Totensonntag

Bald ist Halloween. An vielen Haus-Fassaden, aus vielen Schaufenstern grüssen schon Skelette und Gespenster. Die Kinder freuen sich auf gruselig-lustige Parties. Die Erwachsenen können auch ein Vergnügen daran knüpfen.

In der Kirche feiert man Allerseelen oder Totensonntag. Das hat fast nichts damit zu tun und soll das Vergnügen nicht stören. Ältere Menschen sind aber anders eingestimmt. Sie gehen häufig zu Beerdigungen. Und wenn man sich selber auf das Lebensende einstellt, werden andere Saiten angeschlagen. Das ganze Leben wird wieder aufgeblättert. Erinnerungen tauchen auf. War es gut? War es schlecht? Die grossen Themen werden sichtbar, die Entscheidungen auf dem Lebensweg. Es war tröstlich, die Familie des Verstorbenen zu sehen, Enkel und Urenkel, jung und lebensfreudig! So geht das Leben in die Zukunft.

Der grosse Tod
Andere Bilder werden uns heute vom Krieg aufgezwungen. Das Einzelschicksal verschwindet hinter dem Elend, das viele erfasst hat. Man sieht die Bombeneinschläge, die zerstörten Städte. Da helfen uns die Lebenserinnerungen nicht. Es verstört uns, wir verstehen nicht (und würden uns weigern, zu verstehen).

Das ist der «grosse Tod», wie man ihn auch bei uns kannte im letzten Krieg. Vor den Weltkriegen war es der 30jährige Krieg, der sich der Erinnerung eingeprägt hat. Er hat die Kultur in Europa verändert. Die Barock-Dichtung hat eine Sprache geschaffen, um davon zu sprechen. Da ist die Rede von Krieg, Gewalt und Seuche. «Es ist ein Schnitter, der heisst Tod» heisst es in einem Gedicht aus dem 17. Jh. Er mäht die Menschen wie Halme nieder, wenn er als Sensenmann durch das Kornfeld schreitet.

Der Traum des Kampffliegers
Es waren wohl solche Erinnerungen, die mich zu einer Notiz veranlassten, die ich vor einigen Jahren in meiner Jackentasche fand. “Diese Welt geht auf ein massenhaftes Sterben zu, wie wollen die Menschen auskommen ohne einen Gott, der entgegenkommt und aufnimmt?“

Die Antike kannte Jesus Christus als „Psychopompos“, als Seelenführer, der die Verstorbenen empfängt und geleitet, so dass sie sich aufgehoben und geborgen fühlen können. Damals fanden die Menschen einen Weg, um mit massenhaftem Tod und mit Schrecken umzugehen. Dann gibt es die Szene in der Bhagavad Gita, wo Gott sich dem Krieger Arjuna offenbart. Diese Szene ist auch in die Populär-Kultur eingegangen. In einer Comic-Version hat sie der japanische Anime-Künstler Hayao Miyazaki aufgenommen in seinem „Porco Rosso“. Er teilt noch die traumatischen Erinnerungen aus dem Weltkrieg.

Der Kampfflieger ist übermüdet, er fällt in einen Traum. Er sieht einen Strich über sich, der in den Himmel zieht. Als er genauer hinsieht, sind es Myriaden von Kampffliegern in ihren Flugzeugen, alle seine Kameraden, aber auch die Gegner, die abgeschossen wurden – in einer langen Prozession fahren sie in den Himmel auf.

Der Krieg verlangt anderes von uns, der Friede verlangt wohl noch einen langen Weg. Aber auch die Trauer sucht einen Ort, der Trost weiss nicht wohin. So beginnt schon jetzt ein grosses Suchen, während die Kanonen noch brüllen. In den Bildern der grossen Tradition lerne ich, meinen Glauben besser zu begreifen. Die Menschen können nicht ruhen, bis der grosse Tod aufgehoben ist in einem grossen Leben.

Der Blick von innen und aussen
Tod und Schrecken – das ist der Blick von aussen. Christus ist all diese Tode schon gestorben. Er kommt ihnen von der anderen Seite her entgegen, nicht in Schrecken, sondern in Frieden. Er verbreitet nicht Angst, sondern Trost und Geborgenheit.

Die Offenbarung zeigt beide Seiten: Den kämpfenden Gott, den Blick von aussen. Und den entgegenkommenden Gott, den Blick von innen. Dass er entgegenkommt, das ist der Blick von innen. Von aussen gesehen heisst das: Er hat gesiegt. Im Glauben wären wir im Innern, aber in Angst und Schrecken schauen wir immer wieder von aussen.

Für diese Zeit hat er die Glaubenden mit einem Kreuz bezeichnet, damit sie schon aussen etwas haben, was sie an den Frieden im Innern erinnert. (Off. 7) Von aussen ist es schrecklich anzusehen: ein Kreuz, ein Instrument der Folter und des Todes. Von innen ist es ein Geschenk des Friedens.

„Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ (Joh 14, 27)

 

Zum Feiertag Allerseelen (kath., 2. November), zum Toten- oder Ewigkeits-Sonntag (prot., letzter Sonntag vor Advent)

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Indische Bilder für eine christliche Religion? Soll uns die Offenbarung Krishnas vor dem Krieger Arjuna etwas zu sagen haben? Die Szene aus der Bhagavad Gita erinnert an verschüttete Traditionen aus dem Christentum. Die Religionen haben sich immer schon Bilder geliehen, um ihr Glaubensanliegen besser zu verstehen. Angesichts des Todes überschreitet der Glaube die Lebensgrenze, um sein Vertrauen wachzuhalten. So hat es auch die Antike getan und darin wurzelt das Neue Testament. Vieles von den Lehren der Bhagavad Gita kann man auch bei Platon finden. Und Platon war eine Hilfe, mit dem das frühe Christentum seinen Glauben zu versehen suchte.

Aus Notizen 2013