Wege zu Gott

Vieles ist heute unsicher, was eben noch das Fundament für ein unangefochtenes Funktionieren war. Es stellt sich die Frage, wie man sich vergewissern kann, wo ganz grundsätzlich Halt zu finden ist in dieser Welt. – Es geht um Gott und um „alles“.

Was ist die Wirklichkeit? – In der Kirchengeschichte begegnet immer wieder ein Wechsel zwischen zwei Modellen: einem Harmonie- und einem Konflikt-Modell. Sie wechselten je nach den Erfahrungen, die die Menschen in ihrer Zeit machten.
Es gibt zwei mögliche Extreme, die in der Kirche nie realisiert wurden, aber in der Philosophie und in anderen Religionen:
Der Monismus: Welt und Gott sind eins, die Welt ist schon heilig, einfach weil sie ist. – Hier entsteht das Problem, die Brüche in der Welt zu verstehen. Das Leiden wird nicht aufgenommen.
Der Dualismus: Der Riss durch die Welt ist ontologisch, die Wirklichkeit ist gespalten, das Böse steht als eigenes Prinzip auf derselben Höhe wie Gott.  – Das Problem hier: es gibt keine Erlösung.

In der Kirchengeschichte gab es keinen Monismus oder Dualismus. Es war immer klar: Die Welt ist keine „schlechte Schöpfung“ wie in der Gnosis. Sie gehört „zu Gott“, ist aber nicht „gleich Gott“. Gott hat sich nicht in die Welt entäussert, so dass alles von sich aus schon göttlich wäre und nur noch erkannt werden müsste.

Das Harmonie- und das Konfliktmodell
Je nach historischer Erfahrung dominierte ein Harmoniemodell, wo Gott, Welt und Mensch trotz prinzipieller Verschiedenheit in Harmonie gesehen werden. Der Mensch hat gute Anlagen, kann sich höher entwickeln. Er kann durch Fortschritt in Erkennen und Streben Gott entgegenkommen.

Dann wieder gab es andere Erfahrungen: Natur-Katastrophen, Bürgerkrieg, Gewalt und Brutalität. – Das führte zu einem Konfliktmodell, wie nach dem ersten Weltkrieg. Zwischen Gott und Mensch ist ein Bruch, nie und nimmer kann der Mensch aus sich zu Gott finden.
Wenn beide zusammenkommen, dann weil Gott herabkommt. Aber die Welt kann ihn nicht begreifen, wenn er zu ihr kommt, sie lehnt ihn ab. Das ist seine Passion. Er trägt es, er offenbart sich in seiner Andersheit. Die Offenbarung in dem ihm fremden Medium ist zugleich deren Verwandlung und Erlösung.

Drei Wege zu Gott im Harmoniemodell
In der Antike gab es eine harmonistische Variante. So konnte die junge Kirche die griechische Philosophie verwenden, um den Glauben zu verstehen: Bei Plato ist die Wirklichkeit hierarchisch aufgebaut. Alles lebt von der obersten Wirklichkeit, die wahr, schön und gut ist. So gibt es drei Wege zum Göttlichen: das Wahre, das Schöne und das Gute.

Daraus sind die drei Wissenschaften entstanden:

  • Die theoretische Wissenschaft der Natur, wo mit Argumenten um Wahrheit gerungen wird.
  • Die praktische Wissenschaft der Ethik, wo der richtige Weg für das Leben des einzelnen und des Staates gesucht wird.
  • Die ästhetische Wissenschaft vom Schönen. Was schön sei, war früher kein Geschmacksurteil. Es hing nicht vom Betrachter ab, was er empfindet, es war eine Eigenschaft des Objekts. Welches Pferd schön war und welches nicht, konnte mit objektiven Gründen erörtert werden.

So gab es drei Wissenschaften, drei Geltungsansprüche, die in einem geordneten Diskurs eingelöst werden konnten, um das Leben des Menschen in der Welt, das Leben der Menschen miteinander und das Leben auf dem Weg zum göttlichen Ziel auf eine feste Grundlage zu stellen. (Diese drei Diskurse sind das Erbe der Antike an die Nachwelt. Sie haben die europäische Kultur begründet.)

Wege zu Gott
Nach diesen Aufriss der Wirklichkeit gab es auch drei Wege zu Gott, die in den verschiedenen Kirchen unterschiedlich aufgenommen wurden: Die Westkirche nahm v.a. den Weg des Guten auf. Sie begreift die Welt aus der Spannung von Sein und Sollen. Der Mensch tut nicht, was er soll. Der Bruch vergrössert sich. Er kann nicht mehr, was er soll. Sünde wird Erbsünde, die erste Sünde pflanzt sich fort. – In der Westkirche geht die Diskussion um Sünde, Busse, Gnade, Werke.

Die Ostkirche nahm daneben auch den Weg des Wahren und Schönen auf. Das Leid in der Welt lässt sich nicht nur aus dem Versagen der Ethik begreifen, sondern auch nach dem Modell des Messers, das nicht mehr taugt, der Vase, die zerbrochen ist. – Das Urbild ist im Abbild nur ungenügend verwirklicht, so dass Fehler auftreten, Unvollkommenheit, Leiden.

Der Weg zurück führt nicht nur über Anstrengung, Busse, Gnade etc., sondern auch über die Betrachtung des Urbildes. Die Schönheit verzückt die Seele, diese erinnert sich, woher sie kommt und empfindet Sehnsucht nach ihrer Heimat… So macht sie sich auf den Weg, bis Gott sie in seine Gemeinschaft aufnimmt und das Abbild im Urbild erneuert wird.

Darum sind hier Ikonen wichtig. Gott hat bei der Schöpfung sein Abbild (eikon) in den Menschen gelegt, es ist verschüttet wie in der Erzählung von Dorian Gray. Gott offenbart sich in Jesus Christus, er wird Mensch und erneuert im Menschen das Urbild, so dass sich der Mensch wieder vergottähnlichen kann (eikon und homoiousis).

Ein Konfliktmodell
Neben den philosophischen Wegen gab es auch einen Weg aus der Bibel: die Nachfolge Christi. Diese ist weniger optimistisch, was die Einschätzung der Leistungen des Menschen betrifft. Hier wird der Erfahrungsweg des Gottesvolkes im ersten Testament aufgenommen und die Erfahrung der Kreuzigung: dass Jesus Christus kein Gehör fand, dass er abgelehnt wurde. Er musste die ganze Gewalt von Unrecht, Zynismus und Lust am Quälen erleben, alles, wozu Menschen fähig sind, den ganze Abgrund dieser Welt.

Hier fühlen sich Menschen wahrgenommen auch in ihren schmerzlichen Erfahrungen, auch mit ihrem Versagen und in ihrer Schuld. Hier wird aufgenommen ihre Hoffnung auf Vergebung und auf ein „Ankommen“ ihres Lebensweges „trotz allem“.

 

 

Aus dem Buch: Mission Impossible – die unmögliche Aufgabe, deren Lösung eine Kultur begründet. Notizen 2007- 2008.