Soll man von der Passion erzählen? Kindern jedenfalls nicht, meinte eine Bekannte. Sie liest ihrer Tochter jeden Abend aus einer Kinderbibel vor. Aber beim letzten Kapitel macht sie Stopp, dort geht es um Leiden und Sterben, um Karfreitag und Ostern.

Sie scheut davor zurück. Vielleicht kann man das den Kindern noch nicht zumuten? Sie leben geborgen in einem Vertrauen. Sie möchte dieses nicht verletzten. Die Kinder werden die dunklen Dinge des Lebens früh genug erfahren.

Aber eines Tages fragt die kleine Anna, was denn „hinten“ in dem Buch sei. Das Kind möchte auch den Rest erfahren. Es bittet die Mutter, diese mag es aber nicht erzählen. Schliesslich liest der Vater vor. Und eigenartig. Das Kind ist nicht abgeschreckt von dieser Geschichte. Es ist auf eigenartige Weise fasziniert. Immer wieder muss der Vater diese Geschichte erzählen. Gerade, was die Eltern vermeiden wollten, wird die Lieblings-Geschichte der Tochter.

Was das Mädchen besonders beschäftigt, ist der Verrat des Judas. Wie kann jemand wissentlich und willentlich einem andern Böses tun? Wie kann jemand dieses Vertrauen zerstören, das man zum Zusammenleben braucht? Die schlimmsten Seiten der Passion erlebt das Kind nicht in Kreuz, Gewalt und Tod. Das ist für sein Verstehen wohl noch zu fern. Aber Vertrauen, das kennt es. Davon lebt es ja selbst. Es ist im Vertrauen der Eltern geborgen. Wenn das zerstört würde, wäre alles zerstört, von dem es lebt. Darum beschäftigt es diese Frage. Darum konzentriert sich die ganze Passion Jesu in dieser Erfahrung: dass Vertrauen gebrochen wird. Dass eine Gemeinschaft, die auf Vertrauen basiert, zerstört wird.

Und Ostern? So wie der Tod dem Kind fremd ist, ist auch Auferstehen seinem Erleben fremd. Aber den Engel am Grab, den hat es verstanden. Und so oft es von diesem Judas hören wollte, so oft wollte es das Bild von diesem Engel sehen, der am Grabe steht. Er verkörpert all das, was das Kind braucht und von dem es lebt: dass das Leben gehalten ist, über alles Begreifen hinaus. Dass unser Vertrauen eine Antwort findet, dass unsere Intuition auf Verlässlichkeit zuverlässig ist.

Darum können wir positiv auf die Welt zugehen. Es mag Verrat geben. Aber die Welt im Ganzen ist vertrauenswürdig. Das Leben ist aufgehoben in einem grossen Ganzen. Und unser Weg geht zu einem schönen Ziel. Es gibt so etwas wie ein Ankommen nach einem langen Weg.

Aus Notizen 2012
Foto von Skitterphoto von Pexels
Wir beten für die Opfer der Pandemie und alle Menschen in dieser Zeit.