Am Nationalfeiertag

Bald ist Nationalfeiertag. Was wäre ein Beitrag zum 1. August? Was würde das Befinden aufnehmen? Was könnte mich die Zeit begreifen lassen, was einen Ausblick geben, der Zuversicht vermittelt, der Wege zeigt, wo wir gehen können?

Ich würde nicht mit der Analyse anfangen, da herrscht ein lärmiges Durcheinander von Stimmen, ein gehässiger Ton, da wendet man sich ab. Auch ist es zu heiss. Nach der langen nasskalten Periode ist jetzt wirklich der Hochsommer eingezogen. Man sucht alles, was Kühle verschafft. Und es beginnt schon früh am Tag, es fällt schwer, zu denken.

Ein starker Eindruck war es gestern in Flims, als wir durch die Wälder wanderten. Riesige Felsblöcke erzählen von dem prähistorischen Bergsturz. Die Bäume sind darüber hinweg gewachsen. In Conn öffnen sich die Wälder zu einer kleinen Terrasse, da gibt es einzelne Baumgruppen, die dem Ganzen fast etwas Parkartiges geben. Unter Birken und Apfelbäumen sind Pritschen aufgestellt, wo man sich nach dem Essen hinlegen kann.

Der Bick in den Himmel
Wir lagen nebeneinander, stopften uns Jacken oder Rucksäcke unter den Nacken. So daliegen, den blauen Himmel betrachten, der von den Ästen gerahmt wurde, die sich über uns ausstreckten, das war ein starker Eindruck. Es schien, als ob ich mich erinnerte an Eindrücke meiner frühen Kindheit, als ich in Basel auf der Terrasse in einem Bettchen lag. Es war derselbe blaue Himmel über mir, die weissen Wolken, die sich am unteren Ende des Blickfelds aufbauten, aber immer wieder zerzaust wurden, bevor sie noch oben angelangt waren. Es war ein Liegen, Schauen, Atmen, bei dem sich das Bewusstsein veränderte.

Verschränkte sich das Zeitgefühl? War ich wirklich wieder ein Stück in meiner Kindheit? Es waren starke Eindrücke, es liess alles andere hinter sich, was ich eben noch erlebt hatte, als ob sich hier etwas Wichtiges abspiele. Ein Gehen durch Gänge, ein Öffnen von Türen, ein … Ich konnte mich diesem Eindruck überlassen, wenn ich ihn auch nicht greifen konnte. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich an etwas Grossem teilhatte. Dass mein Leben nicht nur von all den Sorgen bestimmt war, die mich im «Unterland» beschäftigten. Dass hier eine Ahnung auftauchte von etwas Tieferem, zu dem ich gehörte und das mein Leben ausmachte oder ausmachen konnte.

Davon müsste auch die Rede sein, wenn ich vom 1. August erzähle, wenigstens von der Dimension, wenn ich sie auch nicht klarer benennen kann. Und es ist tröstlich, ungeheuer tröstlich, dass das ganze Stimmen-Durcheinander, der ganze Wischwasch von Problemen, die sich immer mehr anhäufen, die unser bewusstes Problemlösungs-Verhalten immer mehr herausfordern, dass es da eine Türe gab, durch die ich gehen konnte und es war eine andere Welt und eine andere Wirklichkeit.

Und selbst kleine Kinder finden dort ihren Weg. Selbst jene Menschen, für die alle Hilfe zu spät kam – wir hatten immer wieder gelesen von den Abgestürzten, von den Verunglückten, von den Opfern der Kriege und Hungersnöte, wenn wir in unserer Ferien-Exklusiv-Welt in die Nachrichten schauten. Auch für diese Menschen, die zu spät kommen, gibt es diese Welt und diese Türe.

So rede ich als Pfarrer, gestern war es eine Empfindung, als ich lag und in den Himmel sah, als ich die Wolken kommen und gehen sah, als der Atem mich in einer andere Weltsicht hinüberbegleitete. Es ist üblich, diese Weltsicht abzuwerten. Aber an diesem ersten August, in diesem Sommer, als ich von so vielen Unglücken und Katastrophen hörte, war auch diese Stimme nicht weit, die von einem anderen Blick auf die Welt erzählte. Und wäre das nicht meine Aufgabe als Pfarrer, davon zu erzählen?

 

Foto von Fernando Arias, Pexels
Beachten Sie den Text: Das Überwältigende