„Drôle de Guerre“

Weltprobleme – und nichts geschieht

Mit einem Mann im Zug bin ich kürzlich ins Gespräch gekommen. „Es kommt mir vor wie damals“, sagte er und wies auf ein Buch, in dem er las. „Grosse Erklärungen und nichts geschieht.“ Auf meinen fragenden Blick hin meinte er: „Im letzten Weltkrieg haben Frankreich und England den Nazis den Krieg erklärt, aber nichts geschah. Es ging acht Monate, bis diese Länder etwas unternahmen und in den Kampf eingriffen. Das hiess damals „drôle de guerre“, seltsamer Krieg. Und so ähnlich ist es auch heute“, sagte er: „So viele drängende Zeitprobleme, und nichts geschieht.“

„Was für Probleme?“ fragte ich. – „Umwelt-Zerstörung, Artensterben, Krieg um Wasser und Ressourcen. – Lesen Sie keine Zeitung? So viel Alarmierendes, und nichts geschieht.“ „Was müsste denn ihrer Meinung nach geschehen?“ – „Na, eine deutliche Reaktion, die einem das Gefühl gibt, die Antwort sei auf derselben Ebene wie die Gefährdung. Stattdessen das übliche Politgeplänkel, Ersatzprobleme, drôle de guerre.“

„Aber es geschieht doch etwas“, warf ich ein und deutete an, sein grosses Erschrecken käme vielleicht aus seinem eigenen Leben. In einer schwierigen persönlichen Situation suche man die Antwort oft in der Aussenwelt…

„Vielleicht“, überging er meine taktlose Bemerkung. „Aber wer rettet das Klima? Nicht die Menschen“, meinte er. „Die folgen ihren Interessen, sie schauen ohnmächtig zu oder vergraben sich in einer Ersatzwelt. Wenn es Hilfe gibt, dann kommt sie von aussen, ganz einfach, indem das System an seine Grenzen stösst.“ – Ob das nicht etwas resignativ sei, warf ich ein.

„Irgendwie geht es sicher weiter“, meinte er, „aber vielleicht ist dann der Mensch nicht mehr dabei.“ Die Welt sei auch denkbar ohne Menschen. „Ja, diesen Satz hört man heute oft“, meinte ich.

„Nein“, sagte der Mann nach einer Pause. „So möchte ich nicht leben, so kann ich nicht leben. Ist mir auch zu billig. Wer immer uns das Leben gegeben hat, der will das Leben. Das wird mir jetzt ganz deutlich, obwohl ich noch nie so sehr daran gezweifelt habe.

Dann mussten wir raus, die Fahrt war zu Ende. „Seltsam“, dachte ich, „wie gerade im Zweifel Gewissheiten entstehen.“ Ein fast heiteres Gefühl begleitete mich, als ich weiterging. Es mag viel Zweifel geben in unserer Zeit. Zugleich ist es eine Zeit voller Anfänge.

 

Aus dem Buch Mission Impossible – die unmögliche Aufgabe, deren Lösung eine Kultur begründet. Notizen 2007-2008.