Ich bin da

«Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch», sagt Christus an Pfingsten. «Ich will den Vater bitten und er wird euch einen anderen Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit. Er bleibt bei euch und wird in euch sein.»

Ich bin da“ – das ist die Gewissheit des Glaubens, das ist der Satz, mit dem sich Gott schon im Alten Testament offenbart: Ich bin da! Er ist gegenwärtig – und Glauben heisst: leben in diesem Vertrauen.

Das ist ein Wechsel der Perspektive. Die Wirklichkeit wird nicht nur angesehen mit den Augen der äusseren Erfahrung, denn diese sehen manchmal nur Krieg und Leid. Die Wirklichkeit wird angesehen mit den Augen der inneren Gewissheit. Und diese weiss, dass gegen allen Anschein Gott da ist und uns nicht verlässt. Keine Angst, sagt Christus, ich komme wieder. Und für die Zwischenzeit, wenn ihr euch allein fühlt, habe ich euch den Weg gezeigt, wo ihr gehen könnt.

Ein Weg, keine Theorie
Die Wahrheit, von der die Religion redet, ist nicht eine „theoretische Wahrheit“, über die man wissenschaftlich entscheiden könnte. Es ist eine „Wahrheit des Weges“. Sie antwortet auf die Fragen von Menschen, die auf dem Weg sind. Es ist nicht Spekulation, nicht Wissenschaft, nicht Philosophie, wie man sie in der Antike trieb, wo man beim Essen „zu Tische lag“ und einen Gegenstand erörterte. Im Glauben geht es um Lebensfragen.

Wenn man selber einen Weg geht, ist es nicht gleichgültig, ob man bei einer Kreuzung links oder rechts geht. Diese Frage interessiert nicht nur theoretisch, davon hängt ab, ob man sich verirrt oder nicht, ob man vor der Dunkelheit eine Herberge findet. Wenn ein Seiltänzer ein Seil über einen Abgrund spannt, prüft er zuerst, ob es hält, bevor er seinen Fuss darauf setzt. Wer sein Leben einem Weg anvertraut, muss vertrauen können, dass der Weg ihn ans Ziel führt. Und je ungewisser seine Situation ist, desto stärker muss er vertrauen können.

Das Seil
Daher kommt die Absolutheit dieser Vertrauensaussagen. Darum reden Religionen mit einem so hohen Absolutheits-Anspruch. Dieser richtet sich nicht nach aussen, gegen andere Religionen, die sind hier gar nicht im Blick. Er richtet sich nach innen, an die Menschen, die auf diesem Weg sind. Diese Sätze wollen nicht andere Religionen schlecht machen. Sie wollen niemanden auf diesen Weg zwingen. Sie wollen aber denen, die auf diesem Weg sind, Mut machen.

Sie brauchen diese Gewissheit: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ So kann man sich mit seinem Leben diesem Weg anvertrauen. So kann man den Weg gehen. So kann man ans Ziel finden.

 

Foto von solod_sha, Pexels
Aus Notizen 2009

Aus den Abschiedsreden im Johannesevangelium, Joh 14,1: «Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und vertraut auf mich! 3 Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin. 4 Und wohin ich gehe – den Weg dorthin kennt ihr. 5 Thomas sagte zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir dann den Weg kennen? 6 Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. (…)
15 Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. 16 Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen anderen Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: 17 den Geist der Wahrheit. 18 Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch.»