Es wird so viel von Ende gesprochen und das mit so viel schrecklichen Bildern aufgeladen, dass ganz vergessen geht, dass Ende in der Bibel eine Heilskategorie ist. Das Ende wird ersehnt, es wird zugesagt, es ist eine Domäne Gottes und seines Handelns. Der Mensch kann es nicht herbeiführen oder verhindern. Es kommt von Gott her über ihn. Und Gott steht für Gerechtigkeit, er heilt das verletzte Recht, und er steht für Barmherzigkeit. Er weiss, dass der Mensch nicht kann, wie er soll. Selbst die verletzte Schöpfung will er neu machen.

Was am «Ende» ist, können wir nicht wissen, aber die Erfahrung der vorangegangenen Geschlechter, was sie erlebt haben an Gutem und Schlechtem, was sie Schlimmes verarbeitet und an Zuversicht gewonnen haben, davon erzählt die Bibel. Wie sieht es also aus? Gibt es Frieden? Wann kommt die gerechte Welt?

In der Zwischenzeit
Mit dieser Frage kann man die Bibel durchsehen. Die Antwort ist paradox: das Reich Gottes kommt «am Ende», und es ist «mitten unter euch». Das Warten ist keine leere Zeit, wir brauchen nicht in Angst zu erstarren und das Handeln beiseite zu legen, als ob es sinnlos wäre. Es ist eine eigene Zeit, die uns gegeben ist. Es ist eigentlich die historische Zeit, die vom Handeln des Menschen bestimmt ist. Was vorher geschieht, die Schöpfung, und was nachher kommt, das Ende, das kommt von Gott her und gehört nicht mehr zur Geschichte.

In der Zeit, die uns gegeben ist, sollen wir «wuchern mit den Pfunden», die Talente einsetzen, die Gott uns gegeben hat. Wir sollen Vergebung üben, nicht siebenmal, sondern sieben mal siebzig Mal. So sollen wir nach dem Reich Gottes streben, auch wenn wir es nicht herstellen können. Aber in diesem Streben finden wir den rechten Weg für die provisorischen Geschäfte, die uns auf dieser Erde gegeben sind. Danach sollen wir trachten, alles andere wird uns hinzugetan. Das Evangelium zählt sechs Werke auf, die letztlich entscheidend sind: Hungernden zu Essen und Dürstenden zu trinken geben, Nackte bekleiden, Fremde aufnehmen, Kranke und Gefangene besuchen (Mt 25). Liest man diese Texte im Zusammenhang, ergibt sich folgendes Bild:

Anfang
In der Aussenwelt geschehen grosse Dinge, die wir nicht direkt beeinflussen können, sie machen Angst, aber wir dürfen vertrauen: der Herr der Geschichte hat sie in seiner Hand. Er kommt, zu suchen und zu helfen, so dass Geschichte ein gutes Ende nimmt. Gerechtigkeit und Erbarmen wirken mit, so dass das Leben jedes einzelnen ans Ziel kommt und die Schöpfung erhalten und wiederhergestellt wird.

Mitte
Von der Vollkommenheit der Endzeit gibt es schon heute etwas, das uns gegeben ist und das uns hilft auf dem Weg. Vom Garten des Paradieses her duften schon heute drei Blumen: Glaube, Liebe und Hoffnung. Von dem grossen «Ankommen» am Ende gibt es schon heute einen Vorgeschmack und von dem befreiten Handeln gibt es schon jetzt ein Tun, das sich in den grossen Fluss dieser Ereignisse hineinstellen kann und darum gegen Resignation gefeit ist: das ist die Wachsamkeit, zu der uns Gott aufruft als seine Stellvertreter. Das «Reich Gottes» ist mitten unter uns – wir haben Talente, jeder nach seiner Art. Und jedes trägt dazu bei, das Reich Gottes zu verwalten, bis er zurückkommt.

 

Zum Ende des Kirchenjahres
Foto von Tirachard Kumtanom, Pexels