Die rechte Zeit

Alles wiederholt sich. Die Zeit bleibt immer gleich. Das ist uns am liebsten. Dann können wir die immer selben Antworten geben, die wir schon eingeübt haben. Andererseits verpassen wir auch vieles. Die Chance, auf die wir gehofft haben, kommt so nie, weil immer nur das Alte abgespult wird. Die Veränderung, die wir doch auch brauchen, bleibt aussen vor.

Bald ist Weihnachten. Auch das spulen wir ab wie immer. Da wird sich garantiert nichts ändern. Dabei bewahrt ausgerechnet Weihnachten die Erinnerung, dass das Leben anders ist. Dass die Zeit nicht nur in Blei gegossen ist. Dass es neue Chancen gibt. Manchmal öffnet sich ein Fenster, wie im Computer. Und ein neuer Dialog wird möglich. Ein neues Programm geht auf. Neue Perspektiven ergeben sich.

Es gibt nicht nur die bleierne Zeit, es gibt auch das «Zeitfenster»: einen Augenblick, in dem Neues möglich wird. Es ist, als ob die Zeit „reif“ würde für eine Entscheidung. Es ist, als ob sich etwas über lange Zeit vorbereitet hätte, und jetzt ans Tageslicht drängt. Bald sehen es alle. Dann sagen sie, eine neue Epoche habe begonnen.

Wer wird teilhaben am Neuen? Man muss sich wohl selbst ein bisschen öffnen. Ich kann ewig die analogen Sender auf dem TV schauen. Wenn ich mich nicht öffne, nützt mir die ganze digitale Technik nichts. Ich muss in den Dialog eintreten, wenn sich am PC ein neues Fenster öffnet. Wenn ich es nicht nutze, sind alle neuen Programme für mich umsonst.

Die Zeit als Greis
Weihnachten steht in der Bibel für ein solches Zeitfenster. „Als die Zeit erfüllt war“, so beginnt eine Weihnachtserzählung in der Bibel. Damit bezeichnet sie einen grundsätzlichen Unterschied, wie Dinge an uns herantreten. Was gewöhnlich geschieht, dafür hatte man damals das Wort „Chronos“. Das ist die Zeit, die gewohnheitsmässig abläuft. Im Mittelalter wurde sie dargestellt durch einen Greis mit Sense und Stundenglas. Das ist die Zeit, die abschnurrt und dem Tod entgegen eilt.

Die Zeit als Jüngling
Das Zeitfenster, das aufgeht und Neues möglich macht, dafür hatte man das Wort „Kairos“. Das ist der „rechte Augenblick“. Er wurde dargestellt als Jüngling mit einer Haarlocke. Da sollte man ihm packen, wenn man ihm begegnet. War er vorbei, sah man nur noch seinen kahlen Hinterkopf. Da liess er sich nicht mehr festhalten. Das hat dann die Redensart geprägt, man solle „die Gelegenheit beim Schopfe packen“.

Der Anfang in der Mitte
Auch Weihnachten ist eine Gelegenheit. Vor all dem, was da geschah und was in der Bibel erzählt wird, ist es die Erinnerung, dass es Momente gibt im Leben, die ergriffen werden wollen. Dass die Zeit nicht einfach abläuft, wie das Schicksalsrad des Chronos. Denn immer wieder wird dieser Zwang durchbrochen. In der Mitte der Zeit öffnet sich ein Fenster. Und da lässt es sich ergreifen. Da sind wir dem Geheimnis näher. Da kommt uns etwas entgegen und bringt Heil und Segen.

Aber wollen wir noch? Können wir noch? Oder überlassen wir uns dem Gelernten und Eingeübten? So kommt die Enttäuschung und macht die Fenster zu. Verbitterung schliesst die Türen ab und Hoffnungslosigkeit legt die Riegel vor.

„Als die Zeit erfüllt war, da sandte Gott seinen Sohn.“ Weihnachten ist die dunkelste Zeit im Jahr, da sind die Nächte lang und die Tage kurz. Dieses Dunkel ist die rechte Zeit für die Weihnachts-Botschaft. „Ich will das Verlorene suchen und das Verirrte zurück bringen, ich will das Verwundete verbinden und das Schwachen hüten“, spricht Gott.

 

Aus Notizen 2013
Foto von Ketut Subiyanto von Pexels