Das Schreckliche und das Schöne

Manchmal kann das Schreckliche auch schön sein. Die überforderte Psyche rettet sich. Sie verengt die Aufmerksamkeit auf einen Spalt, auf ein kleines Detail: das Licht, wie es gerade scheint, einen Ton, ein Muster an der Wand… Die Welt verschwindet und macht der Schönheit Platz. Diese Reaktion auf ein unerträgliches Erlebnis begegnet auch in dem Film «Foxtrot» von Samuel Maoz aus dem Jahr 2017, den wir im Rahmen der Veranstaltung Psychoanalyse und Film gesehen haben.

Nachrichten aus dem Krieg
Eltern erhalten die Nachricht, dass ihr Sohn im Krieg gefallen sei. Die Nachricht wirkt wie die Bombe, die das Leben ausgelöscht hat, die Mutter kollabiert, der Vater erstarrt. Später beginnt er unruhig hin und her zu gehen, man sieht ihn von oben, wie er von Wand zu Wand geht. Da klingelt es wieder, die Abgesandten der Armee bringen die Nachricht, dass der Sohn noch lebe, sie hätten ihn verwechselt mit einem anderen Soldaten gleichen Namens.

Eine solche Geschichte, grausam, scheint möglich. Der Filmemacher treibt die Story aber noch weiter, jetzt wird deutlich, dass er damit etwas erprobt. Was ist die Welt, wie tickt die Wirklichkeit, wie halten wir ihr Stand und ihren grausamen Verwicklungen? Das möchte er herausfinden.

Der Vater, in heiligem Zorn, verlangt, dass sein Sohn sofort nach Hause kehrt. Inzwischen sieht man den Sohn, wie er mit ein paar Kameraden an einem verlassenen Grenzposten Wache hält. Er liegt am Rand der Wüste, ab und zu trabt ein wildes Dromedar vorbei. Was tragisch begonnen hat, kippt hier ins Komische. Man wird an Samuel Beckett erinnert und das absurde Theater. Es ist unfreiwillige Komik, wie sie sich einstellt, wenn ein Leid jedes Mass überschritten hat. Wenn keine Logik mehr darin zu finden ist. Und die Psyche sucht ja eine Logik, sie fragt nach Schuld und Gerechtigkeit, nach einem Sinn im Sinnlosen.

Der Sohn kehrt zurück, wie es der Vater verlangt hat. Da verunglückt er auf dem Weg. Sein Fahrzeug kommt von der Strasse ab und stürzt eine Böschung hinunter. Der Gefallene und kurz ins Leben zurückgekehrte, jetzt ist er wirklich tot.

Eine moderne Tragödie
Der Film kommt daher mit der Wucht einer griechischen Tragödie. Auch die Unerbittlichkeit, mit der die Handlung fortschreitet, erinnert an eine Tragödie: Wie der Sohn erst verloren, dann gerettet wird und wie er durch das Eingreifen der Menschen, die sein Bestes wollen, doch noch verloren geht.

Die «Ursache», wenn man danach fragt, steckt im Eingreifen, die «Schuld», wenn man danach sucht, versteckt sich hinter dem guten Willen. Auch beim besten Willen kann man sich hier verfehlen. Es ist eine Zeit und eine Region, die überaus belastet ist von Krieg und Gewalt, von Schlag und Gegenschlag. Recht und Unrecht lassen sich kaum sortieren, Schuld und Unschuld kaum auseinanderhalten. Kommt dazu, dass die Psyche eigene Rechnungen macht, dass auch ein Überlebender sich schuldig fühlen kann einfach nur dadurch, dass er überlebt hat und die andern umgekommen sind.

Absurde Mechanik
Dauert der Krieg an, häufen sich die Fragen, die Schuld der Generationen türmt sich auf, die Verletzung pflanzt sich fort im Trauma der Eltern, Grosseltern und Kinder. Eines löst das andere aus, es scheint ein selbsttätiger Mechanismus, der kaum vom Willen zu beeinflussen ist. Nein, hier ist die Willensfreiheit aufgehoben. Hier herrscht das Trauma mit seinen Projektionen und eingeschliffenen Reaktionsweisen. Schon die Wahrnehmung ist von der Leiderfahrung geprägt. Schon die «Wahrheit» der Wahr-Nehmung ist verfälscht und verbogen von einer langen Geschichte des Leids und der Leidabwehr.

