Durch die Wüste gehen

Es ist Fastenzeit. Nicht viele Menschen fasten heutzutage. Jedenfalls nicht freiwillig. Manchen geschieht es aber in dieser Zeit, dass sie eine Grippe einfangen. Und sie müssen ins Bett liegen, haben keinen Appetit mehr. Sie fasten ohne es geplant zu haben.

So kann es eine Woche gehen oder sogar zwei. Wenn dann die Kräfte zurück-kommen und man auf die Waage steht, sieht man, dass man ein paar Kilogramm abgenommen hat. Und man fühlt sich herrlich rein. Es ist, als ob das Fasten alles Alte herausgeputzt hätte.  Man hat ja auch nichts Ungesundes gegessen in der Zeit.
Das möchte man nicht wieder verlieren, wenn die Gesundheit zurückkommt. Dieses Gefühl von Reinheit und Klarheit möchte man sich bewahren, auch wenn das Fasten jetzt vorbei ist. Jetzt, wo man gesund wird, hilft einem die Krankheit nicht mehr dabei, jetzt muss man selber entscheiden. Und man nimmt sich vor, in Zukunft klarer zu leben, und gesünder.

Nach der Krankheit, wenn allmählich die Kräfte zurückkommen, beginnt eine schöne Zeit. Es ist die Zeit der Rekonvaleszenz. Man gönnt sich noch Ruhe, man ist noch nicht wieder eingespannt in den Alltag. Man kann sich die Sonne auf den Körper scheinen lassen und einfach still halten. – Und es ist ein Gefühl, das man mit dem ganzen Körper spürt: Es steht eine Macht hinter dem Leben. Sie trägt es, sie bringt die Kraft zurück. – Mein Leben ist getragen, weit über das hinaus, was ich selber tue und plane. Und es ist eine gute Kraft, ich darf mich ihr anvertrauen, alles wird gut.

So erinnert eine Krankheit an den Weg von Jesus Christus: Da gibt es ein Stück Passion, wenn man vor Schmerzen nicht weiss, wie man liegen soll. Da gibt es auch eine Ahnung von Ostern, wenn man spürt, dass die Kraft zurückkommt. Man spürt es mit einer körperlichen Gewissheit – wie selten im Leben – dass das eigene Leben getragen ist, aus der Macht Gottes.

Aufräumen
Krankheiten sind oft Wandlungsphasen. Auch der innere Weg geht in dieser Zeit weiter. Konflikte, die uns beschäftigen, können sich lösen, es zeichnen sich neue Wege ab. Das Leiden in dieser Zeit ist nicht nur schlecht.
Ich kann nicht mehr“, spürt man. Und das hilft aufräumen im Leben. Was nicht stimmt, darf untergehen, was verquer war – es soll so nicht mehr weitergehen. Nach der Gesundung bahnen sich oft neue Wege an. So helfen uns Krankheiten, Neues zu lernen. Wir Menschen reifen oft in einer Zeit der Krankheit. Darum ist diese nicht nur schlecht.
Es ist ähnlich wie bei den Kindern: Wenn die Masern haben oder Mumps – jedes Mal machen sie einen Sprung in der Entwicklung. So befördert das Schlechte auch das Gute. Es ist, als ob das Gute sich manchmal verpuppen müsste in etwas Schlechtem. So kann man nicht einfach sagen: Das ist gut, das ist schlecht. Was uns auf dem Weg begegnet, ist meistens gemischt aus beidem. Und das Schlechte muss dem Guten dienen.

Das sieht man auch am Weg von Jesus Christus. In der Bibel dauert der Weg von der Fastenzeit bis Ostern 40 Tage. Die Zahl 40 steht hier nicht zufällig. Sie hat in der Bibel eine besondere Bedeutung. 40 Jahre lang wanderte das Volk in der Wüste, 40 Tage lang war Moses bei Gott auf dem Berg, als er die Gebote empfing, 40 Tage und Nächte liess Gott regnen in der Sintflut… Es gibt viele Geschichten im Alten und Neuen Testament, die von der Zahl 40 berichten. Und immer zeigt sich dieses Ineinander von Gut und Schlecht, wie wir es auch aus unserem Leben kennen.

