«Haltet mich nicht auf…!»

Zum Gedenken an die Verstorbenen

So ist das vordergründig die Geschichte einer Brautwerbung, im Hintergrund hören wir aber auch die Geschichte von Abraham und seinem Sterben. Auch er könnte sagen: „Haltet mich nicht auf, da doch der Herr Gnade gegeben hat zu meiner Reise.“

Im Alltag schrecken wir zurück vor dem Tod. Er ist ja das Ende von allem, was wir denken und planen. Er ist das Undenkbare und Unplanbare überhaupt, wir schauen weg. Wer aber auf diesem Weg geht, sei es als Kranker, sei es als Angehöriger, der muss hinsehen. Und er erlebt, dass da nicht einfach nur das Ende ist von allem, dass auch hier ein Weg hindurchführt. Und gerade wer den Weg macht, kann oft Dinge erfahren, die ihm ein grosses Gefühl der Geborgenheit vermitteln. Und gerade im letzten Moment sind noch grosse Schritte möglich. Viele, die dabei waren, sagen nachher: Es war ein grosser Friede!

Es ist ein grosses Geheimnis um Leben und Sterben. Und es ist nicht einfach nur das Ende von allem. Sondern das, was uns im Leben Halt gibt, das kann man gerade dort erfahren. Sie haben vielleicht auch schon von Menschen erzählen hören, dass sie nach dem Tod von ihrem Angehörigen geträumt haben. Oder dass sie seine Gegenwart spüren und dass ihnen das Kraft und Trost gibt. Und von Sterbenden hört man manchmal Erlebnisse erzählen, als ob sie abgeholt würden.

Auch in der Bibel gibt es solche Geschichten, die von diesem Geheimnis erzählen: dass wir abgeholt oder auf einem Weg begleitet werden. Dort geht es aber nie um Sensationslust oder um Spekulationen, ob es da ein Leben „jenseits“ gäbe und wie das aussieht. Die Bibel spricht sehr zurückhaltend davon. Sie will uns damit zeigen, dass wir geborgen sind, dass unser Leben aufgehoben ist in einem guten Geschick, dass Gott uns führt auf unserem Weg.

Das gilt nicht nur dann, wenn wir bewusst und aktiv sind, sondern schon vorher. Schon vor unserer Geburt stand sein grosses „Ja“ über unserem Leben. Und es hört nicht auf, wenn unser Leben zu Ende geht. Auch auf diesem Weg können wir Begleitung und Führung erfahren.

Wie zu einer Hochzeit
Ein Bild, das die Bibel braucht, um uns auf unserem letzten Weg zu begleiten, das ist mitten aus dem Leben gegriffen. Es ist das Bild einer Hochzeit. – Es ist nicht einfach nur alles traurig, weil es zu Ende ist, sagt die Bibel. Nein, sie braucht das Bild eines Festes. Sie weckt Erinnerungen an einen Höhepunkt unseres Lebens, dort, wo alles „hoch“ zu und her ging. In der Hochzeit feiern wir etwas, was sich an unserem Leben ereignet: dass eine grosse Hoffnung unseres Lebens sich erfüllt, dass unsere Liebe eine Antwort findet, dass unsere Sehnsucht an ein Ziel kommt, unsere Sehnsucht nach einem „Du“, das uns nahe ist.

Am Ende unseres Lebens, sagt die Bibel, ist es wie bei einer Hochzeit. Gott selber kommt zu uns Menschen und verbindet sich mit uns. Er schliesst gewissermassen den Bund des Lebens mit uns, und nichts kann jemals wieder diesen Bund stören. Gott ist bei uns und wir bei Gott. Und der Tod ist aufgehoben, und Gott wischt alle Tränen ab.

Von Anfang bis zum Ende
Eine solche Geschichte finden wir im ersten Buch der Bibel, und wir finden eine solche Geschichte im letzten Buch der Bibel. Es ist, als ob sie damit zeigen wollte, dass unser Leben von Anfang bis Ende getragen ist in diesem Liebesbund, den Gott mit uns eingeht.

Das erste Buch der Bibel erzählt von Abraham. Er ist alt geworden, er möchte noch sehen, wie sein Sohn verheiratet wird. Er schickt seinen Knecht in die alte Heimat zurück, damit er dort eine Braut für ihn findet. „Und wenn sie nicht mitgehen will?“ fragt der Knecht. „Hab Vertrauen!“ sagt Abraham. „Der Herr wird seinen Engel vor dir her senden. Er wird deine Reise gelingen lassen.“

Brautwerbung
Der Knecht macht sich auf den Weg, er geht in die alte Heimat zurück. Als er ankommt, geht er zum Brunnen, zu der Quelle, wo alle hingehen, um Wasser zu schöpfen. Und er bittet Gott im Gebet um ein Zeichen. Da kommt Rebekka, sie bietet ihm zu trinken an und gibt auch seinen Tieren, so wie er sich das als Zeichen erbeten hat. Da sagt er: „Gelobt sei Gott, der meine Reise hat gelingen lassen.“ Er gibt ihr einen goldenen Ring, dann geht er zu ihrer Familie, um alles zu besprechen.

