Versuchung

Eigentlich ist Befreiung damit gemeint, auch wenn es aussieht wie harte Notwendigkeit. Eigentlich ist Heil gemeint, auch wenn sich dieses versteckt unter Not und Schmerzen. Eigentlich ist Gott am Werk, auch wenn man ihn nicht sieht.

Eigentlich ist das Ganze, was wir erleben, wie ein Weg, der an ein Ziel führt, auch wenn wir immer wieder feststecken und keinen Ausweg sehen. Darum sind wir anfällig auf alles, was uns begegnet und uns Hilfe verspricht. Wir versuchen es damit. So wird es uns zur «Versuchung»: Wir zweifeln und stehen in Gefahr zu verzweifeln. Dann wäre die Versuchung am Ziel.

Fehlanpassung
Was ist der Unterschied: auf Gott zu vertrauen und Gott zu versuchen? In der Psychologie gibt es den Ausdruck der Fehlanpassung. Ein Kind lernt, sich an die Situation der Familie anpassen. Aber wenn es in die Schule kommt, ist eine andere Situation da. Da soll es sich in eine Klasse einfügen, mit andern „Gspänli“ kutschieren. Man lernt früh, sich an etwas anzupassen, aber es ist nicht gesagt, dass dieses Verhalten einen dann auch zuverlässig durch das Leben führt. Darum reden Psychologen von Fehlanpassung. Wer immer den Kopf einzieht, kann nicht mehr geradestehen. Wer sich immer duckt, kann sich nicht mehr aufrichten.

Diese Menschen dürfen lernen, dass man unter Menschen auch anders leben kann, als sie es früher gelernt und eingeübt haben. Darum stellt sich die Frage: wo gehen wir hin, wenn wir etwas brauchen? Spulen wir einfach das Alte ab, so wie wir uns ans Leben angepasst haben, oder gibt es da noch etwas anderes? Wenn uns etwas widerfährt, reagieren wir ganz spontan, so wie wir es gelernt haben. Auf Schmerz zucken wir zusammen, auf Verletzung ziehen wir uns zurück, auf Not reagieren wir, wie wir es schon immer getan haben.

Ein anderer Weg
Die Versuchungs-Geschichte sagt: es gibt noch einen anderen Weg. Wir dürfen vertrauen lernen. Wir dürfen glauben lernen, dass da ein Gott ist, der es gut mit uns meint, trotz der schweren Erlebnisse, die wir haben. Wir dürfen hervorkommen aus der Deckung, hinter die wir uns zurückziehen. Wir müssen nicht die Sicherheit anbeten, als ob unser Wohlergehen von ihr abhinge. Was wir wirklich brauchen, und wie es uns zuletzt wohl ergeht, das ist aufgehoben bei diesem Gott. Er führt uns vielleicht ein Stück durch die Wüste, wie Moses sagt, «auf dass er dich demütigte und versuchte, damit er dir hernach wohltäte.» Aber er führt uns nachher ins Gelobte Land.

Keine Garantie
Das es gut kommt, dafür haben wir keine Garantie. Aber dafür hat auch der andere Weg keine Garantie. Das sehen wir jetzt, wo die ganze Welt unter einer Finanz- und Wirtschaftskrise leidet. Wer dachte, mit einer Million sei er auf dem sicheren Weg, der muss erleben, wie über Nacht Milliardenwerte vernichtet werden. Wer sich mit Ersparnissen absichern wollte, hat vielleicht alles verloren. Letztlich können wir unser Leben nicht absichern, wir sind und bleiben auf Vertrauen angewiesen: dass die Welt morgen noch steht, dass die Sonne aufgeht, dass es Luft gibt zum Atmen und Wasser zum Trinken: dass wir alles finden, was wir zum Leben brauchen, weil da eine Quelle des Lebens ist, die nicht vergeht.

Was ist der Unterschied: auf Gott zu vertrauen und Gott zu versuchen? Das Vertrauen stellt Gott keine Bedingungen. Wenn wir ihm vorschreiben, wie es geschehen soll, wollen wir es in der Hand behalten. Vertrauen kann sich hingeben und trotzdem das Gute erwarten, während die gelernte Fehlanpassung dann alle Uebel erwartet. Aber das ist die alte Welt. Im Vertrauen auf Gott gehen wir vorwärts ins Weite.

 

Aus Notizen 2009
Zum Sonntag Invokavit, dem ersten Sonntag der Passionszeit
Die Versuchungs-Geschichte steht Mt 4,1-11
Foto von Gelatin, Pexels