Himmelsleiter

Isaak ist älter geworden, er macht sich Gedanken um die Zukunft. Sein Sohn Jakob ist noch nicht verheiratet. Er schickt ihn in die alte Heimat, dort soll er sich eine Frau suchen. Und Jakob macht sich auf den Weg.

Früh am Morgen ist er schon unterwegs. Es ist ein schönes, erwartungsvolles Gefühl: Ein neues Kapitel des Lebens fängt an!

 

Jakob kommt schnell vorwärts. Am Anfang ist alles bekannt. Hier ist er aufgewachsen. Hier kennt er Stein und Bein. Er kommt bei den Herden vorbei, beim Brunnen, dem Ort, wo er als Kind gespielt hat… Er grüsst all diese Plätze im Vorbeigehen. Er nimmt die Erinnerungen mit.

Bald ändert sich der Weg. Und es kommt der Moment, wo er wirklich Neuland betritt. Hier war er noch nie. Aber sein Vater hat ihm den Weg beschrieben. Er ist diesen Weg schon gegangen. Und er hat ihm seinen Segen mitgegeben. Es ist schön, wenn man sich von seinem Vater getragen fühlt. Wenn man im Einverständnis ist mit den Eltern.

Jakob greift tüchtig aus. Am Mittag macht er Halt, er packt das mitgebrachte Essen aus. Er schaut sich das Land an. Es ist schön hier, es hat Platz. Hier könnte man sich eine Zukunft aufbauen. Und bald geht es weiter. Jakob ist jung. Es ist eine Freude, sich zu bewegen. So wandert er bis in den Abend hinein. Allmählich wird es dunkel. Er sucht sich einen Platz zum Übernachten.

Er freut sich, unter freiem Himmel zu schlafen. Das hat er oft getan, zusammen mit den Knechten, wenn er zuhause bei den Herden war. Er legt sich einen Stein unter den Kopf. Ein prächtiger Sternenhimmel wölbt sich über ihm.

Allmählich wird er schläfrig. Die Milchstrasse ist wie ein silbernes Band. Es beginnt unten am Horizont und führt hoch in den Himmel hinauf. Wie eine Strasse, auf der man gehen kann, gerade in den Himmel hinein.

Jakob schläft ein. Er träumt von dem Weg und von dem, was er vorhat. Er träumt von seinem Leben, und was für eine Wendung es nehmen wird.

Und dann sieht er eine Leiter. Der Himmel ist offen. Und eine Leiter führt von seinem Platz direkt in den Himmel hinein. Und Engel steigen auf und nieder. Und Gott selber ist da. Er gibt sich ihm zu erkennen: „Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks.“ Und Gott gibt ihm seinen Segen: Dieser Weg wird dich ans Ziel bringen, sagt er. Ich will dir eine Familie schenken. Auf diesem Land sollen sie leben, das du dir erwählt hast. Ich gebe es dir und deinen Kindern.

Am Morgen wacht Jakob auf. Ganz elektrisiert von seinem Erlebnis. Was war das? Er möchte es festhalten. Der Stein, auf den er seinen Kopf legte in der Nacht – er richtet ihn auf, als Zeichen, damit er diesen Ort wieder findet. Hier will wieder herkommen. Hier hat er eine Zusage bekommen für sein ganzes Leben.

Das ist ein heiliger Ort, sagt er. Hier ist das Tor zum Himmel. Und ich wusste es nicht. Hier will ich mich niederlassen mit meiner Familie. Und in der Mitte soll dieser Ort sein, wo der Himmel offen ist. Wo Gott Antwort gibt.

 

Gern erinnert er sich später, als er selber schon alt ist, an diese Wanderung. Er ruft sie sich in Erinnerung. Und er kann spüren, wie es sich anfühlte, als er am Morgen loszog, als er Mittagspause machte, als er am Abend einen Schlafplatz suchte. Und wie er dann den Himmel über sich sah.

Und er sieht sein Leben dann mit anderen Augen. Es ist ein grosses Unterwegs-Sein. Nicht nur damals, in der Jugend, auch jetzt, im Alter. Es hört nie auf. Und sein Weg, den er hier unten geht, ist nur ein Teil eines grossen Weges. Er hat etwas davon gesehen, die Leiter, die in den Himmel führt. Es ist nur ein Traumbild. Aber er erinnert sich ein Leben lang daran. Es ist etwas Wahres, aber er kann nicht sagen, wie das geht. Es gibt ihm Vertrauen für den Weg.

Ich verstehe nicht alles, was mein Leben ausmacht. Ich muss es wohl auch nicht verstehen. Aber ich muss vorwärts gehen. Und ich spüre, dass ich dabei begleitet bin. Damals war ich unterwegs zu einer Hochzeit. Etwas Schönes lag vor mir, ein grosses Versprechen. Auch jetzt hat das Leben ein grosses Versprechen für mich.

Jakob glaubt seinem Traum. Er lässt sich von dem leiten, was Gott ihm versprochen hat. So geht er seinen Weg. Er macht eigene Schritte, und kommt doch an ein Ziel, das er aus sich allein nie hätte erreichen können. Es ist, als ob jemand eine Leiter aufgerichtet hätte, die von der Erde zum Himmel führt. –

 

Das ist die Geschichte von Jakob: Er sucht eine Frau – und findet ein ganzes Leben! Dieses Ziel – es ist grösser, als er gedacht hat. Als er sich auf den Weg machte, damals, wusste er nicht, wo es ihn hinführen würde. Aber es ist ihm im Traum erschienen.

Seine Sehnsucht hat sich bis zum Himmel gespannt.
Die Sehnsucht von uns Menschen geht aufs Ganze.
Weniger können wir gar nicht hoffen, als dass das Leben gelingt.

Im Vertrauen auf Gott gelingt es, sagt diese Geschichte. Wenn wir das Vertrauen nicht fahren lassen, dass wir in seiner Liebe aufgehoben sind, dann finden wir die rechten Entschlüsse. Dann lassen wir uns nicht entmutigen. Dann können wir auch mal einen Fehler vergeben, und wir wissen uns in der Vergebung des andern aufgehoben.

Darum ist die Liebe von zwei Menschen ein Bild für die Liebe, die Gott zu uns hat. Beim Propheten Jesaja sagt Gott zu uns:

„Kommt zu mir und hört, dann werdet ihr leben. Ich will einen ewigen Bund mit euch schliessen. Und wer den Weg verloren hat – er kehre um zum Herrn, denn er ist gross im Verzeihen. Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken. Und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr. So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken.“ (Jes. 55,1ff)