Zwischen Rolle und Risiko

Auch von einem Comic kann man etwas über Kirche lernen. Die zwei Bilder habe ich seinerzeit kopiert und im Pfarrhaus an die Wand gehängt. Hier schienen mir zwei Bilder von Kirche, von Pfarrersein und von Glauben sinnfällig entgegen zu treten:

Im einen wagt sich der Comic-Held auf die Elemente hinaus, er sitzt in einem Sarg und wird bedroht von einer allesverschlingenden Welle. Das andere Bild zeigt einen Pfarrer in seiner gesellschaftlichen Rolle. Er ist ein «guter Pfarrer», weil er dem Bild entspricht und die gesellschaftlichen Erwartungen erfüllt. Da darf er sich auch ein bisschen aufführen wie ein «peacock», was Pfau oder Geck bedeutet. Aber als Mensch gibt er ein «kleines» Bild ab gegenüber dem andern, der sich auf den Weg macht, der das Risiko auf sich nimmt, der sein Leben gewinnt oder verliert auf diesem Weg. Dieser Weg ist attraktiver, er zieht die andern an, trotz der Gefahr, denn jeder möchte sein Leben gewinnen, er will es nicht am Schatten verbringen, im «Schärme», abgestellt in die Schachteln und Kästchen gesellschaftlicher Rollenzuteilung.

Der Comic «Les Cigars du Pharaon» von Hergé erschien 1932 bis 1934 in der belgischen Zeitungsbeilage «Petit Vingtième» und es finden sich darin zahlreiche Anspielungen auf den Faschismus und Autoritarismus in vielen Ländern dieser Zeit. Das gehört auch zur «grossen Welle», der der Held in diese Geschichte entgegengeht. Dazu muss er sich mit seinen Ängsten konfrontieren. So bleibt die Welle ein Bild des «Traumas», aber es symbolisiert auch die Gefahren der Zeit.

Der «gute Pfarrer Peacock» stellt sich selbstverständlich neben die Honoratioren und Militärs seiner Zeit, er fügt die Kirche ein ins gesellschaftliche Gefüge. Das Evangelium wird hier eher verraten als verbreitet. Der Comic, der die Geschichte erzählt, ist aber mit denen, die ins Ungewisse gehen, die im Dunkeln stehen. Und die jugendlichen Leser fiebern mit ihnen mit.

Und doch hat der Comic mit dem zu tun, was die Kirche als ihr Geheimnis hütet. Die Bilder von Untergang und Rettung, von Absturz und Heilung, von Tod und neuem Leben verweisen auf die Taufe als Symbol des neue Lebens, zu dem findet, wer das Alte hinter sich lässt und sich auf einen neuen Grund stellt: nicht mehr das, was sie steuern können, sondern das, was ihnen zukommt, was das Leben trägt. Davon erzählt der Glaube. Das biblische Wort für Glaube (pistis) bedeutet ja «Vertrauen», es meint eine andere Haltung zum Leben und zum Sterben.

Dieses Tim-Abenteuer steht für die 30er Jahre und für die Erfahrung von Tod und Untergang, aber auch von Herausforderung und von neuem Leben, wenn man sich dieser Herausforderung stellt. An solchen Vertretern der Kirche, hat diese selber später festgemacht, als der Nazi-Spuk vorbei war: an denen, die sich verweigert haben, die dem Risiko gefolgt sind und nicht der sozialen Rolle.

 

Aus «Rollenprosa und Propheten. Nachdenken über Rolle und Risiko im Pfarramt.»
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