Die Sakramente

In dieser Zeit las mir unsere kleine Tochter ein Märchen vor. Es berührte mich wie ein Traum. Es handelte davon, wie Quellen austrocknen, und wie der Mensch auf einer Reise zu den Quellen den Anschluss wieder finden kann. Dieses Märchen beschäftige mich lange. Und ich begriff, dass es von denselben Dingen handelte wie das Abendmahl.

 

Ich möchte mal hinsitzen und ohne langes Zusammenstellen aufschreiben, was mir zu den Sakramenten einfällt. Und zwar nicht als Pfarrer, der Auskunft gibt, sondern als Mensch, der sein Leben gestalten soll und der für sich die Sakramente „entdeckt“ hat, weil er ahnt, dass sie Antworten geben auf solche Fragen.

Taufe und Abendmahl sind mit einem Bild des Lebensweges verbunden, ich habe angefangen, mich mit ihnen zu beschäftigen, weil ich hier auch einen Weg für mein eigenes Leben zu finden glaube. Es hat wenig mit Wissen, viel mit Ahnung zu tun, mit dem, was in Träumen aufscheint. Ich habe immer wieder erlebt, dass Träume mich durch etwas hindurch geleitet haben. Das macht mich hellhörig für solche Ahnungen, für das Wissen der Träume, für solche Landkarten des Lebensweges. Es ist, als ob es Schatzkarten gäbe, die den Weg zeigen zu ungehobenen Schätzen. Das elektrisiert mich, es verspricht mir Zugang zu Dingen, die ich auf andere Weise nicht finden kann.

Was ansteht
Ob es nun Schätze sind, die ich zu finden hoffe, oder Fallgruben, denen ich entgehen möchte: Es sind Dinge der Art, die ich nicht in die Agenda schreibe, weil ich sie gar nicht nach üblicher Art erledigen kann. Sie stehen an in meinem Leben, sie erfordern eine Antwort, aber ich kann sie nicht einfach machen, denn das zu tun, steht nicht in meiner Macht. Es steht mir nicht zu Gebot, jedenfalls nicht so, dass ich davon wüsste.

Ich will eine Schraube anziehen, aber in dem Werkzeugkoffer, der mir für meine Alltagsfragen hilft, ist der Schraubenzieher nicht zu finden, der diese Schraube anziehen kann. Es ist überhaupt weniger eine Aufgabe für die Hände als für… was? –

Es ist ein Gehen auf einem Weg, ein Hinüberschreiten über eine Brücke. Und manchmal ist da kein Weg und keine Brücke – da ist nur Wasser, und ich soll über Wasser gehen…

Es geht um Fragen, von denen ich spüre, dass sie im Leben anstehen, und doch kann ich sie nicht einfach beantworten. In diesen Bereichen habe ich den Zugang zur Taufe gefunden. Um Wandlung geht es, um Heraustreten aus etwas Altem, das mehr und mehr als Last empfunden wird. Aber es ist nicht leicht. Das Alte, das war bisher mein Leben. Das war das, was mir geholfen hat. Ich ahne etwas Neues vor mir, aber für das Gefühl ist es, als ob ich in die Tiefe springen müsste. Es weckt grosse Ängste, ich weiche zurück. Ich bleibe beim Alten.

Jetzt bin ich die Ängste los. Dafür ist jetzt etwas da wie ein Schuldgefühl. Es ist, als ob ich eine Pflicht versäumte. Aber wenn ich in der Agenda nachsehe: Da ist keine Pflicht, die ich nicht erfüllt hätte. Und doch mahnt mich mein Gewissen. (Ist es das Gewissen, was mich auf diese Dinge hinweist?) Es ist wie eine Pflicht, die ich meinem eigenen Leben schulde, und sie ist irgendwo aufgeschrieben. – Aber mit dem Alltagsbewusstsein habe ich keinen Zugang. Dieses sagt mir nur „es ist ok“. Ich schaue in die Agenda: ich habe alles erledigt. Ich schaue auf das Pult: da sind noch viele Aufgaben, aber dabei ist keine, die mein Gewissen auf diese Art berühren kann. So ist das mit diesem Weg, den ich gehen muss – will ich vorwärts, macht es mir Angst, weiche ich zurück, bleibt diese Unruhe.

In diesen Wechselbädern stand ich, als ich einen Traum hatte: Ich sah mich und ging einen Weg. Der Weg hatte viele Stationen, und er führte bis ans Ziel. Als ich später über den Traum nachdachte, stiegen viele Bilder in mir auf. Und ich sah: das entspricht dem Weg der Taufe. Taufe ist nicht nur ein Ritual in der Kindheit. Darin steckt mehr, darin steckt ein Wissen über den Menschen und seinen Weg.

In einer anderen Zeit – es war vielleicht zehn Jahre später – fühlte ich mich in meinem Leben seltsam blockiert. Wenn ich anderen Menschen zuschaute, so schien es in ihrem Leben viel mehr zu „fliessen“. Sie nahmen etwas in die Hände, begannen etwas Neues, und es entstand etwas daraus. Das geschah ohne Plan, es entwickelte sich einfach, es war ein Hin und Her von Tun und Sich-Entwickeln. Und ihr Leben veränderte sich dadurch. Im Nachhinein wurde sichtbar, dass sie auf einen neuen Weg kamen. Was ein persönliches Interesse war, wurde zu einem neuen Beruf. Was im Kleinen begann, brachte später Geld ein, so dass sie ihr ganzes Dasein auf eine neue Grundlage stellen konnten.

Ich dagegen fühlte mich leer. Mir wollte nichts gelingen. Was ich nach aussen einbrachte, stiess auf keinen Widerhall. Ich fühlte mich wie ein Baum, dem das Wasser ausgeht. Ich war nicht verwurzelt, hatte keinen Zugang zur Quelle.

In dieser Zeit las mir unsere kleine Tochter ein Märchen vor. Es berührte mich wie ein Traum. Es handelte davon, wie Quellen austrocknen, und wie der Mensch auf einer Reise zu den Quellen den Anschluss wieder finden kann. Dieses Märchen beschäftige mich lange. Und ich begriff, dass es von denselben Dingen handelte wie das Abendmahl.

Dieser Name ist für viele heute fremd, sie verbinden wenig Positives damit, wenden sich eher davon ab. Das Abendmahl ist nicht nur eine Feier für die „Frommen“. Darin steckt mehr, darin steckt eine Auskunft, wie man wieder an die Quelle gelangen kann. So dass man säen kann – und die Saat geht auf, so dass man handeln kann – und es „fliesst“.

 

Aus «Eros, Chaos, Kosmos, das Sakrament», Notizen 2007
Foto von Artem Beliaikin von Pexels

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