Ein Akt des Glaubens und der Freiheit

Was soll ich tun, wenn in der Partnerschaft Spannungen auftreten? Etwa die Kirche fragen? Was mache ich, wenn ich abends von Haushalt und Kindern fix und fertig bin? Weiss da etwa der Pfarrer Rat? Und die Probleme im Beruf – hat da die Bibel vielleicht Rezepte? Auch wer im Glauben Orientierung sucht, findet für die konkreten Fragen des Alltags nicht schnell eine Antwort.

Keine Geschichte…
Die Bibel erzählt zwar 1000 Geschichten, in denen sich die Hörer wiedererkennen können, vor allem das Alte Testament. Das Neue Testament ist dünner, erzählt weniger. Seine Zentralgestalt, Jesus Christus, wurde ja nur wenig über 30 Jahre alt. Die Bibel erzählt nicht, wie er das Alter erlebte. Wir erfahren nichts über das Berufsleben. Über eine Partnerschaft ist nichts zu hören.

Wer hier Orientierung sucht, dem fällt nicht leicht eine Geschichte ein. Die Bibel erzählt nichts von diesen Dingen, aber sie gibt doch eine Antwort. Die Menschen der Bibel nennen Jesus Christus ihren „Herrn“. Viele schalten heute innerlich ab, wenn sie vom „Herrn“ reden hören, weil sie in diesem Begriff das Wort „Mann“ heraushören oder den „Herrscher- Gott“, mit dem sie nichts mehr anfangen können.

…aber eine Antwort
Wer zu Christus als seinem Herrn betet, meint etwas anderes. „Kyrie eleison!“ heisst ein altes Gebet, „Herr erbarme dich!“ Wer so betet, erklärt Christus als zuständig für seine Situation. Und die Antwort, die er sucht, findet er im Gebet, auch wenn die Bibel keine einschlägige Geschichte dazu erzählt. „Herr erbarme dich!“ heisst: Ich rufe dich an in meiner Situation, du kennst sie, sie ist dir nicht unvertraut. Dir vertraue ich alles an, was mich bewegt und zuletzt mich selber. So muss alles mir zum Guten dienen, wenn ich es im Vertrauen auf dich lebe.“

Eine Frage an mich
Ob ich ihn Herrn nenne, ist weniger eine Frage an ihn und welche guten Gründe es historisch gibt, ihn so zu nennen. Es ist eher eine Frage an mich: kann ich ihm vertrauen? Kann ich mich aufmachen, auch dort, wo ich Angst habe, weil alte Erlebnisse mich noch prägen? Kann ich der Falle eingeschliffener Abwehr-Mechanismen entrinnen und eine neue Antwort auf meine Situation finden, eine Antwort, die nicht aus dem alten Verhaltens-Repertoire stammt, sondern aus dem Vertrauen? Eine Antwort, die mich aufmacht und mir neue Wege erschliesst?

Indem ich bete „Herr erbarme dich meiner“ erkläre ich ihn zuständig für alles, was mir gerade durch den Sinn geht, alle Freuden und Sorgen. Die Dankbarkeit erhält ihren Ort und die Sehnsucht. Der Schmerz weiss, wohin er sich wenden kann, und die Freude, woher sie stammt.

Es ist keine historische Aussage, sondern ein Glaubensakt. Daher sagt Paulus: „Wenn du mit deinem Munde Jesus als den Herrn bekennst und mit deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten erweckt hat, wirst du gerettet werden.“ (Röm. 10,9). So beten heisst, sich ganz und gar hingeben, mit allem, was das Leben ausmacht – und sich zurückerhalten. Aber anders jetzt als zuvor, aus der Begegnung mit jener Quelle, der wir alles verdanken, die „Ja“ sagt zu uns und keine Bedingungen knüpft an unser Dasein und Sosein.

Keine Herrschaft
Daher macht sie frei von allen falschen Herrschafts-Verhältnissen. Daher ist das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Herrn gerade nicht ein falscher Herrschafts-Anspruch, wie es oft kritisch heisst, sondern eine Befreiung von falschen Verknechtungen und Selbst-Verstrickungen. Es ist ein Akt des Glaubens und der Freiheit. Herr, erbarme dich unser!

 

Aus Notizen 1998
Foto von Ady April