Kann man glauben lernen?

Kann man Glauben lernen? Auf diese Frage hat die Theologiegeschichte die unterschiedlichsten Antworten gegeben: vom scholastischen Gottesbeweis bis zu Pascals Skeptiker, der in einer Wette zum Glauben bewegt werden soll, von der reformatorischen Auffassung der Erbsünde, welche die natürliche Glaubensfähigkeit korrumpiert bis zur rationalistischen Naturreligion, die jeder natürliche Mensch über die Vernunft einsehen kann, von Schleiermachers „Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit“ bis zu Barths Offenbarungstatsache.

Zwei Idealtypen
Trotz dieser Vielfalt theologischer Positionen scheinen sich diese in der Frage des Glauben-Lernens in zwei Gruppen einteilen zu lassen: in ein Konflikt- und ein Harmoniemodell. Glauben lässt sich als Verhältnis zwischen Gott und Mensch verstehen. Alle möglichen Positionen, das Verhältnis zwischen Gott und Mensch/Welt zu denken, lassen sich in ein Kontinuum eintragen, das vom Extrem der monistischen Einheit auf der einen Seite bis zur dualistischen Abgrenzung beider Pole auf der anderen Seite reicht. In der Theologie wurden die Extrem-Positionen kaum bezogen, aber auch das Spektrum dazwischen wurde nicht zufällig oder gleichmässig ausgefüllt. Die theologischen Positionen gruppieren sich vielmehr in zwei Punktwolken, die sich vereinfacht als „Konflikt-Modell“ oder als „Harmonie-Modell“ ansprechen lassen.

Richtungen in der Geschichte
Wird das Verhältnis von Gott und Mensch/Welt relativ harmonisch gesehen, ist Glauben-Lernen möglich; im Konfliktfall ist es schwierig bis unmöglich. Im Harmonie-Modell hat der Mensch Zugang zu Gott; im Konflikt-Modell ist mit dem eingetretenen Bruch zwischen Gott und Mensch auch der Erkenntnis-Zugang abgeschnitten. Der Mensch kann sich nicht einmal selber in seiner eigentlichen, aber verlorenen Ganzheit verstehen.

Im Harmoniemodell kann schon ein Erkennen eine Brücke schlagen (weil es den Bruch gar nicht gibt, der das Sein und Dasein des Menschen unvermittelbar von Gott trennt); im Konfliktmodell ist ein Erkennen Gottes nicht denkbar, wenn Gott nicht selber den Abgrund überbrückt, den Bruch aufhebt, dem Menschen seine verlorene Ganzheit zurückgibt. Hier fällt der Akt des Gläubig-Werdens mit der Heilsteilhabe zusammen. Es ist der Akt der Wiedergeburt, des anbrechenden Gottesreiches.

«Von unten»
Im Harmoniemodell genügt ein Erkenntnisakt; also kann man jemanden zum Glauben bringen, indem man ihm Gründe gibt. Glauben lässt sich begründen im intellektuellen Sinn. Er ist Argumenten zugänglich, er wird wahrheitsfähig. Man kann wahr oder falsch vom Glauben reden, und der Anspruch auf eine gültige Aussage kann für jedermann begründet und von jedermann und jederfrau nachgeprüft werden. Der Glaube erhebt keinen Anspruch, der sich nicht vor der Vernunft ausweisen kann.

Im Konfliktmodell richten Argumente nichts aus. Selbst wenn der Mensch Gott erkennen könnte, so wäre diese Erkenntnis doch ohnmächtig gegen seine Strukturen, die Gott widerstreben, die er allein aus blosser Einsicht nicht verändern könnte. Selbst wenn man dem Menschen noch zugestehen wollte, dass er einen nicht-korrumpierten Gewissensteil hat, der ihn seine „Pflichten“ erkennen liesse, die „Neigungen“ sind oft stärker und prägen sein Verhalten…

«Von oben»
Bevor der Mensch zu Gott finden kann, muss Gott selber ihn erneuern. Die Bewegung kommt vorwiegend oder ausschliesslich „von oben“. Glaube lässt sich nicht mehr begründen, allenfalls grund-legen. Es ist ein Vertrauens-Verhältnis, das nicht mehr legitimiert und aus Einsicht kontrolliert werden kann. Es kann nur be-glaubigt werden, mit dem Einsatz der ganzen Existenz des Verkünders.

Es fordert also nicht Gründe, sondern Zeugen. Kirche ist nicht Resultat, nicht eine aus gemeinsamer Einsicht geeinte Gemeinschaft wie im Harmoniemodell, sondern Prozess, eine durch Vertrauen verbundene Pilger-Gemeinschaft auf dem Weg, wo niemand schon am Ziel ist und „weiss“, wo jeder mit seiner Existenz zugleich aus Vertrauen lebt und dieses dem nächsten beglaubigt.

 

Aus Notizen 1988
Foto pexels cottonbro