Eine Hütte des Segens

War es in den 70er Jahren? Da gab es auf einem Kirchentag einen Pavillon, wo die Menschen sich Hilfe holen konnten für alles, was sie beschwerte, einen Segen für alles, was sie sich erhofften. Und das entfaltete eine ungeahnte Dynamik. Die Menschen kamen mit all ihren Anliegen, unsortiert und unbewertet, und brachten sie vor Gott. Und die Kirchenbediensteten gaben den Segen und realisierten erst hinterher, dass sie ihre Kirche da in eine Zeit hineinkatapultiert hatten, wo diese noch lange nicht hingelangt war.

Denn da erhielten auch Menschen den Segen, die nach Kirchenrecht davon ausgeschlossen waren. Menschen mit verpönten Anliegen und tabuisierten Identitäten wurden gesegnet. Homosexuelle Paare, «Mischehen», deren nicht-katholische Partner von der «eucharistischen Gastfreundschaft» ausgeschlossen waren, Geschiedene und Wiederverheiratete, die nach katholischem Kirchenrecht in «objektiver Sünde» lebten…

Da wurde eine Türe weit aufgestossen, weiter als die Kirche das gedacht hatte. Und die Kirche wurde zur Vollstreckerin des Auftrags, den Christus ihr gegeben hat. «Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.» (Lk 19,10)

Segen – weder Moral noch Dogma
Ist Segen ein moralisches Urteil? Ist es eine dogmatische Gutheissung des Gesegneten? Müssen wir zurückhaltender sein als Gott, der nach unseren Zutrauen Antwort gibt, wenn wir ihn aufsuchen?

Der Zuspruch im Segen ist bedingungslos und antwortet auf das bedingungslose Vertrauen des Menschen, der sich zu Gott flüchtet und der mit seinem Vertrauen unterstellt, dass da eine Instanz sei in dieser Wirklichkeit, die sein Leben will und bejaht, trotz all der Erfahrungen, die das immer wieder zu bestreiten scheinen.

Darum kann diese Instanz «trotz» dieser Erfahrungen angerufen werden. Es ist die Erinnerung an eine letzte Evidenz des Lebens, die einige Psychologen als «Urvertrauen» rekonstruieren. Sie folgt nicht direkt aus einer Erfahrung, sondern kann kontrafaktisch zu gegenteiligen Erfahrungen gefunden werden, hat also einen «apriorischen Charakter» bezüglich späterer psychischer Erfahrungen, die die Stellung in der Welt bezeichnen.

 Moral und Ethik fragen nach dem «richtigen Leben». In diesem Sinn hat Segen auch mit Moral und Ethik zu tun, kann aber nicht auf sie reduziert werden. Er muss auch gegen den Strich verkündet werden. Sein Sinn ist Zusage, Ermutigung. Er kommt aus einer Provinz, wo unverletzte Mütter ihrem Kind Zuwendung geben können, damit es beheimatet wird in dieser Welt und seinem eigenen Körper. So kann es wachsen. Und wer das nicht selber von Kindheit her erfahren hat, der kann es hier kennenlernen.

 Wie entsteht Urvertrauen? Wie kann es geheilt werden?
Denn das ist für die Psychologie ein kaum zu lösendes Paradox: wie das «Urvertrauen», das Grundlage ist für Wachstum und Entfaltung im Leben, selber wieder gefunden werden kann, wenn es schon in frühester Kindheit verletzt wurde. Was ist denn «die Bedingung der Bedingung» für Gesundheit?

Dabei helfen die Geschichten «von aussen». Dabei hilft das Evangelium. Das Vertrauen ist wohl schon spontan tätig und arbeitet sich an den Verletzungen ab. Aber es ist rückfallgefährdet und braucht die Verstärkung von aussen. Die Begegnung mit realen Menschen ist für einen traumatisieren Menschen nicht leicht und kann immer wieder unter das Bild der Verletzung fallen. Darum helfen die Symbolgeschichten der Bibel, in denen uns Segen zugesprochen wird.

Segen – die Hütte Gottes bei den Menschen
Direkt gefragt: Darf ich also Homosexuelle segnen? Das war einer der Einwände auf jene Segens-Hütte am Kirchentag, dass er die kirchliche Sexualmoral unterlaufe.

Der Segen, so zeigt sich, behauptet keine dogmatische Glaubensaussage und keine ethische Maxime. Es wäre aber billig, sich so aus der Affäre zu ziehen: seelsorgerlich hätten wir alle Menschen gern, aber wir könnten ihr Tun nicht akzeptieren.

Der innerste Kern, der mich dazu führt, eine solche Segenshütte in meinen Blog aufzunehmen, ist meine Erfahrung, wie ich an einem Tiefpunkt meines Lebens Gott suchte. Und wie ich es nicht akzeptiert hätte, wenn sich irgendjemand dazwischen gestellt hätte. Da geht es nicht um Moral, um Ethik oder irgendetwas. Es ist die Frage, ob ich das Leben überhaupt annehmen kann. Es ist die Frage, ob das Leben für einen Menschen überhaupt zu lösen sei oder ob die Wirklichkeit auf ein schwarzes Loch zusteure, in dem alles verschwindet.

Es ist wohl eine Form der Gottesfrage selbst, auf die die Antwort nicht in einer Moral gegeben werden kann, sondern nur, indem sich Gott selber zeigt, indem er Antwort gibt, indem er mir zuspricht und mein Leben bejaht, so dass ich einen Weg vor mir sehe. Das verträgt keine Bedingungen. Diese Antwort, wenn sie zum Leben führen soll, kann nur «Ja» sein.

Segen für die Vergangenheit
Der Segen richtet sich meist auf die Zukunft. Aber ohne Versöhnung mit der Vergangenheit gib es keine Zukunft. Es braucht das Annehmen des ganzen Menschen. Darum steht hier ein Segen für den vergangenen Weg, den wir Menschen gegangen sind, auch wenn dort etwas Verletzendes verborgen sein mag. So spricht Gott in unserm Glauben:

Ich segne deine Vergangenheit,
dass du als der Mensch, der du bist,
den Ich hierhergeführt habe,
mit all deinem Denken und Fühlen,
jetzt gehen kannst
und auf deine Gefühle vertrauen,
ohne Scham, voller Lebendigkeit, denn Ich habe dich geführt! Amen

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