Mit dem Lebendigen befreundet sein

Ich möchte ein Gedanken-Experiment machen. Versuchen wir, uns eine Welt vorzustellen ohne Tiere: keine Fische, keine Vögel, die Wälder und Wiesen leer. –
Wir sehen: ohne Tiere müssten wir verhungern, auch die Pflanzennahrung würde uns fehlen. Wir würden auch emotionell verhungern. Kein Wunder, erzählt die Bibel, dass es keine Welt gibt ohne Tiere. Mensch und Tier haben ein gemeinsames Schicksal, sie werden miteinander gerettet oder gehen miteinander verloren. Das macht uns nachdenklich für unseren Umgang mit der Natur.

 

Wir suchen einen anderen Umgang mit der Natur. – Nützt es etwas, wenn wir aufzählen, wie viele Tierarten aussterben? (Es sind nicht eine oder zwei – weltweit sind 12% der Vogelarten bedroht, 20% der Säugetierarten, 29% der Amphibienarten…)

Nützt es etwas, aufzuzählen, wie der Lebensraum zerstört wird: das Land zersiedelt, die Felder durch Raubbau der Erosion preisgegeben, der Regenwald abgeholzt, die Meere verseucht, die Böden vergiftet…? – Das hören wir täglich. Und wir sind von solchen Meldungen überfordert.

Wellen der Alarmierung
Vor 40 Jahren machte ein Buch Furore, das hiess „Stummer Frühling“. Es warnte davor, dass das Pestizid DDT nicht nur Schädlinge, sondern auch Sing-Vögel vergiftet. Wir müssten unserer Umwelt Sorge tragen, wenn wir nicht eines Tages einen stummen Frühling ohne den Gesang der Vögel erleben wollten. Das Buch erregte damals Aufsehen und trug zur Entstehung einer Umschweltschutz-Bewegung bei.

Vor 30 Jahren etwa wurde uns bewusst, dass bei einer Ölpest nicht nur Tausende von Tiere sterben. Solche Umwelt-Belastungen können einen Bestand auf die Dauer so schwächen, dass die ganze Art ausstirbt. Dass nie mehr ein Tier dieser Art auf dieser Erde geboren wird. Und das bereitete den Menschen damals schlaflose Nächte: das Bewusstsein, dass etwas, das in Jahrmillionen gewachsen ist, jetzt in wenigen Jahren ausgerottet wird. Es geht verloren – ohne Möglichkeit, dass man es je wieder zurück erlangen kann.

Vor etwa 20 Jahren führte es zu Beunruhigung, als man begann, technologisch ins Erbgut einzugreifen. Das Erbgut aller Lebewesen ist in Millionen von Jahren entstanden, dort ist auch das Gleichgewicht des Lebens verankert. Die verschiedenen Arten leben gemeinsam in einem Lebensraum; wer wo und wie lebt, ist genau ausbalanciert. Was würde geschehen, wenn man begann, da einzugreifen?

Vor etwa 10 Jahren erschrak die Öffentlichkeit über die Meldung, dass die Meere bald leergefischt sein würden, so sehr, dass gewisse Arten sich nicht mehr regenerieren könnten. Gleichzeitig wurde bewusst, dass die Menschen bald Kriege führen würden um Wasser oder andere Güter der Natur. Früher waren sie frei zugänglich, jetzt aber werden sie immer knapper, so dass das Überleben der Menschen in einer Region in Frage gestellt wird. Es gäbe Konflikte und Flüchtlingsströme.

Die letzten 40 Jahren wurden wir durch immer neue Wellen der Alarmierung aufgeschreckt. Wir sind überfordert. Wir können uns nicht mehr skandalisieren. Es löst nichts mehr aus an Handlung und Aufschrei, so dass die Politik reagieren müsste.

Die Schnecke auf dem Schulweg
Bilder sind manchmal mächtiger. – Erinnern Sie sich, wie Sie als Kind auf dem Schulweg manchmal angehalten und eine Schnecke vom Weg aufgehoben haben? –

Erinnern sie sich, wie sie mit ihren Kindern eine Katze oder einen kleinen Hund abholen gingen? Vielleicht war es auch ein Kaninchen oder ein Meerschweinchen. Das Kind sollte in Kontakt kommen mit einem lebendigen Tier und Verantwortung lernen. Aber bald haben Sie selber Ihr Herz verloren an die Katze oder an den Hund.

Und jetzt, wo Sie älter werden, könnten Sie sich ihr Leben ohne dieses Tier fast nicht mehr vorstellen. Mit dem Hund kommt man hinaus, man muss sich bewegen. Ausserdem begegnet man anderen Menschen. Und die Katze kommt Ihnen entgegen, wenn sie abends nach Hause kommen. Das Haus ist dunkel und leer. Die Kinder sind schon lange ausgeflogen. Die Enkel leben anderswo. Sie brauchen Sie nicht mehr. Aber die Katze ist da, jedes Mal, wenn sie fortgehen. Sie wartet schon und springt Ihnen entgegen. Es rührt sie. –

Das Tier ist nicht nur ein „Ersatz“, nicht nur etwas gegen die Einsamkeit oder damit man sich bewegt oder unter die Leute kommt. So reden vielleicht Leute, die das nicht selber kennen. Wer ein Tier hat, der findet einen anderen Zugang. Es ist ein emotioneller Zugang, und er ist getragen vom Erlebnis einer Gemeinschaft. Manchmal spürt man eine Ahnung, als ob alles Lebendige in einer tiefen Solidarität miteinander verbunden wäre. Als ob es nur vordergründig so wäre, dass das Leben geteilt ist in Arten, die einander nichts angehen. Aber darüber, oder dahinter, wenn man den Schleier wegziehen könnte, würde man etwas Grosses sehen, etwas Tiefes, ein Leben, das in allen gemeinsam ist.

