Gewürdigt

Um Würde geht es in diesem Text, um Scham und wie man nach einer Verletzung wieder Oberhand gewinnt. Die Formel von der Würde taucht auf und vom Vertrauen, die im Abendmahl gesprochen wird. Mir ist sie auch als Gebet wichtig. So altmodisch sie klingt, sie hat Kraft, sie begleitet auf dem Weg zur Würde, auch wenn sie vom Gegenteil ausgeht. «Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort…»

Gegenwart
Die Jünger stehen nach der Hinrichtung Jesu unter Schock. Demütigung haben sie erlebt, demonstrative Gewalt, Ohnmacht. Sie fühlen sich verlassen. Vielleicht kann sich ein Mensch einfühlen, der heute Verlassenheit erlebt? Jesus ist nicht mehr da, aber sie rufen ihn weiterhin an – in der Gegenwart, die sie in der Feier spüren, wenn sie im Gottesdienst versammelt sind. Ähnlich kann es ein Mensch heute empfinden, wenn er sich im Gebet an Gott wendet. Da denkt er nicht historisch, ob es möglich sei, Jesus anzurufen, wenn er doch hingerichtet und gestorben sei. Der Betende wendet sich an Gott. «Jesus» ist der Name, den er kennengelernt hat für sein Gebets-Vertrauen. «Jesus Christus», so ruft er den an, der ihm von Gott her entgegenkommt.

So ist die Geschichte mit dem römischen Hauptmann auch eine Erfahrungs-Geschichte. Jesus Christus ist nicht mehr physisch unter seinen Jüngern da, aber er ist gegenwärtig. Der Glaube steht nicht auf «handfesten» Belegen, auf Dingen, die man sehen und berühren kann, sondern auf der Erfahrung seiner Gegenwart und dem Vertrauen, das diese vermittelt. Etwas Analoges erfährt man in einem «Wort», in dem ein Mensch, eine Wahrheit, gegenwärtig sind, auch wenn der Mensch, der es ausgesprochen hat, nicht (mehr) da ist. «Herr, ich bin nicht würdig, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund.»

Und der Körper?
In der katholischen Kirche wird das Wort immer gesprochen vor der Kommunion, mit einer Variante: «Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.» Wenn ich so bete, leuchtet es mir ein: Hier wird zwar nur um eine gesunde Seele gebeten, nicht für die körperliche Gesundheit, die mich jetzt in meiner Krankheit beschäftigt oder weil ich vor einer Operation stehe. Das scheint weniger, als ich brauche, aber das andere kann nicht so schnell gehen, es ist vielleicht ein Anfang, was sich später bis in den Körper fortsetzen kann.

Im Evangelium ist aber die körperliche Gesundheit gefragt. Das ist der Grund, weshalb der Hauptmann Jesus bittet, bei ihm vorbeizukommen, weil sein Knecht krank ist. Es wiederholt sich die Frage, vor der die Jünger standen nach Jesu Tod. Er ist körperlich nicht mehr da, man findet ihn «in der Seele». Aber wirkt er auch? Kann ich ihn anrufen im Gebet? Ich lebe ja in dieser physischen Welt und die Aufgaben sind mir hier gestellt.

Wieder dient das «Wort» als Gleichnis. Das Wort des Hauptmanns findet Gehör, so auch das Wort Jesu, wenn er heilt. Jesus selbst, so erzählt die Geschichte bei Matthäus, lobt den Hauptmann für seinen Glauben: «Auch ich bin ein Mensch, der einer Obrigkeit untersteht», sagt der Hauptmann. «Ich habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er’s. Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden!» (Mt 8,5ff)

Glaube?
Der Glaube des fremden Hauptmanns kontrastiert zum Unglauben des Volkes, so schiebt Matthäus eine Gerichtsansage gegen das Volk ein. «Ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; aber die Kinder des Reichs werden hinausgestossen in die äusserste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.»

Die Jünger stehen unter dem Schock der Hinrichtung Jesu. Es ist nicht zu begreifen, wie Gott, wenn er kommt, kein Gehör findet. Aber solche Geschichten finden sich auch im ersten Testament, dort finden die Propheten kein Gehör, worauf eine Gerichtsansage folgt. Wesentlich ist hier: es geht um eine Heilung! Und dieser Heilung wird Erfolg zugesagt, auch wenn Jesus nicht mehr physisch präsent ist, sein Wort wirkt, wie das Wort eines Hauptmanns bei seinen Untergebenen.

Heilung
Wie wirkt es? Der Glaube sagt: durch die Gegenwart Gottes. Diese wird im Gottesdienst erfahren und im Gebet. Christus im Evangelium sagt: durch den Glauben. «Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.»

So ist es mir zu einem lieben Gebet geworden. «Herr, ich bin nicht würdig, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund.»

Es enthält den ganzen Gottesdienst: das Kyrie (wie kann ich vor Gott treten in der Fehlerhaftigkeit meines Lebens?), das Gloria (die Engelsbotschaft von Weihnachten: Diese Finsternis, das ist die Nacht, in der das Heil geschieht!) und das Credo (ich vertraue darauf und will mein Leben darauf abstellen).

«Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.» «Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund.»

«Darum freut sich mein Herz, und meine Seele frohlockt; auch mein Fleisch wird sicher ruhen. Du wirst mir den Weg des Lebens zeigen; vor deinem Angesicht sind Freuden in Fülle, liebliches Wesen zu deiner Rechten ewiglich!» (aus Ps 16)

 

Foto von Quang Anh Ha Nguyen, Pexels