Der wunderbare Tausch

Im Kunstmuseum gibt es das Bild einer Madonna, die das Christkind auf den Armen hält. Und in der Hand hält das Kind einen kleinen Vogel.

Der Vogel ist nicht als Spielzeug gedacht für das Kind, es ist ein Symbol. Wenn Gott vom Himmel auf die Erde steigt, öffnet er einen Weg, auf dem der Mensch umgekehrt zum Himmel steigt. Das will der Vogel ausdrücken. Der Mensch kriegt Flügel wie ein Vogel und kann sich in den Himmel schwingen. Gott lässt sich herab, der Mensch steigt hinauf. Gott schenkt Erlösung, der Mensch schenkt Gott all das, was ihn beschwert und schwer macht.

Der wunderbare Tausch
Es ist wie ein Tausch. In der alten Kirche sprach man vom „wunderbaren Tausch“ (admirabile commercium). „Wunderbar“ heisst der Tausch, weil wir ungleiche Güter tauschen: Wir werfen unsere Not auf Gott, er schenkt uns Frieden. Er nimmt das Schicksal des Menschen auf sich (Christus lernt Not und Tod kennen). Wir erhalten Anteil am Weg Gottes, der zur Vollendung führt. Es ist ein Schatz der spirituellen Erfahrung aus der Geschichte des Christentums. Es ist eine Form zu erzählen, was Erlösung ist: ein wunderbarer Tausch.

Ich erinnere mich an die Zeit, als ich noch nicht viel von der Kirche wusste. Ich arbeitete als Journalist in Bern und lebte in einer WG. Meine Wohn-Kollegen und Kolleginnen arbeiteten in der Krankenpflege, einer war Student. Wir hatten unterschiedliche Tagesrhythmen. Ich musste am morgen früh raus, meine Kollegen konnten länger schlafen. V. a. der Student machte oft die Nacht zum Tage. Er lud Freunde ein, dann wurde gekocht und gegessen, und am Morgen stand die ganze Küche voll schmutzigem Geschirr. Ich habe ich mich oft beschwert. Es hat nichts geholfen. So räumte ich am Morgen den Tisch frei und war wütend.

Singing in the rain
In dieser WG lebte auch eine junge Frau, Anna. Ich denke heute noch mit Bewunderung an sie. Eines Tages kam ich früher nach Hause. Ich fand sie in der Küche, sie wusch den fremden Schmutz auf und sang dazu. Das hat mir Eindruck gemacht. Es ist vielleicht nichts Grosses und kaum wert, dass man das öffentlich erzählt. Das sind nicht die Dinge, die täglich in der Zeitung stehen. Aber mich hat es beeindruckt, wie selten etwas. Denn diese junge Frau konnte etwas, was ich nicht konnte. Wozu ich nicht in der Lage war.

Sie war eine «Christin». Das hatte mich bisher nicht interessiert. Aber jetzt bin neugierig geworden gegenüber diesem Glauben, der Menschen zu Dingen befähigt, die ich nicht konnte: Liebe geben, auch wenn man sie nicht erhielt; sich nicht ausgenutzt vorkommen, den Kürzeren ziehen und doch nicht benachteiligt sein. Und bei all dem frei und fröhlich sein.

Nicht Demütigung
Sie hat den «wunderbaren Tausch» vollzogen. Ich war bedrückt vom Gefühl, missachtet zu sein. Sie war frei. Und es ist nicht so, dass sie sich verkrümmt hätte. Sie hat sich nicht geduckt – das ist ja oft der Vorwurf, den man hört gegenüber der christlichen Lebensweise. Sie hat nichts in sich abgeschnitten, hat keine Lebensimpulse verleugnet, statt sich zu entfalten zu einer selbstbewussten Frau.
Sie war nicht gedemütigt, denn sie hat sich umgedreht und ist all dem entgegen gegangen, was da an sie herankam. So hat sie eine aktive Rolle gespielt.

Demut
Und aus der passiven Demütigung, die mich damals traf, ist bei ihr eine aktive Demut geworden. Eine Haltung, die ich nur bewundern konnte.
Weil sie das Nötige tat und doch frei blieb dabei.
Weil sie das Leben annehmen konnte, wie es ist, und es doch veränderte.
Weil sie auf alles zugehen konnte, was vor ihr lag – ohne Angst im Nacken.
Weil sie sich umgedreht hat, nicht davon gelaufen ist, sondern darauf zuging.
So ist sie Herrin geblieben über die Situation, sie hat sie aktiv gestaltet, auch wenn sie alles angenommen hat, was war.

Ich habe versucht, davon zu lernen und es ist es für mich eine Übung geworden. Wenn ich am Morgen aufstehe, wenn mir etwas schwer fällt, wenn mir die Last fast zu gross scheint, die ich vor mir sehe, dann mache ich den wunderbaren Tausch: Ich gebe die Sorgen um das, was mich bedrückt, ab. Ich lege diese Last Gott auf die Schulter, im Gebet. Dafür lade ich mir seine Last auf: das Evangelium. Die Botschaft, dass das Leben gehalten ist. Weil Gott da ist!

 

Bild Madonna von Vittore Crivelli, um 1500, webgallery of art
Aus Notizen 2007