Miracolo a Milano

Die Mails nach München gingen hin und her, unsere Tochter kann nun doch nicht kommen. Die Bahnen sind zu voll, nachdem der Verkehr nach dem Unwetter wieder möglich ist. Da will sie mit Kind und Kinderwagen nicht hinein. Vielleicht in zwei, drei Wochen, wenn der Verkehr sich normalisiert hat und die Störungen behoben sind.

Ich fahre mit dem Fahrrad hinaus, am Waldrand mache ich ein paar Fotos. Da ist ein Loch in der grauen Wolkendecke, durch das die Sonne scheint. Ich muss an «Miracolo a Milano» denken, den Film über Mailand nach dem Krieg. Man sieht viele Arme und Arbeitslose, über denen eine dunkle Wolkendecke hängt. Aber da öffnet sich der Himmel, ein warmer Sonnenstrahl bricht durch. Und die Menschen drängen sich zu den paar Sonnenstrahlen hin.

Auch hier gibt es die Stelle, wo die Strahlen auf dem Boden auftreffen, von meinem Standort aus sehe ich über die ganze Talsenke. Es ist ein warmer heller Fleck, der in Licht gehüllt ist. Jetzt bewegt er sich, ich sehe, wie er sich auf mich zu bewegt.

Als ob das «Wunder von Mailand» (Miracolo a Milano) sich wiederholte. Man fühlt sich wie von Gott gemeint, wenn das Licht so auf einen zukommt. Ich fotografiere das Loch in den Wolken und die Lichtflecke. Sie bewegen sich, wandern über die Felder. Und das Loch vergrössert sich. Nach einigen Minuten – ich bin abgestiegen und gehe zu Fuss am Feld entlang – hat das Loch sich verbreitert, blauer Himmel wird sichtbar. Nach zehn Minuten ist schon der halbe Himmel hell. Es gibt immer noch graue Wolkenschiffe, die an die Wettervorhersage erinnern, dass es um vier Uhr wieder regnen soll. Dazwischen blauer Himmel und weisse Sommer-Wolken – nachdem er so viele Tage verdüstert war und so viel Regen fiel wie es alle Jahrzehnte vorkommt!

Ich bin eingestimmt für Miracolo a Milano.

 

Beachten Sie den Beitrag «Die Welt der Engel und der Menschen»
Foto von Luis Quintero, Pexels
Aus Notizen 2024