Mit einem Krimi im Bett

Nachts, wenn ich nicht schlafen kann, höre ich Hörbücher. Im Moment bin ich bei Francis Durbridge angelangt und seinen Paul Temple-Romanen aus den 50er Jahren. Erst blieb ich daran hängen wegen der Szenenfotos, die die Atmosphäre jener Jahre atmen, dann wegen der Hörspielmusik, wo diese Atmosphäre noch verdichtet wird. Es war wie Eintauchen in meine Kindheit und frühe Jugend.

Ein Krimi zum Beruhigen in der Nacht
Diese Zeit taucht wieder auf. Da schmettern die Trompeten in synkopierte Rhythmen wie im Jazz. Da wird mit harten Reibungen und Dissonanzen gearbeitet. Aber handkehrum hört man auch Harfen und Klänge aus der klassischen Musik. Es ist eine sehr agitierte Musik und beim Hören denke ich, dass der 2. Weltkrieg damals noch nicht weit zurücklag. Bei vielen Filmen aus dieser Zeit erstaunt es mich im Gegenteil, wie sehr sie schon wieder eine Normalität zelebrieren. Da sind propere Strassen, gesäumt von eleganten Ladengeschäften. Waren da nicht eben noch Trümmerhaufen? Haben da nicht Menschen auf einem Schwarzmarkt Lebensmittel gegen Zigaretten getauscht?

Aus einer vergessenen Ecke
In amerikanischen Filmen findet man das wie selbstverständlich, sie wurden weniger vom Krieg versehrt. Aber auch Deutschland sieht schon wieder aus wie neu, in den Filmen wird eine neue Normalität gespielt. Nur in diesen Krimis taucht aus einer vergessenen Ecke etwas auf. Die Nähe zum Krieg zeigt sich z.B. bei Frauenfiguren im Hörspiel, wenn angemerkt wird, dass ihre Männer „im Krieg geblieben“ seien. In einer Hörfolge gibt es ein „zerbombtes Grundstück“ mitten in der Stadt. Es ist nachts nicht beleuchtet, finster, und so wird im Stück prompt eine Leiche dort deponiert. Das sind die dunklen Ecken, die aus dem Krieg übriggeblieben sind und die immer wieder Schauer über die Psyche der Davongekommenen jagen.

Und vielleicht schaut man, so geschützt, gerne hin, denn man hat es natürlich nicht vergessen. Aber, allein sich dem auszusetzen, das getraut man sich noch nicht. Das ist, wie als Kind allein in den Keller hinabzusteigen. Aber wenn dieser sympathische Privatdetektiv Paul Temple dabei ist, der ja auch immer von seiner Frau „Steve“ begleitet ist, dann kann es nicht so gefährlich sein. Da ist der gute Ausgang schon vorweggenommen. Er ist allem, was kommen kann, gewachsen und er sorgt für seine Frau. Eine Vaterfigur im Kriminalroman.

Frau, Mann, Kind
Seine Frau zeigt allerdings mit einem Männer-Namen, dass sie sich auch allein zu helfen wüsste. Und das haben die Frauen im 2. WK ja wirklich gezeigt, ob sie in der Armee gekämpft haben oder ob sie allein zuhause den Hof oder den Betrieb weiterführen mussten. Aber jetzt ist offenbar die Sehnsucht wieder gross, in alte Rollenaufteilungen zurückkehren zu können. Wollen wir wirklich eine Frau am Maschinengewehr? Das sind Rollenbilder, die wir später gelernt haben, z.B. aus Bildern von der israelischen Armee. Die Kindersoldaten aus den afrikanischen Bürgerkriegen, das wurde bei uns wohl nie positiv aufgeladen. Dass Kinder nicht töten sollen, das denken die meisten wohl noch heute.

Die Geschlechtsrollen-Forscher könnten dem nachgehen. Aber die historische Distanz zeigt es auch so, auf liebenswürdige Art. Ja, zuerst befremdet es, wie die Frau hier auftritt und spricht. Aber es ist nicht eindimensional. Auch wenn sie immer den liebenswürdigen Ton beibehält, auch wenn sie mit der ganzen Sprache und Aussprache signalisiert, dass sie die Rolle angenommen hat, dass sie für die gute Stimmung verantwortlich ist, so ist doch immer zu spüren, dass sie ihren Mann auch zu nehmen und zu führen weiss, wenn es ihr wichtig ist. Und dass er sich dann führen lässt. Und die Auseinandersetzung über die Rollen laufen immer in scherzhaftem Ton.

