. So antwortet die Religion auf die Ängste der Zeit. Sie deutet die Not und gibt den Menschen ein fühlbares Zeichen, an denen sie sich vergewissern können. So verhindert sie panikartige Reaktionen auf die Verschärfung der Krisenlage.

 

Beachten Sie den Blogbeitrag «Sie reichen der Welt die Kündigung ein»

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