Konkurrenz usw.

Die Stelle beim Radio ist wieder ausgeschrieben. Eigentlich habe ich mich entschieden, auf meiner Stelle zu bleiben. Ich habe eingesehen, dass es kein Weggehen gibt, solange die Fragen nicht geklärt sind und ich nicht ebenso gut hier bleiben kann wie weggehen.

Das Rezept wäre also: bei sich bleiben und unbeirrt weitergehen auf dem eigenen Weg. Aber was wäre denn mein Eigenes? – Ich muss nicht das „Was“ suchen, ein Spezialgebiet, das ich abdecken könnte, sondern endlich einmal zu mir stehen, wo ich auch bin. Zu dem stehen, was ich eigentlich denke und fühle, statt immer Projekte zu starten und mich dann zu ducken, weil ich Ablehnung befürchte.

Beim Wort nehmen
Die Befürchtung meint, gerade dann werde man auf mir herumhacken, wenn ich mich zeige, wenn ich erkennbar werde: wer ich bin und was ich mag. Daher identifiziere ich mich immer nur halb mit dem, was ich nach aussen zeige. Es ist ein halbes Zeigen und ein halbes Verstecken. Was ich sage und mache und zeige, wird immer halb wieder zurückgenommen, ins Uneigentliche gewendet, so wie ich es kürzlich bei einem Text meines Kollegen beobachtet habe. Er machte unendlich viel Aufwand, um die Leser zu interessieren und dann ebenso viel Aufwand, um das Ganze im Unverbindlichen enden zu lassen, damit man ihn ja nicht beim Wort nimmt.

Ich muss also nicht gross suchen, was ich tun soll, sondern zu dem stehen, was ich bin und mache und Zumutungen zurückweisen, ohne Angst – oder halt mit Angst, aber machen! Wenn ich Anschluss an mich selber finde, finde ich Anschluss an die Menschen und an das, was sie kennen.

Das Märchen vom Affenkönig
Ein gutes Korrektiv dazu ist das altchinesische Märchen vom Affenkönig, der die Rebellion bis in den Himmel trägt, weil er sich nicht genügend respektiert und geachtet fühlt. Dieser Kaiser weiss nicht, wie man Talente erkennt und richtig fördert, sagt er, und stiehlt das Ambrosia und den Nektar vom Himmel, die ewiges Leben und Unsterblichkeit verleihen. – Das ist ein alter Grundsatz chinesischer Staatskunst, dass es gilt, die Talente zu entdecken und einzusetzen. Der Affe lehrt, ungebrochen zu sich zu stehen.

Miesmachen
Jugendliche berichten in einer Konf-Stunde vom Mobbing. Fast alle haben etwas zu erzählen, entweder als „Täter“ oder als „Opfer“. Die Täter wirken nicht wie Dämonen. Sie geben zu, es mache Lust über andere herzuziehen. Die Opfer sind nicht immer Opfer. Und nicht nur die Schwachen werden gemobbt, oft auch die Starken. Manchmal sind es die Schönen, Beliebten, die gemobbt werden.

Ich habe etwas begriffen in der Stunde: Wenn eine Differenz zwischen Menschen besteht, möchte man diese aufheben. Solange man die Chance hat, es durch Leistung auszugleichen, entsteht Konkurrenz. Wenn diese Chance nicht mehr gegeben scheint, sucht man den andern herunter zu reissen. Es kommt zu Wut und Aggression, man will seine Position zerstören. Verbitterung entsteht, wenn man keine Aussicht sieht, das umzukehren. Wenn man sich in der Missachtung gefangen fühlt, dann entsteht Verbitterung. Und wenn ein Ventil da ist, kann diese umschlagen in Zorn und Wut und Aggression.

Kampf mit Dämonen
Was ich an andern kritisiere, ist nur die halbe Wahrheit. Das Dunkel ist auch in mir, andere bekritteln, das kenne ich auch. Es braucht einen Hell-Dunkel-Ausgleich, damit die Täter nicht dämonisiert werden und Schrecken verbreiten, bis man sich nicht mehr ausser Haus getraut. Und damit die Unschuld des Opfers nicht zum Gefängnis wird, bis man sich nicht mehr wehren kann und die einzige Waffe immer nur im passiven Leiden und Unschuld-Bewahren liegt.

Es ist nicht zuerst ein äusserer Kampf, den ich mit meinen Gegnern ausfechte, auch wenn ich es an ihnen erlebe, dass sie alles miesmachen, dass ich mich von ihnen missachtet fühle. Es ist ein innerer Kampf. Es ist ein Kampf mit Dämonen.

So wie Jakob am Jabbok (Gen 32,23–33). „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Das ist der Beginn von Jakob als individuellem Menschen, hier erhält er einen eigenen Namen: Israel, der Gottesstreiter. Es ist die Taufe im Fluss der grössten Angst und das Festhalten am Vertrauen gegen alle Einflüsterungen. Das ist seine Berufung. Er ist, was er ist, nicht mehr nur durch Herkunft, sondern durch Schritte auf seinem eigenen Weg.

Ein eigener Mensch werden
Hier beginnt sein eigenes Leben, er hat sich endlich selber gefunden, im hohen Erwachsenenalter. Und er hinkt zeitlebens auf der Hüfte, weil der Dämon ihn dort geschlagen hat. Es ist der Tic, der zurückbleibt, die Narbe. Sein Leben läuft nicht mehr in ewigem Wiederholungszwang. Es hat Freiheit gewonnen. Aber eine Lebensgeschichte macht man nicht ungeschehen. Der Tic ist der Zoll, den man an der Grenze entrichtet, da bleibt etwas. Es ist eine Kains-Narbe. Sie strahlt Charisma aus.

