Geschichte einer Heilung

Der Evangelist Markus erzählt die Geschichte einer Heilung. Da war eine Frau, die hatte viel gelitten unter vielen Ärzten und ihr ganzes Vermögen ausgegeben. „Aber es hatte ihr nichts genützt, es war nur noch schlimmer geworden mit ihr. Als sie nun von Jesus hörte, kam sie im Gedränge von hinten an ihn heran und berührte seinen Mantel.“ (Mk 5,25ff)

Würdig
Das scheint eine etwas Einfaches zu sein: zu Gott zu kommen, wenn man eine Bitte hat! Wer krank ist, geht zum Arzt. Er macht einen Termin aus und geht hin. Wenn der Arzt aber Gott ist, dann scheuen wir oft zurück. Es geht uns wie dem römischen Hauptmann in Kapernaum. Die Bibel erzählt von ihm. Der hat einen kranken Knecht. Und als er hört, dass Jesus in der Nähe sei, schickt er ihm Boten entgegen: er solle auf seinem Weg auch bei ihm vorbeikommen. Als er aber hört, dass Jesus nicht mehr weit von seinem Haus entfernt ist, schickt er wieder einen Boten und lässt ihm sagen: „Herr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach. Aber sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund!“  (Mt 8,5ff)

Das trifft unser Empfinden, wenn wir zu Gott gehen, wenn wir zu ihm beten: Da ist ein grosses Zutrauen zu ihm, eine grosse Sehnsucht. Aber wir scheuen davor zurück. Er ist ja der Vollkommene. Er steht für das „richtige und ganze“ Leben. Das schwebt uns vor. So wollen wir leben. Und manchmal spüren wir, wie viel uns dazu fehlt. Wie viel wir schuldig bleiben. Wie viel uns nicht gelungen ist, auch beim besten Willen nicht. Wie viel uns unter den Händen zerbrochen ist. Es tut uns selber weh! Wir hätten es anders gewollt.

Sollen wir so vor Gott kommen – mit lauter Bruchstücken aus unserm Leben!? –
Wir verstehen den Hauptmann: „Herr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach. Aber sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund!“
Er scheut vor Gott zurück. Aber er hat auch Vertrauen, dass er ihm helfen kann. Er muss ihm nicht mal begegnen, es reicht, dass er ein Wort sagt.

Das ist eine Geschichte auch für uns. Darum hat der Evangelist Markus sie in sein Evangelium aufgenommen: Wir leben 2000 Jahre später, wir können Jesus nicht mehr in leiblicher Gestalt begegnen. Aber Er ist da, in Gott. Wir können im Gebet vor ihn kommen, und er kann Antwort geben. Was ist seine Antwort?
Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde. (Mk 5,13)

Wir haben vorher die Geschichte der Frau gehört. Seit zwölf Jahren leidet sie an Blutungen. „Sie hatte viel gelitten unter vielen Ärzten und ihr ganzes Vermögen ausgegeben. Aber es hatte ihr nichts genützt, es war nur noch schlimmer geworden.“

Sie hört von Jesus, und dass er von Gott herkommt. Und alles in ihr wacht auf, was sie sich ersehnt und erhofft hat im Leben: Gott kann ihr Schicksal wenden!

Trotzdem springt sie ihm nicht einfach entgegen. Nach der Geschichte mit dem Hauptmann verstehen wir warum. Sie scheut sich vor ihm. Sie getraut sich nicht, ihm vor Augen zu treten. Darum nähert sie sich ihm von hinten. Wenn ich nur seine Kleider berühre, werde ich gerettet. Dann heisst es: Sogleich versiegte die Quelle ihrer Blutungen, und sie spürte an ihrem Körper, dass sie von der Plage geheilt war.

Sollte das möglich sein, dass man einfach etwas Heiliges berührt, dann wird man gesund? Sollte das möglich sein, dass man Gott hinterrücks angehen kann? Sollte das möglich sein, dass wir vor Gott kommen und ihm nicht auch unser Dunkles zeigen: das, was „weh“ macht? –

Dass Gott uns erkennt
Die Geschichte erzählt es anders. Jesus fragt: Wer hat meine Kleider berührt? Und er schaut umher, um die zu sehen, die das getan hatte. Jesus wendet sich um, er will ihr begegnen. Er will ihr in die Augen schauen, sie erkennen.
Davor fürchten wir uns, dass Gott uns erkennt, dass er sieht, wer wir sind.
Denn wir klagen uns selber an. Soviel ist in unserem Leben, das wir selber nicht annehmen können, wo wir selber noch im Streit liegen mit uns.
Wollen wir ihm so unter die Augen treten? Wir senken den Kopf, voller Scham.
Aber Jesus sieht sie an. Und sein Blick ist voller Liebe.

Sich offenbaren
Und jetzt bricht es aus der Frau hervor. Sie sagte ihm die ganze Wahrheit. Es ist eine Begegnung wie bei Liebenden, wenn zwei Menschen sich kennen lernen. Sie haben das Gefühl, sie hätten sich schon immer gekannt. Es ist wie ein „Ankommen“ für sie. Und sie beginnen zu erzählen, jeder offenbart sich vor dem andern. Ich und Du und Du und ich. – Etwas Neues fängt an. Eine Gemeinschaft entsteht aus dieser Begegnung.

In ihren Ahnungen hat es die Frau immer schon gewusst: dass sie nicht allein ist, dass da einer ist, der sie kennt und eines Tages kommt, und dass er sie nicht im Stich lässt. Jetzt ist es geschehen. Sie fühlt sich erkannt bis auf den Grund. Und die Angst fällt von ihr ab, sie öffnet sich diesem „Du“. Und sie fasst Vertrauen zu ihm. Mit ihm will sie ihr Leben in Zukunft gestalten, mit ihm an ihrer Seite.

Gemeinsam
Es ist ein Glaubensweg, der anfängt, ein Leben im Vertrauen. So wendet Gott ihr Geschick. Und Jesus sagt: „Geh in Frieden und sei geheilt von deiner Plage. Dein Glaube hat dich gerettet.“ In diesem Vertrauen können wir unsern Weg gehen. Alles Gott anvertrauen! „Herr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach. Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund!“  

 

Foto von Trần Bá  Trường, Pexels
Aus Notizen 2013