Der Marsch auf Rom

Diesen Oktober jährt sich zum 100. Mal der «Marsch auf Rom», die Machtübernahme der Faschisten in Italien. Auch die Bibel kennt einen Marsch auf eine Hauptstadt zu, auch sie kennt eine Machübernahme, aber sie erzählt sie anders.

Mit seinen Anhängern ist Jesus in die Hauptstadt eingezogen. Schon seit Wochen waren sie auf dem Weg. Die Ankunft dort hatten sie sich wie eine Eroberung vorgestellt: dass Christus seine Herrschaft aufrichtet. Die Bewegung um Jesus war immer grösser geworden. Sie hatten an Einfluss gewonnen, viele waren mit ihm auf dem Weg. Die Autoritäten in der Hauptstadt fürchteten sich vor dem was geschieht, wenn er in Jerusalem ankommt.

Der Marsch auf Rom
Kürzlich haben sie am Fernsehen gezeigt, wie Mussolini das machte, wie er vor 100 Jahren (im Oktober 1922) die Macht übernahm. Mit Zehntausenden seiner Anhänger ist er auf die Hauptstadt zu marschiert. Es bestand die Gefahr eines Bürgerkrieges. Da trat der Ministerpräsident zurück, und der König ernannte Mussolini zum neuen Regierungs-Chef. Dieser „Marsch auf Rom“ hat damals ungeheuren Eindruck gemacht: Mit seinen Anhängern auf die Hauptstadt zu marschieren und die Regierung übernehmen! Auch Hitler hat das damals versucht. Der „Marsch auf Berlin“ scheiterte allerdings schon in München und Hitler kam ins Gefängnis (1923).

Die Machtübernahme
Die Machtübernahme in der Hauptstadt – das ist in der Geschichte oft versucht worden und gescheitert. Es gab aber auch Gegenbeispiele, die die Phantasie beflügelt haben. Die Cäsaren im antiken Rom sind nach einem Feldzug in Rom einmarschiert und haben – gestützt auf die Legitimität ihrer militärischen Erfolge – die Kaiserkrone übernommen. Napoleon hat es ihnen viele Jahrhunderte später nachgemacht: wie die alten Cäsaren hat er mitten in Paris einen Triumphbogen aufgestellt und sich zum Kaiser der Franzosen gemacht.

Alexander der Grosse hat das sagenhafte Babylon erobert, der Maler Charles le Brun hat seinen Einzug später für den «Sonnenkönig» Louis XIV in einem Gemälde festgehalten. Daneben steht das Bild vom Palm-Sonntag, wie Jesus in Jerusalem einzieht. Was es bedeutet, wie er seine Herrschaft versteht, wie er König sein will – das begreift man besser, wenn man diese beiden vergleicht.

Verschiedene Arten, Herrschaft auszuüben
Alexander steht auf dem Bild von Le Brun in einem Streitwagen. Er wird von Elefanten gezogen, die man damals auf Feldzügen mitführte, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Im Triumphzug zieht er in die Hauptstadt ein, die er besiegt hat – mit ihm die jubelnden Anhänger, hinter ihm die unterworfenen Gegner. Als Zeichen seines Sieges wird die Beute mitgeführt: Sklaven, Geräte, Schätze aus Palast und Tempel. Das wird unter die Kampfgefährten verteilt. Sie werden bald mit hohen Ämtern belohnt, sie werden mit-herrschen in dem neuen Königreich.

Im Bild vom Palm-Sonntag ist vieles ähnlich – und doch ganz anders. Jesus führt keine Elefanten mit, er will nicht Furcht und Schrecken verbreiten. Er hat die Hand zum Segen erhoben. Das ist sein Feldherrenstab, das Zeichen seiner Herrschaft: dass er Segen bringen möchte. Er will die Stadt nicht demütigen. Er hat keine Armee um sich, keine Waffen, das macht ihn schutzlos und angreifbar. Er will nicht durch Furcht herrschen, er wirkt durch Vertrauen. So ist es bis heute. Seine Herrschaft ist schwach – und stark nur in dieser Schwachheit. Sie sieht aus „wie nichts“, und wer nur auf das äussere Ansehen sieht, verachtet sie. Andere finden gerade hier ein Vertrauen, das sie aufleben lässt.

