Restwassermenge

Wo ist die alte Welt? Es geht immer mehr verloren. Aber es gibt Restwassermengen. Die Wasserläufe sind noch nicht ganz leer.

Ich vermisste die Glocken in der Nacht. Wie schön war es früher, am Abend den Amseln zu lauschen! Mit der Natur schien auch die Kultur auszusterben. Nur mit einem schlechten Gewissen hörte ich mir Ersatz über «You Tube» an. Gab ich die Welt nicht ganz verloren, wenn ich von ihr nicht einmal mehr Kirchenglocken verlangte? Gab ich nicht alles vorschnell auf, wenn ich nicht einmal mehr die Vögel hören wollte?

Heute Morgen, als ich die Fenster öffnete, hörte ich leise Glocken. Ein Rest des alten Geläutes ist übriggeblieben. Auch einige Vögel kann ich hören. Ob daraus wieder etwas entstehen kann?

Es gibt Restwassermengen, auch in der Kultur. Man muss sie wertschätzen! Es mag wenig sein und ändert doch meinen Blick um 180 Grad: wenn ich nicht auf das Verlorene schaue, sondern auf das, was sich bereit macht. Vieles vom Alten ist noch vorhanden, es trägt und schützt die Anfänge. So liesse sich wohl auch die Aufgabe eines Grossvaters beschreiben, wie ich jetzt einer geworden bin.

 

Foto von Hazal Tanker, Pexels