Die Entscheidung

Im Traum finde ich in einer Buchhandlung eine bisher unbekannte Bibel-Übersetzung. Es gibt die Bibel in zwei Versionen: Sie stehen für Abspaltung und Gespaltenheit oder für Versöhnung und Heilung. Es ist, als ob ich mich entscheiden sollte: die Welt als Hölle oder in Gottes Hand.

Die Urszene der schlechten Erfahrungen
Dazu passt der Anruf jener Frau, die Angst hat, vom Teufel besessen zu sein. Es ist, als ob ich all meine Erfahrungen noch einmal ansehen sollte und mich endlich entscheiden, woran ich glaube. Vor dem Aufwachen träume ich noch mal die „Urszene“, in der alle schlechte Erfahrung verdichtet ist: da werden Menschen erschlagen und achtlos in den Strassengraben gekippt. Die Welt ist ein «Loch», wo man nur krepieren kann.

Ich muss mich jetzt entscheiden und ich wähle „B“. Das ist der Satz: Es gibt nichts, was ich mit Gottes Hilfe nicht lösen kann! Und ich erprobe es an der Urszene – in jenem eigenartigen Bewusstseinszustand, schon halb-wach und raisonnierend, dabei aber immer noch der Traumwelt verhaftet mit ihrer eigenartigen Bildsprache und der suggestiven Überzeugungskraft mythischer Gehalte: Gott holt mich aus dem Graben.

Nach dem «Katastrophenjahr»
Nach den Katastrophen von 2001 spitzt sich die Frage zu: Soll die Erfahrung der Katastrophen so verarbeitet werden, dass gewisse Erlebnisse dauerhaft abgespalten werden? Solche Reaktionsweisen finde ich in der Seelsorge. Da taucht der Teufel auf, die metaphysische Konsequenz der Abspaltung, wenn der Gottesbegriff die dunkeln Erfahrungen nicht mehr aufnehmen kann und sich selber aufspaltet.

Die Entscheidung
Das ist nicht einfach eine Frage an die „Wirklichkeit“, wie sie irgendwo unabhängig von mir bestünde, sondern eine Entscheidung: Will ich mich integrieren oder gewisse Erfahrungen abspalten? Ich wähle den Weg der Integration. Und so integriert sich auch mein Gottesbild und kann die dunklen Teile aufnehmen: Ich halte Gott für kompetent, auch in den dunkelsten Erfahrungen meines Lebens. Ich fühle mich von ihm angenommen, auch in den finstersten Ecken meiner Psyche.

Erst als ich diese Entscheidung getroffen habe, kann ich jene Frau besuchen, die sich vom Teufel für verfolgt hält und ihr seelsorgerlich beistehen. Die von den Katastrophen aufgewühlten Überzeugungen und Haltungen, die das „Leben-Können“ ausmachen, können sich neu formieren.

 

Aus Notizen 2002
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