Von oben
Und das schlimmste Leid ist vielleicht das, das man selber verursacht, das schlimmste Unrecht das, was man sich selber vorwerfen muss, wenn man den Kontakt zu sich selber verliert und das Vertrauen, mit dem man aufstehen und im Gebet vor Gott kommen kann. Weniger religiös gesprochen: wie man in den Spiegel blicken und die Selbstachtung aufrechterhalten kann. Es ist die Frage, wie man sein «Selbst» bewahren kann, um in den Tag zu gehen und seine Aufgaben wahrzunehmen. (Ohne dass dieses «wahr-nehmen» wieder verfälscht ist durch Scham, Schuld und Angstabwehr.)

Die Psychologin, die den Film kommentierte, sprach von «Dissoziation»: wenn das Bewusstsein sich auf etwas konzentriert, ein Geräusch, das Licht, das Vorbeifahren eines Trams… und alles andere aus dem Bewusstsein verschwindet. Dazu gehört auch die Erfahrung, „von oben“ auf sich herunter sehen zu können. Die Psychologin sprach «vom Auge Gottes», das der Filmemacher als Perspektive einbezogen habe.

Gott in der Geschichte?
Von Gott würde ich vielleicht an anderer Stelle reden. In der ersten Mitteilung ist der Sohn gestorben. Dann taucht er wieder auf, es ist wie eine Auferstehung. Der Vater will es sehen, er will ihn in die Armen schliessen und setzt alles in Bewegung, dass er von der Front nach Hause kommt. Auf der Heimreise stirbt er bei einem Verkehrsunfall.

Wenn man es theologisch anschauen wollte, in grösstmöglicher Distanz, ohne Würdigung der psychologischen Umstände, könnte man sich erinnert fühlen an das Drama des Neuen Testamentes: wie Jesus stirbt und aufersteht. Aber er ist erst «im Geiste» da, in der Hoffnung, als Ermutigung und Begleitung auf dem Weg. Sinnliche Gegenwart wird das erst in einer «Endzeit» oder in all den kleinen Schritten, die die Menschen unternehmen, die sich von der Hoffnung anstecken, von der Motivation bewegen lassen. So dass schon heute hier und dort in kleinen Gesten, in vorläufigen Institutionen und Lebensformen etwas aufscheint von dem Reich Gottes, das aber in der Gänze noch aussteht.

Das Absolute in der Geschichte?
In der Geschichte gab es immer wieder Zeiten und Orte, wo das nicht genug war, wo das ganze «hier und jetzt» ersehnt und versprochen wurde. Vielleicht ist es auch das Schicksal eines Projektes, das sich versteht als Weg zu diesem grossen Ziel, wenn die Menschen immer wieder zurückgeworfen werden, wenn Hoffnung immer wieder enttäuscht, Vorfreude in Leid und Bitternis verwandelt wird, dass die Spannkraft der Hoffnung irgendwann erlahmt, dass man es jetzt und hier erleben will. Und man nimmt die Geschichte in die eigenen Hände, nicht die gewöhnliche Geschichte, sondern die Heilsgeschichte, die Geschichte, die man mit Gott aufmacht, wo die Hoffnungen wahr, die Sehnsüchte erfüllt werden und Frieden und Gerechtigkeit einkehren und täglich zu erleben sind.

Da will man sich nicht mit religiösen Hoffnungen begnügen, da genügt auch die weltliche Geschichte nicht mehr. Da wird in die Geschichte eingegriffen, die man sich zu anderen Zeiten von Gott erhofft. Da entstehen heilige Länder, heilige Institutionen. Da werden Begriffe der relativen Welt mit absoluten Werten aufgeladen. Und das Absolute, das vom Relativen erwartet wird, schlägt um ins Totalitäre. Jetzt hat man keine Geduld mehr, zu warten, bis die Menschen sind, wie sie sein sollen. Man sortiert sie in gute und schlechte, man vertreibt sie… Die Geschichte weiss die Fortsetzung. Im Film ist es die Ungeduld des Vaters, der seinen auferstandenen Sohn in den Armen halten will, was das Unglück befördert. Er hat keine Zeit, zu warten, der Sohn muss sofort zurückkehren. So kommt er auf dem Weg um. Der Vater hat nichts in Händen. Jetzt ist ihm auch die Hoffnung genommen.

Der Film wird gegen Ende von meditativer Musik untermalt. Die Psyche verengt sich, blendet aus, was sie nicht verarbeiten kann. Aber da ist ein Ton, der ist schön, da ist ein Licht, ihm kann man sich hingeben. Da ist irgendein Detail an der Wand, das man ansehen und beobachten kann. So ist die Kontemplation ein Weg, damit umzugehen. Die verletzte Seele rettet sich ins Land der Schönheit.

 

Foto pw