Vom Sortieren der Menschen

„Seht, der Sämann ging aus, um zu säen.“ So erzählt Christus. „Und beim Säen fiel etliches auf den Weg; und die Vögel kamen und frassen es auf.“ Diesen Text kennt man. Und leicht könnte man darüber hinweg gehen: Man kennt ja auch solche Menschen, die keinen Bestand haben. Schnell sind sie begeistert, aber sie haben keine Ausdauer.

Eine Übung
Ja, die Menschen sind nicht schlecht getroffen in diesem Gleichnis. Wir alle kennen solche Menschen, auf die das zutrifft. Christus meint es aber anders. Er teilt die Menschen nicht ein in gute und schlechte. Und wenn er es doch tut, so geschieht das im „Jüngsten Gericht“, am Ende der Zeit. Aber in der Zeit, in der wir leben, ist alles offen. Keiner ist abgeschrieben, solange er lebt.

„Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“, sagt er. Er ist in jedem Menschen, und er lädt uns ein, jeden Menschen so anzusehen.

Das ist eine schöne Übung, mal eine Woche lang zu leben mit diesem Satz. All die Menschen, die uns begegnen, so ansehen, als ob wir das wären. In ihre Schuhe schlüpfen: Wenn ich seit Geburt an deiner Stelle gewesen wäre, ich wäre heute so wie du. Ich würde denken wie du! Ich würde fühlen wie du! Keiner wäre verachtet und ausgeschlossen. Schauen wir von daher noch einmal auf das Gleichnis: wie da der Same auf den Weg fällt, auf den Fels, in die Dornen und in guten Boden. Was würde das Gleichnis uns dann sagen?

Wie es halt so läuft
Bei mir fällt der Same auf den Weg: Ich habe gehört von diesem Evangelium, von Gott, der zu mir kommt in Jesus Christus. Und in stillen Momenten spüre ich das auch. Ich fühle mich dann ganz verstanden. Aber eigentlich läuft es doch anders auf der Welt. Man muss sich behaupten. Es ist doch ein bisschen weltfremd, wenn man leben will wie in der Bergpredigt.

So könnte ich sagen, wenn ich meinen Acker am Weg habe und jeder, der vorbeikommt, mir dreinredet. Ich müsste mich immer nach dem richten, was andere sagen. Was ich selber denke, würde ich für mich behalten. Wichtig wäre die Meinung, die draussen etwas gilt, in der Welt. Der Apostel Paulus sagt zu solch einem Menschen: „Ich schäme mich des Evangeliums nicht. Denn es ist eine Kraft für jeden, der glaubt.“

Steine
Bei mir fällt der Same auf felsigen Boden. Ja, es stimmt. Nicht immer ist alles so tief begründet, was ich tue oder sage. Ich lasse mich anstecken, ich mache mit. Aber mit dem Herzen bin ich nicht immer dabei. Und Ausdauer habe ich nur dort, wo ich spüre: es hat etwas mit mir zu tun, mit meinem Leben. Und genau das könnte ich finden im Evangelium: dort fühle ich mich ganz verstanden und angenommen. Dort finde ich einen festeren Grund, als wenn ich mich nach aussen richte. Da könnte ich meine Ängste zur Ruhe bringen. Im Gebet zu Gott würde ich immer wieder Ruhe finden und Kraft.

Dornen
Auch der dritte Mensch ist mir nicht fremd, das ist der, wo der Same in die Dornen fällt. Manchmal, wenn ich in den Spiegel sehe, erschrecke ich: über das sorgenvolle Gesicht das ich mache! Wo ist die Freude in meinem Leben?

Ja, es wird mir nicht leicht gemacht in dem Beruf, in dem ich stehe. Es ist viel Arbeit und wenig Anerkennung. Die Kinder nehmen alles für selbstverständlich, was ich mache. Es ist wirklich Grund zur Sorge, auch wenn man die Welt anschaut… Und doch, das allein macht noch kein Leben. Davon habe ich nicht gegessen. Das Herz bleibt leer. Es ist so öd, ein Leben, das sich nur um diese Sorgen dreht. Und ich sehne mich nach der Freude.

Anfänge
Im vierten Fall, da gerät der Same in guten Boden. Auch in diesem Menschen kann ich mich erkennen: Guten Boden – das habe ich auch in mir, ich muss nur suchen. Was dort hinein gesät wird, das wächst. Wenn ich auf diesen Boden vertraue, muss ich nicht alles alleine machen. Es ist wie Magie: Ich säe nur den Samen, und der wächst und gedeiht. Ich mache nur den Anfang, und etwas anderes hilft mit. Und aus dem Samen wird ein grosser Baum.

So ist es, wenn ich freundlich auf andere Menschen zugehe, es kommt zurück.
So ist es, wenn ich eine Kränkung vergebe, es bringt Frieden
So ist es, wenn ich mich einsetze für Gerechtigkeit und niemanden verletze, so wächst etwas. So kommt das Reich Gottes, sagt Christus. Es ist wie ein Same, wir setzen ihn und daraus wird ein grosser Baum.

Die neue Gesellschaft
So sind wir beteiligt am Werden einer neuen Gesellschaft, wir an unserem Ort, und doch geht es um die ganze Welt. So können wir im Kleinen „schaffen“, und haben doch Teil an etwas Grossem, dem die Zukunft gehört. So wird man auch von uns sagen können: Das Wort fiel auf guten Boden, und es ist aufgegangen. Wir haben es aufgenommen, und es hat zu blühen begonnen: erst in unserem Herzen, weil wir die Freude wieder fanden, dann in unserer Familie, weil alle es spürten, dann bei der Arbeit, weil ein Licht nicht unbeachtet bleibt. Man sieht es einfach, wenn ein Mensch zur Freude findet.

 

Aus Notizen 2011
Foto von Ryutaro Tsukata von Pexels