Der gestohlene Gott

Das Christentum hat den Kampf um die Mythologie aufgegeben – und die Phantasie der Menschen verloren. Dafür wird sie überall sonst wieder entdeckt, auch die Kraft, die in den Mythen steckt. Um die Geschichte und Identität der Schweiz – und die Rolle ihrer Mythen – ist ein kleiner „Historiker-Streit“ entbrannt, ein Streit zwischen politischen Strömungen, die ihr Schweiz-Bild reklamieren. Denn dort spricht man direkt in die Seele der Menschen.

Heute ist in der «NZZ» ein Bericht über den Gott „Ekeko“, der vom Bernischen Historischen Museum an Bolivien zurückgegeben wurde. Jahrelang ruhte die kleine steinerne Statue neben tausend anderen Objekten unbeachtet im Museum. 2006 kam in Bolivien eine Regierung an die Macht, die sich auf indigene Werte zurückbesann und ein Ministerium für Dekolonisation einrichtete.

Der gestohlene Gott
Die Botschafterin in der Schweiz wurde auf die Figur aufmerksam, der Minister erklärte, seit 150 Jahren sei die Steinfigur nicht mehr in Bolivien und seit 150 Jahren könne sich das Land deswegen nicht entwickeln. Komme sie zurück, werde es wieder aufwärts gehen. Der Museumsdirekter meint, hier gehe es um „nation building“, d.h. um den Aufbau einer Gemeinschaft, um die Integration in eine gemeinsame Kultur. In den Medien in Bolivien werde diskutiert, ob die Figur wirklich den Gott Ekeko darstelle, den Gott des Glücks, der Fülle und der Fruchtbarkeit, ober nur eine Figur, wie es sie zu tausenden auch in Bolivien gebe.

Jetzt ist der Gott (oder ist es kein Gott?) in Bolivien zurück, und das Land diskutiert, wohin er gehört: Ist er ein Museumsstück, so gehört er in ein Museum. Ist er aber ein Gott, so muss er geehrt werden. Dann kann man ihn nicht einfach ins Museum versorgen. Man muss ihn ehren, erst dann kann er dem Land Glück und Fruchtbarkeit zurückbringen.

Wie ehrt man einen Gott?
Das ist schön! Wie ehrt man einen Gott so, dass er Glück und Fruchtbarkeit über das Land bringt? Das ist auch eine Frage für Christen.

Es erinnert an Lessings Ringparabel. Der echte Ring hat die Kraft, vor Gott und Mensch angenehm zu machen. So wird der echte Glaube sich in der Praxis erweisen.

Wie ehrt man einen Gott so, dass er Glück und Fruchtbarkeit über das Land bringt?

 

Der Bericht steht in «NZZ am Sonntag», 12.4.15
Die Ringparabel findet sich in Lessings Theaterstück «Nathan der Weise»
Foto von Gabriel Ramos, Pexels