An der Reception

Eine Geschichte zum Advent

Es ist die Geschichte von einem Empfangs-Chef in einem Hotel. Er begrüsst die Gäste. Viele gehen bei ihm vorbei, jeden Tag. Wenn er all die Menschen zählen müsste, die er im Hotel schon empfangen hat, es wären wohl Tausende.

Er hat Erfahrung, er sieht es den Leuten an, kann sie einschätzen. Er sieht das Auto, mit dem sie vorfahren. Er beurteilt sie nach ihrem Auftreten, nach ihrem Anzug.

Natürlich kennt er auch die Gäste, die immer wieder im Hotel absteigen, er kennt ihre Vorlieben. Und sie finden ihre Zimmer vor, wie sie es wünschen. So kann er jeden behandeln, wie er es verdient, den Manager mit dem Respekt, den ein reicher Kunde verdient, den Billig-Touristen mit der Herablassung, die zu verstehen gibt, dass er sich besser eine andere Unterkunft sucht.

Eines Tages wird im gemeldet, dass ein wichtiger Konzernchef eintreffen wird, den er noch nicht kennt. Der ist berühmt und berüchtigt gleichermassen. Er ist so reich, dass er sich nicht um sein Image schert. Er kann sich Eigenheiten leisten. Vor allem weiss man, dass er Status-Symbole verabscheut. Über teure Autos lacht er, er kommt oft zu Fuss. Massanzüge kann er nicht leiden, er kleidet sich im Warenhaus ein oder kommt in abgetragenen Kleidern. Er weiss ja, wer er ist, er muss es nicht immer demonstrieren.

Der Empfangs-Chef ist aufgeregt. Er weiss nicht genau, wann er kommt, auch das ist eine Marotte des berühmten Mannes. Wie soll er ihn erkennen? Seine Ehre steht auf dem Spiel. Diesen Gast darf man nicht verprellen!

Ängstlich mustert er jeden Gast, der kommt – Dieser Mann da, der sein Gepäck hineintragen lässt und nur einen kleinen Aktenkoffer in der Hand behält – ist er der Konzern-Chef? Oder jener Mann, der seine Koffer selber schleppt? – Bei diesem Menschen ist alles möglich.

Er darf sich keine mürrische Antwort mehr leisten, bei den Gästen, bei denen er sonst sicher war, dass sie nicht zählen. Oder dort, wo er jemanden spüren lassen wollte, dass er besser anderswo absteigen sollte.

Er schaut die Leute genauer an – zum ersten Mal in seinem Leben. – Schwierig, wenn man sich nicht aufs Äussere verlassen darf! Vielleicht ist sogar jener alte Mann der Erwartete? Alte Leute kamen früher für ihn nicht in Betracht, weil sie ihre Position abgegeben haben. Oder jener Mann, der wie ein Handwerker aussieht? Er hätte ihm früher den Lieferanteneingang gewiesen. Er ist verunsichert, riskiert auch einmal ein Lächeln. Er schaut hin, wo er sonst wegschaute. Sein Mitarbeiter kennt sich nicht mehr aus. Was hat sein Chef nur heute?

Aber das, das könnte er sein! Ein Mann mit zwei Koffern zwängt sich ungeschickt durch dir Drehtür, statt sich helfen zu lassen. Der Empfangs-Chef eilt, hält ihm die Türe auf und hilft. Der Portier wundert sich, nie hat sich der Chef früher zu so etwas herab gelassen! So geht der Vormittag vorbei, der Nachmittag: Er steht dauernd zwischen Aufregung – er kommt! – und Enttäuschung – er war es doch nicht! Nach ein paar Tagen (Tagen wie er sie bisher nicht gekannt hat in seinem Leben) ist er erschöpft, und nach einer Woche ärgerlich! Kommt dieser Gast denn nicht? – Was fällt dem ein, sich so wichtig zu machen und alle Leute in Aufregung zu versetzen! Oder – siedend heiss fällt ihm diese Möglichkeit ein: Er ist schon gekommen und er hat ihn nicht erkannt! Hat er ihn vielleicht schlecht behandelt, und der Gast beschwert sich bei seinem Chef? Hat er seinem Hotel Schande gemacht? Nicht auszudenken!

Er weiss es nicht, ob er gekommen oder nicht gekommen ist oder ob er noch kommt. Aber das Warten auf diesen Gast hat sein Leben verändert.

Der Empfangs-Chef hat sich verändert und das Leben im Hotel hat sich verändert.

Er behandelt immer noch jeden Gast so, wie er es verdient, aber jetzt anders: mit Respekt, mit dem Zutrauen, dass er der erwartete Gast sein könnte, indem er ihn ansieht. (So gibt er ihm ein Ansehen, auch im Hotel.) Plötzlich fühlen sich die Menschen in diesem Hotel erkannt, und der Ruf verbreitet sich. Auch die Angestellten fühlen sich wahrgenommen. Nicht mehr auf den Wert reduziert, den sie für die Arbeit haben.

Vielleicht ist er ja wirklich gekommen, der Gast?! Man weiss doch, dass er in der Gestalt des Allereinfachsten kommt!

Gott kommt inkognito
Das Neue, das kommt und das unser Leben vorwärts bringt – es kommt vielleicht in Gestalt des Aller-Einfachsten: In den Menschen, die um uns sind. In den Situationen, in denen wir gerade stecken. In Lebensumständen, die sich vielleicht nicht total verändern. Aber diese Umstände können doch – von innen heraus – anders werden: Dass mehr Respekt da ist für die Menschen. Dass wir mehr Respekt aufbringen können für uns selber. Dass man sich erkannt fühlt und gar nicht mehr weg will aus seiner Lebens-Situation. Weil hier wieder ein Leben möglich wird, ein ganzes Leben, mit allen Verheissungen, die Gott uns gibt.