Ihrer Familie fällt es nicht leicht, Rebekka ziehen zu lassen. Aber schliesslich sagen sie: „Das ist vom Herrn gefügt. Wir können nichts dazu sagen, weder Gutes noch Schlimmes.“ Als der Morgen des Aufbruchs gekommen ist, will der Knecht sich verabschieden: „Entlasst mich nun zu meinem Herrn.“ Aber ihre Familie wehrt sich, sie mag den Menschen, den sie liebt, noch nicht ziehen lassen. Und sie sagen: „Lass doch das Mädchen noch eine Zeitlang bei uns bleiben, wenigsten zehn Tage lang, danach magst du ziehen.“ Aber der Knecht sagt: „Haltet mich nicht auf, da doch der Herr Gnade gegeben hat zu meiner Reise. Entlasst mich, dass ich zu meinem Gebieter ziehe.“

Abschied
Es tut weh, einen Menschen, einfach loszulassen. Drei Mal ist in der Geschichte der Widerstand laut geworden. Jetzt lassen sie Rebekka ziehen, und sie geben ihr den Segen mit. Sie trösten sich mit dem Gedanken, dass sie nicht einfach fortgeht, sondern dass eine andere Liebe sie erwartet, wo sie aufgehoben ist.

Als der Knecht mit Rebekka zuhause ankommt, begegnen sie Isaak, der als Bräutigam für sie bestimmt ist. Rebekka fragt: „Wer ist das?“ Und der Knecht sagt: „Das ist mein Herr.“ Er erzählt Isaak alles, und dieser führt Rebekka in das Zelt und nimmt sie zur Frau.

Abraham ist bald darauf gestorben. So ist das vordergründig die Geschichte einer Brautwerbung, im Hintergrund hören wir aber auch die Geschichte von Abraham und seinem Sterben. Auch für ihn ist es Zeit, auch seine Angehörigen schmerzt es, ihn einfach ziehen zu lassen. Aber er selber möchte gehen. Es ist Zeit für ihn. Auch er könnte sagen: „Haltet mich nicht auf, da doch der Herr Gnade gegeben hat zu meiner Reise. Entlasst mich, dass ich zu meinem Gebieter ziehe.“

Auch seine Angehörigen können sich trösten, dass er nicht einfach nur fort geht, sondern dass seine Reise in die alte Heimat zurück geht, zu der Quelle, wo man Wasser schöpft und den Durst stillt – dort, wo alle Bedürfnisse ans Ziel kommen.

Von dieser Liebe spricht auch das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung. Dort schaut der Evangelist Johannes in die Zukunft:

„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Und ich sah die Heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen, gerüstet wie eine Braut, die für ihren Mann geschmückt ist. Und ich hörte eine laute Stimme vom Thron her sagen: Siehe da, das Zelt Gottes bei den Menschen. Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und Gott selbst wird bei ihnen sein.

Und er wird alle Tränen abwischen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, und kein Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein. Und der auf dem Throne sass, sprach: Ich will dem Dürstenden aus dem Quell des Lebens zu trinken geben.“

Vieles aus der ersten Geschichte, die wir gehört haben, wird hier wieder aufgenommen: Das Ende des Lebens kommt uns hier nicht in einem traurigen Bild entgegen. Nein, es ist wie bei einem Fest, wie bei einer Hochzeit – und eine Sehnsucht unseres Lebens kommt ans Ziel. Der Mensch sieht sich auf seinem letzten Weg wie eine Braut geschmückt, und Gott kommt und geht einen ewigen Liebesbund mit ihm ein.

Wie Menschen sehen nur das Ende des Lebens, aber Gott sieht das Ziel. Und der Glaube gibt uns Augen, dass wir über das Ende hinaussehen können auf die Voll-Endung. Dort wissen wir unsere Verstorbenen aufgehoben. Und so können wir an sie denken: „Gott wird alle Tränen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein. Und kein Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein. Und der auf dem Throne sitzt, spricht: Ich will dem Dürstenden aus dem Quell des Lebens zu trinken geben.“

 

Zum Feiertag Allerseelen (kath.) / zum Totensonntag (ref.)
Aus Notizen 2013. Kann Liebe auch ein Weg sein zu Gott?
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