Trost im Unterstand
Das ist mir beim Hören aufgefallen, einen solchen Ton habe ich seit Jahrzehnten nicht mehr gehört: das Helle in der Stimme, das Aufmunternde, die Zuwendung. Es ist wirklich eine «Rolle». Sie übernimmt die Verantwortung für die Stimmung in der Partnerschaft, in der Familie. Haben die Frauen das in den Unterständen gelernt, als alle sich wegen der Bomben ängstigten und sie die Kinder trösten mussten, obwohl sie selber nichts Festes hatten, an das sie sich halten konnten? Das signalisiert dieser Ton: Ihr seid beschützt auch wenn ich nicht weiss, woher das kommen soll! Es ist ein kontrafaktischer Glaube, der auf alle Fälle stimmt. Denn entweder wird er später von der Erfahrung eingelöst oder er gilt gegen alle Erfahrung, weil er schlicht denk- und lebensnotwendig ist.

Hinaus in die Welt
Paul Temple erinnert an James Bond, der in den 60er Jahren auftrat und ganz ähnlich agierte. (Ich war damals schon in der Lehre.) Ein Unterschied von wenigen Jahren macht schon viel aus. Alles ist weltläufiger. Man fliegt und verschiebt sich auf dem ganzen Globus. Die Übeltäter agieren global und darum auch der Vertreter des Gesetzes, der sich vom Privat-Detektiv zum Geheimagenten mausert. Das entspricht dem Kalten Krieg, der die Schauplätze globalisiert hat. Es geht nicht mehr nur um Hehler und Mörder, nicht mehr um englische Kriminalfälle, sondern um all die Fragen dieser Zeit. Wir Jugendlichen freuten uns an der Weltläufigkeit in diesen Geschichten, an dieser Gewandtheit, an dieser Sicherheit, wie er Flugzeuge besteigt, in sozialen Situationen agiert, mit dem andern Geschlecht umgeht. Die Richtung war nicht mehr Rückzug in die Familie, sondern hinaus in die Welt und ins Erwachsen-Werden.

Auch der Krimi erobert die Welt
Auch er hat natürlich Gespielinnen, aber die Frau an seiner Seite, das ist nicht die Ehefrau. Einmal versucht James Bond, zu heiraten, aber die Frau kommt ums Leben. Ehe und Geheimdienst scheinen unvereinbare Grössen. Ehe und Eherecht können das nicht zusammenhalten, was hier los und aus den Fugen ist. So ist es auch mit dem normalen Zivil- und Strafrecht. Selbst das internationale Recht reicht nicht hin, es braucht die Befugnisse eines Geheimdienstes, der notfalls selber das Recht brechen kann. Denn dass die grossen Übeltäter mit Recht und Justiz dingfest zu machen seien – wer glaubt das noch in dieser Zeit? Und da geht es nicht nur um die staatlichen Kontrahenten im Kalten Krieg, sondern auch um die internationalen Grossverbrecher in der globalisierten Welt.

Bei Paul Temple ist das alles noch eine Schrauben-Windung kleiner. Darum wirkt es im Kontrast fast idyllisch. Man kann sich in sein Bett kuscheln, wenn man das hört und dabei einschlafen. Der Kalte Krieg war da aber schon los. Man lebte schon unter der Drohung der wechselseitigen atomaren Vernichtung. Aber man zog den Kopf ein wie im Unterstand. Man verlängerte den Unterstand ins Alltagsleben. Erst die 60er Jahre brachten wieder Zutrauen und Selbstvertrauen. Der Krieg war vorbei, die Wirtschaft boomte, der Fortschritt war nicht aufzuhalten.

 

Foto von cottonbro studio, pexels

Hinweis: von den Paul-Temple-Geschichten gibt es verschiedene Einspielungen und Verfilmungen. Der obige Text bezieht sich auf die Hörfolge aus den 50er Jahren.

Aus Notizen 2018