Im Dunkeln der Nacht

Im Dunkeln, vor dem Aufstehen, höre ich Psalmen. «Gott ist in Juda bekannt, sein Name ist gross in Israel; / in Jerusalem ist sein Zelt und seine Wohnung in Zion. / Dort zerbricht er die Pfeile des Bogens, Schild, Schwert und Kriegsgerät.» (Ps 76)

Das scheint mir zu passen zu den Nachrichten: „Er zerbricht die Pfeile des Bogens, Schild, Schwert und Kriegsgerät.“ Die Lesung geht weiter im selben Stil. Es ist eine ganze Reihe von Psalmen die dem Sänger Asaf zugeschrieben werden.

Der Schock
Die Asaph-Psalmen sind eine beeindruckende, ehrfurchtgebietende Sammlung von Gebeten, wie eine Insel im Fluss der Psalmen. Sie stehen noch unter dem Schock der Ereignisse, die zum Untergang Judas und zum Exil geführt haben, dem Kahlschlag, als Land und Eigenstaatlichkeit verloren waren, als König, Hof und Priester weggeführt wurden, als der Tempel zerstört und verbrannt wurde. Und sie fragen warum? Wie lange?

Die Asaf-Psalmen haben ein prophetisches Profil, es ist die Stimme der Propheten in den Psalmen. Psalm 82 fasst ihr Credo zusammen. Da erscheint Gott zum Gericht: «Wie lange noch wollt ihr ungerecht richten und die Frevler begünstigen? Verschafft Recht den Unterdrückten und Waisen, verhelft den Gebeugten und Bedürftigen zum Recht! Befreit die Geringen und Armen, entreisst sie der Hand der Frevler!»

Fragen
Die Propheten fragen nach der Schuld des Volkes, der Führer, aller Stände. Asaf selbst ist eher noch Klage, Schock, Nachsinnen, warum es so weit kommen konnte, dass alle Verheissungen zunichtewurden, dass scheinbar Gott selbst seine Zusage für ein „Land, wo Milch und Honig fliesst“, widerrufen hat.

Das hat mich bei der Lektüre des ersten Testamentes immer fasziniert, wie die Katastrophe des Exils verarbeitet wurde. Nicht nur die Feinde werden angeklagt, das auch, nicht etwa Gott wird angeklagt, auch wenn immer wieder Zweifel laut wird und selbst Revolten nicht ausbleiben, das Volk sucht die Schuld bei sich selbst. Und auf die Gerichts-Ansagen gegen fremde Völker folgt immer auch eine Gerichts-Ansage gegen das eigene Volk. Denn Gott ist ein Gott der Gerechtigkeit. Es ist ein Gott der Güte und Gnade, wie könnten wir sonst leben und atmen? Aber er ist auch ein Gott der Gerechtigkeit. Und die brauchen wir so sehr wie die Gnade. Darum folgt immer wieder der Aufruf, sich selbst zu erforschen und umzukehren.

Recht
Der Asaf-Psalm 82 formuliert es wie ein Credo: «Verschafft Recht den Unterdrückten und Waisen, verhelft den Gebeugten und Bedürftigen zum Recht! Befreit die Geringen und Armen, entreisst sie der Hand der Frevler!» Solche Stimmen hört man heute auch aus Israel, das in einem neuen Konflikt steht, wo es um Land und Institutionen geht.

Mir macht das Eindruck. Ein gewalttätiger Konflikt folgt bald eigenen Gesetzen und zieht immer mehr Lebensbereiche in seine Kreise. Wenn einzelne eine solche Sicht übernehmen, die auch dem Gegner etwas Gutes zutraut und nach dem eigenen Beitrag zum Konflikt fragt, kann das wohl helfen gegen Eskalation und den Boden für eine Friedenslösung bereiten.

 

Foto von cottonbro studio, pexels
Dem Sänger Asaf werden die Psalmen 50 sowie 73-83 zugeschrieben.