Leben
Der Mensch würde nicht herabgesetzt dadurch, dass man ihn im Zusammenhang mit den Tieren sieht. Im Gegenteil, es gäbe ihm Tiefe und Reichtum, dieser Blick in die Weite des Lebens.
Die Erde ist in ihrer Geschichte eingebunden in die Geschichte des Lebens. Der ganze Kosmos hat daran teil. Und auch wir tragen seine Geschichte in uns. Die Stoffe unseres Körpers sind in den Sternen entstanden. Wir sind aus „Sternenstaub“ gemacht.
Alles, was jemals war, hat seine Spur in uns hinterlassen. Nichts ist ohne Zusammenhang. Alles ist verbunden.-

Und das Christentum?
Immer an Weihnachten hören wir die Geschichte, wie Gott als Erlöser auf die Welt kommen will. Er klopft an viele Türen, aber bei den Menschen findet er keine Aufnahme. So wird er in einem Stall, zwischen den Tieren geboren, und er wird in eine Futterkrippe gelegt. Obwohl die Menschen ihn nicht aufnehmen, finden sie doch noch zur Erlösung, weil er sich wie ein Hirte um seine Schafe kümmert. Auch hier wieder wird das Verhältnis von Gott zu den Menschen mit Hilfe der Tiere gezeichnet.

Das Innerste des Glaubens, das Vertrauensverhältnis zwischen Gott und Mensch, wird mit diesem Bild gezeichnet: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts fehlen.“
In unserem Glauben ist Christus aber nicht nur der Erlöser, er war als Schöpfungswort auch dabei, als alles am Anfang geschaffen wurde. So ist nichts entstanden ohne ihn, alles steht in Beziehung zu ihm. Es ist das Bild einer grossen Einheit, von dem wir vorhin gehört haben.

Christus selber hat uns ein Bild gegeben, wie wir uns das vorstellen können.
„Ich bin der Rebstock, ihr seid die Schosse“, sagt er in einem Gleichnis. Er zeichnet das Bild eines grossen Lebensbaumes. Alles was ist, die ganze Wirklichkeit erscheint im Bild eines Baumes. Seine Wurzel geht tief hinab in die Zeit, bis zum Ursprung, bis zur Quelle, aus der alles fliesst. Sein Stamm ist mächtig. Er verzweigt sich in Äste, eine grosse Vielfalt von Dingen und Lebensformen entsteht.

Der Baum wächst vom Ursprung her durch alle Zeiten, und er reicht auch in unsere Zeit, in unsere Gegenwart. Ihr seid die Blüten, sagt Christus. Ich bin der Baum, der euch trägt. Ihr seid die Triebe für diesen Frühling. Ihr sollt Frucht bringen und das Leben weitertragen. Durch mich seid ihr verbunden mit der Quelle, aus der das Leben stammt. Ich gebe euch Halt (im Innersten der Wirklichkeit), so dass ihr nicht verloren geht. (Nach Joh 15)

Eine Aufgabe, die wir lösen können
Es ist ein Bild voller Schönheit. Es weitet unser Bild vom Leben. Wir begreifen: Wir leben unser Leben nicht nur für uns allein. Wir sind Teil von etwas Grossem. Und jedem Teil kommt eine Aufgabe zu und eine grosse Ehre. Jedes ist Teil des Ganzen und hat Teil an seiner Schönheit.

Wir haben eine grosse Aufgabe, wir können sie lösen, wenn wir uns tragen lassen vom Ganzen. Im Miteinander wachsen uns Kräfte zu, die wir aus uns allein niemals aufbringen könnten.
So kann das Leben wie ein Segen weitergehen von einer Generation zur nächsten. Und das alte Leben sinkt nicht ins Nichts. Es ist Teil des grossen Lebensbaums, dessen Wurzel Christus ist. Es ist Teil der grossen Gemeinschaft, die Christus gestiftet hat, durch alle Jahrhunderte.

Unser Ursprung liegt bei Gott, er ist der Stamm, der uns trägt. Er ist die Wurzel, die uns nährt. Er ist die Kraft, die uns Leben gibt. Er ist der Sinn unseres Lebens. Er hat sein grosses Schöpfungswerk begonnen und auch uns mit hinein genommen. Er bringt es zur Vollendung. So spricht die Bibel von der Wirklichkeit.

Sie zeigt uns das Leben als eine grosse Einheit. Jedes ist verbunden mit dem andern, und jedes ist verankert in Gott. Dazu gehören auch die Tiere. Dazu gehört alles, was es gibt.
Psalm 36 sagt es so: „Gott, Deine Güte reicht so weit, wie der Himmel ist und Deine Wahrheit so weit, wie die Wolken gehen. Kostbar ist Deine Güte. Sie ist eine Zuflucht für Mensch und Tier. Du machst sie satt mit Gütern aus Deinem Haus, und Du tränkst sie mit Freude wie mit einem Strom. Denn bei Dir ist die Quelle des Lebens.“

Nach einem Gottesdienst zur „Schöpfungszeit“ vom 27. September 2009