Hoffnung der Aufsteiger, Angst der Eliten

Die Zeitung berichtet über ein «Taufritual» an einer belgischen Eliteschule. Hier begegnen sich die Aufstiegshoffnungen von Aussenstehenden und Zugewanderten und die Bemühungen der Elite, unter sich zu bleiben und ihre Position zu verteidigen.

Prüfung…
Gedacht sind solche «Taufen» als Aufnahmerituale, der Täufling muss mehrere Prüfungen bestehen und Angst und Ekel überwinden, bevor er für würdig gehalten wird, in den Kreis aufgenommen zu werden. Abwehr und Aufnahme stehen in diesem Ritual in einem Gleichgewicht, es liegt am Täufling, ob er die Prüfung besteht. Es gibt aber Täuflinge, die nicht ins Bild passen, wo das Motiv der Abwehr überwiegt, wo der Kreis der Teilnehmer gegen Anwärter verteidigt wird und das Ritual asymmetrisch wird. Es führt nicht mehr zu Aufnahme oder Ablehnung, der Bewerber soll vergrault werden, wozu die abschreckenden Prüfungen bis zum Mobbing ausgestaltet werden. In Belgien hat das kürzlich zum Tod des Bewerbers geführt.

Die «Neue Zürcher Zeitung» berichtete am 6.7.2023: «Sanda Dia musste Fischöl und Unmengen an Alkohol trinken. Sein Aufnahmeritual für eine Verbindung endete tödlich. Doch seine Peiniger, allesamt Söhne aus reichen Familien, kamen mit Sozialarbeit davon. Ein Youtuber hat die Namen der Beteiligten öffentlich gemacht.

Als ein Gericht in Antwerpen am 26. Mai seine Urteile gegen 18 ehemalige Mitglieder einer Studentenverbindung verkündete, ging ein Aufschrei durch Belgien. 200 bis 300 Stunden gemeinnützige Arbeit, eine Geldstrafe von 400 Euro, die Zahlung von Schadenersatz – sollte das schon alles gewesen sein? War damit der Gerechtigkeit im Fall um den schwarzen Studenten Sanda Dia Genüge getan?»

… oder Abwehr?
Ging es hier nur um die Abwehr eines nicht genehmen Bewerbers? Wollte eine Elite einfach unter sich bleiben? Ist es eine Antwort eines Einwanderungslandes auf immer mehr Menschen, die zuwandern und einen der begrenzten Plätze ergattern wollen? Oder ist es nur «Rassismus» und damit wäre alles gesagt? Vor einigen Jahren hat Lone Scherfig in ihrem Film «The Riot Club» einen ähnlichen Vorfall nachgezeichnet.

Im Zentrum der Macht und der Gesellschaft
Lone Scherfig ist die Regisseurin von „Italienisch für Anfänger“. Es ist wie ein Gegenstück und behandelt dasselbe Thema. Handelt „Italienisch“ von „Verlierern“ und Randständigen und ihrem Füreinander-Einstehen, so dringt die Regisseurin hier ins „Herz“ der gesellschaftlichen Macht, Vielleicht sticht sie auch in eine „Eiterbeule“, aber eine moralische Betrachtung greift zu kurz.

Auszeichnung …
In der ersten Filmhälfte lässt eine Bemerkung aufhorchen: Das sei das letzte Mal, dass die Mitglieder dieses Clubs unbeobachtet zusammen sein und unbefangen leben könnten. In Oxford sei die „Elite der Nation“ versammelt, 20.000 Studenten aus über 60 Millionen Bewohnern des Vereinigten Königreichs. Ihr Club zähle gerade mal zehn Mitglieder, die Elite der Elite. Alle würden nach dem Studium an die Spitze von Gesellschaft und Wirtschaft treten.

… und Verzicht
Das Studium ist das letzte soziale Umfeld, bevor diese „Rollen“ bezogen werden, die zu einem lebenslangen Gefängnis werden. Daher ist die Ausschweifung verständlich. Es ist eine Art Vor-Holen des verpassten Lebens, und es kann nicht genug sein (daher die Unersättlichkeit), weil der Rest des Lebens in sozial definierten Funktionen aufgeht.

Trotzdem ist es widerlich, was abgeht, gerade in der Verachtung für die unteren Schichten. Das spitzt sich zu in der Rolle Alistairs. Während Miles in dem Club eine Möglichkeit sieht zu sozialem Aufstieg, so dass er es verpasst, sich rechtzeitig zu distanzieren (er verliert dadurch seine Geliebte), fühlt sich Alistair schon ganz oben, und nicht nur oben. Bei ihm hat der Klassengegensatz durch Erziehung, Isolation und Charakter zur Überzeugung wirklicher Höherwertigkeit geführt. „Ich hasse die Armen!“ schreit er mal, als er den Pub demoliert.

