Händler der Angst

Neue Schreckensmeldungen. Ich habe gestern Abend nicht Nachrichten gehört. So überfällt es mich am Morgen mit grossen Lettern auf den Titelseiten. Ich spüre, wie ich mich dagegen schütze. Schon diese ganze Zeit. Ich habe mich als Zeitgenosse abgemeldet. Ich habe keine Zeit dafür. Ich ziehe mich zurück in Unabkömmlichkeit. Mein Projekt hält all meine Gedanken besetzt. Ich mag nicht darüber hinausschauen, darum bin ich ihm besonders ausgesetzt. Es überfällt mich immer wieder von hinten.

Rückzug
Dabei hat man das alles seit Jahrzehnten kommen sehen. Es kam nicht über Nacht und nicht hinterrücks. Es ist die Folge der Politik und der Wirtschaft, die wir betreiben. Ich könnte vieles aufzählen. Damit, meine ich, habe ich meine Schuldigkeit getan. Ich kann mich wieder in meine kleine Welt zurückziehen und die Welt „Welt“ sein lassen.

Und die Kinder?
Nur wenn meine Tochter traurig ist, schaue ich auf. Sie ist noch nicht geübt im Wegschauen. Sie hat diesen Zynismus des Beschäftigt-Seins, des Keine-Zeit-Habens, des Sich-um-sich-selber-Drehens noch nicht gelernt. Sie hat echt Angst. Wenn alles immer schlimmer wird? Ist das das Leben, auf das sie zugeht, kaum dass sie das Erwachsenenalter erreicht hat? Ich muss das Maul auftun. Es ist nicht so, sage ich, dass alles immer schlimmer wird. Konflikte können befriedet werden.

In Syrien, erkläre ich, geht es um die Neuordnung der arabischen Länder, die nach dem ersten Weltkrieg aus dem zerfallenden Osmanischen Reich herausgelöst wurden.

Die Rede vom Immer mehr
Und die Rede vom „immer mehr“ begegnet zwar immer mehr in den Medien („immer mehr Rentner“, „immer mehr Flüchtlinge“, „immer mehr Migranten“), ist aber so falsch wie diese Behauptung. Wir leben zwar in einer Zeit exponentieller Wachstumskurven, die das Gefühl von „immer mehr“ erzeugen, weil viele Lebensbereiche international verflochten sind. Aber die Globalisierung als Treiber dieser Entwicklung, stösst selbst auf Grenzen, weil die Nebenfolgen steigende Kosten verursachen, weil Renditen abnehmen, weil Lebensräume und Standorte zerstört werden, weil die ökonomisch geforderte Mobilität der Menschen sozial nicht machbar ist.

Medien-Seelsorge
Es brauchte heute so etwas wie eine Medien-Seelsorge, die sich darum kümmert, was Nachrichten bei Menschen anstellen und wie sie damit umgehen können. Terror, „Erschrecken“, geschieht auch auf dieser Stufe. So kann ihm auch auf dieser Stufe der Nachrichten begegnet werden.

Als erstes müsste eine solche Seelsorge dem Leser erklären, wie Nachrichten zustande kommen. Die Medien gehören den grossen Interessen oder sind nahe bei ihnen angesiedelt. So stehen sie nicht einfach im Dienst der „Aufklärung“ oder der „Information der Staatsbürger“. Sie wollen die Angst nicht beheben, sondern oft bewirtschaften. Oft genug sind es die Interessen, die Ängste schüren. Das ist ein anerkanntes Mittel der politischen Propaganda geworden.

Die lachenden Dritten
Eine solche Medien-Seelsorge müsste von den Medien selbst geleistet werden. Das könnten z.B. Sendegefässe sein, wo Nachrichten beispielhaft beleuchtet werden unter dem Aspekt, wie ein Mensch auf gute Weise damit umgehen kann. Besser noch wäre, wenn schon bei der Abfassung der Nachrichten gefragt würde, wie die Menschen damit umgehen können.

Ja, Angst machen ist heute erlaubt. Es ist ein Geschäftsmodell in Politik und Wirtschaft. Aber der Grad der medial erzeugten Angst hat heute ein Ausmass erreicht, wo diese Rechnung nicht mehr aufgeht. Die Kleinhändler mit der Angst eröffnen ein Geschäftsfeld, das nach den Grossen ruft: Politische Schreckgestalten aus dem Horror-Kabinett der Geschichte. Da ist nicht mehr leicht, Gewinn zu machen.

 

Aus Notizen 2016
Foto von Ron Lach, Pexels