Zweiter Monat im Lockdown

Das Virus wird zu einer Abnützungsschlacht. Der zweite Monat hat begonnen. Die Reserven werden ausgeschöpft.

Wie zum Spott wölbt sich ein blauer Himmel über eine frühlingshaft ergrünte Landschaft. Von den Gärten her ziehen Duftwolken vorüber. Zwei Schmetterlinge tanzen den Weg entlang. Es ist krass und nicht zu begreifen, dass alles still gestellt sein soll. Alle Welt schaut in einen Abgrund und draussen blüht es.

Die zeitgenössische Erfahrung wird zu einem Schlüssel, der die Vergangenheit besser verstehen lässt. Der «Tages-Anzeiger» berichtet von einem Historiker, der den Untergang des Römischen Reiches von den heutigen Erfahrungen her neu analysiert. Da erscheinen die Hunnen, die damals nach Westen vordrangen und die Völkerwanderung auslösten, als «bewaffnete Klimaflüchtlinge zu Pferd». Auslöser war eine Dürre in Zentralasien.

Auch die Seuche spielte damals eine Rolle. In der «spätantiken kleinen Eiszeit» ab 450 n. Chr. wurde die Ernährungslage schlechter. Das verstärkte sich nach dem «Jahr ohne Sommer» 536 nach Chr., als mehrere Vulkane ausbrachen. Der Hunger schwächte die Abwehrkräfte der Bevölkerung. Die «Justinianische Pest», raffte 541 nach Chr. fast die Hälfte der Bevölkerung dahin. So wurde auch das oströmische Reich geschwächt. «Die Landwirtschaft lag darnieder, die Grenzen konnten nicht mehr verteidigt werden, apokalyptische Stimmung machte sich breit. Man sah das Ende der Welt gekommen», zitiert der «Tages-Anzeiger» aus dem Buch.

Das Ende der Welt? – Jede Zeit hat ihre eigene Deutung von Aufstieg und Untergang Roms hervorgebracht. Es spiegelt nicht nur einen Erkenntnis-Fortschritt, sondern auch das Selbstverständnis der Zeit, die in diesen Spiegel guckt. Klimawandel und Seuchen und die ganze Dynamik einer weltweit verflochtenen Wirtschaft, wo das Flattern eines Schmetterlings in China einen Sturm in New York auslösen kann, machen schon Eindruck, auch wenn man nicht gleich das Ende der Welt gekommen sieht.

Das «Ende der Welt» ist eine Metapher. Sie taucht immer dann auf, wenn eine Weltsicht sich ihrem Ende nähert. Vielleicht ist der Wandel, den der Virus erzwingt, grundsätzlicher, als wir denken? Vielleicht ändert sich der zivilisatorische Pfad, wie wir uns einrichten in der Welt, was uns wichtig ist und wofür wir unsere Ressourcen einsetzen wollen?

Das erwähnte Buch: «Fatum. Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches» von Kyle Harper.