Wann ist es denn soweit?

„Wann kommt das Glück?“, fragen wir manchmal. Und wir schauen auf das, was uns noch hindert, wo uns etwas beengt. „Wann trifft uns das, was wir befürchten?“ Auch diese Frage kennen wir. Christus gibt eine Antwort. Und er spricht eine Einladung aus.

Christus antwortet auf die Frage nach dem „Reich Gottes“: wenn Gott kommt und die Menschen zu Frieden und Gerechtigkeit finden. Es ist wie ein Fest, sagt er, das jetzt bereit ist!  (Lukas 14, 16–24).

Wann trifft es mich?
Wann kommt das Glück in meinem Leben, so frage ich manchmal. Wann kommt die Frage an mich, die mich herausfordert? Als Kind in den 50er Jahren habe ich viel gehört über die Weltkriege, die damals noch nicht so weit zurücklagen. Ich hörte von den Soldaten in den Schützengräben und war froh, „danach“ geboren zu sein. Dann hörte ich vom Nationalsozialismus, wie sich damals in der Gesellschaft etwas zusammenbraute und immer gefährlichere Züge annahm. Ich hörte von einzelnen Menschen, die dagegen aufstanden, die den Mut hatten, dagegen anzutreten und wie sie ihr Leben riskierten. Und wieder war ich froh, dass das längst Vergangenheit war. Aber ich fragte mich als Kind, wie das wohl wäre, wenn eine solche Frage auch einmal an mich heranträte?

Die Situation
Wie ist das, wenn wir herausgefordert sind, mit unserm Leben Stellung zu nehmen? Wie ist es, wenn wir im Tram fahren und ein „Halbstarker“ steht auf und bedroht einen Passagier und misshandelt ihn. Schauen wir weg oder greifen wir ein? Wie ist es, wenn in der Nähe jemand krank wird, bin ich da, um zu helfen? Ich frage mich selbst, denn es ist eine Frage, die an jeden einzelnen gestellt ist. Da hilft es nichts, nach den andern zu schauen, was sie tun. Jetzt geht die Frage an mich.

Für jeden gibt es diese Fragen, und darum spüren wir, es ist gar nicht so einfach, die rechte Antwort zu geben. Wenn man die Geschichte von ferne hört, die Jesus erzählt, ist es leicht, sich über die Gäste zu ärgern. Wie konnten sie nur! Aber wenn die Frage an uns geht, und wenn die Frage eine Form annimmt, die sie zu einer Herausforderung macht in unserm Leben, dann fällt die Antwort nicht leicht. Dann heisst es Stellung nehmen.

Nicht morgen, nicht gestern – jetzt!
Jetzt heisst es Stellung nehmen, sagt das Gleichnis. Denn jetzt ist Gott da, jetzt richtet er seine Einladung aus. Jetzt ist die Situation da, die ich immer als Möglichkeit gesehen habe in meinem Leben. Wie ist meine Antwort? Wie höre ich dieses „jetzt“? Stehe ich da, wie als Schulkind, wenn ich geprüft wurde? Geht es mir wie damals, als ich mich um eine Stelle beworben hatte, und so viel davon abhing, welchen Eindruck ich machte? Es ist eine Einladung – habe ich das vergessen, vor lauter Angst, der Herausforderung nicht richtig begegnen zu können?

Eine Einladung
Jetzt ist der Zeitpunkt da, sagt der Diener. Das Fest beginnt, der Herr lädt dich ein zu seinem Fest. Gott ist da, sagt er. Das Jetzt ist nicht nur eine Prüfung, es ist auch eine Zusage. Ich stehe nicht allein in der Prüfung wie damals als Kind. Jene Erinnerung aus dem Berufsleben kann ich ablegen, sie verstellt mir den Blick. Gott ist da, er ist gegenwärtig. Er, der alles geschaffen hat – und auch mein Leben. Er, der alles trägt – und auch mein Leben. Er, der Anfang und Ende ist – und Mitte von allem, auch in meinem Leben.

Im Gebet kann ich alles vor ihn bringen, was mich beschäftigt. So lerne ich die Situation richtig wahrzunehmen und den dunklen Bildern aus der Vergangenheit zu widerstehen: Ich bin nicht von Gott und Welt verlassen, Er ist da. Die Welt ist nicht ein gottvergessener Ort, wo den Letzten die Hunde beissen. Sie ist überschattet von einem Geheimnis. Ich kann der Angst widerstehen und dem Gefühl der Verlassenheit. „In der Welt habt ihr Angst“, sagte er, „aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“. (Joh 16,33).

Er hat sich bekannt gemacht, den wir fürchten
Dieser Gott, dieses Geheimnis der Wirklichkeit, er ist derselbe, der unter uns war. Der sich hinunter bückte zu den Gedemütigten, der die Ausgestossenen berührte und die Kranken heilte. Der den Verachteten sagte: „Komm her, stell dich in die Mitte!“ Und seine Hand, die schon abgestorben war, wurde wieder heil! (Mk 3, 1ff) So hat sich dieser Gott bekannt gemacht unter uns. Das ist der Gott, der uns seine Gegenwart zusagte: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis ans Ende der Welt.“ (Mt 28,20) Das ist der letzte Satz im Matthäus-Evangelium. Das ist das Letztgültige, das über diesen Gott zu sagen ist. Denn damit redet er nicht vom Ende, sondern von seiner Gegenwart, von seiner heilenden, helfenden Gegenwart.

Wenn wir so im Gebet unsere Situation vor Gott bringen, lernen wir sie richtig verstehen. Wir verstehen sie unter der Voraussetzung, dass es einen Gott gibt, und dass er da ist, bereit zu helfen. Und jetzt lernen wir richtig entscheiden. Wir entscheiden im Vertrauen, dass Er da ist. So ergibt sich ein Weg, von Entscheidung zu Entscheidung, von Schritt zu Schritt. Und das Leben ordnet sich.

Im Gebet vor Gott, in seiner Gegenwart, finden wir die Haltung, die wir brauchen. So finden wir zu jener Handlung, die jetzt gefragt ist. So entsteht ein rechtes Leben, so wirkt es hinaus und verbindet sich mit dem Tun der anderen Menschen. So fängt mitten im Alltag ein Stück vom Reich Gottes an – indem wir immer wieder im Gespräch mit Gott den rechten Weg suchen. Da ist uns jeder Tag neu aufgegeben, das Schöne wie das Widerständige. Aber wir wissen: Er ist da, Er kennt uns, Er nimmt uns an, Er vergibt uns unsere Fehler und Er begleitet uns auf unserm Weg: Jesus Christus, unser Herr und Erlöser.

 

Aus einem Gottesdienst zum Sonntag Septuagesimae 2005
Foto von Ksenia Chernaya, Pexels