Wandlung
Als Gott es 40 Tage und Nächte regnen liess, da hat er die Welt nicht einfach untergehen lassen in der Sintflut. Er hat Noah befohlen ein Schiff zu bauen, und von allen Tieren ein Paar hineinzunehmen. So hat er die Welt vernichtet, aber auch bewahrt. Er hat das Alte untergehen lassen und einen neuen Anfang gesetzt, aus seiner Schöpferkraft.

So zeigen die Geschichten immer beides, das Gute im Schlechten, die Bewahrung in der Veränderung. Es geht um Wandlung, das Alte geht unter, das Neue kommt aus der Kraft Gottes.
Was von uns verlangt ist – das zeigen die Geschichten – ist Vertrauen. Wir dürfen uns dem anvertrauen, das scheinbar zerstörerisch in unser Leben eingreift, wie eine Krankheit, denn verborgen unter dem scheinbar Schlechten ist doch Gott am Werk. Er ist es, der das Leben bewahrt, der ihm eine neue Form gibt.

 Eine Geschichte will ich dazu erzählen: Das Volk Israel wandert in der Wüste, es ist kurz vor dem Ziel, dem „gelobten Land“, wo es zur Ruhe kommen soll, dem Land wo Milch und Honig fliesst. Da schickt Moses Kundschafter voraus. Die sollen schauen, wie es dort aussieht.
Die Kundschafter ziehen los, und nach 40 Tagen kommen sie zurück. Sie bringen eine riesige Traube mit sich. So gross sind die Früchte in dem Land, sagen sie. Und das Volk freut sich über die Zukunft, die vor ihm liegt.
 Aber, sagen die Kundschafter, das Land ist bewohnt, und die Menschen dort sind riesig. Wir kamen uns vor wie Heuschrecken ihnen gegenüber. Sie sind zu gross und zu stark für uns.

Da jammert es das Volk und es verliert den Mut. Sie wollen nicht aufbrechen in das Land, das Gott ihnen zugesagt hat. Sie wollen nicht weitergehen, nachdem Gott sie so weit schon geführt hat. Sie haben Angst vor der Zukunft, und verzweifeln an Gott, der ihnen so viel Gutes schon erweisen hat im Leben.
Da wird Gott zornig. Und er sagt: So viele Tage, wie ihr das Land erkundet habt, so viele Jahre sollt ihr in der Wüste herumirren – 40 Jahre lang – , bis diese Generation gestorben ist, die an mir gezweifelt hat. Aber ihre Kinder werde ich in das gelobte Land hineinführen, wie ich ihnen zugesagt habe. 

Diese Geschichte will nicht abschrecken, sondern Mut machen: dass wir nicht stehen bleiben auf dem Weg und den Glauben nicht fahren lassen. Gott macht den ersten Schritt, wir dürfen folgen: Er führt uns, wir dürfen uns führen lassen. Und wenn er das alte Zelt über uns abbricht, dürfen wir stillhalten für das Neue, das er über uns aufbaut. Wenn er uns einen rauen Weg führt, dürfen wir vertrauen, dass es doch ein guter Weg ist, wo das Gute im Rauen verborgen liegt.

Das ist der Sinn der 40 Tage, die zwischen uns liegen und Ostern. Da gibt es wohl auch den Karfreitag in dieser Zeit, wo wir unser Kreuz tragen müssen. Aber der Weg geht über Karfreitag zu Ostern, über das Raue zum Guten, über die Krankheit zur Rekonvaleszenz und zum inneren Wachsen. Das Alte muss sich wandeln. Aber Er steht da – diese Macht, die unser Leben trägt und ihm immer wieder neue Kraft gibt. Er verlässt uns nicht und führt uns bis ans Ziel. Darum dürfen wir vorwärts gehen im Vertrauen, wie der Psalm sagt:
Ich hoffe auf den Herrn. Ich freue mich und bin fröhlich über Deine Güte, denn Du siehst meine Not, Du nimmst Dich meiner an; Du stellst meine Füsse auf weiten Raum.“