Elite …
Zur Klarheit kommt das in der Konfrontation mit dem Pub-Besitzer, der die Studenten zur Verantwortung aufrufen will. Alistair entgegnet, er solle ihm nicht moralisch kommen. Er meine, er könne auf sie herabblicken, aber er sage ihm: er liebe ihn. Denn er wolle sein wie er und könne das nicht, darum beneide er ihn und verstecke seine Missgunst hinter moralischer Verachtung.

… oder Umkehrbarkeit der Werte
Hier wird das „letztgültige Kriterium“ des Evangeliums auf den Kopf gestellt. Christus, gefragt, worauf es im Leben und Zusammenleben letztlich ankomme, erzählt das Gleichnis vom Jüngsten Gericht. „Was ihr einem dieser geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ sagt er. Er identifiziert sich mit den Menschen. Auch im Geringsten will er erkannt sein, auch im Geringsten will Christus den Menschen begegnen. „Ich soll mich im andern erkennen“, das ist auch der Grundsatz der Universalisierung, der Empathie und der Umkehrbarkeit in säkularen Ethiken.

Neue Stände, Klassen und Kasten
Das wird hier aufgekündigt. Alistair richtet mit seinem Klassendünkel eine Trennwand auf. Hier gibt es keine Empathie mehr. Die unteren Klassen haben eine andere Bestimmung als die oberen. Es ist der Umschlag einer Ständeordnung in einen sozialen Rassismus mit sozial nicht mehr durchbrechbaren Kasten-Grenzen. Als solches ist es bezeichnend für den sozialen Zustand der Gesellschaft Anfang des 21. Jahrhunderts, mit ihren immer weiter auseinanderdriftenden Einkommens- und Besitz-Verhältnissen.

Die Wenigen und das Reich Gottes
Hier wird der Sprachgebrauch der Spätantike wieder verständlich und die Redeweise im Neuen Testament, wenn von der „Welt“ gesprochen wird und von „dem Fürsten dieser Welt“. Die innerste Brücke der menschlichen Gemeinschaft wird hier eingerissen, die Brücke, die darin besteht, dass sie aus Menschen mit gleicher Würde besteht, die alle von Gott geschaffen und von Gott erlöst worden sind und als Glieder berufen wurden – nicht in einen elitären Club, sondern ins „Reich Gottes“, wo sein Wille herrscht „wie im Himmel so auf Erden“, wo Menschen durch Gerechtigkeit in Frieden zusammenleben. Insofern verkörpert der Club ein Gegenbild zum „Reich Gottes“ in der biblischen Verkündigung – oder auch einer ins Recht gefassten Menschheit nach den Utopien des Humanismus und der Aufklärung.

Klein, verachtet und gering
Die Club-Mitglieder werden den Weg in die Gesellschaft machen. Alistair kommt zwar vor Gericht, da sein Genmaterial gefunden wurde und der Plan, den am wenigsten beteiligten Miles zum Schuldigen und zum Opfer für alle zu machen, gescheitert ist. Aber Alistair wird von einem Anwalt vertreten, der selber ein Clubmitglied ist und ihm eine Karriere ermöglicht.

Das christliche Thema, das im „Opfer“ schon angetönt ist, taucht in der Schluss-Szene wieder auf, als Alistair auf die weihnächtlich geschmückten Strassen hinaustritt. Die Heilsarmee spielt das Weihnachtslied „Hark, the herald angels sing“. Die zweite Strophe heisst in deutscher Übersetzung: „Von des Vaters Himmelsthron kam der eingeborne Sohn als ein Knecht in Niedrigkeit, da erfüllet war die Zeit, angetan mit Fleisch und Blut, arm und elend, uns zugut, klein verachtet und gering, er, der Schöpfer aller Ding.“

Anleitung für Anfänger
Wie eine solche Gesellschaft aussehen könnte, das illustriert die Regisseurin in ihrem Film „Italienisch für Anfänger“. Beides sind Weihnachtsfilme, beide meditieren über die Botschaft der Weihnachtsengel: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden unter den Menschen seines Wohlgefallens“. Wie kann Friede werden unter den Menschen, wie können sie Frieden finden in sich selbst? Die Regisseurin gibt Antwort in ihren zwei Filmen.

 

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