Trotzdem

Da ist ein Mensch, der schon weitgehend mit dem Leben abgeschlossen hat. So viel Schwieriges hat er schon gemeistert. Nun scheint es hinter ihm zu liegen: die grossen Aufgaben im Leben, die Aufregungen der Jugend, der Ehrgeiz der Berufsjahre, die Zeit der Familie mit den kleinen Kindern … Da kommt noch einmal etwas ganz hart auf ihn zu.

„Nochmals aus des Lebens Weiten
Reisst mich Schicksal hart ins Enge,
Will in Dunkel und Gedränge
Prüfung mir und Not bereiten.

Vorbei ist es mit der Ruhe, vorbei mit dem Gefühl, dass er das Gröbste hinter sich habe im Leben. Nachts träumt ihn wieder von einer Prüfung, wie früher. Als ob er im Leben nochmals eine Prüfung bestehen müsste.

Alles scheinbar längst Erreichte,
Ruhe, Weisheit, Altersfrieden,
reuelose Lebensbeichte
war es wirklich mir beschieden?

Wir erfahren nicht, was es ist, was wie ein Schicksals-Schlag über ihn kommt. Wir können diese Leerstelle im Gedicht selber ausfüllen mit unserer Phantasie: Auch wir erleben es ab und zu, dass unser Leben hart auf ein Hindernis stösst. Wir gehen unsern gewohnten Gang – und plötzlich bricht etwas von aussen herein und durchkreuzt unsere Pläne, macht einen Strich durch die Rechnung. Und das Bild von unserer Zukunft, das wir schon vor uns sahen, ist zerstört. Wir müssen das Leben neu sortieren, den Faden neu aufspulen.

Ach, es ward von jenem Glücke
Aus den Händen mir geschlagen
Gut um Gut und Stück und Stücke;
Aus ist’s mit den heitern Tagen.

Der Dichter schaut zurück, erinnert sich an die schönen Tage. Und was früher schön war, jetzt tut es weh, weil es nicht mehr sein kann. Seine liebsten Menschen sind gestorben oder weg gezogen. Die Orte, die er so gern hatte, die findet man nicht mehr. Und es gibt Jahre, da geht es Schlag auf Schlag. Die schlechten Nachrichten häufen sich. Und er fühlt sich ganz allein.

Scherbenberg und Trümmerstätte
Ward die Welt und ward mein Leben.
Weinend möchte ich mich ergeben, 

Auch der Dichter kennt diese Momente, wo man nicht mehr mag, wo einem alles zu viel wird. Man möchte weinen und sich einfach ergeben.

Aber
Aber so hört das Gedicht nicht auf. So hört das Leben nicht auf. Auch Sie haben das erfahren. Im Gedicht geht es so weiter:

Weinend möchte ich mich ergeben,
Wenn ich diesen Trotz nicht hätte,

Diesen Trotz im Grund der Seele,
mich zu stemmen, mich zu wehren,
diesen Glauben: was mich quäle,
müsse sich ins Helle kehren,

diesen unvernünftig zähen
Kinderglauben mancher Dichter
An unlöschbar ewige Lichter,
die hoch über allen Höllen stehen.“

Da ist der Glaube, und er hält fest, trotz allem. Er hält fest gegen alle Erfahrung:
Da ist Gott, er kennt mich und er lässt mich nicht. Er fragt nach mir. Er hilft mir.
Und wenn auch alles dunkel wäre, ich weiss es, mit meinem Glauben, mit meinem Vertrauen, dass er mich nicht allein lässt. Er ist bei mir, und er bringt auch mein Leben ans Ziel.

 

Aus einer Andacht 2012, nach einem Gedicht von Hermann Hesse