Eine neue Zeit
Jesus Christus zieht in die Hauptstadt ein – dieses Ereignis von Palmsonntag bedeutet auch hier, dass eine neue Herrschaft beginnt. Auch in seinem Zug sind die Anhänger mit dabei. Auch sie wollen teilhaben an seinem Sieg. Die Jünger, die auf dem Weg hinter Jesus herlaufen, verteilten schon mal die Ämter. Wenn er seine Herrschaft aufgerichtet hat, wollen sie „zur Rechten“ des Meisters sitzen und „zur Linken“, das meint wohl so etwas wie das Amt des Präsidenten und des Premierministers. Da dreht sich Jesus zu ihnen um:

„Ihr wisst, dass die, welche als Fürsten der Völker gelten, sie knechten und ihre Grossen über sie Gewalt üben. Bei euch aber soll es nicht so sein. Sondern wer gross werden will unter euch, der soll euer Diener sein, und wer unter euch der Vornehmste werden will, der soll der Knecht von allen sein.“

Die Entscheidung
Am Karfreitag wird es dann ganz krass auf den Punkt gebracht: wenn die Soldaten ihn verspotten, ihm eine Krone aufsetzen. Aber die Krone ist aus Dornen. Über ihm schlagen sie ein Schild an: Jesus von Nazareth, König der Juden. Spott und Hohn soll das sein. „Schaut wie ohnmächtig er ist!“ Aber seine Anhänger haben den Sinn dieses Spruchs umgekehrt: Jesus von Nazareth, König der Juden. Ja er war ein König, sagen sie. Wir glauben an seinen Weg. Jeder, der daran glaubt, ist bis heute dem Spott ausgesetzt.

Es sieht aus „wie nichts“, es ist schwach in einer Welt, die auf Macht und Einfluss setzt. Letztlich muss jeder selber eine Entscheidung treffen, in welchem Zug er mitlaufen will. Bei denen, die Macht und Ehre zu vergeben haben. Oder bei diesem stillen „Versager“, der nichts gilt in der Welt. Und es sind besondere Momente im Leben, in denen sich das entscheidet, wo man gehen will, wie man sein eigenes Leben versteht, zu welchem Ziel man unterwegs ist. Es sind Momente, die ihre Vorgeschichte haben: warum man dazu kommt. Und es sind Momente, die das Leben verändern, all das, was nachher folgt.

Die Schnelleren
Auf dem Bild von seinem Einzug sieht man Menschen, die auf Bäume klettern. Sie kennen die Geschichte. Es ist die Geschichte von Menschen, die dazu gehören wollen und immer ist jemand anderer vor ihnen da, der die älteren Rechte beansprucht. Immer gibt es einen, der vor ihnen in der Schlange war oder der ihnen sonst aus irgendeinem Grund das Recht streitig macht. Manchmal sprechen sich Menschen auch selber das Recht ab, dazu zu gehören. Sie ducken sich, stellen sich hinten an.

Es ist die Geschichte von Zachäus. Der Evangelist Lukas erzählt davon. Er war klein und kletterte auf einem Baum, um zu sehen. Er wollte dabei sein, wenn Christus kommt mit seiner Herrschaft. Aber sie haben ihn auf die Seite geschoben, ein Sünder darf nicht dabei sein. Einer der Fehler macht, einer der sich verfehlt hat mit seinem Leben. Aber Christus, als er die Strasse entlang geht und bei ihm vorbeikommt, schaut zu ihm hoch und sagt: Bei dir muss ich heute zu Gaste sein!

Für diesen einen kam er in die Welt!
Bei dir muss ich heute zu Gaste sein! Es ist, als ob er nur deswegen diese Strasse gegangen und nach Jerusalem gekommen sei, um diesem Zachäus zu begegnen und ihm zu sagen, dass er bei ihm einkehren will!

Bei dir muss ich heute zu Gaste sein. Und das gilt jedem Menschen, jeder darf sich hier angesprochen fühlen. Wie sehr er sich selber auch zurücknehmen will. Wie viel ihm auch falsch gelaufen ist im Leben. Christus sagt noch einen Satz: «Der Sohn des Menschen ist gekommen, um das Verlorene zu suchen und zu retten.» (Lk 19) Darum hat er den Weg gemacht, darum ist er zur Welt gekommen und in Jerusalem eingezogen. Das ist gemeint mit dem Königreich, das er bringt.

Damit sagt er, wer dabei sein darf in seinem Reich, wer mit hinein gehen darf zu seinem Fest. Wer mitfeiern darf und dazugehören: alle die auf Gott vertrauen. Das ist der Einzug in sein Reich.

 

Aus Notizen 2010
Bild Einzug in Jerusalem, Meister der Palastkapelle in Palermo