Was ist da wohl geschehen am Jabbok? Wie wird der Dämon zum Freund, der mich segnet? Das chinesische Märchen vom Affenkönig («Die Reise nach Westen») ist eigentlich eine buddhistische Legende und beschreibt, wie der Buddhismus nach China kam. Ein Priester wandert nach Westen, nach Indien, und holt die heiligen Schriften. Dann wandert er zurück und bringt sie nach China. Der Weg des Mönchs demonstriert zugleich den (Erlösungs-) Weg des Buddhismus. Und als Begleiter gewinnt er Geister und Dämonen, die ihm helfen, u. a. den Affenkönig.

Der Schatz
Auch dort geht es darum, sich mit dem Dämon zu befreunden. Es wirkt glaubhafter, weil auch die schreckliche Seite des Dämons beschrieben ist. So begreift jeder: das ist das Schrecklichste in meinem Leben. Dort ist meine Kraft gelähmt und gebunden. aber dort ist auch ein Schatz von Kraft. Dort ist die Schatzhöhle, wo Silber und Reichtum zu gewinnen sind, mehr als ich in einem Leben verbrauchen kann. Doch der Drache sitzt darauf. Der Minotaurus haust im Labyrinth, etc.

Ich habe in diesen Tagen starke Kreuzschmerzen. Vom vielen Sitzen und falschen Leben. Kann kaum die Schuhe anziehen. Was hat Kreuz mit Weihnachten zu tun (das ich jetzt als Pfarrer vorbereite)? Das Kreuz ist das Zeichen der Versöhnung. Es kommt Licht ins Dunkel, wenn ich aufhöre, andern Menschen Schuld zu geben an dem Dunkel in meinem Leben. Wenn ich akzeptiere, dass auch ich ein Teil bin des Dunkels auf dieser Welt. Wenn ich es annehme als Teil meines Weges, dann geschieht Versöhnung mit andern, Versöhnung mit mir selber, mit meiner Schuld und mit dem, was vertan ist in meinem Leben. Dann entsteht ein Ja zu meinem Weg.

Der Trickster
Jakob kämpft mit seinem alten Selbstbild: Ich bin nicht nur das Opfer. Ich habe Esau ausgetrickst. Ich habe ihm das Erstgeburtsrecht abgeluchst. Ich, der Jüngere, habe das ausgenutzt, dass ich bei den Eltern und beim Vater „der Kleine“ war. Ich war „herzig“, so haben sie mir nichts abgeschlagen, was sie dem Älteren verweigert haben. Bei ihnen schien es wie eine Forderung, der man mit guter Erziehung entgegentreten müsse, ich dagegen war ja noch ein Kind.

Ich habe mich klein gemacht um Vorteile zu erringen. Und als ich mal etwas falsch machte, als der Vater zornig war auf mich, da kannte ich die Masche schon: mich klein zu machen. Das weckt den Zorn der älteren Brüder. Ja, Esau, wenn du zornig bist über mich, wenn du mich verfolgst, wenn ich dir nicht unter die Augen treten kann, wenn ich das Gefühl habe, ich müsste einem Dämon entgegentreten, wenn ich kaum auf die Strasse gehen kann, weil ich meine, alle lehnen mich ab – dann ernte ich, was ich gesät habe.

Auch ich habe gesündigt in Israel. Auch ich verdiene es, vierzig Jahre in der Wüste zu wandern und das gelobte Land nicht zu sehen. Aber lass wenigstens meine Kinder dort einziehen! Dass die zwei Generationen um sind. Dass ich nicht weiterpflanze, was ich geerntet habe!

Das Fest von Dunkel und Licht
Lieber Dämon, ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Da ist das Dunkel, ich sehne mich nach Licht. Denn das, was ich für Licht hielt bei mir, ist Finsternis. Und das, was ich für Finsternis hielt, das ist der Ort, wo du wartest, dass ich die Hand ausstrecke, dass ich mich versöhne und dich als Begleiter annehme. Von dort her willst du kommen, von dort her willst du mir Kraft beilegen.

Du, der du aus dem Dunkel kommst, der das Dunkle annimmt, so dass auch ich mich nicht für verdammt halten muss. Du kommst aus dem Dunkel, du bist der Dunkle. Du hast nicht Teil an der Moralisierung der Religion, die das Schlechte, Böse, Dunkle aussperrt. In einen Teufel verlegt oder in die bösen Umstände. Du hilfst mir das Dunkle anzunehmen und so ein ganzes zu werden.

So ähnlich möchte ich Weihnachten erleben: dass es Weihnachten wird bei mir, dort wo ich stehe, mit dem Dunkel, das ich erleide, mit dem Licht, das mir hier und heute helfen kann.
Herr, Jesus Christus, erbarme Dich. Treibe meine Dämonen aus, lass sie mir zu Freunden werden. Befreie sie aus ihren Grüften, weil sie leben dürfen, sich nicht verkriechen müssen. Verwandle die dort gebannte Kraft in Leben.           Amen
(Weihnachten in diesem Jahr kommt vom Dunkel her. Von meinem Dunkel.)

 

Foto von Patrick Case, Pexels
Aus Notizen 2003