Das Wort, mit dem Gott die Welt ins Leben rief

Die reformatorische Auffassung von der Bibel, vom biblischen «Wort» und seiner Verkündigung, ist keine Literatur- oder Sprachtheorie, sondern ein mystisches Konzept. Es handelt von „allem“ und wie der Mensch darin situiert ist.

Wort
Das Wort, das verkündigt wird, steht in Beziehung zu jenem „Wort“, das am Uranfang ergangen ist und die Welt ins Leben gerufen hat. Das ist der „Logos“, den auch der Evangelist Johannes anspricht. Er ist gegenwärtig, wenn von ihm gesprochen wird. Er ist das lebendige Wort, das im gesprochenen Wort anwesend ist und mithilft, dass dieses auf Glauben stösst.

Im glaubenden Aufnehmen des Wortes erhalten die Hörenden Anteil an dem dort ausgesagten Heil, an Vergebung und Versöhnung. Sie dürfen in neuer Unschuld einen neuen Anfang machen in ihrem Leben und trotz allen Versagens und Zerbrechens alter Hoffnungen wieder das Höchste hoffen: dass ihr Leben nicht verloren geht sondern ans Ziel kommt.

(Die lutherische Orthodoxie hat das systematisch entfaltet in ihrer Schriftlehre. Aus dem Grundsatz: „Scriptura sacra est verbum Dei“ werden Eigenschaften der Schrift abgeleitet wie auctoritas, sufficentia, claritas und efficacia. So ist das „verbum efficax“ das Wort, das Heil nicht nur aussagt, sondern auch vermittelt.)

Seele
Durch das „Wort“ steht der einzelne in Beziehung zum ganzen Kosmos und zur ganzen Geschichte. Was eine Substanz-Metaphysik an der Seele festmacht, am „göttlichen Lichtfunken», was früher in einem materiellen Seelenbegriff gedacht wurde, das wird hier verflüssigt. Noch immer geht es aber darum, die Beziehung jedes einzelnen zum Absoluten aufzuweisen, was sein unzerstörbares Gehaltensein in der Wirklichkeit verbürgt.

Das „Wort“ in diesem theologischen Sinn ist noch nicht das Wort der Sprach-Philosophie oder der Linguistik. Es ist nicht nur ein Bedeutungsträger innerhalb der menschlichen Kommunikation. Aber es ist auch keine dingliche Anteilhabe mehr im Einzelnen wie der Lichtfunke. Es stellt einen Bezug her zu einer göttlichen Gegenwart. Aber es kann vom Hören, Glauben, Hoffen und Lieben nie abgezogen werden, von den Weisen, wie der glaubende Mensch in diesem Bezug sein Leben führt und darin handelt.

Handeln
Es ist keine kontemplative Mystik im Sinn der Gnosis und ihrer Nachfolger. Es ist eine praktische Mystik im Sinn einer tätigen Frömmigkeit.

 

Aus Notizen 2003

Foto von Wayne Evans von Pexel