Es ist vollbracht

Sieben Worte hat Christus am Kreuz noch an uns gerichtet. Das letzte Wort:
Es ist vollbracht.

Dieser Mensch am Kreuz – arm sieht er aus, elend und besiegt.
Er sagt: Es ist vollbracht!

Er ist nicht einfach am Ende, er hat ein Ziel.
Er hat ein Werk vollbracht.

Was ist das Werk Christi?
Die Erlösung.
Die Antwort kommt schnell. Können wir es glauben? Hat es Bedeutung für uns?

Die tiefste Hoffnung, die wir haben, ist: dass es gut kommt mit unserm Leben – trotz allem, was immer wieder dazwischen steht. Dass wir an den Widerständen nicht scheitern, dass unsre Fehler und Versäumnisse nicht am Ende stärker sind und die Hoffnung vergebens.

Wir hoffen, dass wir mit unserem Leben irgendeinmal ankommen. Dass wir unsere Aufgabe nicht verpassen, dass unser Weg nicht irgendwo abbricht, sei das der Weg, den wir als einzelne gehen, sei das der Weg der Menschheit. (Gibt es heute nicht Stimmen, die sagen, dass der Mensch sich selbst und die ganze Schöpfung zerstöre?)

Wie macht er das – Erlösung?
Wir haben viele Bilder dafür, wir sprechen von Heilung, von Befreiung, Verwandlung, von neuem Leben. – Aber begreifen wir das?
Erlösung ist so unbegreiflich wie die Schöpfung: „Wie hat er das gemacht? Die Sonne am Himmel, die Sterne, das Leben?“

Und doch ist es Wirklichkeit! Diese Myriaden von Sternen, das Wunder des Lebens, der ganze Reichtum dieser Welt, die Schönheit, die noch im Kleinsten anzutreffen ist: im Gesicht eines Kindes, in der kleinsten Blume.

So ist es mit Erlösung und Vollendung. Wie macht er das? Wir begreifen es nicht, aber alles bringt er ans Ziel und zur Vollendung. Alles, was er macht hat diesen Stempel der Vollkommenheit an sich.

Und wenn wir es nicht begreifen, wenn wir es sehen, kann es doch bewirken, dass wir die Angst ablegen. Es gibt Erlösung! Es gibt eine Antwort auf die Fragen, die uns immer offen bleiben. Auch für unsern Weg gibt es schliesslich ein Ankommen!

Könnten wir das doch hören und begreifen, wir würden diese Angst ablegen, diese ungeheure Angst, die das Leben verbittert und verstellt, die Angst, dass unser Leben umsonst gewesen sei, dass wir das Ziel verfehlen, dass wir unsere Aufgabe vielleicht schon verpasst haben, und es ist zu spät, noch etwas zu korrigieren. Die Angst, dass wir Menschen diese Welt zerstören. Denn alles ist vollkommen auf dieser Welt, schön wie eine Blume. Aber es wirkt auch schwach wie eine Blume. Der Mensch marschiert mit Militär-Stiefeln darüber weg.

Nein, die Kraft, die zerstört, ist nicht stärker als die Kraft, die aufbaut. Das Nein des Menschen ist nicht stärker als das Ja Gottes. Die Schuld nicht stärker als die Vergebung!

Es gibt Erlösung aus der Kraft Gottes, aus derselben Kraft, die die Sonne an den Himmel stellt!

Wir müssen nicht verzweifeln über die eigene Unfähigkeit, nicht verbittern über das, was wir verpasst haben. Wir müssen uns nicht verhärten und verschliessen gegen andere, weil unser Weg verstellt scheint.

Nein! Es gibt Erlösung! Der Weg ist noch offen, und auch wir sind dabei, wenn der Weg ins Ziel führt. Wenn wir nur Vertrauen haben, uns wieder aufmachen, wenn wir unsere Härte ablegen und wieder lernen:

Uns führen lassen
Uns tragen lassen
Uns versöhnen lassen
Uns trösten lassen
Unsere Tränen abwischen lassen

Auch für uns gibt es ein Ankommen, wenn wir nur lernen, den Panzer wieder auszuziehen, den wir uns übergezogen haben aus Trotz und Verhärtung gegen all das Schlimme, was wir erfahren haben im Leben.

Es ist vollbracht, sagt Christus am Kreuz. Und der Mensch unter dem Kreuz ist erlöst aus seiner tiefsten Angst: dass sein Leben ein Versuch war, der nicht ins Ziel führen wird.

 

Aus einer Karwochen-Andacht 2003
Bild Keuzigung von Lorenzetti