«Umsiedlung in sichere Länder»

Heute war eine eigenartige Notiz in der Zeitung. «Immer mehr Flüchtlinge warten auf die Umsiedlung in sichere Länder. In diesem Jahr sind es zwei Millionen. Es mangelt allerdings an Angeboten von Ländern, Flüchtlinge aufzunehmen. Weniger als ein Prozent der Menschen, die eine neue Heimat brauchen, können tatsächlich umgesiedelt werden. Vor allem Menschen aus Syrien, Afghanistan, Südsudan, Myanmar und der Demokratischen Republik Kongo benötigen dringend eine neue Heimat.» (NZZ)

Bevölkerung umsiedeln oder Diktatoren?
Bei dieser immer grösseren Zahl von Menschen, die eine Zuflucht und eine «neue Heimat» brauchen, kehrt sich die Betrachtung um: wäre es nicht einfacher für die internationale Gemeinschaft, wenn man nicht die Bevölkerung wegen der Autokraten aus ihren Herkunftsländern umsiedelte, sondern umgekehrt die Autokraten auswandern liesse, so dass die Abermillionen in ihren Ländern bleiben könnten?

«Vor allem Menschen aus Syrien, Afghanistan, Südsudan, Myanmar …» – das sind wohl Elendsgebiete, aber auch Orte grosser Verbrechen. Vom Kongo heisst es in Wikipedia: «Trotz oder gerade wegen seines Rohstoffreichtums zählt der Staat, bedingt durch jahrzehntelange Ausbeutung, Korruption, jahrelange Kriege und ständige Bevölkerungszunahme, heute zu den ärmsten Ländern der Welt.» Man kann die Lupe also nicht nur auf jene Länder richten, es gehören immer auch «Eliten» aus unseren Ländern dazu.

Eliten
Das erinnert mich an die NZZ von gestern. Die geprellten Gläubiger der untergegangenen Grossbank CSS klagen nicht nur gegen die Institution, sondern auch gegen ehemalige Manager. Da geht es ans Persönliche. Ich habe den Bericht noch nicht gelesen, beim Drüber-Fliegen ist mir nur ein Satz aufgefallen, in dem von «Inkompetenz und Gaunerei im Management» die Rede war. Hier geht es um Menschen, die früher zur «Elite» zählten, zur «High Society» der Stadt! Vor wenigen Jahren wäre eine solche Wortwahl undenkbar gewesen. Nach einem in der NZZ zitierten Bericht war die Führungsspitze der Bank «unfähig oder nicht willens, ihre korrupte Struktur zu korrigieren.»

Kein Halt vor bürgerlichen Ehrenstellungen
Das liegt offenbar im Zug der Zeit, dass nicht nur Institutionen eingeklagt werden, sondern auch Personen, bis zu den verantwortlichen Managern, so kürzlich auch im Fall des Dieselskandals bei VW. Auch bürgerliche Ehrenstellungen bleiben heute nicht unangetastet.

Bei der Katholischen Kirche in Deutschland gab es eine umgekehrte Entwicklung. Erstmals wurden nicht nur fehlbare Priester angeklagt, sondern die Kirche als Institution, weil sie nicht genug zum Schutz der Personen getan habe.

Der Streit um die Folgen der untergegangenen Grossbank CSS wird jetzt auch in den USA ausgefochten, weil es dort, im Unterscheid zur Schweiz, das Instrument der Sammelklage gibt. Die Menschen wehren sich für ihre Rechte. Das geht immer mehr ad personam, auch wenn im Fall der Kirche jetzt die ganze Institution auf der Anklagebank sitzt.

Der einzelne im Visier
Das zeigt sich auch in der modernen Kriegsführung, wo nicht nur auf Schlachtfeldern, in Schützengräben und versteckt unter dem Zivilleben grosser Städte gekämpft wird, sondern wo Anführer gezielt herausgepickt und auch in fremden Ländern durch eine Rakete, eine Drohne, oder eine Einzelaktion getötet werden. So zeigt es Israel heute im Kampf gegen die Hamas. So haben es die USA praktiziert im Kampf gegen den islamistischen Terror, als sie 2011 Osama Bin Laden in seinem Anwesen in Pakistan töteten.

Die zivile Variante ist die individuelle Zurechnung von Fehlhandlungen durch ein internationales Recht, das die globalen Handlungsräume mehr und mehr mit Rechtsgrundsätzen durchdringt. So können Fehlbare namhaft gemacht werden und durch internationale Vereinbarungen und Institutionen verfolgt werden.

Vielleicht, so mutmasst der Zeitungsleser, steht die Zunahme von autokratischen Gewaltregimen, die sich von rechtsstaatlichen Verpflichtungen lossagen im Zusammenhang mit solchen Entwicklungen? Der Gang in die Politik schützt durch die Immunitätsregeln vor staatlicher Verfolgung. Ist die Wahl gewonnen, kann das Justiz-System geändert werden, wie zahlreiche Beispiele zeigen, wo auch Staaten, die dem «Westen» zugerechnet werden, solch kreative Justizreformen verfolgen.

 

Foto von Nataliya Vaitkevich, Pexels

Die zitierten Berichte finden sich in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 26.6.23, «Anleihegläubiger klagen gegen ehemalige CS-Führungskräfte», und vom 27.6.2023, «Millionen Flüchtlinge warten auf Umsiedlung».