Der Clown

«Es ist wohl auch für Dich wichtig, auf einem Weg zu sein, der für Dich stimmt. Egal, wo er durchführt, Du willst und kannst Dich nicht verleugnen.» Aus dem Brief eines Vaters an seine Tochter.

Liebe S., Ich schreibe Dir einen Brief. Ich möchte auf etwas zurückkommen, was bei Deinem Besuch einmal zur Sprache gekommen ist. Es scheint mir wichtig, auch für Dich. Wir sprachen von einem Bekannten, der oft «den Clown gespielt» habe. Ich meinte, es könne auch eine Selbst-Ironisierung sein. Dazu nehme man oft die Zuflucht, wenn man für seine Position keine Chance sehe, je von der dominierenden Strömung aufgenommen zu werden. Da ist es wesentlich, wie man sich verhält. Pfeift man einfach mit dem Wind? Hält man an seiner Position fest? Ist man stur und unbelehrbar oder gibt es Dinge, die nicht verhandelbar sind, wo ein Festhalten also geboten ist, unter Gefahr, seine Identität zu verlieren?

Ein Weg, der stimmt
Wenn ich an Deinen Besuch zurückdenke, sehe ich noch Dein Gesicht vor mir, wie Du mich angesehen hast, so offen und ehrlich. Das freut mich, und als Vater denke ich, diese Offenheit ist ein Geschenk, das Du Dir erhalten musst. Es ist wohl auch für Dich wichtig, auf einem Weg zu sein, der für Dich stimmt. Egal, wo er durchführt, Du willst und kannst Dich nicht verleugnen. Es gibt heute viele Strömungen, die «Wahrheit» für einen überzogenen Begriff halten. «Es gibt keine Wahrheit», sagt man schnell. Aber Marokko ist trotzdem nicht Fussball-Weltmeister geworden und die Aussage: «Gehe auf der Dachterrasse einfach immer geradeaus!» ist ein schlechter Rat. Man wird sich wehtun. Irgendwo scheint es doch Aussagen zu geben, die mehr oder weniger Realitätsbezug haben, auch wenn nichts heute so «dekonstruiert» wird wie der Begriff der «Realität». Es ist alles nur «soziale Konvention» etc. Es ist langweilig, dieser Diskussion nachzugehen. Wichtig ist das Fundament, auf das man sein Leben abstellen will.

Im Dazwischen
Ich bin Pfarrer und als solcher heute eine Witzfigur. Denn wer nimmt die Aussagen der Religion heute noch ernst? Dennoch ist es mir wichtig. Wie viele andere lebe ich in diesem Zwischenraum zwischen gesellschaftlicher Anerkennung und subjektiver Gewissheit, der sich nicht einfach schliessen lässt. (Man sucht entweder die Anerkennung und verleugnet sich selbst oder man bleibt sich selber treu und verzichtet auf Applaus.) Es sind geschichtliche Ereignisse denkbar, die den Spalt wieder schliessen werden, wo also Religion und Christentum wieder gesellschaftliche Bedeutung erlangen. (Vielleicht sind sie näher als gedacht, denn welches kulturelle Konzept kann die zunehmende Dysfunktionalität der heutigen Zivilisation noch auffangen?)

Inzwischen lebt es sich in einem Zwischenzustand von gesellschaftlicher Akzeptanz bzw. Ablehnung. Da ist man heute aber nicht mehr allein. Das ist die Rolle aller Subkulturen, die vielleicht früher mal Geltung besassen oder später mal Anerkennung erhalten oder die einfach von den Rändern her eingewandert sind und jetzt in jenen Quartieren der Grossstädte wohnen, wohin die Migranten eingewandert sind. Sie bringen ihre eigene Kultur mit. Sie sind aufgefordert, sich anzupassen und die fremden Wahrheits-Begriffe zu übernehmen. Sie müssten sich aber selber aufgeben, wenn das sofort geschehen sollte. Sie hätten keinen Boden mehr unter den Füssen und würden psychisch und sozial absacken.

So dauert es zwei, drei Generationen, bis Einwanderer entweder «assimiliert» sind oder – das ist die andere Möglichkeit, die in der Realität auch stattfindet: bis die dominierende Kultur so viel von den Einwanderern aufgenommen hat, dass sie selber sich gewandelt und ihre Wahrheitsbegriffe erweitert hat. Wir sind heute alle dankbar für die Kultur, die die Italiener nach dem zweiten Weltkrieg in die Schweiz gebracht haben, auch wenn es damals Ablehnung bis zur Hassreaktion gegeben hat.

Ironie
Wenn einer «den Clown spielt», wenn er sich selber ironisiert, ist das somit keine Feigheit. Es ist eine kluge Taktik, mit der Situation umzugehen. Ironie ist dann eine Haltung, die das Heilige schützt, nicht verrät. Sie nimmt beides ernst: die Überzeugung von der Wahrheit dessen, was einem heilig ist, und die Wahrnehmung, dass das in der gegenwärtigen Zeit nur Spott erntet. So redet sie uneigentlich vom Heiligen, als ob es ein Witz wäre, nicht ernst gemeint.
Damit sagt die ironische Äusserung: ich sehe, was hier gilt und gelten soll, ich selber habe eine andere Meinung und ich will sie nicht verbergen, so spiele ich den Clown, ich erzähle es wie einen Witz. Aber ich habe gelernt, dass Witze oft einen Widerhaken haben, womit sie sich einnisten, womit sie sich ein Lager schaffen beim andern, von wo aus etwas wachsen und entstehen kann, wenn nur die Bedingungen dafür besser sind.

So oder anders wirst auch Du Deinen Weg gehen, in Auseinandersetzung mit dem Ja und Nein der umgebenden Kultur. Vieles kann man dankbar übernehmen, anderem muss man widersprechen. Und oft geschieht es zum Wohl dieser übergeordneten Kultur, wenn Gruppen oder einzelne da sind, die widersprechen. Sie werden oft verlacht oder sogar verfolgt; später, nachdem der Weg ins Abseits geführt hat, setzt die Kultur oft bei diesen wieder an. So geschehen bei den Propheten in der Bibel.

 

«Das Ende der Ironie» heisst ein Streiflicht, das mehrere Texte zu diesem Thema zusammenfasst. In welcher Position stehen heute Religion und Christentum? Wie kann man in diesem Umfeld von Gott reden? Was tut not? Wählen Sie auf der Menuleiste «Streiflichter» den Titel «Das Ende der Ironie».

Foto von Sachin Bharti, Pexels

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